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AUFRUF/020: Tiefseebergbau - Keine Zerstörung der Ozeane im Namen des Klimaschutzes (Fair Oceans)


Fair Oceans - Verein für Internationalismus und Kommunikation e.V.

Februar 2021

Aufruf:
Keine Zerstörung der Ozeane im Namen des Klimaschutzes

Das Wettrennen um die Schätze des Meeres wird als Klimaschutz getarnt


Kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden die aktuellen Verhandlungen bei der Internationalen Meeresbodenbehörde auf Jamaika. Diese UN-Behörde verwaltet laut Seerechtsübereinkommen die mineralischen Ressourcen in der Tiefsee als gemeinsames Erbe der Menschheit. Damit trägt sie perspektivisch die Verantwortung für den Bergbau auf der Hälfte unseres Planeten.

Lange Zeit wurde von einem solchen Tiefseebergbau nur geträumt. Mittlerweile hat jedoch ein Wettlauf um diese mineralischen Ressourcen am Meeresboden begonnen. Verschiedene Staaten und multinationale Konzerne beteiligen sich nun daran und wollen möglichst günstig an die enormen Vorkommen in den Ozeanen gelangen. Der Bergbau hätte verheerende Folgen für die marinen Ökosysteme in der Tiefsee, da die Abbaugebiete zerstört werden und verloren gehen würden, bevor die Meeresforschung ihre ökologische Bedeutung und die vorhandene Artenvielfalt auch nur annähernd erfasst hat.

Bei den Verhandlungen unter dem Dach der Internationalen Meeresbodenbehörde über die Regeln für den Abbau in der Tiefsee behaupten inzwischen viele der Befürworter*innen, dass sie den Tiefseebergbau beginnen wollen, um das Klima zu schützen. Ihre Erze sollen die Metalle für Windräder und E-Autos liefern und auch in Zukunft deren ausreichende Verfügbarkeit garantieren. So legitimieren sie ihre finanziellen Interessen und die Zerstörung der Ökosysteme der Tiefsee und missbrauchen zugleich die Klimabewegung für ihre Zwecke: ein Vorgehen, das mehr und mehr um sich greift und mittlerweile auch in der deutschen Debatte um den Tiefseebergbau immer größere Bedeutung erlangt.

Es sind irreführende und falsche Argumente, die hierbei verwendet werden, um den Tiefseebergbau auf Kosten der Klimabewegung international und auch in Deutschland durchzusetzen. Um die offensichtlichen Widersprüche des Tiefseebergbaus zum Meeresschutz und einer fairen Entwicklungszusammenarbeit auf See zu überdecken, haben die Hauptakteure bei der Etablierung der neuen Industrie ein scheinbar eingängiges Argumentationsgebäude entworfen. Einige der Tiefseebergbau-Konsortien haben in diesem Zusammenhang Studien und Werbekampagnen in Auftrag gegeben.

In Hinblick auf den Klimaschutz ist das Hauptargument, welches ins Feld geführt wird, dass eine Verknappung strategisch wichtiger mineralischer Rohstoffe in Zukunft die Produktion von alternativen Energieträgern und Technolgien für den Klimaschutz gefährden wird. Der Tiefseebergbau soll die behauptete Versorgungslücke schließen können und wird so zum Garanten der Klimawende stilisiert. Die zugrunde liegenden Bedarfsrechnungen für mineralische Erze werden jedoch wissenschaftlich durchaus in Frage gestellt und sind vielmehr Ausdruck einer düsteren Zukunftsvision als Tatsachen. Zudem mutet die Behauptung geradezu naiv an, dass das zusätzliche Angebot von Metallen aus der Tiefsee auf dem Weltmarkt nun gerade die Energiewende sichern würde und nicht in erster Linie die Rohstoffpreise im Allgemeinen stabilisiert und dadurch ein fortlaufendes industrielles Wachstum erzeugt.

Im Kern dienen die Szenarien somit dazu die Erfolgsaussichten einer alternativen Rohstoffpolitik zu bestreiten, die auf Kreislaufwirtschaft, Recycling, Sparsamkeit, Langlebigkeit und nachhaltige Produktionsprozesse und Grundstoffe setzt. Statt auf unerschöpfliches Wachstum und die Einführung des Tiefseebergbaus zu setzen, könnte schlicht eine umfassende Reduzierung des Rohstoffkonsums angestrebt werden sowie höhere Rohstoffpreise für einen umweltfreundlichen und sozial gerechten Bergbau an Land akzeptiert werden. Stattdessen geraten die planetaren Grenzen zugunsten weniger, an diesen neuem Industriesektor beteiligter Unternehmen noch stärker unter Druck.

Das, was der Klimaschutz bewahren will, wird durch den Tiefseebergbau gefährdet: so auch potenziell die Funktion der Ozeane als wichtigste Kohlenstoffspeicher des Planeten. Fair Oceans/Die Unterstützerinnen und Unterstützer wendet/wenden sich aus vielen Gründen klar gegen eine Einführung des Tiefseebergbaus: sowohl um die Meere zu schützen als auch um eine destruktive Rohstoffpolitik auf Kosten der Länder des globalen Südens auf die Ozeane zu verhindern. Zudem gefährdet er die Menschenrechte und verschachert das gemeinsame Erbe der Menschheit, um den Traum vom unbegrenzten Wachstum für einige wenige Privilegierte am Leben zu erhalten. Die Zivilgesellschaft darf nicht unwidersprochen hinnehmen, dass der Klimaschutz zur Rechtfertigung der Zerstörung der Ozeane genutzt wird. Erforderlich ist Solidarität und gemeinsames Handeln. Der Tiefseebergbau wird sich global auswirken, aber letztlich am stärksten die Menschen im globalen Süden treffen, die abhängig sind von intakten Meeresökosystemen und der Rohstoffförderung.

Der Klimaschutz darf nicht als Argument für den Tiefseebergbau und die Zerstörung der Ozeane missbraucht werden. Wir fordern stattdessen einen Stopp des Tiefseebergbaus sowie eine konsequente Berücksichtigung der im Sonderbericht des Weltklimarats aufgezeigten Auswirkungen des Klimawandels auf die Ozeane.

Die Bundesregierung fordern wir deshalb auf, folgende Grundsätze in ihre internationale Klima- und Meerespolitik aufzunehmen und dabei die engen Beziehungen von Umwelt und Entwicklung in Hinblick auf Fragen der Klimagerechtigkeit zu beachten:

- Die Folgen des Klimawandels für die Ozeane sowie die entlang ihrer Küsten lebenden Menschen müssen wesentlich stärker als bisher in die internationale Klimapolitik einbezogen werden, wofür eine Koordinierungsstruktur in Form einer eigenen Projektgruppe beim Weltklimarat geschaffen werden muss

- Der Küstenschutz muss als gemeinschaftliche globale Aufgabe in der internationalen Klimapolitik verankert werden und die Lasten nach den finanziellen Möglichkeiten der Staaten und gemäß der Idee des Verursacherprinzips zwischen globalem Norden und Süden geteilt werden

- Wenn Küstengebiete oder Inseln aufgrund des Klimawandels unbewohnbar werden, muss den zur Flucht gezwungenen Menschen eine »Klimamigration in Würde« ermöglicht werden, und auch nicht betroffene Staaten haben sich in der Verantwortung zu sehen, diesen ein neues Zuhause zu geben

- Die maritime Raumplanung und das Küstenzonenmanagement müssen eine Verschiebung der Küstenlinien ins Binnenland und die polwärtige Verlagerung der Verbreitungsgebiete mariner Arten berücksichtigen und hinreichende Ausweichflächen für Infrastrukturen und Küstenökosysteme bereitstellen

- Die Bebauung der Küstenzonen muss begrenzt oder rückgebaut werden, um eine Regeneration natürlicher Küstenökosysteme wie der Korallenriffe bei steigendem Meeresspiegel zu ermöglichen und deren Küstenschutzfunktion langfristig im Sinne von »nature based solutions« zu bewahren

- Maßnahmen zum Klimaschutz wie Blue-Carbon-Projekte in den Küstengebieten und -meeren müssen auf transparenten und partizipativen Prozessen beruhen und dürfen nicht die traditionellen Rechte von Küstengemeinden oder die regionale Ernährungssicherheit im globalen Süden in Frage stellen

- Negativen Auswirkungen auf die Fischerei durch den marinen Klimawandel muss solidarisch im Rahmen der Welternährungsorganisation durch die finanzielle und technische Unterstützung bei der Entwicklung notwendiger Anpassungen von Fangmethoden und Fischereiwirtschaft begegnet werden

- Staaten des globalen Südens, welche durch den Klimawandel Fischbestände verlieren oder abnehmende Fangmengen verzeichnen, müssen aus einem speziellen Klimafonds Ausgleichszahlungen zur Sicherung ihrer Ernährungsgrundlagen und der betroffenen Fischereien erhalten

- Festes Ziel der internationalen Klimapolitik muss das 1,5-Grad-Ziel sein, insbesondere um die Existenzgrundlagen der niedrig liegenden Küstenregionen wie auch der Kleinen Inselentwicklungsländer effektiv zu schützen

- Die Kleinen Inselentwicklungsländer müssen durch gesonderte Programme mit internationaler Finanzierung eine spezifische Unterstützung für Anpassungen an den Klimawandel erhalten, die auf eine umfassende Sicherung ihrer Existenzgrundlagen zielt

- Die Emissionen von Klimagasen durch den Schiffsverkehr müssen durch die IMO noch deutlich konsequenter als bisher reduziert werden und schon bis zum Jahr 2030 um mindestens 50% gesenkt werden; darüber hinaus sind Wasserstoff und Wind als Alternativen für den Schiffsantrieb zu fördern

- Die mit der Produktion und Vermarktung von Waren verbundenen Lieferketten - einschließlich der Seewege - sind für die Konsument*innen transparent, unter Angabe der dabei erzeugten Menge an Klimagasen zu dokumentieren, und diese Verpflichtung ist in das Lieferkettengesetz aufzunehmen

- Die Offshore-Förderung von Erdöl und -gas muss kontinuierlich reduziert werden und die Förderung in der Tiefsee wie auch in den Polarregionen ist gänzlich zu stoppen

- Der Tiefseebergbau ist als Quelle für mineralische Ressourcen nicht akzeptabel und entsprechende Vorhaben müssen gestoppt werden, da sie eine zusätzliche Belastung der Meeresökosysteme und globalen marinen Kreisläufe darstellen und eine ökonomische Wachstumslogik ungebremst fortschreiben

Hintergrundinformationen zum Tiefseebergbau, der Klima- und Meerespolitik finden sich auf unserer Webseite:
www.fair-oceans.info

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Quelle:
Aufruf, Februar 2021
https://fair-oceans.info/4287-2/
Fair Oceans
Verein für Internationalismus und Kommunikation e.V. (Hrsg.)
Bernhardstraße 12, 28203 Bremen
E-mail: contact@fair-oceans.info
www.fair-oceans.info

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 3. August 2021

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