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VIELFALT/259: Was muss in Deutschland geschehen, um das neue Weltnaturabkommen umzusetzen? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2023
Durchbruch? Ein neues Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt

Beschlossene Sache
Was muss in Deutschland geschehen, um das neue Weltnaturabkommen umzusetzen? Anregungen von Naturschutzverbänden zu den Kernpunkten

von Friedrich Wulf und Georg Schwede


Nach vierjährigem Verhandlungsprozess gelang es der internationalen Staatengemeinschaft trotz teilweise erheblicher Differenzen am 19.Dezember 2022 in Montreal auf der 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP15, Conference of the Parties) der Convention on Biological Diversity (CBD) den neuen Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal (KMGBF, Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework) bis 2030 zu verabschieden. Er bietet wichtige Chancen, die Welt einem Leben im Einklang mit der Natur einen großen Schritt näher zu bringen. Auch wenn nicht alle Erwartungen erfüllt wurden, ist das neue Abkommen gegenüber seinem Vorgänger, den sogenannten "Aichi-Zielen", ambitionierter, umfassender, inklusiver und besser messbar. Nun muss Deutschland, wie alle anderen 195 Vertragsparteien, die nötigen Maßnahmen treffen, um die 23 Ziele dieses Rahmenwerks bis 2030 zu erreichen, ebenso wie die oft ambitionierteren Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie. Dabei kommt der derzeit laufenden Erstellung der neuen nationalen Biodiversitätsstrategie eine Schlüsselrolle zu. Die in der AG Biodiversität zusammengeschlossenen Verbände, die den CBD-Prozess intensiv begleiten, stellen hier einige Vorschläge zur Umsetzung des Weltnaturabkommens vor.

Endlich - der neue globale Biodiversitätsrahmen (Global Biodiversity Framework, GBF), nun mit dem Zusatz "Kunming-Montreal" (KMGBF), ist da, der den alten Strategischen Plan der CBD 2010-2020 und seine Aichi-Ziele ablöst. Er gibt der internationalen Staatengemeinschaft eine Verpflichtung und Verantwortung, welche Ziele bis 2030 erreicht werden müssen, damit der Arten- und Lebensraumverlust gestoppt und die dringend notwendige Trendwende zu mehr Biodiversität eingeleitet wird. In den umfassenden Verhandlungen, die zum KMGFB geführt haben, haben sich die deutschen NGOs in der AG Biologische Vielfalt zu einer Task Force formiert und immer wieder eingebracht und bereits 2019 ein gemeinsames Papier mit Kernforderungen an das Abkommen und die deutsche Delegation entwickelt, das im November 2022 zu Beginn der CBD COP 15 aktualisiert wurde.[1]

Nun gilt es, diese Forderungen auch national umzusetzen. Dazu bietet die derzeit laufende Aktualisierung der nationalen Biodiversitätsstrategie (NBS) eine entscheidende Gelegenheit. Dabei sollten neben den globalen auch die oft ambitionierteren und verbindlicheren Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie sowie darauf aufbauende Richtlinien und Gesetze berücksichtigt werden.[2]

Aus internationaler Sicht seien hier einige der wichtigsten Erfordernisse genannt:

Umsetzung

Das größte Problem des vorhergehenden strategischen Plans mit seinen 20 Aichi-Zielen war die mangelhafte Umsetzung. In Montreal wurden nun Schritte beschlossen, diese zu verbessern, und ein klarer Zeitplan zu den beiden Schlüsselelementen der Umsetzung verabschiedet, den Nationalen Biodiversitätsstrategien und den Nationalberichten.
Diese sollten partizipativ erstellt werden und sich zeitlich an den festgelegten Fristen der CBD orientieren (2024 für die Aktualisierung der Nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne, 2026 und 2029 für die nationalen Berichte) und die darin angehängten Formulare zur Standardisierung nutzen.
Entsprechend des "Whole of Government"-Ansatzes sind sie ressortübergreifend zu entwickeln und umzusetzen. Für jedes Ressort müssen klare und messbare Ziele und Beiträge definiert werden, die von diesen eigenverantwortlich umgesetzt und anhand eines wirksamen Monitoringprogramms alle zwei Jahre überprüft und veröffentlicht werden. Wenn abzusehen ist, dass Ziele oder Meilensteine nicht erreicht werden, muss bei den Maßnahmen rechtzeitig nachgeschärft werden ("ratcheting").
Der aktuell laufende Prozess zur Verabschiedung einer neuen nationalen Biodiversitätsstrategie ist in dieser Hinsicht sehr zu begrüßen.

Das größte Problem des vorhergehenden strategischen Plans mit seinen 20 Aichi-Zielen war die mangelhafte Umsetzung. In Montreal wurden nun Schritte beschlossen, diese zu verbessern, und ein klarer Zeitplan zu den beiden Schlüsselelementen der Umsetzung verabschiedet, den Nationalen Biodiversitätsstrategien und den Nationalberichten.


Finanzierung

Bundeskanzler Olaf Scholz hat im September 2022 zugesagt, dass Deutschland bis 2025 seinen Beitrag für die globale Biodiversität von 750 Millionen Euro pro Jahr auf 1,5 Mrd. Euro verdoppeln wird.[3] Dies ist ein wesentlicher Beitrag und ein wichtiges Signal an andere Industrieländer, hier gleichzuziehen, damit die im Weltnaturabkommen bis 2025 vereinbarte Summe von 20 Mrd. internationaler finanzieller Unterstützung weltweit erreicht werden kann. Die Umsetzung dieser Erhöhung muss im Bundeshaushalt bis 2025 absolute Priorität haben, sowohl um die Glaubwürdigkeit Deutschlands als respektierter Unterstützer des internationalen Biodiversitätserhalts zu wahren als auch um den sofortigen Beginn der Umsetzung des Abkommens im Globalen Süden zu ermöglichen. Danach sollten der deutsche Betrag wie auch die Beiträge anderer Industrieländer weiter deutlich erhöht werden, damit die im Abkommen für bis 2030 vereinbarte globale Summe von insgesamt 30 Mrd. Euro pro Jahr erreicht wird.
Einen wichtigen Beitrag dazu kann auch die in Ziel 18 festgehaltene Eliminierung und Umwandlung aller biodiversitätsschädigenden Subventionen leisten, die gegenwärtig noch immer ein Volumen von über 55 Mrd. Euro haben.

Weitere Ziele für die nationale Umsetzung sind:

Flächennaturschutz
  • Stärkung der Landschaftsplanung im raumordnerischen Abwägungsprozess, um dem Verlust von Lebensräumen Einhalt zu gebieten
  • Umsetzung des EU-Nature Restoration Law: Ausweisung von 20% der Fläche als Wiederherstellungsfläche für die Natur. Dies trägt auch zur Erhaltung der Ökosystemfunktionen und der Verringerung des Klimawandels und seiner Auswirkungen bei, da dadurch die Widerstandskraft der Ökosysteme gestärkt wird (Ziele 2 und 8)
  • Naturschutzgebiete: Erhöhung des Anteils repräsentativer, naturschutzwirksamer und partizipativ gemanagter Naturschutzflächen auf 30% der Bundesfläche. Neben der reinen Fläche sind deren Ausgangsqualität (repräsentative Abdeckung aller FFH-[Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie] und national prioritärer Arten und Lebensräume), und die Verabschiedung von Schutzzielen und zentralen Managementplänen für alle Gebiete dringend geboten. 10% dieser Fläche sollten gemäß EU-Biodiversitätsstrategie streng geschützt werden, d.h. keinerlei Nutzung, die nicht der Erhaltung der dort vorkommenden Arten und Lebensräume dient.
Nachhaltige Landnutzung
  • Verringerung von Düngern und Pestiziden auf ein Niveau, das für Lebensräume und Arten dauerhaft verträglich ist - mindestens um 50% bis 2030, im Einklang mit der EU-Farm-to-Fork-Strategie, und ein Ende der Verschmutzung durch Plastik im Einklang mit dem derzeit verhandelten UN Plastics Treaty. Die Reduktionsziele von Pestiziden sollten gesetzlich festgelegt und der Einsatz von Pestiziden durch ein transparentes und einheitliches Monitoring erfasst werden.
  • Sicherung der Qualität aller wertvollen Lebensräume (v.a. gesetzlich geschützter Biotope) in land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen. Mindestens 30% der landwirtschaftlichen Fläche werden gemäß den Richtlinien des ökologischen Landbaus bewirtschaftet.
  • Die deutschen Naturschutzverbände fordern, dass auf mindestens 10% der landwirtschaftlichen Flächen die Biodiversität gefördert wird und auf 15% der Waldfläche Platz für natürliche Waldentwicklung entsteht.
Änderung der ökonomischen Rahmenbedingungen (Ziele 14-16)
  • Biodiversitätscheck/Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)/Strategische Umweltprüfung (SUP) für alle Gesetze, Projekte und Pläne des Staates: Alle Aktivitäten, Steuer- und Finanzströme müssen so gestaltet werden, dass sie mit den Belangen der Biodiversität übereinstimmen.
  • Der Staat muss die nötigen Maßnahmen ergreifen, um die Wirtschaft dazu zu bewegen, ihre negativen Auswirkungen schrittweise zu reduzieren. Neben der Abschaffung biodiversitätsschädigender Anreize (s.o.) bedeutet dies, dass transnationale Unternehmen und Banken einer Verpflichtung unterliegen, auf die Einhaltung globaler Sozial- und Umweltstandards zu achten und dafür zu haften, falls sie gegen diese Standards verstoßen. Wichtige Elemente hierfür sind die Umsetzung des Lieferkettengesetzes und der EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten sowie die Verabschiedung der von der EU Kommission vorgeschlagenen Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen.
  • Bis 2030 sollten Unternehmen und Finanzinstitute ihre Auswirkungen auf die Biodiversität und die damit verbundenen finanziellen Risiken um mindestens 50% reduzieren. Entsprechend dem Ziel 15 wird erwartet, dass Deutschland die neue EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) unterstützt, sie rasch und einheitlich umsetzt und Biodiversitäts-Berichterstattung durch Unternehmen und Finanzinstitute bis 2025 zur Pflicht macht. Hier wäre es wichtig, dies global oder zumindest EUweit nach einem einheitlichen Muster zu tun.
  • Ganz wichtig ist das Ziel 16 zur Reduktion des Konsums und seiner schädlichen Auswirkungen auf die Biodiversität anderer Länder beziehungsweise die Verringerung des globalen Fußabdrucks. Neben den oben genannten Weichenstellungen für die Wirtschaft sind dafür weitere Maßnahmen wichtig.

Es muss Transparenz (Deklarationspflicht für Lebensmittel und andere Güter) und Kostenwahrheit (ökologisch hergestellte Konsumgüter dürfen nicht teurer sein als umweltschädlich produzierte Güter) geschaffen werden. Zudem ist die Lebensdauer von Gütern, u.a. durch Wiederverwendung, Reparatur, Recycling und Kreislaufwirtschaft zu stärken. Es braucht Ziele zur Steigerung von Suffizienz und Effizienz und die Lebensmittelverschwendung muss um 50% reduziert werden. In Deutschland gilt es, den Fleischkonsum bis auf 30 Kilogramm Fleisch/Kopf im Jahr zu senken, u.a. durch eine Aufhebung von Umsatzsteuervergünstigungen für Fleischprodukte und eine CO2-Bepreisung von Fleisch- und Milchprodukten. Der Fleischkonsum ist einer der Haupttreiber der Biodiversitätskrise und Klimakrise. 10.000 Quadratkilometer Fläche (das entspricht der durchschnittlichen jährlichen Entwaldungsfläche in Brasilien) wurden allein durch Futtermittelimporte nach Deutschland verursacht.[4]

Verbesserungen der Mechanismen zum Zugang und zum gerechten Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressourcen

Auf internationaler Ebene müssen die Mechanismen, die die Verteilung der Vorteile regeln, die sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergeben, wirksamer und weniger bürokratisch gestaltet werden. Gleichzeitig müssen sie auch auf genetische Informationen, die auf digitalem Weg weitergegeben werden, ausgeweitet werden. Deutschland und die EU müssen zur rechtzeitigen und erfolgreichen Ausarbeitung eines Multilateral Benefit-Sharing Mechanisms (multilateraler Mechanismus für den Vorteilsausgleich) beitragen. Dies sind einige der wichtigsten - aber bei Weitem nicht alle - Ziele, die es nun in der Umsetzung des KMGBF und in der NBS zu beherzigen gilt. Bei der Umsetzung sollten falsche Lösungen vermieden werden - etwa Offsetting, bei dem zwar neue Lebensräume geschaffen werden, aber eben auf Kosten anderer, deren Zerstörung durch das Versprechen der Herstellung an anderer Stelle legitimiert wird. In der Summe muss es gelingen, die Biodiversität auf ihrer Talfahrt nicht nur zu stoppen, sondern wieder zu ihrer Erholung beizutragen - das gelingt nicht durch Tauschhandel, sondern nur mit zusätzlichen Maßnahmen.

Friedrich Wulf ist Biologe und arbeitet seit 2008 beim Schweizer Naturschutzverband Pro Natura zur internationalen und europäischen Naturschutzpolitik. Er koordiniert ebenso lange die AG Biodiversität des Forums Umwelt und Entwicklung, deren Hauptthema die Biodiversitätskonvention (CBD) und ihre Umsetzung ist.
Georg Schwede ist der Europa-Repräsentant der Campaign for Nature.

Anmerkungen:
[1] Forum Umwelt und Entwicklung (2022): Kernpunkte deutscher NGOs zum Globalen Rahmenwerk für Biodiversität nach 2020.
[2] CBD (2022): Decision Adopted by the Conference of the Parties to the Convention on Biological Diversity. Mechanisms for planning, monitoring, reporting and review.
[3] Bundesregierung (2022): Mehr Geld für globalen Naturschutz.
[4] Leopoldina (2020): Globale Biodiversität in der Krise - Was können Deutschland und die EU dagegen tun?


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2023, Seite 9-12
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 7. November 2023

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