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ATOM/1252: Jülicher Castoren sollen zur Wiederaufarbeitung in die USA (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 123/4.2014

Atommüll nach Amerika
Jülicher Castoren sollen zur Wiederaufbereitung in die USA exportiert werden

Von Tobias Darge



Während in der Atommüll-Kommission von "nationaler Verantwortung" gesprochen wird, bereitet das Bundesforschungsministerium den illegalen Export von 457 Castor-Behältern mit abgebrannten Brennelement-Kugeln aus dem Forschungszentrum Jülich und dem Zwischenlager Ahaus zur Wiederaufarbeitung in die USA vor. Dabei sind Transporte zur Wiederaufarbeitung seit Mitte 2005 nach dem deutschen Atomgesetz verboten. Auch das vom Bundestag 2013 beschlossene Endlagersuchgesetz schließt den Export von Atommüll aus.

Schlupfloch: Forschungsreaktor

Die Bundesregierung versucht jetzt ein Schlupfloch zu nutzen, und Hochtemperatur-Reaktoren zur kommerziellen Stromerzeugung in Forschungsreaktoren umzutaufen. Bei Forschungsreaktoren wird nicht die Abwärme, sondern die Neutronen z. B. für physikalische Materialuntersuchungen genutzt.

Die Behälter sollen per Schiff zum US-Hafen Charleston, South Carolina, geliefert und dann per Bahn zur Atomanlage Savannah River Site (SRS) transportiert werden, gab das US-Energieministerium im Juni 2014 bekannt. Die Kosten werden in den USA auf 1 Mrd. US-Dollar beziffert, bezahlt werden sollen sie mit deutschen Steuergeldern.

Die von Jülich mitfinanzierte US-Umweltverträglichkeitsprüfung soll bis ca. Mai 2015 fertig und der Transport der 152 Castor-Behälter aus Jülich bis zum 30. Juni 2016 abgeschlossen sein. Danach ist offenbar geplant, zusätzlich 305 Castorbehälter aus dem Zwischenlager Ahaus auf die Reise in die USA zu schicken. Diese Castoren wurden zwischen 1992 und 1995 in 57 Transporten vom Hochtemperatur-Reaktor Hamm-Uetrop nach Ahaus gebracht.

Das Forschungszentrum Jülich will offenbar den Atommüll und das Atomimage loswerden, um renommierte WissenschaftlerInnen zu gewinnen. Jahrelang verschleppte das Forschungszentrum die Möglichkeit, vor Ort ein neues, erdbebensicheres Zwischenlager zu bauen.

Obwohl klar war, dass die Genehmigung von 1993 für das alte Zwischenlager nach 20 Jahren auslaufen würde, und es schon seit 2011 ins alte Zwischenlager hineinregnete. Das nordrheinwestfälische Wirtschaftsministerium hat per Notverordnungen die Lagergenehmigung noch zweimal um jeweils ein halbes Jahr verlängert und nun im Juli die Räumung des alten Zwischenlagers angeordnet. Das Forschungszentrum soll dazu ein Konzept vorlegen. Im November will der Aufsichtsrat entscheiden.

Gesellschafter sind der Bund (90 %) und das Land NRW (10 %) - vertreten jeweils durch das Bundesforschungsministerium und das NRW-Wissenschaftsministerium.

Im April 2014 haben das US-Energieministerium, das Bundesforschungs- und das NRW-Wissenschaftsministerium eine Absichtserklärung unterzeichnet. Danach wird angestrebt:

• bis Anfang 2015 eine endgültige Vereinbarung abzuschließen

• den Atommüll in der Anlage H-Canyon wiederaufzuarbeiten. Dabei soll der Graphit abgetrennt und der Brennstoff aufgearbeitet werden. Neue Technologien sollen dafür entwickelt werden (Bearbeitung in einer Flüssigsalzschmelze).

• Die Technologieentwickung, Durchführung der Aufarbeitung sowie Konditionierung und Endlagerung sollen von Deutschland bezahlt werden.

Für den Export muss eine Ausfuhrgenehmigung beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) beantragt werden, das dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht. Die AVR-Brennelemente fallen unter die EG-DualUse-Verordnung von 2009, nach der kein waffenfähiges Material exportiert werden darf. Dazu muss das Auswärtige Amt angehört werden. Das Bundesumweltministerium schließlich müsste die Frage klären, ob eine Entsorgung nach dem Atomgesetz stattfinden würde. Der damalige Bundesumweltminister Röttgen hatte den geplanten Transport von abgebrannten Brennelementen aus dem Forschungsreaktor Dresden Rossendorf nach Russland die Zustimmung verweigert. Gründe dafür waren die unklaren Annahmebedingungen und die öffentlichen Proteste.

Welche Bedenken gibt es in den USA?

US-UmweltschützerInnen wollen den Deal verhindern. Tom Clements, Leiter der lokalen Umweltorganisation Savannah River Site Watch, erklärte gegenüber dem Neuen Deutschland, "Deutschland muss seinen Müll selbst entsorgen sowie unsinnige und gefährliche Transporte verhindern". Clements, der im September eine Woche durch Deutschland tourte, bezweifelt, dass die Umrüstung der bestehenden Aufarbeitungsanlage für den "unüblichen Atommüll" gelingt.

Auch die USA verfügen über keine Endlager. Auf dem SRS-Gelände lagert bereits Plutonium aus Kanada, Belgien, Italien und Schweden. Dazu kommen nach Clements noch 180 Millionen Liter flüssiger hochradioaktiver Müll aus der Atomwaffenproduktion der 1950er Jahre.

Savannah River Site ist etwa 800 km² groß. Es gibt fünf militärische Reaktoren zur Produktion von Plutonium und Tritium für Atomwaffen. Weiterhin existieren zwei Wiederaufarbeitungsanlagen auf dem Gelände. Eine ist seit 1955 in Betrieb. In ihr wurde das Atomwaffenmaterial abgetrennt. Dabei entstanden die flüssigen, hochaktiven Abfälle, die in 51 großen Tanks lagern. Die Tanks stammen ebenfalls aus den 1950er Jahren und altern bedenklich. Der Tankinhalt wird, da Leckagen drohen, umgepumpt und in großen Containern verglast.


Tobias Darge, Energiereferent ROBIN WOOD, hat Tom Clements von der Umweltorganisation Savannah River Site Watch im September bei seiner Deutschlandreise getroffen



Der Jülicher Pannen-Reaktor

Der von 1959 bis 1966 von der Mannheimer Firma Brown-Boveri/Krupp erbaute 113 Mio. DM teure Versuchsreaktor in Jülich war ein gasgekühlter Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktor. Der Versuchsreaktor war von Beginn an von Störfällen geplagt: Schäden an Brennelementen, überhöhte Tritiumabgaben an die Luft und Stillstände von mehreren Monaten wegen Dampferzeugerlecks 1978. 1988 wurde der Versuchsreaktor stillgelegt und wird bis heute zurückgebaut.

Betrieben wurde er von der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor AVR GmbH, Düsseldorf. 1985 waren die Gesellschafter 15 Kommunen: Stadtwerke Düsseldorf AG (20,82%), Stadt München (12,5%), Stadtwerke Bremen AG (12,5%), Stadtwerke Hannover AG (8,32%), Wuppertaler Stadtwerke AG (5,84%), Stadtwerke Duisburg AG (5%), Elektrizitätswerk Minden-Ravensberg, GmbH, (4,17%), Stadtwerke Mannheim AG (4,17%), Stadtwerke Aachen (2,5%), Elektrizitätswerk Wesertal GmbH (1,67%), Stadtwerke Bonn (1,67%) Stadtwerke Krefeld AG (1,67%), Oberhessische Versorgungsbetriebe (1,67%) Stadtwerke Würzburg (0,83%).

Ab 1966 wurde mit Arbeiten zur Wiederaufarbeitung der Atomkugeln in Jülich begonnen. Spätestens 1974 war klar, dass der zurückgewinnbare Spaltstoff im Reaktor unbrauchbar war. Man hatte die giftige Wirkung von Uran-236 übersehen bzw. unterschätzt. Die Wiederaufarbeitungsanlage wurde zwar fertiggestellt, aber nie in Betrieb genommen und in den 1980ern verschrottet. 100.000 dieser AVR-Kugel-Brennelemente sollten 1976 als erster, hoch radioaktiver Atommüll in die Asse eingelagert werden. Doch dagegen wurde erfolgreich geklagt. Von 1983 bis 1992 finanzierte das Bundesforschungsministerium Planungen des Kernforschungszentrums Jülich für eine 5-jährige Versuchseinlagerung in Bohrlöcher in der Asse. Ab 1990 wurde dieses Vorhaben von der rotgrünen Landesregierung in Niedersachsen blockiert und 1992 vom Bundesrechnungshof kritisiert, so dass das Bundesforschungsministerium die Finanzierung einstellte.

1988 wurde entdeckt, dass die maximal genehmigte Spaltstoffmenge in dem Jülicher Behelfslager überschritten war. Die Aufsichtsbehörden mussten eingreifen. Da die Behelfslagermöglichkeiten nicht ausreichten, um die noch im Reaktor befindlichen ca. 110.000 Brennelemente aufzunehmen, wurde bis 1993 in Jülich ein Zwischenlager für alle AVR-Atomkugeln errichtet. Dessen Betriebsgenehmigung reichte allerdings nur bis 2013.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Tom Clements von Savannah River Site Watch in Hamnburg: US-UmweltschützerInnen wollen den Atommüll aus Jülich auch nicht

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 123/4.2014, Seite 30 - 31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2014