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VIELFALT/258: Die neue Nationale Biodiversitätsstrategie Deutschlands (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2023
Durchbruch? Ein neues Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt

Die neue Nationale Biodiversitätsstrategie Deutschlands
Ein Umsetzungsinstrument mit Erfolgsaussichten?

von Dr. Axel Paulsch


Ende 2022 haben sich 196 Vertragsstaaten des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) auf neue globale Biodiversitätsziele geeinigt. Nun müssen die Ziele durch Nationale Biodiversitätsstrategien (NBS) aufgegriffen und umgesetzt werden. Was unternimmt Deutschland und was steckt in den 65 Zielen des Entwurfs der neuen NBS-2030, den das Bundesumweltministerium aktuell vorgelegt hat?

Die Vertragsstaaten des CBD hatten sich 2010 Ziele bis 2020 gesetzt, mussten aber 2018 bei der 14. Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties, COP 14) feststellen, dass die meisten dieser Ziele nicht erreicht und nur für einige wenige die notwendigen Maßnahmen ergriffen wurden. Einer der am stärksten bremsenden Faktoren war die mangelnde Umsetzung. Entsprechend wurde ein Prozess in Gang gesetzt, neue Ziele festzulegen und auch die Rahmenbedingungen für eine Umsetzung deutlich zu verbessern. Ende 2022 in Montreal gelang es schließlich, sich auf die 23 Ziele des Global Biodiversity Framework (GBF) zu einigen.

Die Ziele folgen der Logik, dass wir erstens erhalten müssen, was noch an einigermaßen unberührter Natur vorhanden ist (also den Nutzungswandel unterbinden), zweitens bedrohte Gebiete besser schützen und drittens bereits degradierte Ökosysteme wiederherstellen müssen.

Weitere Ziele befassen sich mit den Rahmenbedingungen, insbesondere der Finanzierung der notwendigen Umsetzungsmaßnahmen, außerdem mit Technologietransfer, Fortbildung, gerechter Partizipation und Geschlechtergerechtigkeit. Alles in allem sind die 23 Ziele des GBF ein Rundumschlag, der ambitioniert sehr viele Gefahren für die Erhaltung der biologischen Vielfalt angeht. Gleichzeitig berücksichtigt der GBF die Belange der Länder des Globalen Südens, in dem er z.B. traditionelle, nachhaltige Nutzungspraktiken indigener Völker und lokaler Gemeinschaften als bewahrenswert hervorhebt und die Rechte indigener Völker über ihr Land berücksichtigt. Außerdem betont der GBF, dass sich alle Sektoren an der Umsetzung beteiligen müssen, nicht nur der klassische Naturschutz. Das gilt für die Land- und Forstwirtschaft, aber eben auch für den Finanzsektor und für die Entwicklungszusammenarbeit. Aspekte der Biodiversität sollen in allen Planungen berücksichtigt werden, sei es in Plänen zur Infrastruktur, Energiegewinnung, Armutsbekämpfung oder Gesundheit.

Von internationalen Beschlüssen zur nationalen Umsetzung

So weit, so gut, aber was passiert nun mit diesen Beschlüssen? In der CBD ist klar geregelt, dass die Umsetzung der globalen Beschlüsse durch die Mitgliedsstaaten auf jeweils nationaler Ebene erfolgen muss. Daher sind alle Vertragsstaaten verpflichtet, nationale Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne vorzulegen, in denen sie darlegen, wie sie mit ihren nationalen Zielen zur Erreichung der globalen Vorgaben beitragen wollen. Und genau da liegt die große Schwierigkeit, denn die Analyse zur Erreichung der Ziele bis 2020 hat gezeigt, dass die Ziele an sich nicht schlecht waren (auch wenn man manche vielleicht verständlicher hätte formulieren können), es jedoch an der Umsetzung gemangelt hat.

Die CBD schreibt kein konkretes Vorgehen zur Erstellung einer nationalen Strategie vor, hat aber Empfehlungen gegeben, die einen "Wholeof-Government Approach" bevorzugen. Damit ist gemeint, dass die Strategie von der gesamten Regierung getragen werden und alle Ressorts umfassen sollte, statt nur als Sektorstrategie des zuständigen Umweltministeriums behandelt zu werden.

Zu Bedenken bleibt aber, dass jede Strategie zunächst einfach nur eine Absichtserklärung ist, die als solche noch keinerlei Veränderung bewirkt. Sie ist ein erster und notwendiger Schritt, aber eine tatsächliche Verbesserung der Situation der biologischen Vielfalt kann nur über die Umsetzung der Maßnahmen erreicht werden.

Was tut Deutschland nun mit den neuen Zielen des GBF? Die Ausgangslage ist, dass Deutschland eine nationale Biodiversitätsstrategie (NBS) von 2007 hat, die 2015 ergänzt (aber nicht neu geschrieben) wurde. Die Erreichung der Ziele dieser NBS hatte Zeithorizonte bis 2015 oder 2020, es war Zeit, eine Neufassung in Angriff zu nehmen. Dieser Prozess läuft schon seit 2019, wurde aber durch die Corona-Krise und die Verschiebung der COP 15 auf den Dezember 2022 aufgehalten. Erst als die globalen Ziele des GBF vorlagen, zu deren Umsetzung die nationale Strategie ja dienen soll, konnte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) einen konkret ausformulierten Vorschlag für die neue NBS bis 2030 vorlegen. Dieser Vorschlag wurde am 15. Juni 2023 öffentlich bekannt gegeben und zur Kommentierung geöffnet. Die Erarbeitung dieses Textes war von vielen Maßnahmen flankiert. Zunächst wurde die bestehende NBS hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen analysiert und nach Gründen für die nur teilweise erfolgreiche Umsetzung gesucht. Dazu wurden auch Expert:innen-Interviews und zahlreiche Workshops mit relevanten Stakeholdergruppen durchgeführt. Dabei ging es sowohl um bestimmte Lebensräume (z.B. Auen/Binnengewässer, Meere/Küsten, Agrarlandschaften, Wälder), als auch um Querschnittsthemen wie Bildung, Beteiligung, Dialogformate oder Transformation. Die Anregungen und Empfehlungen aus diesen Veranstaltungen flossen dann in die Gestaltung der neuen NBS ein. Innerhalb des BMUV (und im Bundesamt für Naturschutz, BfN) wurden die einzelnen Themenfelder mit den jeweils zuständigen Fachgebieten besprochen, um auch diese Expertise und die entsprechenden Umsetzungsnotwendigkeiten zu berücksichtigen.

Umfassende Ziele, ambitionierter Zeitplan

Der BMUV-Entwurf schlägt nun 21 Handlungsfelder vor, die sich in 65 Ziele und etwa 250 einzelne Maßnahmen gliedern, und genau wie im GBF wird versucht, alle direkten und indirekten Treiber des Biodiversitätsverlusts anzugehen. Die Ziele sollen bis 2030 erreicht werden, die Maßnahmen sind als erster Aktionsplan bis 2026 angelegt, ein zweiter Aktionsplan 2027-2030 soll folgen.

Die NBS übernimmt das Ziel des GBF (und der EU-Biodiversitätsstrategie 2030), auf 30% Schutzgebiete zu kommen, davon sollen ein Drittel unter strengem Schutz stehen. Für 30% der degradierten Flächen sollen Wiederherstellungsmaßnahmen zumindest eingeleitet sein, der Biotopverbund soll 15% der Fläche erreichen. Aus der alten NBS wurden die nicht erreichten Ziele 2% Wildnisgebiete und 5% natürliche Waldentwicklung übernommen. Der Bund will dabei mit gutem Beispiel vorangehen, und auf den Waldflächen in öffentlicher Hand auf 10% kommen. Auch in der Agrarlandschaft soll die biologische Vielfalt gestärkt werden, z.B. durch die Reduzierung des Pestizideinsatzes um 50% und die Ausweitung der ökologischen Landwirtschaft auf 30% der Agrarfläche. In Städten sollen 150.000 zusätzliche Bäume gepflanzt werden. Im Vergleich zur NBS von 2007 wird dem Schutz der Böden mehr Aufmerksamkeit zuteil. Zunächst soll der gute ökologische Bodenzustand definiert und ein Bodenmonitoring eingerichtet werden, um dann effektive Maßnahmen zum Bodenschutz ergreifen zu können. Dazu gehören auch Maßnahmen, die die Belastung durch Stickstoff und Phosphor reduzieren sollen, konkret die Reduzierung der Stickstoffemissionen aus allen Quellen um mindestens 50%.

Die NBS 2030 will auch Synergien zwischen Biodiversitätsschutz und Klimaschutz stärken und enthält Maßnahmen, die z.B. die Nutzung von Biomasse nachhaltiger machen sollen, und die Mindeststandards für die naturverträgliche Gestaltung von Anlagen zur Solarstromgewinnung festlegen. Die Werte der Natur sollen in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen in allen relevanten Sektoren Berücksichtigung finden und privatwirtschaftliche Unternehmen bis 2030 die Belange der biologischen Vielfalt in ihre Unternehmensstrategien übernommen haben. Dies betrifft auch den Finanzsektor. Den privaten Konsument:innen sollen Entscheidungen für naturverträgliche Produkte u.a. durch verbesserte Kennzeichnung leichter gemacht werden.

Von der Absichtserklärung zur Umsetzung

Mit dieser großen thematischen Breite will die neue NBS bis 2030 letztlich ein Baustein zum transformativen Wandel hin zu einem nachhaltigeren Umgang unserer Gesellschaft mit unseren Lebensgrundlagen sein.

Zu bedenken bleibt aber, dass jede Strategie zunächst einfach nur eine Absichtserklärung ist, die als solche noch keinerlei Veränderung bewirkt. Sie ist ein erster und notwendiger Schritt, aber eine tatsächliche Verbesserung der Situation der biologischen Vielfalt (oder zumindest ein Aufhalten der Verschlechterung) kann nur über die Umsetzung der Maßnahmen erreicht werden. Und eine konsequente Umsetzung, die ja letztlich eine Veränderung unseres gesamten Verhaltens in Wirtschaft, Finanzierung und privatem Konsum bedeutet, wird nicht ohne Einschränkungen und Aufgeben von Gewohnheiten möglich sein. Der Wille dazu muss da sein, in der Politik, in der Gesellschaft und bei allen Einzelnen, sonst hilft das schönste Strategiepapier nichts. Für den Herbst 2023 ist die Abstimmung mit den anderen Ministerien (die sog. Ressortabstimmung) vorgesehen, bevor das Bundeskabinett die NBS dann, wahrscheinlich 2024, als Regierungsstrategie beschließen kann. Damit folgt das BMUV der Empfehlung, eine Regierungsstrategie anzustreben und die NBS nicht nur als Strategie eines einzelnen Ministeriums zu etablieren. Das war 2007 mit der damaligen NBS auch gelungen.

Dr. Axel Paulsch ist Geoökologe und Vorsitzender des Instituts für Biodiversität - Netzwerk e.V. Er verfolgt die Verhandlungen der CBD seit 2002.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2023, Seite 13-15
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 7. November 2023

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