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ÖKOSYSTEME/014: Der Wald im Fichtelgebirge im Extremjahr 2003 (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
Ausgabe 1, Mai 2011

Forschung lokal

Der Wald im Fichtelgebirge im Extremjahr 2003
Ökosystem ist widerstandsfähiger als Modelle zeigen

von Thomas Foken


Der Begriff des Extremas im Klimasystem ist relativ, da er immer auf einen bestimmten Zeitraum bezogen wird. Mit der anthropogenen Einflussnahme auf das Klimasystem, durch die Emission von Treibhausgasen und großflächiger Veränderung der Landnutzung, nehmen Forschungen zu Ökosystemen unter extremen Bedingungen einen breiten Raum ein. Die zusätzlichen Treibhausgase in der Atmosphäre bewirken einen schon 1896 durch Svante Arrhenius beschriebenen physikalischen Prozess, der sich durch die Zunahme der langwelligen (atmosphärischen) Gegenstrahlung und der daraus folgenden Verringerung der Abkühlung an der Erdoberfläche durch langwellige (terrestrische) Ausstrahlung ausdrückt. Dieser Energiegewinn und die Transformation dieser Energie in andere Formen verursachen neue Fragenstellungen, welche die Klimaforschung beantworten muss. Als anthropogener Klimaeffekt wird zumeist die Erhöhung des fühlbaren Wärmestroms, verbunden mit einer Temperaturerhöhung, wahrgenommen.

Jedoch ebenso wichtig ist die Erhöhung des latenten Wärmestroms und damit der Verdunstung, die zu zusätzlichen Niederschlägen und im Winter zu Schneefällen führen kann. Von einem Extrem wird dann gesprochen, wenn derartige Vorgänge über längerer Zeit anhalten oder kurzzeitig besonders intensiv sind. Somit wird klar, dass extreme Bedingungen sehr eng mit Veränderungen der atmosphärischen Zirkulation in Verbindung stehen.

Für die Westwindzone der mittleren Breiten ist der ständige Wechsel von Hoch- und Tiefdruckgebieten im Abstand von vier bis sechs Tagen typisch - bekannt als Rossby-Wellen. Wenn diese Wellen stationär werden, sind bestimmte Gebiete längere Zeit einerseits durch warm-trockene und anderseits die benachbarten Gebiete (in zum Teil nur 1.000 bis 3.000 Kilometer Entfernung) zur selben Zeit durch kühl-feuchte Witterung beeinflusst.

Die Intensivierung dieser Effekte kann durch Klimaphänomene erfolgen, die in deutlich längeren Zeitskalen (Jahre und Jahrzehnte) wirken und durch Fernwirkungseffekte (Tele-Connection) auch entfernte Erdgebiete beeinflussen können. Diese außerordentlich komplexen und in hohem Maße nichtlinearen Vorgänge lassen sich am besten durch das Spektrum der atmosphärischen Turbulenz erklären (Abb. 1).

Graphik: © Thomas Foken

Abb. 1: Spektrum der Energiedichteverteilung atmosphärischer Vorgänge
mit dem Energie- und Stoffaustausch in Zeitskalen von Sekunden bis
unter einer Stunde, dem Wechsel der Zirkulationssysteme
(Rossby-Wellen) und längeren klimatischen Prozessen sowie deren
Einflussnahme auf die Austauschprozesse, wobei aber auch die hier
nicht dargestellte Rückkopplung auf längeren Zeitskalen erfolgt.
© Thomas Foken

Der unmittelbare Austausch von Energie und Stoffen zwischen dem Ökosystem und der Atmosphäre findet in Zeitskalen von Sekunden bis mehrere 10 Minuten durch turbulente Wirbel mit einer Ausdehnung von Zentimetern bis mehreren Dekametern statt (siehe Betrag Foken et al., Seite 54)(*). Die Intensität dieses Austausches wird durch die jeweilige Witterung (Hoch- und Tiefdruckgebiete) bestimmt und diese wiederum von einer Wirkung längerfristiger Klimafluktuationen (Sonnenaktivität, El Niño u. ä.) und damit verbundenen Fernwirkungseffekten.

Besonders extrem wurde in Mitteleuropa das Jahr 2003 empfunden, bei dem von März bis August übernormale Temperaturen vorherrschten und der Juni und August extrem heiß und trocken waren. Extreme sind somit in der Witterung von Wochen und Monaten zu finden. Jahresmittel und vor allem globale Mittelwerte, wie das bisher wärmste Jahr 2010, sind für ein spezifisches Ökosystem wenig aussagekräftig.

Jahresmittel und vor allem globale Mittelwerte sind für ein spezifisches Ökosystem wenig aussagekräftig.

Wie sich solche extremen Perioden auf das Ökosystem auswirken, wird auch an der Universität Bayreuth intensiv untersucht, vorwiegend durch Manipulation einzelner Einflussgrößen wie längere Trockenheit oder Starkniederschläge. Dabei werden einzelne Wirkungspfade wie die chemische Umsetzung im Boden oder die Biodiversität erforscht (siehe Beiträge auf den Seiten 62 und 74)(*). Um die Stoffumsetzungen im Ökosystem als Ganzes zu erfassen, d. h. vorrangig die Evapotranspiration und den Kohlendioxidaustausch durch Assimilation und Atmung zu bestimmen, wurde Anfang der 1990er Jahre mit dem Aufbau entsprechender Messstationen begonnen. Durch Messungen seit 1996 besitzt die Messstation der Universität Bayreuth an der BayCEERMessfläche am Waldstein-Weidenbrunnen im Fichtelgebirge (Abb. 2) eine der längsten Messreihen. Gemeinsam mit weltweit etwa 500 vergleichbaren Stationen wird die hiesige Messstation im internationalen Messprogramm FLUXNET zusammengefasst (Baldocchi et al., 2001). Die kontinuierliche Überwachung des Energie- und Stoffaustausches ermöglicht es, neben den üblichen Fluktuationen der Wechselwirkungsprozesse zwischen Atmosphäre und Ökosystem auch extreme Witterungsperioden zu überwachen. Somit war sehr schnell klar, dass das Jahr 2003 in Mitteleuropa für alle Ökosysteme ein extremes Ereignis war und beispielsweise nahezu flächendeckend deutlich niedrigere Netto-Kohlendioxidaufnahmen gemessen wurden (Ciais et al., 2005). Die Ursachen für einen solchen Effekt können dabei sehr vielfältig sein: von einer geringeren Wasserverfügbarkeit im Boden bis hin zu geringerer Respiration und Assimilation bei erhöhten Temperaturen.

Foto: © Thomas Foken

Abb. 2: Messturm der FLUXNET-Station DE-Bay (Waldstein-Weidenbrunnen)

Von besonderer Bedeutung ist dabei die Untersuchung, ab wann das Puffervermögen des Ökosystems nicht mehr ausreicht, um die volle Funktionsfähigkeit auch unter extremen Bedingungen zu gewährleisten. Dazu wurde in einer Diplomarbeit folgende Hypothese untersucht: Solange die gemessenen Ökosystemfunktionen (Wasser- und Kohlenstoffaustausch mit der Atmosphäre) der FLUXNET-Station mit einem umfassend parametrisierten Modell übereinstimmen, laufen die ökosystemaren Prozesse entsprechend den bekannten Schemata ab. Tritt jedoch eine Nichtübereinstimmung auf, so dominieren im Ökosystem Prozesse, die bislang noch nicht bekannt sind und somit im Modell auch nicht parametrisiert werden konnten. Daraus lässt sich postulieren, dass das Pufferverhalten des Ökosystems in seiner Gesamtheit aus pflanzenphysiologischen, mikrobiologischen und bodenphysikalischen Prozessen erheblich gestört ist. Zum Einsatz kam das sehr komplexe Atmosphären-Biosphären-Boden-Wechselwirkungsmodell ACASA (Abb. 3, Staudt et al., 2010), welches speziell für den Standort Waldstein-Weidenbrunnen auf der Grundlage von Messungen des Lehrstuhls für Pflanzenökologie angepasst wurde. Auch die komplizierten Austauschstrukturen im Wald sind umfassend durch die Abteilung Mikrometeorologie erfasst und überprüft worden.

Graphik: © Thomas Foken

Abb. 3: Schematischer Aufbau des Modells ACASA. Der atmosphärische
Antrieb erfolgt durch Messdaten oder mesoskalige Modelle (u.a. MM5)
© Thomas Foken

Graphik: © Thomas Foken

Abb. 4: Verlauf der Gesamtkohlenstoffaufnahme (NEE: Net Ecosystem
Exchange, negativ dargestellt) im Jahr 2003. Im Monat August weichen
die Ergebnisse mit dem Modell ACASA deutlich von den Messergebnissen ab.
© Thomas Foken

Das Ergebnis der Untersuchung in Bezug auf die Netto-Kohlenstoffaufnahme (NEE: Net Ecosystem Exchange) ist in Abb. 4 dargestellt. Es zeigt sich, dass in allen Monaten eine gute Übereinstimmung zwischen Modell und in-situ Messungen für die Kohlenstoffaufnahme vorhanden ist. Der sehr warme Monat Juni (Monatsmitteltemperatur: 17,5 °C) zeigt ebenfalls keine Abweichungen, so dass angenommen werden kann, dass das Puffervermögen des Ökosystems Fichtenwald in seiner Gesamtheit nicht beeinflusst war und auch die ökosystemaren Funktionen durch das Modell im Mittel gut wiedergegeben werden. Der kühlere und feuchtere Monat Juli (Monatsmitteltemperatur: 16,0 °C) brachte aber für das Ökosystem nicht die gewünschte Erholung. Im Monat August (Monatsmitteltemperatur: 19,1 °C) nahm die Netto-Kohlenstoffaufnahme insbesondere im Modell weiterhin ab. Modell und Messungen stimmten folglich nicht mehr überein. Die Analyse zeigte im Detail, dass das Modell insbesondere die Bodenrespiration bei den erneut hohen Temperaturen und trockenen Bedingungen im August nicht richtig wiedergeben kann und die sich dabei im Boden abspielenden Prozesse nicht richtig parametrisiert sind.

Es wurde deutlich, dass Untersuchungen zum ökosystemaren Verhalten unter extremen Bedingungen sehr komplex sind und einzelne Trockenperioden (Juni 2003) vom Ökosystem durchaus kompensiert werden können. Deutlich über vier Wochen hinausgehende Trockenperioden sind auch in zukünftigen Klimaszenarien für unser Gebiet nach heutigem Wissensstand nicht zu erwarten. Dementsprechend kann das Aufeinanderfolgen bestimmter extremer Ereignisse durchaus zu extremen Funktionen im Ökosystem führen. Für die zukünftige Forschung wird eine Kombination aus Langzeitbeobachtungen des Ökosystems als Ganzes und Einzeluntersuchungen (vorwiegend durch Manipulation von Einflussgrößen) sowie entsprechenden Modellierungen eine wichtige Rolle spielen. Bei der Manipulation sollten gezielt bestimmte Transportpfade des Energie- und Stoffaustausches untersucht werden.


Autor
Prof. Dr. Thomas Foken
leitet die Abteilung Mikrometeorologie des BayCEER. Seit seiner Berufung vor fast 15 Jahren nach Bayreuth befasst sich Prof. Foken mit Fragen des Klimawandels und seinen Folgen speziell in Nordbayern. Lokalklima und Auswirkungen des Klimawandels auf Waldökosysteme sind sowohl Bestandteil der Lehre als auch ein Schwerpunkt der Forschungen.

Der Artikel wurde unter Mitwirkung folgender Co-Autoren erarbeitet:
• Dipl. Geoökol. Andreas Buck
• Dr. Katharina Staudt
• Dr. Johannes Lüers

Die Untersuchungen wurden im Forschungsprojekt EGER, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (FO 226 16-1 und 21-1, PAK 446), und im Rahmen von FLUXNET durchgeführt.

Weblinks
• www.bayceer.uni-bayreuth.de/mm
• www.bayceer.uni-bayreuth.de/eger
• www.fluxnet.ornl.gov/fluxnet


Literatur:

• Baldocchi, D. et al.: FLUXNET: A new tool to study the temporal and spatial variability of ecosystem-scale carbon dioxide, water vapor, and energy flux densities. Bulletin of the American Meteorological Society, 82: 2415-2434 (2001)

• Ciais, P. et al.: Europe-wide reduction in primary productivity caused by the heat and drought in 2003. Nature, 437: 529-533 (2005)

• Staudt, K; Falge, E; Pyles, RD; Paw U, KT; Foken, T: Sensitivity and predictive uncertainty of the ACASA model at a spruce forest site, Biogeosciences, 7, 3685-3705 (2010)


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Differenz der Landoberflächentemperaturen in Kelvin aus wolkenfreien Tagen der Jahre 2000-2002 und 2004 im Vergleich zum Jahr 2003 für den Zeitraum 20. Juli bis 20. August, ermittelt aus MODIS Satellitendaten (Quelle: NASA, ETH Zürich).


(*) Anmerkung der SB-Redaktion:
im Schattenblick sind die erwähnten Forschungsartikel zu finden unter:
www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Klima →
FORSCHUNG/367: Komplizierte Austauschbedingungen in einem hohen Waldbestand (spektrum - Uni Bayreuth)
(S. 54)
www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Klima →
FORSCHUNG/363: Lachgasproduktion und -konsumption in Fichtenwäldern (spektrum - Uni Bayreuth)
(S. 62)
www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Klima →
FORSCHUNG/373: Anpassungsoptionen für unsere Wälder (spektrum - Uni Bayreuth)
(S. 74)


*


Quelle:
spektrum, Ausgabe 1, Mai 2011, Seite 50-53
Herausgeber: Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
Telefon: 0921/55-53 23, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de

"spektrum" erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2011