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ATOM/1253: Studie zu Risiken der Finanzierung von Atomenergiekosten (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 666-667 / 28. Jahrgang, 2. Oktober 2014

Atommüll
79 Milliarden Euro Mehrgewinn aus 36 Milliarden Euro Rückstellungen der Energiekonzerne für Rückbau der AKWs und "Entsorgung" der radioaktiven Rückstände

Von Thomas Dersee



Studie zu Risiken der Finanzierung von Atomenergie-Kosten.

Die Kernkraftwerks-Betreiber haben uneingeschränkt sämtliche Kosten des Rückbaus und der Stilllegung sowie der "Entsorgung" radioaktiver Abfälle der kommerziellen Kernkraftwerke zu tragen. Für diesen Zweck bilden sie während der Betriebsphase Rückstellungen. Weitere Folgekosten der Atomenergie sind davon allerdings nicht abgedeckt, sondern werden bereits heute von der öffentlichen Hand getragen. Darauf weisen Swantje Küchler, Bettina Meyer und Rupert Wronski vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) in ihrer Studie "Atomrückstellungen für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung - Kostenrisiken und Reformvorschläge für eine verursachergerechte Finanzierung" hin, die sie im September 2014 im Auftrage des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fertigstellten.

Zu den durch die Rückstellungen nicht abgedeckten Folgekosten zählen im Wesentlichen Stilllegung/Rückbau und Entsorgung von Forschungsanlagen sowie die Folgekosten der Atomenergienutzung der ehemaligen DDR.

Die Atomrückstellungen der vier Energieversorgungsunternehmen (EVU) hatten Ende 2013 ein finanzielles Volumen von 36 Milliarden Euro. Es liegen aber unzureichende Informationen darüber vor, für welchen genauen Zweck, für welches Kraftwerk und für welchen Zeitpunkt die Mittel vorgesehen sind, schreiben die Studienautoren. Auch über die Beweggründe für Aufstockungen und Auflösungen in den vergangenen Jahren lägen keine hinreichenden Informationen vor.

Eine Analyse der verfügbaren Informationen zu Rückstellungen lasse jedoch einige Rückschlüsse auf unterschiedliche Methoden der verschiedenen Energieversorger zu, heißt es weiter.

Niveau, Entwicklung und Struktur der Rückstellungen seien sehr unterschiedlich. Die Rückstellungen für KKW in Betrieb lägen zwischen rund 1.500 Euro pro Kilowatt (KKW Grohnde) und 2.100 Euro pro Kilowatt (KKW Brunsbüttel). RWE habe Atomrückstellungen von rund 1.300 Euro pro Kilowatt gebildet, Vattenfall von über 2.000 Euro pro Kilowatt. Auch die Aufteilung der Rückstellungen auf Stilllegung und Rückbau einerseits und Entsorgung andererseits sei sehr unterschiedlich.

Ohne nähere Informationen sei aber nicht beurteilbar, inwieweit die Unterschiede in Höhe und Struktur der Rückstellungen plausible Gründe haben oder auf unzureichend objektive und einheitliche Festsetzungskriterien und -methoden zurückzuführen sind. Die unterschiedlichen Werte seien zwar ein Indiz, aber noch kein ausreichender Beleg für zu niedrige (oder gegebenenfalls auch zu hohe) Rückstellungen bei den einzelnen KKW-Betreibern. Offensichtlich sei aber, dass die Transparenz der Atomrückstellungen deutlich verbessert werden muss.

Ob die Rückstellungen Ende 2013 von 36 Milliarden Euro ausreichen werden, lasse sich nicht abschließend beurteilen. Auf Basis vorliegender Erfahrungen und verfügbarer Literatur schätzt das FÖS die Kosten der 23 noch rückzubauenden kommerziellen KKW im mittleren Szenario auf rund 48 Milliarden Euro. Darin seien moderate Risikoaufschläge aufgrund zu erwartender Kostensteigerungen berücksichtigt. Die Rückstellungen könnten daher ausreichen, wenn keine höheren Kostensteigerungen auftreten und die Betreiber eine reale Rendite von deutlich über 2 Prozent bis zur Fälligkeit der Rückstellungen realisieren können. Das Risiko von Kostensteigerungen sei aufgrund der technischen Unwägbarkeiten sowie der geringen Erfahrung bei der nuklearen Entsorgung aber als besonders hoch einzuschätzen. Damit bestehe ein signifikantes Risiko, dass die Atomrückstellungen nicht ausreichen.

Dass die Rückstellungen in den Händen der EVU verbleiben und für Investitionsfinanzierungen zur Verfügung stehen, sei ein gewichtiger finanzieller Vorteil für die Unternehmen. Diesen Innenfinanzierungsvorteil schätzen die Studienautoren auf Basis vorsichtiger Annahmen als "Mehrgewinn" gegenüber einem Referenzfall, in dem die Rückstellungen von Beginn an in einen externen Fonds hätten eingezahlt werden müssen. Der kumulierte wirtschaftliche Vorteil aus den Rückstellungen im Zeitraum 1970 bis 2014 betrage nominal 65 Milliarden Euro und in Preisen von 2014 seien dies 79 Milliarden Euro.

Zusätzlich zu dem Risiko, dass die bestehenden Atomrückstellungen der KKWbetreibenden Konzerne nicht ausreichen, um die Kosten für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung zu decken, bestünden weitere Risiken für die öffentliche Hand. Insbesondere könne der Fall eintreten, dass sich die KKW-Betreiberunternehmen bzw. die Mutterkonzerne bis zum Zeitpunkt der Zahlungsfälligkeit so umorganisieren, dass sie sich ihren Zahlungsverpflichtungen entziehen können oder dass sie insolvent werden, warnen die Autoren.

Swantje Küchler, Leiterin Energiepolitik der Forschungsgruppe FÖS, erklärt: "Um diese unsichere Ausgangslage zu verbessern, sind neben Transparenz und Fondslösung für die langfristigen Kosten weitere politische Reformen notwendig. Zum Schutz der Rückstellungen vor Insolvenzen muss die Verantwortung der Mutterkonzerne auf lange Zeit garantiert und durch geeignete Instrumente abgesichert werden."

In verschiedenen Ländern wurden anstelle von unternehmerischen Rückstellungen Fondslösungen zur Insolvenzsicherung von Atomrückstellungen realisiert, wird in der Studie weiter erklärt. Die Analyse der Fondslösungen in der Schweiz, in Schweden und Finnland zeigt, dass alle drei Fonds bisher deutlich unterfinanziert sind. In der Schweiz sei die Kostenschätzung zwar ähnlich hoch wie das FÖS sie für Deutschland schätzt, aber die Beträge wurden bisher nur zu geringen Teilen in den Fonds eingezahlt, weil man offenbar auf Verzinsung und längere zukünftige KKWLaufzeiten mit Einzahlungen setzt. In Finnland und Schweden werden die Kosten für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung deutlich geringer eingeschätzt mit entsprechend geringem Aufbau von Fondskapital.

Dies zeige, so die Studienautoren, dass die langfristige Kostendeckung durch einen Fonds sehr von der konkreten Ausgestaltung abhängt und die ausreichende Verfügbarkeit von Finanzmitteln nicht per se "sicherer" ist als bei dem deutschen Modell der Rückstellungsbildung. Der Erfolg von Fondslösungen hänge von der konkreten Ausgestaltung ab. Entscheidende Voraussetzungen seien, dass Einzahlungen auf der Grundlage solider (regelmäßig angepasster) Kostenschätzungen mit Risikoaufschlägen erfolgen und dass die Erwartung an die Verzinsung der Fondsmittel hinreichend vorsichtig und realisierbar ist.

Ein von den FÖS-Autoren vorgeschlagene Reformkonzept für Deutschland beinhaltet auf Basis der Analyse der Rückstellungen und der Kostenrisiken drei Bausteine:

- Die Transparenz der Atomrückstellungen sollte erheblich verbessert werden. Die beiden wichtigsten Transparenzverpflichtungen sind die kernkraftwerksscharfe Bilanzierung der Rückstellungen und die genaue, einheitliche Differenzierung nach Stilllegung, Rückbau und Entsorgung. Zudem sollte eine unabhängige Überprüfung der Kostenschätzungen und der angemessenen Höhe der Rückstellungen erfolgen.

- Ein im Rahmen der staatlichen Überprüfung zu bestimmender Betrag für die langfristig anfallenden Kosten (insbesondere für die Entsorgung, ggf. auch für Stilllegung/Rückbau) sollte schrittweise in einen öffentlichrechtlichen Fonds eingezahlt werden.

- Atomrückstellungen für kurz- und mittelfristige Verpflichtungen sollten zum überwiegenden Teil bei den KKW-Betreibern verbleiben. Sie hätten damit die Chance, einen großen Teil ihrer Rückstellungen für einen Konzernumbau in Richtung Energiewende zu nutzen. Zudem gebe es juristische Bedenken, ob die bestehenden Rückstellungen überhaupt kurzfristig vollständig in einen öffentlichrechtlichen Fonds überführt werden könnten. Für die bei den KKW-Betreibern verbleibenden Rückstellungen sollten Reformelemente zur Stärkung der Insolvenzsicherheit umgesetzt werden.

Von zentraler Bedeutung sei eine rechtliche Verpflichtung zum langfristigen Abschluss von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen mit dem Ziel, dass die vier großen Energieversorgungsunternehmen bis zum Abschluss aller Arbeiten an Stilllegung, Rückbau und Entsorgung für Verpflichtungen ihrer KKW-Töchter einstehen. Als zusätzliche Instrumente sollten Vorgaben für Anlageinvestitionen, Sicherungsvermögen und Haftungsverbund geprüft werden.

Die von KKW-Betreiberkonzernen in die Diskussion gebrachte Lösung einer Stiftung, in die die bestehenden Rückstellungen überführt werden und der Staat im Gegenzug die Verantwortung für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung übernimmt, ist in der vorgeschlagenen Fassung inakzeptabel, weil damit alle Mehrkostenrisiken auf die öffentliche Hand verlagert werden würden, meinen die FÖS-Autoren. Sie sei dennoch ein Signal für Verhandlungsspielräume, weil sich die Konzerne damit erstmals einer Fondslösung annähern.

Im Rahmen der von der Bundesregierung angekündigten Gespräche sollte zunächst eine Transparenzoffensive über die Rückstellungen vereinbart werden, eine unabhängige Schätzung der zu erwartenden Kosten erfolgen und auf dieser Grundlage dann die Eckpunkte des hier vorgeschlagenen Reformpakets verhandelt werden, empfehlen die Autoren vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. (FÖS).


Swantje Küchler, Bettina Meyer, Rupert Wronski, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS): Atomrückstellungen für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung - Kostenrisiken und Reformvorschläge für eine verursachergerechte Finanzierung, Berlin September 2014, im Auftrage des BUND
http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/pdfs/atomkraft/140917_bund_atomkraft_atomrueckstelllungen_studie.pdf


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_14_666-667_S05-06.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Oktober 2014, Seite 5 - 6
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2014