Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

RECHT/200: Klagen gegen AKW und Zwischenlager (.ausgestrahlt)


.ausgestrahlt / gemeinsam gegen atomenergie - Rundbrief 23 / Winter 2013/2014

Hintergrund

Klagen gegen AKW und Zwischenlager
Ein Gericht kassierte die Genehmigung des Zwischenlagers Brunsbüttel wegen unzureichendem Schutz gegen Flugzeugabstürze. Eine Chance, auch AKW stillzulegen?

von Armin Simon



Für nichtig erklärt hat das OVG Schleswig im Juni 2013 die Genehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel - u.a., weil das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) den Schutz gegen Flugzeugabstürze und Angriffe mit panzerbrechenden Waffen nicht ausreichend nachgewiesen hatte. Zwar ist das Urteil noch nicht rechtskräftig - das BfS strebt eine Revision an. Dennoch eröffnet es unter Umständen neue Möglichkeiten, gegen Atomanlagen vorzugehen. Auf einer von .ausgestrahlt organisierten Fachtagung am 23.11. mit Rechtsanwalt Ulrich Wollenteit und der Physikerin Oda Becker, die das Verfahren geführt bzw. begleitet haben, erörterten VertreterInnen fast aller AKW-Standorte diese Chancen.

Kein AKW ausreichend geschützt

Gegen den Absturz großer Passagierflugzeuge oder Angriffe mit modernen panzerbrechenden Waffen, so Becker, ist kein AKW in Deutschland und kein Zwischenlager geschützt. Zahlreiche weitere "Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter" (SEWD) sind denkbar und werden auch behördenintern - unter Verschluss - diskutiert. Insbesondere die Auswirkungen von Flugzeugabstürzen und der mangelhafte Schutz dagegen sind umfangreich untersucht und offiziell bestätigt. Der ehemals oberste technische Experte der Atomaufsicht, Dieter Majer, hat dies im Sommer in einem Kurzgutachten für .ausgestrahlt nochmals dargelegt.

Bei einem solchen Angriff oder Unfall drohen massive Freisetzungen radioaktiver Stoffe, die direkt gesundheitsgefährdende oder gar tödliche Auswirkungen für die Menschen im Umfeld der Atomanlage hätten. Daneben drohen großräumige Kontaminationen, die eine langfristige Umsiedlung ganzer Regionen erforderlich machen würden. Das BfS selbst hat vorgerechnet, dass sogar bei einer Freisetzung von nur zehn Prozent des radioaktiven Inventars eines Reaktors noch Gebiete in 170 Kilometern Entfernung nach japanischen Maßstäben dauerhaft unbewohnbar werden. Die Strahlenschutzkommission diskutiert gerade über die Absenkung der entsprechenden Eingreifwerte.

Wir haben ein Recht auf Schutz

Laut Bundesverwaltungsgericht haben BürgerInnen ein Recht auf Schutz vor den Auswirkungen auch terroristischer Angriffe auf Atomanlagen. "Betroffen" im juristischen Sinn sind nach dem Urteil des OVG Schleswig nicht nur die AnwohnerInnen, die wegen akuter Gesundheitsgefahr evakuiert werden müssten, sondern auch all jene, denen eine dauerhafte Umsiedlung droht. Die Möglichkeiten, auf dem Rechtsweg Einfluss zunehmen, sind jedoch, so Wollenteit, je nach Verfahren unterschiedlich:

  • In neuen Genehmigungsverfahren (auch Stilllegungsgenehmigungen) muss die Behörde nicht nur die aktuell, sondern auch die im Laufe der Betriebszeit vorhersehbar verfügbaren Flugzeuge und Waffen berücksichtigen. Bei Annahmen - etwa zur in Brand geratenden Kerosinmenge -darf sie nicht einfach die schlimmsten 20 Prozent der Fälle weglassen. Derlei Ermittlungs- und Bewertungsdefizite machen - siehe Brunsbüttel - die Genehmigung rechtswidrig.
  • Bei "wesentlichen" Änderungen an Atomanlagen (z.B. sicherheitsrelevante Leistungserhöhung eines AKW; "Härtung" eines Zwischenlagers durch den Bau einer Mauer) ist es unter Umständen möglich, im Verfahren das gesamte Sicherheitskonzept der Anlage erneut zu thematisieren.
  • Bei bestandskräftig genehmigten Atomanlagen haben AnwohnerInnen häufig nur ein Recht auf fehlerfreie Ausübung des behördlichen Ermessens.
  • Ausnahme: Bei einer "erheblichen Gefährdung" durch eine Atomanlage, die sich nicht in absehbarer Zeit beheben lässt, gibt es einen Anspruch auf Widerruf der atomrechtlichen Genehmigung (§ 17,5 AtG). Insbesondere dies könnte mit Blick auf die Gefahr durch Flugzeugabstürze ein erfolgversprechender Weg sein, die Abschaltung von AKW juristisch zu erzwingen.

*

Quelle:
Rundbrief 23, Winter 2013/2014, Seite 10
Herausgeber: .ausgestrahlt
Marienthaler Straße 35, 20535 Hamburg
E-Mail: info@ausgestrahlt.de
Internet: www.ausgestrahlt.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2014