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ATOM/992: AKW-Laufzeitverlängerung schädigt Demokratie und ist wirtschaftsfeindlich (Solarzeitalter)


Solarzeitalter 4/2009
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien

AKW-Laufzeitverlängerung beschädigt die Demokratie und ist wirtschaftsfeindlich

Von Stephan Grüger


Die Pläne der rechts-neoliberalen Koalition zur Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke und zur Aufkündigung des sogenannten "Atomkonsenses", der seine Manifestation im Atomausstiegsgesetz von 2002 gefunden hat, kommen einem veritablen Anschlag nicht nur auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien, sondern auch auf die Grundfesten unserer Demokratie gleich.

Mit dem Atomausstiegsgesetz wurde ein Kernkonflikt in der deutschen Nachkriegsgeschichte entschärft. Für beide Seiten dieses Konfliktes, die der wenigen Atomkraftwerksbetreiber mit ihren wirtschaftlichen Interessen und die der Mehrheit der Bevölkerung, welche seit vielen Jahren stabil die Nutzung der Atomenergie ablehnt, wurde durch das Gesetz Rechtssicherheit geschaffen. Die Alternative wäre ein sofortiger Ausstieg aus der Atomenergie gewesen, für die es zum Zeitpunkt des Beschlusses des Atomausstiegsgesetzes auch eine deutliche Mehrheit im Deutschen Bundestag gab. Ein ökonomischer Zwang zum Ausstieg hätte damals auch über eine Versicherungspflicht für Atomkraftwerke, eine Versteuerungspflicht für Rückstellungen von Betreibern der Atomkraftwerke oder einer Besteuerung von Brennelementen hergestellt werden können. Stattdessen wurde der Weg eines verbindlichen Vertrages auf der Basis eines "Atomkonsenses" gewählt, auch um eine Rücknahme der Regelung nach einem Regierungswechsel zu erschweren. Die nun durch den Koalitionsvertrag wieder einmal offenbar gewordene Kumpanei zwischen den rechten und neoliberalen Parteien und der Atomwirtschaft stellt erneut die Vertrauenswürdigkeit dieser Kumpane in Frage. Die Unionsparteien und die FDP fordern die Atomwirtschaft offen zum Vertragsbruch auf und diese gehen offensichtlich gern darauf ein. Wer so handelt, braucht sich über "Politikverdrossenheit" nicht wundern.

So skandalös das Vorgehen ist, so fadenscheinig und zum Teil verlogen sind die dafür ins Feld geführten Begründungen. Dabei hat die allgemeine Tendenz zum "Greenwashing", also die Darstellung von zukunftsgefährdenden Technologien und Verhaltensweisen als angeblich "ökologisch" oder "umweltverträglich" nun also auch die Atomwirtschaft erreicht. Von einer "Atombrücke ins Solarzeitalter" wird da gefaselt und die Atomtechnologie mit den Erneuerbaren Energien gleichgesetzt. Tatsächlich würde der Ausbau der Erneuerbaren Energien durch eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke über das bereits problematische, im Atomausstiegsgesetz festgelegte Maß hinaus massiv behindert.

Gleichlastkraftwerke, wie Atom- und Kohlekraftwerke sind nämlich nicht Brücken- sondern Barrieretechnologien für Erneuerbare Energien. Der Bedarf an solchen Kraftwerken sinkt mit fortschreitendem Ausbau der Erneuerbaren Energien. Sollte der weitere Bestand dieser Kraftwerke jedoch weit über 2020 hinaus gesichert werden, erschwert dies die Netzintegration der Erneuerbaren Energien, da die nicht regelbaren Gleichlastkraftwerke aus technischen Gründen die Abschaltung von Erneuerbaren-Energien-Anlagen erzwingen. Der gesetzlich geregelte Vorrang Erneuerbarer Energien würde solcherart technisch konterkariert.

Auch bei der CO2-Thematik befleißigen sich die Lobbyisten einer Laufzeitverlängerung einer hanebüchenen Milchmädchenrechnung. Sie behaupten, dass Atomkraftwerke frei von CO2-Emissionen seien und beziehen sich dabei auf die Regelungen zum CO2-Handel. Tatsächlich sind Atomkraftwerke natürlich alles andere als "CO2-frei". Allein der zunehmend schwierigere Abbau von Uran verursacht einen immer größeren CO2-Rucksack der Atomwirtschaft. Rechnet man zusätzlich noch den Aufwand für die Lagerung und die dauerhafte Be- und Überwachung der radioaktiven Abfälle bis zum endgültigen Zerfall hinzu, so käme man sogar auf einen unvorstellbar großen CO2-Rucksack der Atomenergie. In Hinblick auf den CO2-Handel hätte eine Laufzeitverlängerung eine fatale europaweite Wirkung auf die CO2-Emmissionen, wie eine Studie des Öko-Instituts von Oktober 2009 eindrucksvoll belegt. Das Überangebot von als "CO2-frei" bezeichnetem Strom wird die Preise für CO2-Zertifikate ins Bodenlose stürzen lassen. Der gewünschte Anpassungsdruck bei Kohlekraftwerken oder anderen Großemittenten würde verschwinden - mit der Folge, dass die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke faktisch eine Laufzeitverlängerung der Kohlkraftwerke bewirken würde. Die oben geschilderten Probleme bei der Netzintegration der Erneuerbaren Energien würden damit noch weiter verschärft. Zudem käme es zu horrenden Einnahmeausfällen für die Herausgeber der CO2-Zertifikate, ergo für den Staatshaushalt. Dies würde die daraus geplanten Förderungen in der Weiterentwicklung Erneuerbarer Energien gefährden.

Nebenbei zeigt diese Betrachtung die Fragwürdigkeit des so genannten CO2-Regimes auf: Die absurd einseitige Betrachtung der CO2-Emmission beim Umwandlungsprozess von Energie lässt eine der gefährlichsten und am wenigsten zukunftstauglichen Energieformen plötzlich als "umweltfreundlich" erscheinen. Tatsächlich bestehen die bekannten Probleme der "End"-Lagerung, der Proliferation, der Plutoniumschattenwirtschaft, der Hochsicherheitstechnologie, der Anschlagsanfälligkeit (siehe z.B. Studie von EUROSOLAR zu Biblis A), der mangelnden Rückholbarkeit und der selbstverschuldeten Havarie weiter fort.

Richtiger wäre, das Pferd der Zukunftsfähigkeit nicht von hinten, also z. B. über die CO2-Emmissionen, aufzuzäumen, sondern von vorn, also über das Ziel einer vollständig vom Umsatz transportabhängiger Energieträger befreiten Energieumwandlung. Denn auch Atomkraftwerke sind keine Lösung für die Rohstoffkrise, das weltweit abbaubare Uran wird noch weit vor dem Öl enden. Allein die Endlichkeit von Kohle, Öl, Gas und Uran zwingen streng logisch zu einer sofortig einsetzenden Strategie zum Ersatz durch Erneuerbare Energien. Viele Studien belegen belastbar, dass ein Auslaufen des Betriebs der Atomkraftwerke und auch der großen Kohlekraftwerke nicht nur keine so genannte "Stromlücke" hinterlassen wird, sondern sogar zwingende Bedingung für den schnellen Ausbau und die erfolgreiche Netzintegration von Erneuerbaren Energien ist (z.B. Wuppertal-Institut/BMU, April 2009).

Eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke behindert aber nicht nur die Erneuerbaren Energien als solche, sondern auch die bereits in diesem Bereich geschaffenen rund 280.000 Arbeitsplätze, zumeist in der mittelständischen Wirtschaft. Und eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke behindert den Wettbewerb auf der Stromerzeugerseite und damit auf dem gesamten Strommarkt, da sie einseitig die Betreiber dieser Anlagen begünstigt, welche zu 99% den vier Monopolisten auf dem deutschen Strommarkt gehören. Eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ist damit nicht nur schädlich für unsere Demokratie, sondern auch noch doppelt wirtschaftsfeindlich.

Stephan Grüger ist Vorstandsmitglied der EUROSOLAR-Sektion Deutschland. Kontakt: stegrue@yahoo.de


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Quelle:
Solarzeitalter 4/2009, 21. Jahrgang, Seite 17-18
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2010