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VERKEHR/1092: Kräftig umsteuern - Für eine klimafreundliche Verkehrswende (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/16
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Kräftig umsteuern

Für eine klimafreundliche Verkehrswende


Wegducken geht nicht. Auch der Verkehr muss seinen Teil beitragen, soll Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen. Doch während an der Energiewende intensiv gearbeitet wird, tun sich Regierung, Wirtschaft und Gesellschaft beim Verkehr bisher schwer.

Immerhin verursachen Straßen-, Schienen-, Schiffs- und Flugverkehr ein Fünftel der bei uns ausgestoßenen Treibhausgase. Nun will Deutschland gemessen an den Werten von 1990 die Gesamtemissionen bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 Prozent verringern. Ohne Bewegung beim Verkehr kann es also gar nicht gehen. Die Zwischenbilanz fällt mager aus. Rechnet man den von Deutschland ausgehenden internationalen Luft- und Seeverkehr ein, ist der Ausstoß sogar leicht gestiegen.

Szenario für das Jahr 2050
Bereits 2014 hat der NABU gemeinsam mit BUND, Germanwatch, WWF und VCD ein Verkehrs-Klimaschutzkonzept 2050 erarbeitet. Die zentrale Botschaft: Der Verkehr muss fast vollständig frei von Treibhausgasemissionen werden. "Kosmetische Änderungen reichen nicht, es braucht eine radikale Wende", betont NABU-Verkehrsexperte Dietmar Oeliger. "Dabei muss der Energiebedarf im Personen- und Güterverkehr um mindestens 70 Prozent reduziert werden."

Leicht ist das natürlich nicht. Hauptansatzpunkte sind Verkehrsvermeidung und die Verlagerung auf umweltfreundlichere Transportmittel. Mobilität bezeichnet etwas anderes als der Begriff "Verkehr", der landläufig für alle Arten des motorisierten Personen- und Gütertransports verwendet wird. Ein hohes Verkehrsaufkommen führt im Gegenteil zu Staus und Stillstand - Personen- und Güterströme werden damit immobil. Mobilitätspolitik sollte daher zum Ziel haben, Verkehr dort drastisch zu reduzieren, wo er überflüssig, klima- und gesundheitsschädlich ist.

Flexibilität wird wichtiger als Besitz
Im Vordergrund stehen Maßnahmen, die die Mobilität aufrechterhalten und gleichzeitig die Lebensqualität steigern. Verbunden mit Effizienzsteigerungen und dem Einsatz von Elektrofahrzeugen könnte der Treibhausgasausstoß um fast zwei Drittel verringert werden. Um eine nahezu vollständige Minderung der Emissionen zu erreichen, müsste diese Strategie um den Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien sowie Gas- und Flüssigkraftstoffen auf regenerativer Basis ergänzt werden - sofern diese ökologisch verträglich bereitgestellt werden können.

"Flexibilität wird im Personenverkehr in Zukunft wichtiger als der Besitz eines eigenen Fahrzeugs."

Heute werden immer noch 80 Prozent der Verkehrsleistung, also der zurückgelegten Kilometer, durch den motorisierten Individualverkehr, sprich das Auto, abgewickelt. Der Fahrzeugbestand ist mit rund 44 Millionen Pkw bei 82 Millionen Menschen so hoch wie nie. Das Szenario würde zu einer Halbierung des Pkw-Bestandes führen. "Flexibilität wird im Personenverkehr in Zukunft wichtiger als der Besitz eines eigenen Fahrzeugs", betont Oeliger. "In den Großstädten ist dieser Trend ja bereits heute unverkennbar."

Pkw-Maut für alle Straßen
Pkw sind derzeit für 40 Prozent des verkehrsbedingten Treibhausgasausstoßes verantwortlich. Die Umweltverbände schlagen daher ab 2025 einen CO2-Grenzwert von 65 bis 68 Gramm pro Kilometer vor, der ab 2030 auf 50 Gramm pro Kilometer gesenkt würde. Dadurch sinkt der durchschnittliche Energieverbrauch konventioneller Pkw um mehr als die Hälfte und die Elektromobilität kommt in Schwung.

Die Umweltverbände fordern darüber hinaus einen verstärkten Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs sowie eine Pkw-Maut auf allen Straßen, die nach gefahrenen Kilometern und entsprechend des CO2-Ausstoßes berechnet wird. Weniger Lärm, weniger Abgase und mehr Raum für die Menschen machten die Städte dann deutlich lebenswerter. Dies zu erreichen wird jedoch alles andere als ein Kinderspiel.

Mehr Freizeitverkehr
In einer alternden Gesellschaft gibt es eine Verschiebung von Arbeits- und Ausbildungswegen hin zu mehr Freizeitverkehr. Da Güter des täglichen Bedarfs zunehmend online eingekauft werden, reduzieren sich die Einkaufswege, der Güterverteilverkehr nimmt dementsprechend zu.

Zumindest bei Nahrungs- und Futtermitteln gewinnen regionale Kreisläufe wieder an Bedeutung. Das Transportaufkommen, sprich die Menge der pro Jahr transportierten Güter, wächst im Szenario bis 2050 nur noch leicht. Während das Transportaufkommen im Transitverkehr etwas ansteigt, geht es bei den fossilen Energieträgern wie Kohle oder Erdöl durch die Energiewende drastisch zurück. Bahn und Binnenschiff können ihre Anteile an den Transporten deutlich steigern.

Zu gut, um wahr zu werden?
Auch die Kombination verschiedener Verkehrsträger gewinnt an Bedeutung. In Städten werden kleine elektrisch betriebene Lkw und Lastenräder in der Auslieferung eingesetzt. Das Ziel einer Verdoppelung der Kapazität der Schiene wird durch eine zielorientierte Verkehrsinfrastrukturplanung in Deutschland begleitet. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Stärkung des Schienenverkehrs zur Hinterlandanbindung der Seehäfen.

Weniger Lärm, weniger Abgase und mehr Raum für die Menschen machten die Städte deutlich lebenswerter. Dies zu erreichen, ist jedoch kein Kinderspiel.

Besonders knifflig wird die Umsteuerung des Flugverkehrs. Unter den idealen Annahmen des Szenarios würde durch die Einbeziehung des Luftverkehrs inklusive internationaler Flüge in einen wirksamen Emissionshandel die Ticketpreise verteuert. Damit ginge der Trend von vielen Kurztrips wieder zu zeitlich längeren und dafür selteneren Flugreisen. Gleichzeitig würden Subventionen für Regionalflughäfen von der Politik abgebaut.

Das hört sich alles zu gut an, um wahr zu werden? Der Kontrast zur tatsächlichen Verkehrspolitik ist allerdings enorm. Doch dafür sind nicht die Umweltverbände zu schelten. Sie zeigen auf, was getan werden müsste. Es ist die Politik, die behauptet, gegen den Klimawandel vorgehen zu wollen, dann aber untätig oder bei kosmetischen Maßnahmen bleibt.


Das komplette Konzept "Klimafreundlicher Verkehr in Deutschland" gibt es unter www.NABU.de/Klima2050.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/16, Seite 8 - 10
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2016

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