Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

TOURISMUS/057: Zu Gast bei Freunden - Ökotourismus in Kasachstan (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/10
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Zu Gast bei Freunden

Ökotourismus in Kasachstan


Bis zum Beginn des Ökotourismsprojektes des NABU und seiner kasachischen Partner EcoMuseum und Avalon Ende 2008 war Zentralkasachstan ein weißer Fleck für Touristen. Das Projekt hat die Region mit seinen Natur- und Kulturschätzen bekannter gemacht. Angelika Wilke sprach mit Vitaliy Shuptar, Leiter von EcoMuseum in Karaganda.

Herr Shuptar, Kasachstan hat eine der niedrigsten Bevölkerungsdichten der Welt. Warum glauben Sie, dass gerade Ökotourismus hier das Richtige ist?

Trotz der reichen Rohstoffvorkommen unseres Landes sind viele Steppenbewohner sehr arm. Was sie brauchen, sind kleine Investitionen mit einem für die Menschen überschaubaren Risiko. Nachhaltige Projekte, für die sie nicht ihre Art zu leben umkrempeln müssen. Massentourismus würde aber zweifellos genau das bewirken.

Wie lässt sich die Idee des Ökotourismus konkret umsetzen?

Auf dem Land sind viele Menschen arbeitslos. Sie halten Schafe und bauen in ihren Gärten Gemüse an, sind also weitestgehend Selbstversorger. Nicht selten sind Häuser mit, sagen wir mal, sechs bis hin zu etwa 16 Zimmern von nur zwei Personen bewohnt, denn die jungen Leute wandern in die Städte ab. Manche Dorfbewohner könnten also fast eine kleine Armee beherbergen - und sie tun es gerne.

Um reich zu werden?

Zuallererst gilt bei uns das ungeschriebene Gesetz der Gastfreundschaft. Wer Fremde nicht aufnimmt, verliert sein Gesicht vor der Dorfgemeinschaft. Diese Tradition hat ihre Wurzeln in den Zeiten, als Reisende extremen Temperaturen bis zu minus Grad Celsius ohne Obdach hilflos ausgeliefert gewesen wären. Heute gilt das natürlich nicht mehr in diesem Maße. Dass sich die Menschen in der Steppe über Gäste freuen, ist jedoch so geblieben. Manchmal müssen wir sie regelrecht überzeugen, dass es völlig in Ordnung ist, für Kost und Logis Geld zu nehmen. Na, gut, wenn ihr meint, verkaufen wir eben das Brot, anstatt es den Gästen einfach so mitzugeben, sagen sie dann.

Notleidenden ein Dach über dem Kopf zu gewähren oder an Komfort gewöhnte Touristen - sind das nicht zwei Paar Stiefel?

Stimmt, zumal die Unterkünfte in der Regel nicht westlichen Standards entsprechen. Deshalb werden interessierte Dorfbewohner mit kleinen Krediten finanziell unterstützt, um zum Beispiel sanitäre Einrichtungen zu modernisieren. Vor allem aber schulen wir die Menschen, damit sie darauf vorbereitet sind, was ausländische Touristen so erwarten.

Welche Art von Erlebnissen nehmen Urlauber mit nach Hause?

Zum Beispiel nach rechts zu sehen in dem Wissen, da kommt die nächsten 200 Kilometer nichts, und nach links sind es 300 Kilometer, da ist ebenfalls nichts zwischen Steppe und Himmel, und der Wind das einzige Geräusch. Für Kasachen ist das weiter nichts Besonderes, Ausländer hingegen sind tief beeindruckt.

Was zeigen Sie Ihren Kunden?

Wir besuchen die Bergregionen wie die Gegend um den Aksoran, den mit 1.565 Metern höchsten Berg Zentralkasachstans. Wir unternehmen mehrtägige Touren mit Kleinbussen, bieten aber auch Radreisen an. Oder, wer mag, legt mal ein Stück des Weges zu Pferd zurück. Übernachtet wird in Zelten oder eben in den Gästehäusern. Ein besonderes Erlebnis neben der Natur sind die archäologischen Fundstätten mit Gräbern, Steinmalereien aus der Bronzezeit und Steinstatuen aus der Turkperiode.

Wo kann man solche Touren buchen?

Die Kunden nehmen Kontakt zu unserer Agentur "Nomadic" auf und äußern Wünsche, was sie sehen möchten. Die berücksichtigen wir dann. Bislang ist das möglich, weil das Ganze noch in den Kinderschuhen steckt. Mittelfristig planen wir jedoch, in Katalogen von Reiseveranstaltern präsent zu sein; hierzu haben wir im März auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin Kontakte geknüpft.

Auf wie sicheren Beinen steht der Ökotourismus?

Zur Zeit arbeiten wir noch im Rahmen des für zwei Jahre vom NABU und der EU unterstützten ETPACK-Projekts. Das letzte Jahr war, so könnte man sagen, unser Forschungsjahr - jetzt läuft das Probejahr. Nächstes Jahr müssten wir also auf eigenen Füßen stehen.


*


Auf Dschingis Khans Spuren

Mit seinen unendlichen Steppen, Halbwüsten und eingestreuten Inselgebirgen ist Zentralkasachstan das Herzland der Kasachen. Vom Fuße des Ulytaugebirges hat einst Jochi Khan als ältester Sohn Dschingis Khans Teile des mongolischen Riesenreiches gelenkt. Ihm folgten zahlreiche kasachische Stammesführer und so war die Region lange Zeit Zentrum der Nomadenvölker. Da Nomaden keine Städte bauen, ist die Region auch heute noch dünn besiedelt. Saigaantilopen, Steppenadler und Murmeltiere sind hier zwischen den jahrhundertealten Mausoleen der Khans anzutreffen.

Seit 2009 bieten in den Regionen Kyslarai, Kent und Ulytau in mehreren Dörfern über 15 Gästehäuser für Ökotouristen an. Die Touristen wohnen in den Familien und können so die kasachische Lebensweise kennenlernen. In den Dörfern werden nun auch vermehrt Souvenire und Kleidungsstücke aus Filz hergestellt. Das Ökotourismusprojekt hatte dazu mehrere Seminare durchgeführt, um dieses aus Nomadenzeiten noch traditionell vorhandene Handwerk wieder zu beleben.

Im EcoMuseum in Karaganda ist zudem ein touristisches Informationszentrum eingerichtet worden. Die Ökotourismusagentur Nomadic Travel Kazakhstan bietet die im Projekt erarbeiteten Touren an und vermarktet sie. Die Touren verbinden immer Kultur- und Naturerbe der Region und können mit dem Fahrrad, Pferd, zu Fuß oder mit dem Geländewagen erlebt werden.

Kontakt: Til Dieterich, NABU-Projektleiter ETPACK,
til.dieterich@nabu.de, www.ecotourism.kz.


*


Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/10
(Text in der Internet-Fassung)
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1500, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
E-Mail: naturschutz.heute@nabu.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: nabu@nabu.de
Internet: www.NABU.de

"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2011