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STADT/468: Urbaner Wald - Ein Experiment in Leipzig (Umwelt Perspektiven)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ

Umwelt Perspektiven
Der UFZ-Newsletter - Dezember 2017

Projekt
Urbaner Wald - ein Experiment in Leipzig

von Lukas Denzler


Weltweit leben immer mehr Menschen in urbanen Räumen. Gleichzeitig steigen die Ansprüche der Bewohner an ihren Lebensraum. Parkanlagen und Stadtwälder zählen zu den attraktivsten Naherholungsräumen für stressgeplagte Stadtmenschen. Neue Wege beschreitet die Stadt Leipzig mit der Anlage von drei urbanen Wäldern auf städtischen Brachflächen. Diese sind deutlich günstiger als klassische Parkanlagen. Stadt- und Umweltsoziologen des UFZ in Leipzig erforschen, wie diese urbanen Wälder von der Bevölkerung wahrgenommen und genutzt werden und welche Erwartungen die Menschen an die neuen Grünräume haben.


Fehlt das Geld für teure Parkanlagen, bieten sich Aufforstungen als Alternative an. Diese Idee fand auch bei den Stadtvätern Leipzigs Anklang, bot sie doch eine kostengünstige Aufwertung städtischer Brachflächen, die infolge von Deindustrialisierung und Schrumpfung in den 1990er Jahren zahlreich entstanden waren. Konkret wurden die Pläne dann nach der Jahrtausendwende dank des Bundesamts für Naturschutz (BfN), das seit 2007 das Projekt unterstützt. 43 Quadratkilometer potenzielle Umnutzungsflächen, das sind fast 15 Prozent des gesamten Stadtgebiets, ermittelte das Leipziger Stadtplanungsamt damals und identifizierte zehn Flächen, auf denen urbaner Wald aufwachsen könnte.

Doch wer innerstädtische Brachflächen in urbanen Wald umwandeln will, betritt Neuland. In Europa gibt es erst wenige Beispiele mit neuen urbanen Wäldern. Dazu zählen in Deutschland der Industriewald Ruhrgebiet im Emscher Landschaftspark, der Naturpark Schöneberger Südgelände in Berlin oder die Waldstadt Silberhöhe in Halle/Saale. Deshalb werden die Projekte in Leipzig bis 2018 wissenschaftlich begleitet, sowohl aus sozialwissenschaftlicher als auch aus ökologischer Perspektive. Prof. Dieter Rink interessiert Ersteres. Der Soziologe befasst sich seit über 20 Jahren am UFZ in Leipzig mit nachhaltiger Stadtentwicklung, Stadtökologie und Stadtnatur sowie Phänomenen wie Suburbanisierung und Schrumpfung.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Leipziger Einwohner die Idee der urbanen Wälder finden, begann er mit seinem Team im Jahr 2010 Menschen zu befragen, die in der Nähe potenzieller Waldstandorte wohnen. Weil sich die meisten Befragten zum damaligen Zeitpunkt nicht viel darunter vorstellen konnten, arbeiteten die Wissenschaftler zuerst mit Fotos und Fotomontagen, die verschiedene Waldformen und Wuchsstadien zeigten. So haben sie Präferenzen ermittelt.

Die zeigen, dass der urbane Wald eine Mittelstellung einnimmt - ein städtischer Park wird deutlich besser bewertet, eine Brachfläche deutlich schlechter. "Urbaner Wald wird von der Bevölkerung aber als adäquate Gestaltungsform für städtische Brachen akzeptiert, als Aufwertung des Stadtbildes wahrgenommen und als schützenswert eingestuft", so Dieter Rink. Gewünscht werde jedoch eher ein parkartiger Wald, der gepflegt wird und der über eine minimale Ausstattung, zum Beispiel Sitzgelegenheiten und Mülleimer, verfügt. Zudem zeigte sich, dass die Bevölkerung bereit ist, sich in unterschiedlicher Form an der Errichtung und Pflege des urbanen Waldes zu beteiligen, was aus Sicht der Forscher unbedingt genutzt werden sollte.

Urbaner Wald - drei Beispiele

Die erste Chance, in Leipzig einen urbanen Wald anzulegen, ergab sich auf dem Areal der ehemaligen Stadtgärtnerei im Stadtteil Anger-Crottendorf. Als sie 2005 ihren Betrieb einstellte, war unklar, was mit der Fläche geschehen sollte. "Nachdem ein Verkauf gescheitert war, suchten wir nach neuen Konzepten", sagt Andreas Schultz vom Stadtplanungsamt Leipzig. "Weil die Fläche bereits im Besitz der Stadt war, konnten wir die Idee des urbanen Waldes relativ rasch umsetzen." In Anlehnung an die alte Nutzung wurde die 3,8 Hektar große Fläche 2010 parzellenweise mit Laubbäumen und Sträuchern bepflanzt.

Die Befragung der Stadtsoziologen des UFZ im Herbst 2014 ergab, dass die Menschen vor allem den befestigten Weg durch den urbanen Wald als Alternative zur verkehrsreichen Straße zu schätzen wissen. Das "Stadtgärtnerei-Holz" wird als etwas zwischen Park und Wald Befindliches wahrgenommen, aufgrund der vielen Krautgewächse jedoch am häufigsten als "wilde Fläche". Auf die Frage, ob ihnen der urbane Wald gefalle, äußerte sich die Mehrheit zwar positiv, ein Drittel aber auch negativ. "Nicht gepflegt" war eine oft geäußerte Kritik. Auch störte, dass die Flächen lange Zeit eingezäunt und nicht begehbar waren, um die jungen Bäume zu schützen.

Die zweite Fläche, auf der ein Stadtwald entstand, ist das Schönauer Holz. Es liegt in Grünau, Leipzigs größtem Plattenbau-Viertel. Nach der Wende schrumpfte der Stadtteil von fast 85.000 auf aktuell circa 50.000 Einwohner. Im Zuge des Stadtumbaus wurden von 2002 bis 2015 knapp 7.000 Wohnungen zurückgebaut. Dort, wo nun ein urbaner Wald heranwächst, stand früher ein elfstöckiger, mehr als 300 Meter langer Gebäudekomplex. 2007 riss man den Plattenbau im Zuge des Bund-Länder-Programms "Stadtumbau-Ost" ab. "Die Fläche ist danach als Rasen minimal unterhalten worden", sagt Andreas Schultz. Die Stadt kaufte einen Teil des Grundstücks und entwickelte ein Konzept mit dem Ziel, die Aufenthaltsqualität zu verbessern. 2013 wurde daraufhin gut die Hälfte der 5,5 Hektar großen Fläche mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt.

Die Fläche liegt mitten in einem Wohnquartier und wird - das ergab eine weitere Befragung der Wissenschaftler - deutlich intensiver genutzt als das "Stadtgärtnerei-Holz". 80 Prozent der Befragten durchqueren die Fläche täglich. Bei der Frage, ob das Areal ihnen gefällt, waren zwei Drittel der Antworten positiv. Diejenigen, die die Fläche negativ bewerteten, gaben an, dass diese zu wenig gepflegt werde. Der herumliegende Müll und der Vandalismus seien ein Problem. Kritisiert wird auch der Mangel an Spiel- und Sportmöglichkeiten. Als Belastung wird zudem eine Gruppe von Menschen empfunden, die regelmässig Alkohol konsumieren. Dieter Rink bewertet an dieser Fläche positiv, dass einige weitere Gestaltungselemente den urbanen Wald ergänzen und die Grünfläche für die Anwohner attraktiver machen. Dieses Beispiel sei auch deswegen interessant, weil es in anderen ostdeutschen Städten - etwa in Halle, Eisenhüttenstadt oder Weißwasser - vergleichbare Situationen gebe.

Der urbane Wald Nummer drei - das "Karl-Heine-Holz" - entstand auf einer ökologisch wertvollen Fläche auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs in Leipzig-Plagwitz. Die Deutsche Bahn hatte für das 15 Hektar große Areal keine Verwendung mehr. Nach und nach eroberte sich die Natur Raum zurück und es siedelten sich spezielle und schützenswerte Arten an.

Nachdem die Stadt den größten Teil des Areals gekauft hatte, meldeten zahlreiche Gruppen aus dem Quartier ihre Ansprüche für unterschiedliche Projekte an: Bürgergärten, Parkanlagen, Spielplätze. Daraufhin fanden Workshops und Bürgerversammlungen statt, in denen die Ideen diskutiert wurden. "Das Konzept sieht hier nun Nutzungen mit abgestufter Intensität vor", erläutert Andreas Schultz. Im nördlichen Teil wurden alte Gebäude für Wohnzwecke umgenutzt. Daran schließen sich Bürgergärten und neue Formen des Urban Gardening sowie Freizeitangebote an. Außerdem wurde 2017 ein 1,5 Hektar großer Eichenwald angelegt, an dessen Rand Obstbäume gepflanzt wurden, die von Quartierbewohnern gepflegt werden. Und auf fast fünf Hektar Sukzessionsfläche wird der Natur weiterhin freier Lauf gelassen. Im Unterschied zu den anderen beiden Flächen waren die Bürgerinnen und Bürger in Plagwitz von Anfang an am Prozess beteiligt. Das wirkt sich vor allem positiv auf die Akzeptanz aus: Das "Karl-Heine-Holz" wird deutlich intensiver genutzt als die anderen beiden urbanen Wälder.

Verändert der Wachstumsboom die Ausgangslage?

Das Konzept der urbanen Wälder entstand in einer Zeit, in der zahlreiche Brachflächen existierten, für die sich keine Nutzung abzeichnete. Die Aufforstung wurde als eine kostengünstige Option gesehen, die Lücken einer perforierten Stadt zu schließen. Inzwischen hat sich die Situation in Leipzig jedoch deutlich verändert. Seit Anfang der 2010er Jahre verzeichnet die Stadt ein dynamisches Wachstum. Damit ist eine Nachfrage für die Brachflächen entstanden, denn es wird Bauland für Wohnhäuser, Schulen und Kitas gebraucht. "Doch gerade bei der Nachverdichtung sind grüne Ausgleichsflächen als Gegenpol wichtig", bekräftigt Dieter Rink. "Sie haben positive Wirkungen auf das Mikroklima, steigern die Attraktivität der Stadtquartiere und sind wichtige Frischluftkorridore."

Auch wenn Leipzig wächst, bleibt das Thema der Begrünung von Brachflächen aktuell, denn zahlreiche Mittel- und Kleinstädte schrumpfen weiter. "Wir waren vom Echo auf unsere Projekte in Leipzig überrascht. Urbane Wälder sind in Deutschland ein Thema geworden", bilanziert Stadtplaner Schultz. Und Soziologe Rink ergänzt vorsichtig: "Es sieht so aus, dass sich der urbane Wald als eine neue Kategorie städtischen Grüns etabliert. Wir haben aber erst wenig Erfahrung. Es handelt sich um ein Experiment."


Begleitforschung

Ziel der wissenschaftlichen Begleitforschung ist es, am Beispiel der Stadt Leipzig Einsatzmöglichkeiten, Leistungen und Funktionen von urbanen Wäldern unter naturschutzfachlichen, stadtökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten zu erproben. Das Gesamtprojekt wird vom Bundesamt für Naturschutz bis Dezember 2018 finanziert. Koordiniert und geleitet wird es von der TU Dresden.

www.urbane-waelder.de

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Quelle:
Umwelt Perspektiven / Der UFZ-Newsletter - Dezember 2017, Seite 12-15
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2018

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