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FRAGEN/016: Kluft zwischen Problembewusstsein und individuellem Verhalten (Umwelt Perspektiven)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ
Umwelt Perspektiven
Der UFZ-Newsletter - Mai 2019

INTERVIEW
Kluft zwischen Problembewusstsein und individuellem Verhalten

Interview von Steffen Reichert mit Prof. Dr. Ellen Matthies


Wie lassen sich Handeln und eigener Lebensstil so ausrichten, dass künftige Generationen und Menschen in anderen Teilen der Welt nicht benachteiligt werden? Eine zentrale Frage unseres Zusammenlebens, der die Umweltpsychologin Prof. Dr. Ellen Matthies nachspürt. Anlässlich ihres Vortrages zur Helmholtz Environmental Lecture am UFZ sprach sie mit der Umwelt-Perspektiven-Redaktion über individuelle Verhaltensmuster, die Rolle von Normen beim Konsum und der Ressourcennutzung sowie Strategien, die umweltverträgliches Verhalten fördern.


Der Mensch ist ein Gewohnheitstier - steht er sich und seiner Entwicklung deshalb schon immer in seiner Geschichte im Wege?

Auf eine bestimmte Art stimmt das: Menschen sind kognitive Geizkrägen, wie wir Psychologen sagen. Das heißt, sie ersparen sich gern den Aufwand, über etwas tiefgründig nachzudenken und zu entscheiden. Menschen handeln nach Routinen - so, wie sie es schon immer gemacht haben. Sie haben auch eine ausgeprägte Verlust-Aversion. Das heißt: Was sie potenziell verlieren könnten, ist ihnen sehr viel wichtiger als das, was sie potenziell gewinnen könnten. Insofern haben es Menschen schwer, sich zu verändern. Aber wir haben ja auch über Jahrhunderte gelernt, genau damit umzugehen. Wir können das überwinden über die entsprechenden Institutionen, die wir geschaffen haben, wir leben ja in einer Zivilisation. Es stimmt also einerseits, aber es sollte andererseits Menschen nicht daran hindern, ihre Probleme zu bewältigen.

Klimaveränderungen berühren heute die Lebenswirklichkeit vieler Menschen in der westlichen Welt nur unwesentlich bis gar nicht - ganz im Gegensatz zu künftigen Generationen. Was kann man dem fehlenden praktischen Leidensdruck entgegensetzen?

Im Grunde genommen passiert das bereits, indem die Probleme stärker erkennbar werden. Sie sind auch im heißen und trockenen Sommer 2018 stärker sichtbar geworden. Grundsätzlich gilt: Leidensdruck, Katastrophen-Szenarien und dramatische Bilder regen nicht unbedingt zum Handeln und zur Problembewältigung an. Sie können auch eine Verdrängung auslösen, und zwar dann, wenn wir uns nicht handlungsfähig fühlen. Das heißt, wenn man höheren Leidensdruck auslösen will, muss man den unbedingt kombinieren mit dem Aufzeigen von konkreten Lösungsmöglichkeiten, sowohl politisch als auch individuell.

Werte und Verhalten klaffen zu oft auseinander. Sind Sie dennoch optimistisch, dass ein großer Teil der Menschen in naher Zukunft die Einsicht in die Notwendigkeit eines teilweise drastisch veränderten Lebensstils zeigt?

Zunächst einmal denke ich, dass die Einsicht in Deutschland unglaublich hoch ist. Nirgendwo sind sich die Deutschen so einig wie bei der Frage, dass es einen effektiven Klimaschutz geben muss. Aber es wird ja zu Recht die Frage gestellt, inwiefern dieses Problembewusstsein korrespondiert mit dem individuellen Konsumverhalten. Da gibt es eine Kluft, die durch gesellschaftliches Handeln zu überbrücken ist, aber eben nicht nur auf der individuellen Konsumebene, sondern auch durch unterstützende Maßnahmen. Menschen sind ja nicht nur Konsumenten, sondern auch Bürgerinnen und Bürger. Und bei der Akzeptanz von Maßnahmen gibt es diese Kluft ja nicht. Menschen, die ein ausgeprägtes Problem bewusstsein haben, zeigen auch eine erhöhte Bereitschaft, Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels zu unterstützen.

Es ist auch eine Frage der sozialen Zugehörigkeit, Erkenntnisse zu haben und umzusetzen?

Soziale Zugehörigkeit ist es nicht allein, sondern auch die Schaffung ganz konkreter Handlungsbedingungen. Klar braucht man auch Ressourcen, um sich Handlungsmöglichkeiten zu schaffen. Und die hat nicht jeder. Was, wie ich finde, nicht so sein sollte. Wenn Klimaschutz etwas ist, an dem die Gesellschaft Interesse hat, dann sollte auch jeder in der Lage sein können, das umzusetzen. Das soziale Umfeld ist aber wichtig: Wenn die Leute um mich herum viel machen, plötzlich E-Autos fahren, werde ich bestärkt darin, auch diesen Weg zu beschreiten. Und wenn im Umkehrschluss sich meine Umgebung noch mehr dicke Autos anschafft, dann frage ich mich natürlich auch: Kann mein eigener Beitrag überhaupt relevant sein? Oder: Stimmt das überhaupt mit dem Klimawandel. Es kann also unterstützend oder unterminierend sein.

Machen es nicht gerade die Komplexität und Vielfalt der einander bedingenden Probleme und Prozesse schwer, breitere Bevölkerungsschichten zu Einsicht und anderem Handeln zu bringen?

Die Gesellschaft als Ganzes hat ein belastbares Wissen. Die Frage ist jetzt, wie der oder die Einzelne den gesellschaftlichen Institutionen vertraut, die Wissen schaffen und vermitteln. In manchen Bereichen funktioniert es gut, in anderen nicht. Ich finde aber, dass es in Deutschland beim Klimaschutz im Allgemeinen sehr gut funktioniert. Das sieht man eben auch an der großen Bereitschaft, Maßnahmen zu unterstützen, weil das Problem Klimawandel und seine Ursachen verstanden werden. Insofern ist die Wissensvermittlung eigentlich ganz gut bewältigt.

In welchen Bereichen sind die Deutschen am ehesten bereit, ihr Konsumverhalten und ihren Lebensstil den Zwängen der gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen?

Die Frage impliziert ja auch den Vergleich mit anderen Ländern. Beim Mülltrennen waren die Deutschen schon immer Vorreiter. Beim Klimaschutz gibt es andere Länder, die durch Problembewusstsein und Regulierung viel weiter sind als wir. Ein Beispiel ist Dänemark. In Deutschland hat man sich lange nicht dem Regulierungsbedarf annähern wollen. Politikerinnen und Politiker wissen, dass Regulierungen Eingriffe in das Konsumverhalten von Bürgern darstellen. Sie haben Angst, nicht wiedergewählt zu werden. Aber Regulierungen sind wirksam und letztlich auch akzeptabel. Man sieht das in Skandinavien, wo seit Jahrzehnten Innenstädte für den privaten motorisierten Verkehr eingeschränkt sind. Das wird heute selbstverständlich akzeptiert und als Gewinn empfunden. Man muss sich eben manchmal unbeliebt machen und den Leuten etwas zumuten, um dadurch auf mittlere Sicht gute Veränderungen und eine höhere Lebensqualität zu erzielen.

Wo "mauern" vergleichsweise viele Deutsche?

Beim Auto, das wissen wir wohl alle: Es ist ja so, dass Deutschland viele Autos baut und exportiert. Das ist ein mächtiger Industriebereich mit einer einflussreichen Lobby. Politiker tun sich schwer, gegen deren unmittelbare Interessen zu steuern. Sie müssen das aber, auch, um mittelfristig bessere Bedingungen für die Autokonzerne zu gewährleisten. Je früher man über künftige Rahmenbedingungen spricht, umso besser. Dass man also sagt, zu einem gewissen Zeitpunkt wollen wir die CO2-Quote auf 50 Gramm reduzieren, oder wir wollen einen bestimmten Anteil von Elektrofahrzeugen in der Gesamtflotte haben. Richtet euch danach aus. Das hilft ja auch, Arbeitsplätze zu sichern, weil dann langfristig ein Strukturumbau erfolgen kann. Wenn immer blockiert wird und alle Angst haben an einer Veränderung heute mitzuwirken, dann steht man morgen plötzlich vor der Notwendigkeit von ganz dramatischen Veränderungen.

Sie fordern und fördern die Verbreitung eines solidarischen Lebensstils. Inwieweit lässt sich so ein Zusammenleben in einer kapitalistischen Gesellschaft für große Bevölkerungsteile etablieren, in der Profit und Wachstum noch immer die beherrschenden Treiber gesellschaftlicher Entwicklung sind?

Solidarischer Lebensstil heißt im Kern: Jeder Mensch sollte nur so viel CO2 produzieren, wie jedem Menschen auf der Erde zusteht. Letztendlich geht es nicht darum, dadurch einen bestimmten Lebensstil vorzuschreiben, sondern mit dem Begriff eine bestimmte Orientierung aufzuzeigen. Der "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" hat den Begriff geprägt und meint damit, dass wir unseren Lebensstil an der gerechten Verteilung von Ressourcen ausrichten sollten. Wir wollten damit auch kommunizieren, dass menschliches Wohlbefinden nicht notwendigerweise mit Konsum einhergeht. Gerade wir Psychologen wissen, dass menschliches Wohlbefinden vor allem davon abhängt, dass wir soziale Beziehungen pflegen können und dass wir ein belastbares soziales Netz haben. Es stehen also gar nicht so sehr materielle Güter im Vordergrund. Was Menschen in allen Ländern brauchen, um Lebenszufriedenheit zu erreichen, sind soziale Beziehungen und Selbstwirksamkeit, also die Möglichkeit zur Mitgestaltung, dass man auch anderen etwas geben kann. Das wollten wir mit dem Begriff solidarische Lebensqualität betonen. Im Grunde geht es darum, dass das Streben nach globaler Gerechtigkeit, die beim Klimaschutz im Vordergrund steht, keinen Widerspruch darstellen muss zum individuellen Wohlbefinden. Ich glaube, dass allgemein unterschätzt wird, dass Menschen in ihrem Leben nach Sinn streben und sich auch sinnvoll verhalten möchten. Wir haben keinen Spaß daran, dass durch unseren Konsum Ressourcen verpulvert werden. Bewusstes Konsumieren auf Kosten anderer bestimmt vielleicht in Subgruppen den Diskurs, aber nicht in der Masse.

Welche Rolle müssen der Staat und seine Institutionen spielen?

Die Möglichkeitsräume für Selbstwirksamkeit und damit Lebensqualität müssen vorhanden sein. Es gibt Menschen, die sind schon heute in der Lage, entgegen aller Barrieren mit ihrer Familie einen CO2-Fußabdruck von vier Tonnen zu verwirklichen. Die haben ein Lastenrad, karren die Kinder nur mit dem Fahrrad herum. Sie zeigen eine hohe Anstrengungsbereitschaft. Diese Menschen schaffen es also trotz der aktuellen schlechten Bedingungen, sich nachhaltig zu verhalten. Wünschenswert wäre es natürlich, es allen Familien leichter zu machen, damit alle Lust und die Chance bekommen, das auszuprobieren. Wenn wir für alle einen solidarischen Lebensstil wollen, brauchen wir mehr Verhaltensmöglichkeiten. Und das geht nur durch mutige politische Entscheidungen. Mehr als die Hälfte der Deutschen sagen, sie würden gern auf das Auto verzichten, wenn sie alternative Möglichkeiten im ÖPNV hätten; wenn sie das Fahrrad nutzen könnten und zwar nicht nur in ständiger Konkurrenz zum Auto. Also müsste es den entsprechenden Umbau für nachhaltige Mobilität geben.

Populismus leugnet Tatsachen und wissenschaftliche Erkenntnisse gerade im Bereich der Umweltpolitik. Haben Sie nicht Angst, dass zu viele Menschen in ein "Nach mir die Sintflut" verfallen?

Als Psychologin weiß ich um den Aspekt der Demoralisierung und Leugnung. Man kann Menschen demoralisieren, die eine hohe Motivation haben, aber Dinge nicht umsetzen können. Da ist dann Leugnung ein psychologischer Ausweg, der aber gesellschaftlich fatal ist. Ich bin mir aber gar nicht so sicher, ob das Problem in Deutschland so groß ist. 2017 war das Leugnen des Klimawandels ein großes Thema unter Wissenschaftlern bei der UN-Klimakonferenz in Bonn. Man muss aber auch sagen, dass die Bühne, die den Klimazweiflern damals in den Medien gegeben wurde, deren Bedeutung stark überhöhte. Wenn bei einer Diskussion vier Leute sitzen und einer von denen ein Leugner ist, wirkt das so, als sei das eine gängige wissenschaftliche Position. Das ist sie aber nicht. Da sehe ich die Medien in einer problematischen Situation: Widersprüche beleben den Stoff, den sie präsentieren. Aber sie vermitteln dann ein ganz falsches Bild. Man will ausgewogen sein. Aber ist man ausgewogen, wenn man bei einem Konsens von 97 Prozent der Wissenschaftler über den menschengemachten Klimawandel einen Zweifler dann mit auf die Bühne holt? Aber das ändert sich mittlerweile, das ist heute viel weniger problematisch als noch 2017.

Wie muss die Wissenschaft auf Klimaleugner reagieren?

Erkenntnisse gut kommunizieren, sich auch nicht scheuen, Interviews zu führen, Vorträge halten - ich kenne Kollegen, die haben darauf nicht viel Lust. Es ist ja nicht immer einfach, komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge zu vereinfachen. Aber auch das ändert sich. Und es gibt mittlerweile sehr gute Plattformen, die sich an interessierte Bürgerinnen und Bürger wenden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen raus aus ihrem Elfenbeinturm, sie müssen über ihre Themen sprechen. Sie müssen gegebenenfalls vereinfachen und sich dann auch der Kritik ihrer eigenen Community stellen. Noch nie wurde Wissenschaft so viel und so offensiv in der Öffentlichkeit kommuniziert wie heute, etwa über Lange Nächte der Wissenschaft, Tage der offenen Tür, Science Slams, populärwissenschaftliche Filme in Kino und TV oder Blogs. Mit scheinbar übersichtlichem Erfolg. Was müssen wir anders machen? Ich glaube, das ist ein steiniger Weg, auf dem wir uns befinden. Wir als Gesellschaft müssen darüber nachdenken, wie wir Vertrauen in wissenschaftliche Institutionen bei dieser Explosion von Medienvielfalt bewahren oder wieder klug herstellen können. Wissenschaft hat eine Verpflichtung auf Nachvollziehbarkeit und Konsens in Diskursen. Sie muss aber auch Wahrscheinlichkeiten benennen und Methoden erklären. Sie sollte also auf Bürgerinnen und Bürger treffen, die diese Komplexität einschätzen und bewältigen können. Bildung ist also ein Schlüsselthema.


Prof. Dr. Ellen Matthies - 1961 in Salzwedel geboren, forscht und lehrt seit 2011 als Professorin für Umweltpsychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Nach dem Studium der Psychologie und der Promotion lehrte sie als Hochschuldozentin an der Ruhr-Universität Bochum, wo sie sich zum Thema "Coping with environmental threats and global environmental change" habilitierte. Zwischen 2009 und 2011 war die Umweltpsychologin Professorin an der Norwegischen Universität für Naturwissenschaften und Technik in Trondheim. Seit 2013 gehört Prof. Matthies dem "Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)" an.

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Die Helmholtz Environmental Lecture (HEL) ist eine öffentliche Veranstaltungsreihe des UFZ, in der seit 2009 herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu wichtigen ökologischen, sozio-ökonomischen und sozialen Fragen Stellung beziehen und sie dann mit dem Plenum - durchaus auch kontrovers - diskutieren.

Bisherige Gastredner: Klaus Töpfer, Hans Joachim Schellnhuber, Achim Steiner, Jochen Flasbarth, Angelika Zahrnt, Frank Schirrmacher †, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ottmar Edenhofer, Stephan Kohler, Thilo Bode, Matthias Horx, Michael Braungart, Hartmut Rosa, Stefan Juraschek und Claudia Kemfert.

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Quelle:
Umwelt Perspektiven / Der UFZ-Newsletter - Mai 2019, Seite 18 - 21
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2019

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