Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → FAKTEN


VERKEHR/1207: Noch weniger Nachtruhe - Widerstand gegen Flughafenausbau Leipzig/Halle (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 154/3.2022

Ein denkbar schlechter Nachbar

Der Flughafen zwischen Leipzig und Halle hat sich zu einem der größten und lärmbelastesten Drehkreuze für den globalen Warenverkehr entwickelt

von Jonas Asal, ROBIN WOOD-Flugverkehrsreferent


Auf die Frage, wann er zuletzt überlegt habe den Kampf gegen den Fluglärm aufzugeben, zögert Peter Richter nicht lange mit einer Antwort: "Erst heute morgen habe ich daran gedacht, das Haus zu verkaufen und woanders hinzuziehen. Auch meine Ärztin hat mir das geraten. Aber es geht nicht. Meine Schwiegereltern wohnen bei uns im Haus und ich kann diese Entscheidung nicht so einfach treffen." Dabei, so erzählt der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Nachtflugverbot, wurde sein Haus vor über einem Jahrhundert gebaut und damit einige Jahre vor dem in den 1920er Jahren eröffneten Flugplatz. Und wer hätte damals schon geahnt, dass sich der kleine Flugplatz zwischen Leipzig und Halle einmal zu einem der größten und lärmbelastesten Drehkreuze für den globalen Warenverkehr entwickeln würde?

Als Peter Richter das Flughafengelände zeigt, ist ihm deutlich anzumerken, dass er hier oft unterwegs ist und über vieles Bescheid weiß, was hinter dem Zaun vor sich geht. Der Geschäftsführer einer Pferdesportagentur investiert einen großen Teil seiner wenigen freien Zeit in seine ehrenamtliche Tätigkeit als Sprecher der 'IG Nachtflugverbot'. Richter wurde aus eigener Betroffenheit aktiv, nachdem sich 2008 ein für ihn denkbar unangenehmer Nachbar am Flughafen angesiedelt hat. Für DHL, eines der weltgrößten Logistik-Unternehmen und Tochterunternehmen der Deutschen Post, rollte man damals den roten Teppich aus: Eine zweite Landebahn wurde gebaut und eine neue umstrittene Flugroute genehmigt, die sogenannte Südabkurvung. Die Konsequenz: Der Flugverkehr nahm drastisch zu und Peter Richter gehörte nun zu tausenden Menschen, die über eine dauerhafte Lärmbelastung klagten. Besonders nachts, wenn an den meisten Flughäfen ein Flugverbot gilt, stören hier im Minutentakt Frachtmaschinen den Schlaf - mit gravierenden gesundheitlichen Folgen.

Einige Initiativen begleiten den kontinuierlichen Ausbau des Flughafens seit Jahren kritisch, doch auf Regierungsebene gab es bislang kaum Widerstand. Wie weit der Bund und das Land Sachsen damals gingen, um DHL nach Leipzig/Halle zu locken, ist dennoch erstaunlich. Neben der Finanzierung der neuen Landebahn, den Genehmigungen für die neue Flugroute und für Nachtflüge, stellte man für DHL äußerst lukrative Wettbewerbsvorteile sicher - vor allem die Lärmentgelte und Landegebühren sind im europäischen Vergleich extrem gering. Diese Wettbewerbsbedingungen wollte der Freistaat Sachsen sogar mit einer Garantie von 500 Millionen Euro vergolden. Hier schritt die EU-Kommission 2008 jedoch ein und kippte diese Zusicherung. Trotz der massiven Subventionen, die in das Frachtdrehkreuz gepumpt wurden, ist der Betrieb allerdings nur für DHL profitabel: Der Betreiber des Flughafens, die Mitteldeutsche Flughafen AG, befindet sich komplett in öffentlicher Hand und erwirtschaftet jährlich Verluste - an denen sich DHL nicht beteiligt.

Jetzt soll der Flughafen für DHL sogar erweitert werden. Der Plan sieht vor, 36 neue Stellplätze für Frachtflugzeuge bis 2030 zu schaffen und damit die Start- und Lande-Kapazitäten des Flughafens um weitere 50 Prozent gegenüber 2019 zu steigern. Und wieder werden vor allem öffentliche Gelder verprasst: Investitionen von rund einer halben Milliarde Euro plant der Flughafenbetreiber. Aktuell läuft ein Planfeststellungsverfahren, doch die Machtverhältnisse in diesem Beteiligungsformat sind mehr als ungleich. Auf der einen Seite steht das globale Unternehmen mit teuren Anwält*innen und Medienprofis eng zusammen mit Regierungsvertreter* innen. Auch die meisten Bürgermeister*innen der Kommunen haben sich nach anfänglichem Widerstand mittlerweile auf diese Seite geschlagen. Auf der anderen Seite stehen die ehrenamtlichen Gegner*innen des Ausbaus: Sie wälzen tausende Seiten Gerichtsakten, schreiben Einwendungen, klagen vor Gericht, organisieren Treffen und investieren dabei nicht nur viel Zeit sondern auch viel privates Geld.

Der Widerstand bekommt nun immer breitere Unterstützung. Im Sommer 2021 fand vor allem die Aktion der Gruppe 'Cancel LEJ' überregional Beachtung. Rund 50 Aktivist*innen blockierten das Einfahrtstor zum DHL-Gelände für ein paar Stunden. Nachdem DHL mit einer Schadensersatzforderung von 1,5 Millionen Euro reagierte, wurden fast alle Beteiligten für rund 30 Stunden von der Polizei festgenommen. Diese 1,5 Millionen Euro sind für die meisten jungen Protestierenden sehr viel Geld, doch im Vergleich zu den Millionen an Subventionen, oder den Top-Gehältern von DHL wohl eher unbedeutend. Den Zweck der Einschüchterung hat DHL damit aber eher nicht erreicht. Ein Bündnis mit dem Namen Transform LEJ hat sich gegründet und will sich langfristig mit Beschäftigten vernetzen, um für eine gerechte und ökologische Umnutzung des Flughafengeländes werben. Den Auftakt bildeten Aktionen und Demonstrationen während des Klimacamps Leipziger Lands im Juli 2022.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Noch weniger Nachtruhe: Die Kapazität des Flughafens Leipzig/Halle soll für DHL bis 2030 um 50 Prozent erweitert werden
  • Peter Richter zeigt, dass von Kursdorf nur noch die Kirche, ein paar Gebäude und eine Infotafel geblieben sind - eingeklemmt zwischen den beiden Landebahnen. Die Schadstoff- und Lärmbelastungen zwangen vor wenigen Jahren die Einwohner*innen zum Gehen.
  • Das klimazerstörerische Wachstum der Flugindustrie hält an: 2017 waren weltweit 423 neue Flughäfen geplant oder im Bau. Grafik aus dem Handbuch von Stay Grounded und ROBIN WOOD 'Kurswechsel Klimagerechtigkeit' (S. 30).

*

Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 154/3.2022, Seite 19-20
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
Verlag:
ROBIN WOOD-Magazin
Bundesgeschäftsstelle
Bremer Straße 3, 21073 Hamburg (Harburg)
Tel.: 040/380 892-0, Fax: 040/380 892-14
E-Mail: magazin[at]robinwood.de
Internet: http://www.robinwood.de
 
Erscheinungsweise: vierteljährlich
Jahresabonnement: 12,- Euro inkl. Versand
Der Bezug des ROBIN WOOD-Magazins
ist im Mitgliedsbeitrag enthalten

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 29. September 2022

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang