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SCHÄDLING/035: Begünstigt der Klimawandel das Vordringen neuer Schadorganismen? (ForschungsReport)


ForschungsReport 2/2011
Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz

Landwirtschaft und Klimawandel
Begünstigt der Klimawandel das Vordringen neuer Schadorganismen?

von Gritta Schrader (Braunschweig) und Hella Kehlenbeck (Kleinmachnow)


Die durch den Menschen verursachten Emissionen von Treibhausgasen führen nicht nur zu einem allgemeinen Anstieg der Temperaturen. Klimamodellierungen lassen auch ein verändertes Auftreten von Niederschlägen und stärkere oder häufigere Wetterextreme wie starke Stürme, Überschwemmungen oder Dürreperioden erwarten. Einige dieser Phänomene werden schon jetzt beobachtet. Für Landwirte, Gärtner und Forstwirte, die in und mit der Natur wirtschaften, ist dies besonders problematisch. Neben den direkten Witterungsauswirkungen tritt noch ein weiterer Effekt in den Vordergrund: Es ist anzunehmen, dass sich der Klimawandel auch auf die Einschleppung und Verbreitung von Schadorganismen an Kulturpflanzen auswirken wird.


Ob sich ein neuer Schadorganismus in unseren Breiten ansiedeln und ausbreiten kann, hängt - neben dem Vorhandensein von Wirtspflanzen - wesentlich von seinen Ansprüchen an klimatische Faktoren ab. Vorzeitig eintretender Frühling oder veränderte Wachstumsperioden können sein Verbreitungsareal verschieben oder eine zuvor fehlende Synchronisation von Schadorganismus und Wirtspflanze herstellen, aber ein bestehendes Zusammenspiel von Pflanze und Schadorganismus auch entkoppeln. Die natürliche Verbreitung von Schadorganismen, ihren Wirtspflanzen und gegebenenfalls ihren Überträgern (Vektoren) verschiebt sich generell in Richtung der Pole, weil frühere Klimabarrieren wie längere Perioden mit hohen Minusgraden im Winter oder zu niedrige Temperaturen im Frühjahr oder Sommer nicht mehr vorhanden sind. Untersuchungen aus den vergangenen Jahren weisen im Zusammenhang mit dem Klimawandel auf Einschleppungen und Ansiedlungen neuer Schadorganismen, auf längere Lebenszyklen der Wirtspflanzen, ausgedehntere Infektionsperioden und erhöhte Überlebensraten einzelner Schadorganismen im Winter hin. Für die Vektoren von Schadorganismen, wie den Bockkäfer Monochamus galloprovincialis, der den Kiefernholznematoden Bursaphelenchus xylophilus (Abb. 1) überträgt, wurden ähnliche Beobachtungen gemacht. Die Verbreitung dieser beiden Organismen wird durch die mittleren Sommertemperaturen begrenzt - höhere Temperaturen begünstigen sie. Zudem werden ihre Wirtspflanzen durch steigenden Trockenstress anfälliger für Befall, so dass das Schadpotenzial noch weiter steigt.

Andererseits können geringere Niederschläge im Sommer oder zu hohe Temperaturen im Winter sich auch negativ auf die Verbreitung oder Überlebensrate bestimmter Schadorganismen auswirken. So wiesen zum Beispiel Versuche in den USA mit der Kletterpflanze Kudzu (Pueraria lobata; überwuchert in den USA fast alles und wurde vor kurzem auch nach Europa eingeschleppt, Abb. 2) zwar auf eine nordwärts gerichtete Verbreitung durch den Anstieg der Wintertemperaturen hin, gleichzeitig aber auch auf eine Einschränkung der westwärts gerichteten Verbreitung durch die Abnahme der sommerlichen Niederschläge.

Wachsen Kulturpflanzen aufgrund höherer Temperaturen schneller, kann sich das auch negativ auf bestimmte Schädlinge auswirken - wenn etwa aufgrund kürzerer Fresszeiten das durchschnittliche Gewicht der Adulten reduziert ist und dies zu einer verringerten Fruchtbarkeit führt. Außerdem kann sich dadurch die notwendige zeitliche Synchronisation zwischen Wirtspflanzen und Schadorganismen ändern. Benötigt zum Beispiel ein bestimmtes Larvenstadium die Knospen einer Pflanze, müssen beide auch zur gleichen Zeit vorhanden sein.

Mit pauschalen Aussagen muss man daher vorsichtig sein: Die Auswirkungen des Klimawandels sind sehr komplex, und es liegen durchaus Wechselwirkungen mit anderen Faktoren wie Anbauverfahren, Globalisierung des Handels, Veränderungen in der Landnutzung oder Zerstörung und Zerstückelung von Lebensräumen vor. Es ist daher schwierig festzustellen, ob die Ursache für Veränderungen allein auf den Klimawandel zurückgeführt werden kann.


Temperatur

Die Temperatur beeinflusst das Wachstum, die Vermehrung und das Überleben von Lebewesen, aber auch die Anfälligkeit von Wirtspflanzen gegenüber Schaderregern und vieles mehr. Höhere Nachttemperaturen können die Flugaktivität von Insekten erhöhen, so dass diese sich weiter und schneller ausbreiten können. Als Folge der Erwärmung ist zu erwarten, dass sich wärmeliebende Arten aus dem Süden in nördlichen Regionen ansiedeln und ausbreiten können. Höhere Temperaturen im Frühling können zum vorgezogenen Schlupf von Insekten führen, längere Flugzeiten und die Entwicklung weiterer Generationen ermöglichen. Auch die Verlängerung von Vegetationsperioden mit der Gefahr der Übertragung von Schadorganismen auf das Folgejahr ist ein Faktor, der zu berücksichtigen ist. Eine Konsequenz des Temperaturanstiegs kann auch sein, dass derzeit unauffällige Arten als Schaderreger hinzukommen, weil sie durch die höhere "Betriebstemperatur" konkurrenzstärker und leistungsfähiger werden und ihre Vermehrungsrate ansteigt.

Eine Reihe von Beispielen belegt, dass durch die Erwärmung bereits eine stärkere nordwärts gerichtete Ausbreitung stattfindet und auch künftig weiter zu erwarten ist. So breitet sich etwa der Pinienprozessionsspinner (Thaumetopoea pityocampa, Abb. 3) - eine Schmetterlingsart, deren Larven nicht nur durch ihre Fraßaktivität schädlich sind, sondern durch ihr allergenes Potenzial auch für den Menschen gefährlich sein können - aufgrund steigender Temperaturen im Winter sowohl in höhere Lagen als auch nach Norden hin aus. Auch beim Grauen Lärchenwickler (Zeiraphera diniana), ebenfalls eine Schmetterlingsart, sind Veränderungen der Populationsdynamik und der Ausbruchs-Zyklen in den europäischen Alpen aufgrund höherer Temperaturen zu verzeichnen. Der zu den Blattkäfern gehörende Westliche Maiswurzelbohrer (Diabrotica virgifera virgifera; Abb. 4) breitet sich zurzeit vor allem in Mittel- und Südosteuropa aus. Modellierungen zufolge wird er sich sogar in Skandinavien ansiedeln können, wenn dort die Temperaturen um ein bis zwei Grad ansteigen. Und beim Asiatischen Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis; Abb. 5) hat der heiße Sommer 2003 die Entwicklungszeit vom Ei zum adulten Käfer von zwei auf 1,5 Jahre verkürzt. Daher sind in den Befallsgebieten Deutschlands und Österreichs nun jährlich Käfer zu beobachten.

Aber auch für Pilze, Bakterien und Pflanzen liegen bereits Forschungsergebnisse vor, die im Zuge steigender Temperaturen auf eine verstärkte Ausbreitung wie auch auf ein zunehmendes Schadpotenzial hinweisen. In Deutschland ist dies zum Beispiel für die Bakterien Ralstonia solanacearum (Schleimkrankheit der Kartoffel, Abb. 6) und Erwinia chrysanthemi (Weichfäule an Zierpflanzen und Kartoffeln) zu erwarten. Treten diese bakteriellen Pflanzenkrankheiten auf, sind hohe Ertragsverluste und unverkäufliche Zierpflanzen die Folge. Das sehr aggressive Forstpathogen Phytophthora cinnamomi (Wurzelfäule an verschiedenen Wirtspflanzen) wird durch eine globale Temperaturerhöhung bessere Überwinterungschancen und damit stärkere Ausbreitungsmöglichkeiten in Nordeuropa bekommen. Bei diesem pilzähnlichen Schadorganismus handelt es sich um einen der weitverbreitetsten und gefährlichsten Forstpathogene. In Europa sind Schäden hauptsächlich an Kastanien, Eichen und Baumschulpflanzen zu befürchten. Die Krankheitsentwicklung wird durch kalte Winter gehemmt, aber die globale Erwärmung erhöht die Überlebens- und Entwicklungsfähigkeit im Winter. Auch das Ansiedlungspotenzial der hochallergenen Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia; Abb. 7) wird durch die globale Erwärmung deutlich gefördert, da höhere Temperaturen im Herbst die Samenreife begünstigen.


Niederschläge

Veränderte Niederschläge können sich ebenfalls auf Schadorganismen und ihre Wirtspflanzen auswirken; sie sind jedoch noch schwerer kalkulierbar als die Auswirkungen durch Temperaturänderungen. So ist die treibende Kraft für den Entwicklungszyklus von Pilzen das Zusammenspiel von Feuchtigkeit und Blattnässe; eine erhöhte Feuchtigkeit ist ein wesentlicher Faktor für Wachstum und Sporenbildung von invasiven Pathogenen - insbesondere in Verbindung mit einer höheren Temperatur. Wird zum Beispiel durch verstärkte Hitze- und Trockenperioden eine Bewässerung notwendig, kann dies pflanzenpathogene Pilze fördern, die höhere Temperaturen und Feuchtigkeit benötigen. Andererseits kann Trockenheit die Anfälligkeit von Wirtspflanzen erhöhen. So werden Ausbrüche der Gemeinen Fichten-Gespinstblattwespe (Cephalcia abietis, Abb. 8) in Italien auf Wasserstress zurückgeführt.


Anstieg von Kohlendioxid

Der Gehalt atmosphärischen Kohlendioxids ist seit Beginn des Industriezeitalters signifikant gestiegen. Dies hat unter anderem Auswirkungen auf die Struktur von Pflanzen - zum Beispiel größere Blattflächen, höhere Blattdicke und eine größere Anzahl von Blättern. Schadorganismen können hiervon profitieren, zum Beispiel durch eine erhöhte Reproduktionsrate und bessere Bedingungen für eine effektive Ausbreitung.


Neue Kulturpflanzen

Neben diesen direkten Faktoren kann der Klimawandel auch indirekt zu einer erhöhten Einschleppung und Verbreitung neuer Schaderreger beitragen. Hierzu gehört der Anbau neuer Kulturpflanzen aufgrund veränderter Klimabedingungen. Ein Beispiel ist die Förderung des Sojaanbaus in Deutschland, durch den neue Schadorganismen bei uns auftreten können.


Voraus schauen und Regelungen anpassen

Die Folgen des Klimawandels sind vielfach nicht mehr aufzuhalten. Auch wenn noch Unsicherheiten hinsichtlich der konkreten Auswirkungen der Klimaveränderungen und des Verhaltens der Schadorganismen und ihrer Wirtspflanzen bestehen, ist es wichtig, soweit wie möglich Gegen- und Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen, um negative Auswirkungen abzuwenden oder zumindest abzumildern. Dafür werden zuverlässige Daten, Informationen und Erfahrungen auch über längere Zeiträume benötigt.

Gewonnene Erkenntnisse können dazu genutzt werden, mit Hilfe von phytosanitären Risikoanalysen - für die laut Pflanzenschutzgesetz das Julius Kühn-Institut zuständig ist - pflanzengesundheitliche Regelungen an die Klimaänderungen anzupassen und damit die Risiken deutlich zu reduzieren. Bei Aufforstungen zum Beispiel muss der Klimawandel auf einer langen Zeitachse berücksichtigt werden. Die erwarteten Veränderungen betreffen sowohl die aufgepflanzten Bäume selbst als auch vorhandene und neue Schadorganismen sowie das Ökosystem insgesamt. Bei Bäumen ist dies deshalb so wichtig, weil sie ihre maximale Ertragshöhe erst nach Jahrzehnten erreichen.

Auch bei der Resistenzzüchtung ist ein "Blick in die Zukunft" notwendig, um die mit dem Klimawandel verbundenen Veränderungen rechtzeitig mit einzubeziehen.


Dr. Gritta Schrader, Julius Kühn-Institut, Institut für nationale und internationale Angelegenheiten der Pflanzengesundheit, Messeweg 11/12, 38104 Braunschweig. E-Mail: gritta.schrader[at]jki.bund.de;

Dr. Hella Kehlenbeck, Julius Kühn-Institut, Institut für nationale und internationale Angelegenheiten der Pflanzengesundheit, Stahnsdorfer Damm 81, 14532 Kleinmachnow. E-Mail: hella.kehlenbeck[at]jki.bund.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Mikroskopbild des Kiefernholznematoden Bursaphelenchus xylophilus (li.). Der Schädling wird durch den Reifungsfraß des Bockkäfers Monochamus galloprovincialis (re.) an gesunden Bäumen übertragen. Durch den Nematodenbefall sterben die Bäume ab. Der Kreis schließt sich, wenn die Bockkäfer befallene Bäume zur Eiablage aufsuchen und die später schlüpfenden Käfer von den Nematoden, angelockt durch chemische Stoffe, besiedelt werden.

Abb. 2: Kudzu (Pueraria lobata): Diese ausdauernde Kletterpflanze überwuchert sogar Häuser und erstickt andere Pflanzen. Sie hat sich im Süden der USA massiv ausgebreitet und wurde vor kurzem auch nach Europa - ins Tessin - eingeschleppt.

Abb. 3: Larven des Pinienprozessionsspinners (Thaumetopoea pityocampa): Die Raupen fressen die Nadeln von Kiefern und können das Wachstum der Bäume reduzieren, in seltenen Fällen kommt es auch zum Absterben. Ihre Brennhaare können schwere Allergien verursachen.

Abb. 4: Westlicher Maiswurzelbohrer: Die Larven des Käfers fressen an den Wurzeln und bohren sich auch in die Wurzeln hinein. Dadurch nehmen die Maispflanzen weniger Wasser und Nährstoffe auf, und es kommt zu erheblichen Ertragsverlusten. Bei sehr starker Schädigung der Wurzeln fallen die Pflanzen um - es kommt zu Lagerbildung. Besonders bei großer Hitze und Trockenheit sind hohe Ertragseinbußen (bis zu 90%) möglich, wie Erfahrungen aus Ungarn zeigen.

Abb. 5: Asiatischer Laubholzbockkäfer: Die Larven dieses Käfers bohren sich in das Holz verschiedenster Laubbäume und fressen dort zwischen dem Kambium und dem Holzkörper. Starker Befall führt zunächst zum Zurücksterben von Kronenteilen und schließlich zum Tod des gesamten Baumes. Wird Käferbefall festgestellt, ist das Fällen der Bäume derzeit die einzig mögliche Bekämpfungsmaßnahme.

Abb. 6: Befallsbild von Ralstonia solanacearum, dem Erreger der Schleimkrankheit der Kartoffel. Befallene Kartoffelpflanzen welken, werden braun und sterben ab, die Kartoffelknollen verfaulen.

Abb. 7: Die Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) ist ein lästiges Unkraut, das aus Amerika eingeschleppt wurde. Es breitet sich mehr und mehr in landwirtschaftlichen Kulturen und auf Brachen aus. Außerdem löst die Beifuß-Ambrosie bei anfälligen Menschen schwere Allergien (Heuschnupfen, Asthma) aus.

Abb. 8: Die Gemeine Fichten-Gespinstblattwespe (Cephalcia abietis). Ihre Larven legen ein gemeinsames Gespinst an, in dem sie leben. Sie fressen ältere Nadeln erst an der Basis ab, um sie dann im Schutz des Gespinstes aufzufressen. Gelegentlich kommt es zu Massenvermehrungen mit Kahlfrass der Fichten. Die Bäume sterben in der Regel nicht ab, aber werden anfälliger gegen andere Schadorganismen.

Durch die Förderung neuer Kulturpflanzen wie Soja können in Deutschland neue Schadorganismen auftreten.


Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
2/2011, Heft 44 - Seite 14-17
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Schriftleitung & Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsanstalten
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut (vTI)
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2012