Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2023
Durchbruch? Ein neues Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt
Beschlossene Sache
Was muss in Deutschland geschehen, um das neue Weltnaturabkommen
umzusetzen? Anregungen von Naturschutzverbänden zu den Kernpunkten
von Friedrich Wulf und Georg Schwede
Nach vierjährigem Verhandlungsprozess gelang es der internationalen Staatengemeinschaft trotz teilweise erheblicher Differenzen am 19.Dezember 2022 in Montreal auf der 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP15, Conference of the Parties) der Convention on Biological Diversity (CBD) den neuen Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal (KMGBF, Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework) bis 2030 zu verabschieden. Er bietet wichtige Chancen, die Welt einem Leben im Einklang mit der Natur einen großen Schritt näher zu bringen. Auch wenn nicht alle Erwartungen erfüllt wurden, ist das neue Abkommen gegenüber seinem Vorgänger, den sogenannten "Aichi-Zielen", ambitionierter, umfassender, inklusiver und besser messbar. Nun muss Deutschland, wie alle anderen 195 Vertragsparteien, die nötigen Maßnahmen treffen, um die 23 Ziele dieses Rahmenwerks bis 2030 zu erreichen, ebenso wie die oft ambitionierteren Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie. Dabei kommt der derzeit laufenden Erstellung der neuen nationalen Biodiversitätsstrategie eine Schlüsselrolle zu. Die in der AG Biodiversität zusammengeschlossenen Verbände, die den CBD-Prozess intensiv begleiten, stellen hier einige Vorschläge zur Umsetzung des Weltnaturabkommens vor.
Endlich - der neue globale Biodiversitätsrahmen (Global Biodiversity Framework, GBF), nun mit dem Zusatz "Kunming-Montreal" (KMGBF), ist da, der den alten Strategischen Plan der CBD 2010-2020 und seine Aichi-Ziele ablöst. Er gibt der internationalen Staatengemeinschaft eine Verpflichtung und Verantwortung, welche Ziele bis 2030 erreicht werden müssen, damit der Arten- und Lebensraumverlust gestoppt und die dringend notwendige Trendwende zu mehr Biodiversität eingeleitet wird. In den umfassenden Verhandlungen, die zum KMGFB geführt haben, haben sich die deutschen NGOs in der AG Biologische Vielfalt zu einer Task Force formiert und immer wieder eingebracht und bereits 2019 ein gemeinsames Papier mit Kernforderungen an das Abkommen und die deutsche Delegation entwickelt, das im November 2022 zu Beginn der CBD COP 15 aktualisiert wurde.[1]
Nun gilt es, diese Forderungen auch national umzusetzen. Dazu bietet die derzeit laufende Aktualisierung der nationalen Biodiversitätsstrategie (NBS) eine entscheidende Gelegenheit. Dabei sollten neben den globalen auch die oft ambitionierteren und verbindlicheren Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie sowie darauf aufbauende Richtlinien und Gesetze berücksichtigt werden.[2]
Aus internationaler Sicht seien hier einige der wichtigsten Erfordernisse genannt:
Das größte Problem des vorhergehenden strategischen Plans mit seinen
20 Aichi-Zielen war die mangelhafte Umsetzung. In Montreal wurden nun
Schritte beschlossen, diese zu verbessern, und ein klarer Zeitplan zu
den beiden Schlüsselelementen der Umsetzung verabschiedet, den
Nationalen Biodiversitätsstrategien und den Nationalberichten.
Diese sollten partizipativ erstellt werden und sich zeitlich an den
festgelegten Fristen der CBD orientieren (2024 für die Aktualisierung
der Nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne, 2026 und
2029 für die nationalen Berichte) und die darin angehängten Formulare
zur Standardisierung nutzen.
Entsprechend des "Whole of Government"-Ansatzes sind sie
ressortübergreifend zu entwickeln und umzusetzen. Für jedes Ressort
müssen klare und messbare Ziele und Beiträge definiert werden, die von
diesen eigenverantwortlich umgesetzt und anhand eines wirksamen
Monitoringprogramms alle zwei Jahre überprüft und veröffentlicht
werden. Wenn abzusehen ist, dass Ziele oder Meilensteine nicht
erreicht werden, muss bei den Maßnahmen rechtzeitig nachgeschärft
werden ("ratcheting").
Der aktuell laufende Prozess zur Verabschiedung einer neuen nationalen
Biodiversitätsstrategie ist in dieser Hinsicht sehr zu begrüßen.
Das größte Problem des vorhergehenden strategischen Plans mit seinen 20 Aichi-Zielen war die mangelhafte Umsetzung. In Montreal wurden nun Schritte beschlossen, diese zu verbessern, und ein klarer Zeitplan zu den beiden Schlüsselelementen der Umsetzung verabschiedet, den Nationalen Biodiversitätsstrategien und den Nationalberichten.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat im September 2022 zugesagt, dass
Deutschland bis 2025 seinen Beitrag für die globale Biodiversität von
750 Millionen Euro pro Jahr auf 1,5 Mrd. Euro verdoppeln wird.[3] Dies
ist ein wesentlicher Beitrag und ein wichtiges Signal an andere
Industrieländer, hier gleichzuziehen, damit die im Weltnaturabkommen
bis 2025 vereinbarte Summe von 20 Mrd. internationaler finanzieller
Unterstützung weltweit erreicht werden kann. Die Umsetzung dieser
Erhöhung muss im Bundeshaushalt bis 2025 absolute Priorität haben,
sowohl um die Glaubwürdigkeit Deutschlands als respektierter
Unterstützer des internationalen Biodiversitätserhalts zu wahren als
auch um den sofortigen Beginn der Umsetzung des Abkommens im Globalen
Süden zu ermöglichen. Danach sollten der deutsche Betrag wie auch die
Beiträge anderer Industrieländer weiter deutlich erhöht werden, damit
die im Abkommen für bis 2030 vereinbarte globale Summe von insgesamt
30 Mrd. Euro pro Jahr erreicht wird.
Einen wichtigen Beitrag dazu kann auch die in Ziel 18 festgehaltene
Eliminierung und Umwandlung aller biodiversitätsschädigenden
Subventionen leisten, die gegenwärtig noch immer ein Volumen von über
55 Mrd. Euro haben.
Weitere Ziele für die nationale Umsetzung sind:
Es muss Transparenz (Deklarationspflicht für Lebensmittel und andere Güter) und Kostenwahrheit (ökologisch hergestellte Konsumgüter dürfen nicht teurer sein als umweltschädlich produzierte Güter) geschaffen werden. Zudem ist die Lebensdauer von Gütern, u.a. durch Wiederverwendung, Reparatur, Recycling und Kreislaufwirtschaft zu stärken. Es braucht Ziele zur Steigerung von Suffizienz und Effizienz und die Lebensmittelverschwendung muss um 50% reduziert werden. In Deutschland gilt es, den Fleischkonsum bis auf 30 Kilogramm Fleisch/Kopf im Jahr zu senken, u.a. durch eine Aufhebung von Umsatzsteuervergünstigungen für Fleischprodukte und eine CO2-Bepreisung von Fleisch- und Milchprodukten. Der Fleischkonsum ist einer der Haupttreiber der Biodiversitätskrise und Klimakrise. 10.000 Quadratkilometer Fläche (das entspricht der durchschnittlichen jährlichen Entwaldungsfläche in Brasilien) wurden allein durch Futtermittelimporte nach Deutschland verursacht.[4]
Auf internationaler Ebene müssen die Mechanismen, die die Verteilung der Vorteile regeln, die sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergeben, wirksamer und weniger bürokratisch gestaltet werden. Gleichzeitig müssen sie auch auf genetische Informationen, die auf digitalem Weg weitergegeben werden, ausgeweitet werden. Deutschland und die EU müssen zur rechtzeitigen und erfolgreichen Ausarbeitung eines Multilateral Benefit-Sharing Mechanisms (multilateraler Mechanismus für den Vorteilsausgleich) beitragen. Dies sind einige der wichtigsten - aber bei Weitem nicht alle - Ziele, die es nun in der Umsetzung des KMGBF und in der NBS zu beherzigen gilt. Bei der Umsetzung sollten falsche Lösungen vermieden werden - etwa Offsetting, bei dem zwar neue Lebensräume geschaffen werden, aber eben auf Kosten anderer, deren Zerstörung durch das Versprechen der Herstellung an anderer Stelle legitimiert wird. In der Summe muss es gelingen, die Biodiversität auf ihrer Talfahrt nicht nur zu stoppen, sondern wieder zu ihrer Erholung beizutragen - das gelingt nicht durch Tauschhandel, sondern nur mit zusätzlichen Maßnahmen.
Friedrich Wulf ist Biologe und arbeitet seit 2008 beim Schweizer
Naturschutzverband Pro Natura zur internationalen und
europäischen Naturschutzpolitik. Er koordiniert ebenso lange
die AG Biodiversität des Forums Umwelt und Entwicklung,
deren Hauptthema die Biodiversitätskonvention (CBD) und ihre
Umsetzung ist.
Georg Schwede ist der Europa-Repräsentant der Campaign for
Nature.
Anmerkungen:
[1] Forum Umwelt und Entwicklung (2022): Kernpunkte deutscher
NGOs zum Globalen Rahmenwerk für Biodiversität nach 2020.
[2] CBD (2022): Decision Adopted by the Conference of the Parties to
the Convention on Biological Diversity. Mechanisms for planning,
monitoring, reporting and review.
[3] Bundesregierung (2022): Mehr Geld für globalen Naturschutz.
[4] Leopoldina (2020): Globale Biodiversität in der Krise - Was können
Deutschland und die EU dagegen tun?
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für
Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der
deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger
Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring,
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR)
e.V.
*
Quelle:
Rundbrief 2/2023, Seite 9-12
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 7. November 2023
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