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FRAGEN/003: Wald statt Kohle (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 138/3.2018

Wald statt Kohle
Naturführer Michael Zobel über den Hambacher Forst und die von ihm angebotenen Waldspaziergänge

Interview von Ronja Heise und Jana Ballenthien


Der Hambacher Forst ist ein bemerkenswerter Wald. Es gibt ihn seit der letzten Eiszeit, er ist ein mittlerweile seltener Wald-Typ und beherbergt viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Doch dass der Wald weit über das Rheinland und die Bundesrepublik hinaus bekannt ist, liegt daran, dass er zerstört wird - für den Klima-Killer Kohle (siehe auch Artikel im Magazin Nr. 136/1.2018). Um seinen Braunkohletagebau Hambach zu erweitern, rodet der Stromkonzern RWE jedes Jahr Teile des Hambacher Forst - trotz des breiten und andauernden Protests. Insbesondere mit der seit sechs Jahren existierenden Waldbesetzung ist der Wald zum Symbol geworden: für den Widerstand gegen die zerstörerische Logik des fossilen Energiesystems.

Der Naturführer Michael Zobel tut ganz praktisch etwas dagegen. Er bietet seit mehreren Jahren Sonntagsspaziergänge im Hambacher Forst an, um den Blick auf den Mikrokosmos der Natur zu lenken, um die es geht. Auf seinen gut besuchten Führungen bringt der zweifache Vater und Großvater den Teilnehmenden den Wald und seine Geschichte, aber auch den Widerstand gegen die Rodung näher. In unserem Interview erzählt er von dem gefährdeten Wald, seinen Erlebnissen auf den Führungen und der ab Oktober drohenden Rodungssaison.

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Wie ist es dazu gekommen, dass Du seit Jahren naturpädagogische Waldspaziergänge im Hambacher Forst anbietest?

Im April 2014 war ich zusammen mit meiner Lebensgefährtin Eva Töller zum ersten Mal im Hambacher Wald unterwegs. Wie viele Andere hatten wir immer nur von diesem Wald gehört, der seit fast vierzig Jahren verschwindet, dem Braunkohletagebau Hambach zum Opfer fällt - nur 35 Kilometer von Aachen entfernt. Und genau wie viele unserer Freunde und Bekannten hatten wir diese Umweltkatastrophe bis dahin noch nicht gesehen!

Wir waren geschockt, wir waren fasziniert, wir waren verzweifelt ... und was liegt näher in meinem Beruf, als Führungen anzubieten. Das geschieht seitdem regelmäßig einmal im Monat. Am 15. Juli 2018 fand der 51. dieser Waldspaziergänge statt. Der Wald wird immer kleiner, die Führungen immer größer. Aktuell haben insgesamt mehr als 13.000 kleine und große Menschen teilgenommen.

Warum wird vom Hambacher Forst gesprochen und müsste es nicht eigentlich Hambacher Wald heißen?

Wie ihr schon gehört habt, spreche ich vom Hambacher Wald. Die Bezeichnung Hambacher Forst gab es eigentlich nicht, stattdessen bestand dieser wunderbare Wald aus vielen, den umliegenden Bürgewaldgemeinden gehörenden Teilstücken, zum Beispiel der Große Forst bei Stetternich, die Elsdorfer Bürge, der Rödinger Wald und viele mehr. Erst mit Beginn des Tagebaus 1978 wurde die Bezeichnung Hambacher Forst "erfunden". Namensgeber ist die nahegelegene Ortschaft Hambach. Es handelt sich wie bei den meisten Wäldern unserer Heimat nicht um einen Urwald, sondern um einen Wald, der immer von Menschen genutzt wurde.

Was macht den Wald so besonders?

Bis zum Jahre 2040 soll mit dem Hambacher Wald ein einstmals 6000 Hektar großes Waldgebiet, das auf eine 12.000-jährige Geschichte zurückblickt, bis auf wenige Reste dem Braunkohletagebau Hambach weichen. Der Wald gehört zu den letzten der schon im 10. Jahrhundert von Kaiser Otto II urkundlich erwähnten so genannten Bürgewälder. Es handelt sich um naturnahe Wälder, deren Entwicklung seit der nacheiszeitlichen Wiederbewaldung nie unterbrochen wurde. Als besondere botanische "Spezialität" haben sich in diesem Wald noch natürliche Vorkommen von Winterlinden erhalten, die in der Wärmeperiode des Atlantikums vor etwa 3.000 bis 6.000 Jahren eingewandert waren. Der Hambacher Forst ist die mit Abstand größte Eichen-Hainbuchen-Maiglöckchen-Waldfläche innerhalb der atlantischen biogeographischen Region Deutschlands. Dazu ist dieser Wald Lebensraum und Refugium für seltene und europarechtlich geschützte Tiere wie z.B. Bechsteinfledermaus, Springfrosch, Haselmaus oder Mittelspecht. Bis zum Beginn der Rodungen war er der größte zusammenhängende Wald des Rheinlands.

Der heutige Zustand des Waldes treibt mir die Tränen in die Augen. Wir müssen uns klarmachen, dass etwa 90 Prozent der Waldfläche unwiederbringlich vernichtet wurden. Und auch diese kleine Restfläche steht kurz vor der endgültigen Zerstörung, weil ab 1. Oktober RWE neuerliche Rodungen angekündigt hat. Und auch ohne Rodungen ist der Wald in größter Gefahr und kämpft ums Überleben, er leidet unter anderem unter der Grundwasserabsenkung um unvorstellbare fast 500 Meter für den Tagebau.

Wie kann es sein, dass ein so alter und artenreicher und ehemals riesiger Wald nicht geschützt ist?

Das ist eine spannende Frage, und damit beschäftigen sich momentan diverse Gerichte. Der BUND hat das Land NRW verklagt und zwar in zweifacher Hinsicht: Die Gerichte sollen feststellen, dass die Nichtmeldung als FFH-Gebiet rechtswidrig war und zusätzlich, dass der verbliebene Restwald noch als FFH-Schutzgebiet gemeldet werden muss. Die juristische Situation ist im Moment ein wenig unübersichtlich. Klar ist aber, dass die diversen Klagen des BUND zu der Situation geführt haben, dass die Rodungssaison 2017/2018 nach zwei Tagen gestoppt werden musste. Eine echte Sensation, zum ersten Mal seit vierzig Jahren blieben in der vergangenen Rodungssaison die Kettensägen still.

RWE spricht davon, dass sie 'neue Natur schaffen'. Was hältst du davon?

Auf meinen Führungen betone ich immer wieder, dass die Leistungen zum Thema Rekultivierung im Weltmaßstab durchaus beachtlich sind. RWE tut das allerdings nicht ganz freiwillig, denn zum einen zwingt das Bergrecht sie dazu, zum anderen geht es natürlich auch ums Image. Wovon ich eine Gänsehaut bekomme, ist die Propaganda, in der es sinngemäß darum geht, dass die Landschaft nach dem Tagebau schöner und wertvoller wäre als zuvor. Niemand kann einen Wald und eine Bodenstruktur, die seit dem Ende der letzten Eiszeit gewachsen ist, am Reißbrett und am Computer ersetzen. Da überschätzen Menschen sich gewaltig. Und gerade heute, am 28. Juni, wurde während eines größeren Polizeieinsatzes ein kleiner Tümpel, bewohnt von etwa 25 Molchen, zugeschüttet und plattgewalzt ..., das zum Thema "neue Natur schaffen."

Der Hambacher Forst ist zu einem bekannten Symbol des Widerstands gegen Kohle geworden. Wer ist im Rheinland gegen die Rodung aktiv?

Der Widerstand gegen die Nutzung der Braunkohle wird immer stärker, die Vernetzung der verschiedenen Aktiven und Aktionen immer größer. Und es stimmt, der Hambacher Forst ist ein inzwischen weit über die Grenzen des Rheinlands bekanntes Symbol geworden. Hier gibt es ein breites Bündnis, von Bürgerinitiativen bis zu Kirchengruppen, von Umweltverbänden bis zu Waldbesetzern. Die Methoden sind unterschiedlich, das Ziel ist dasselbe, der zügige Stopp einer völlig veralteten und gesundheitsgefährdenden Technik.

Auf deinen Waldspaziergängen führst du die Gruppen auch immer durch die Waldbesetzung. Wie ist dein Verhältnis zu den Waldbesetzer*innen?

Da habe ich einen ganz klaren Standpunkt. Ohne die seit sechs Jahren andauernde Besetzung des Hambacher Waldes wäre das Thema Hambacher Wald/Braunkohleverstromung niemals so in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Ohne die Waldschützer auf ihren Baumhäusern wären auch nicht mehr als 13.000 Menschen zu unseren Führungen gekommen. Die jungen Menschen im Wald sind für mich ein ganz wesentlicher Teil der wachsenden Bewegung. Man kann über Aktionsformen und Methoden streiten, aber die Menschen im Hambacher Wald leisten unter schwierigen Umständen und unter hohem persönlichen Risiko eine Arbeit für uns alle. Hut ab! Abgesehen davon sind viele der Menschen zu richtig guten Freunden geworden.

Wird letztendlich die Bechsteinfledermaus den Wald retten?

Ich möchte mir den Traum bewahren, dass wenigstens der kleine Rest des wunderbaren Waldes gerettet werden kann. Sei es durch überfällige Gerichtssurteile, sei es durch politische Entscheidungen, sei es wegen der Kolonien der Bechsteinfledermaus. Seit dieser Woche tagt in Berlin die Kohlekommisssion. Mit einer spannenden Besetzung, die "weiter so"-Fraktion hat nicht die Übermacht, RWE steht mit dem Rücken zur Wand, die Welt schaut auf Deutschland als vermeintlichem Vorreiter im Klimaschutz. Und der Hambacher Wald könnte zur Nagelprobe der Kommission werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Berlin beraten wird und gleichzeitig im Oktober im Hambacher Wald die Bäume fallen.

Wie wird es mit dem Wald und seinen Bewohner*innen weitergehen, sollte RWE tatsächlich im Oktober roden?

In der kommenden Rodungssaison geht es um das Herz des noch verbliebenen Waldes. Es geht um Alles oder Nichts. Es geht um die Besetzungen, die Baumhäuser, die Waldschützer. Sollten die Rodungen im Oktober tatsächlich beginnen, dann könnte auch die Lage im Wald außer Kontrolle geraten. Viele Menschen im Wald sind verzweifelt, werden sich den Rodungsmaschinen in den Weg stellen. Ich habe die Hoffnung, dass bis zum Herbst so viele Menschen mobilisiert sind, dass Rodungen gar nicht möglich sind. Daran arbeiten wir und viele andere. Es geht nicht zuletzt um den Frieden in der Region. Ich möchte mit den Führungen beitragen, diesen Frieden zu bewahren, Gespräche aufrecht zu erhalten, dem IRWEg ein Ende zu machen.

Gab es einen besonderen Moment für dich im Wald?

Es gibt viele besondere Momente. Aber der Höhepunkt war sicherlich die Nachricht im vergangenen Herbst, dass das Oberverwaltungsgericht die Rodungssaison 2017/2018 gestoppt hat. Zum ersten Mal seit vierzig Jahren hatten wir damit eine "Rodungs-Verhinderungs-Saison"! Selten habe ich so viele ungläubige Gesichter und Tränen der Freude gesehen, als die Nachricht kam. Ich wünsche mir noch viele solcher Momente. Und ich möchte auch in zehn Jahren noch Führungen im Hambacher Wald anbieten ...

Das Interview führten unsere Energiereferentin Ronja Heise und unsere Waldreferentin Jana Ballenthien


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- In der kommenden Rodungssaison wird es um das Herz des Hambacher Waldes gehen. Michael Zobel hofft auf einen breiten Protest gegen diese skandalöse Waldzerstörung für Kohle

- Michael Zobel bringt bei Sonntagsspaziergängen Interessierten die Einzigartigkeit des Hambacher Waldes nahe

- "Ohne die Wald-Besetzung wäre das Thema Hambacher Wald und Braunkohleverstromung niemals so in die öffentliche Wahrnehmung gerückt"

- Klimaprotest international: Das Bündnis Code Rood, Alarmstufe Rot, setzt sich in den Niederlanden mit phantasievollen Aktionen für eine nachhaltige und faire Energieversorgung ein und lädt für den 28. August zu einer Aktion gegen Erdgas in Groningen ein

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 138/3.2018, Seite 18 - 20
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2018

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