Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV), Verband für Arten- und Biotopschutz - Presseinformation vom 14. Juli 2023
Volksbegehren Artenvielfalt
Bayern verliert Vorreiterrolle im Naturschutz
Bilanz des Trägerkreises: Vier Jahre nach Annahme des neuen Naturschutzgesetzes ist die Staatsregierung dabei, ihre Ansprüche aufzugeben
München/Hilpoltstein, 14.07.2023 - Am 17. Juli jährt sich zum vierten Mal die Annahme des Volksbegehrens Artenvielfalt - "Rettet die Bienen!" durch den Bayerischen Landtag. Der Trägerkreis des Volksbegehrens aus ÖDP, LBV, Bündnis 90/Die Grünen und Gregor Louisoder Umweltstiftung (GLUS) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Fortschritte der Umsetzung jährlich zu überprüfen. Grundlage ist der wissenschaftliche Monitoringbericht von Prof. Roman Lenz von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Darüber hinaus ordnet der Trägerkreis die Ergebnisse politisch ein. Das Fazit in diesem Jahr: zum ersten Mal seit 2019 ist ein klar erkennbarer Unterschied zwischen ehrlichen Anstrengungen in der Umsetzung einerseits und politischer Stimmungsmache gegen Naturschutzziele andererseits spürbar. Der Trägerkreis des Volksbegehrens fordert die Staatsregierung auf, dieses Verwirrspiel zu beenden und zu sachlichen, faktenbasierten Diskussionen und ehrlicher Umsetzung zurückzukehren.
Agnes Becker, Beauftragte des Volksbegehrens und
ÖDP-Landesvorsitzende:
"Das aktuelle Wahlkampfgetöse ist Gift für den Artenschutz in
Bayern. Die Hoffnung, die Regierung hätte das
Volksbegehrensgesetz 2019 angenommen, weil endlich verstanden
wurde, dass die Biodiversitätskrise dramatisch und Handeln
dringend erforderlich ist, ist zerplatzt. Im CSU-Programm steht
folgender Satz zur Landwirtschaft: "Für uns ist nicht
entscheidend, ob biologisch oder konventionell produziert wird."
Klarer kann man sich nicht vom gesetzlich festgeschrieben
Ausbauziel 30 Prozent Biolandbau bis 2030 distanzieren. Mehr als
1,7 Millionen Menschen, über 18 Prozent der Wahlberechtigten,
haben aber genau das ins Gesetz geschrieben und besitzen Anrecht
auf Einhaltung der Gesetze. Die Landwirtschaftsministerin ist
aber vor allem untätig: Immer noch gibt es keine verbindliche
Bioquote beim Lebensmitteleinkauf der öffentlichen Hand, die 30
Prozent Bio auf staatlichen Landwirtschaftsflächen sind nicht
erreicht und das ministeriale Engagement für Bio in Bayern ist im
kaum messbaren Bereich angelangt."
Dr. Norbert Schäffer, LBV-Vorsitzender:
"Der Schwung, der durch 'Rettet die Bienen!' 2019 von Bayern
ausging, droht zu verebben. Bei vielen Naturschutzzielen, die
jetzt auf EU- und internationaler Ebene beschlossen und
vorangebracht werden, ist Bayern seit dem Volksbegehren
eigentlich Vorreiter. Dies spiegelt sich auch in der Umsetzung
einiger Inhalte wider, wie zum Beispiel beim Streuobst. Den
Rückgang der Bestäuberpopulationen bis 2030 umzukehren und
EU-weit den Pestizideinsatz zu halbieren
sind zwei Beispiele aus aktuell diskutierten EU-Gesetzgebungen,
die ureigenstes Volksbegehrensziel und in Bayern bereits seit
2019 vorgesehen sind. Es ist daher gänzlich unverständlich warum
auf EU-Ebene teils mit falschen Behauptungen aktiv gegen diese
Gesetzgebungen und Ziele gearbeitet wird, die in Bayern längst
beschlossen sind und auch in politischen Diskussionen in Bayern
wieder in Frage gestellt werden. Das Fazit nach vier Jahren:
Bayern ist dabei, seine Vorreiterrolle im Naturschutz
aufzugeben."
Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen im
Bayerischen Landtag:
"Wir erleben aktuell das größte Artensterben seit dem Ende der
Dinosaurier. Aber wir müssen nicht tatenlos zuschauen - es steht
in unserer Macht, ihm gezielt entgegenzuwirken! Durch mehr
Strukturen in der Landschaft, in denen sich gefährdete Arten
wohlfühlen. Aber vier Jahre nach dem erfolgreichen Volksbegehren
hat die Söder-Regierung noch immer weder Karte noch Plan
vorgelegt, wie ein bayernweiter Biotopverbund konkret umgesetzt
werden soll. Wir wissen noch immer nicht, wo die Lücken zu
schließen sind. Dieses Wissen brauchen wir aber, um ein
engmaschiges Netz aus Biotopen über ganz Bayern auszuwerfen. Mit
den Biodiversitäts- und Wildlebensraumberatern haben wir jetzt
die Menschen vor Ort, die den Verbund in jeder Ecke Bayerns
verankern können. Doch ihnen fehlt die Handlungsgrundlage - dafür
müsste die Söder-Regierung endlich in die Gänge kommen und
zeigen, dass sie es ernst meint mit dem Artenschutz. Das reine
Zusammenrechnen bereits vorhandener Flächen reicht da nicht aus.
Es braucht eine Systematik, um Wildbienen, Igeln, Laubfröschen
und Co. wieder mehr Raum zu geben - insbesondere in den Regionen
Bayerns, wo sich ein Maisfeld an das andere reiht."
Claus Obermeier, Vorstand der Gregor Louisoder Umweltstiftung:
"Mit der Ausweisung von Naturwäldern im Staatswald wurden von der
Staatsregierung bereits große Schritte in die richtige Richtung
unternommen. Zwar ist die Zielvorgabe von zehn Prozent
Naturwälder im Staatswald nun quantitativ erfüllt, bei der
Überprüfung der Qualität fällt aber auf, dass im großen Umfang
Latschengebüsche eingerechnet wurden und dafür größere
Naturwälder in Laubwaldgebieten fehlen. Darüber hinaus
konstruiert die Staatsregierung derzeit einen Gegensatz zwischen
regionaler Holzproduktion und Naturschutz im Wald. Doch wir
brauchen beides: Große nutzungsfreie Schutzgebiete auf
Staatsgrund, die das Tafelsilber Bayerischer Natur bewahren, und
regionale Holzproduktion auf dem Großteil der Waldfläche."
Prof. Roman Lenz, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt
Nürtingen-Geislingen:
"Wichtig ist bei der Überprüfung der gesteckten Ziele nicht nur
die Erreichung der Prozentzahlen, sondern auch die Qualität. Bei
den Agrarumweltmaßnahmen können wir deutliche Fortschritte in der
Höhe der Prämien und der Inanspruchnahme der Programme oder der
geförderten Fläche verzeichnen. Die reinen Zielwerte für
Naturwaldflächen und voraussichtlich auch für den Biotopverbund
werden 2023 erreicht. Eine abschließende Aussage über die
Qualität ist derzeit jedoch noch nicht möglich, da uns hierfür
wichtige Daten fehlen. Der dieses Jahr erstmalig veröffentlichte
Bericht zur Lage der Natur sollte genau diese Inhalte zukünftig
aufnehmen und bewerten. Die Indikatoren des Berichts müssen
jedoch noch besser den Zusammenhang zu den Zielen und Maßnahmen
des Volksbegehrens abbilden. Außerdem muss der Fortschritt der
Umsetzung in den Kontext des Zustands und der Zielmarke gesetzt
werden."
Die Ergebnisse der diesjährigen Auswertung des Teams um Prof. Roman Lenz stellen in einigen Bereichen deutliche Fortschritte fest, in anderen aber auch klaren Nachholbedarf. Bei den untersuchten Agrarumweltmaßnahmen wie beispielsweise für blühende Flächen und extensives Grünland, für Weidetierhaltung, Streuobst und Förderung entlang von Gewässern sind deutliche Fortschritte der in Anspruch genommenen Prämien sowie der geförderten Fläche zu verzeichnen. Die Zielmarke von zehn Prozent Naturwäldern im Staatswald im Jahr 2023 wurde zwar zahlenmäßig erreicht. Hier steht jedoch eine abschließende qualitative Überprüfung aus, ob die ausgewiesenen Naturwälder die wichtigsten Lebensräume repräsentativ abbilden und deren Vernetzung sicherstellen.
Auch beim Biotopverbund wird dieses Jahr die Zehn-Prozent-Marke voraussichtlich erreicht. Ausschlaggebend für die Effektivität der Maßnahmen ist jedoch, ob und wo genau Flächen zusätzlich entstehen, die dann auch tatsächlich den Anteil an Lebensräumen in der Agrarlandschaft erhöhen. Hier gilt, wie auch beim Naturwaldanteil, dass nicht nur bereits bestehende wertvolle Flächen in die Statistik einfließen dürfen, nur um das vorgegebene Zahlenziel zu erreichen.
Beim Ökolandbau hingegen verlangsamt sich der Fortschritt in der Umsetzung. Dadurch vergrößert sich der Abstand zur ersten gesetzten Zielmarke von 20 Prozent in 2025. Auf den staatlichen Flächen wurde der Zielwert von 30 Prozent, der bereits im Jahr 2020 hätte erreicht werden müssen, vor allem auf den Pachtflächen noch immer nicht erreicht. Gleiches gilt für den prozentualen Anteil der Grünlandflächen, die jährlich erst nach dem 15.06. gemäht werden sollen. Dieser liegt 2023 immer noch knapp unter dem Zielwert von zehn Prozent für 2020. Die Umsetzung der Anlage der Gewässerrandstreifen kann bisher nicht ausreichend überprüft werden, da die dafür notwendige Digitalisierung der Streifen mit einem Landkreis pro Jahr nur im Schneckentempo vorangeht.
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Quelle:
Presseinformation, 14.07.2023
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V.
Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein
Tel.: 09174/4775-30, Fax: 09174/4775-75
E-Mail: info@lbv.de
Internet: www.lbv.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 18. Juli 2023
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