Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INDUSTRIE


CHEMIE/443: Zweierlei Maß - Deutschland will ein Pestizidexportverbot auf den Weg bringen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2022
Vergiftete Profite: (K)ein Ende der Pestizidnutzung in Sicht?

Zweierlei Maß

Was hierzulande verboten ist, kann nicht anderswo ungefährlich sein: Deutschland will ein Pestizidexportverbot auf den Weg bringen

von Susan Haffmans und Christian Schliemann-Radbruch


Trotz zahlreicher Defizite gilt das europäische Pestizidrecht gemeinhin als eines der strengsten weltweit. Zum Schutz von Mensch und Umwelt dürfen viele Pestizide innerhalb der EU nicht mehr angewendet werden. Außerhalb der EU gelten diese Verbote nicht, weshalb der Export ein großes Geschäft ist. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern schon lange ein Ende dieser doppelten Standards. Auch Deutschland will nun ein Exportverbot für bestimmte Pestizide auf den Weg bringen.


Pestizide können in der EU nicht einfach registriert werden. Sie durchlaufen ein Genehmigungs- und Zulassungsverfahren inklusive Gefahrenabschätzung und Risikoanalyse, das in definierten Zeitintervallen wiederholt werden muss. Nur EU-weit genehmigte Pestizidwirkstoffe dürfen in den EU-Mitgliedstaaten zum Einsatz kommen. Viele Pestizide, die noch vor Jahrzehnten angewendet wurden, haben mittlerweile ihre EUGenehmigung unter anderem aufgrund der Gefährdung von Mensch und Umwelt verloren. Mit der begründeten Nicht-Genehmigung von Pestiziden erfüllt die EU Schutzpflichten gegenüber ihrer Bevölkerung, der Umwelt und der biologischen Vielfalt. In der gängigen Praxis endet dieser Schutz allerdings an den EU-Außengrenzen. So exportieren EU-Staaten Jahr für Jahr Tausende von Tonnen bei uns verbotener Pestizide in Länder außerhalb der EU - bislang ganz legal. Auch in Deutschland ansässige Pestizidfirmen verdienen an dem Geschäft und exportieren die bei uns verbotenen Pestizide ungeachtet dessen, dass viele der Importländer - insbesondere im Globalen Süden - schwächere Pestizidgesetze haben, die Anwendungsbedingungen oft bedenklich sind, die Bevölkerung vor Ort oft völlig unzureichend geschützt ist und sich gerade dort besonders viele Pestizidvergiftungen ereignen. Zunehmende Kritik an diesen giftigen Exporten insbesondere von Seiten zivilgesellschaftlicher Organisationen in den Im- und Exportländern und von Menschenrechtsexpert:innen hat die Wahrnehmung auf diese doppelten Standards im Pestizidhandel gelenkt und erste Gesetzesinitiativen hervorgebracht mit dem Ziel, diese Praxis zukünftig rechtlich zu unterbinden.

Pestizide aus Europa in der ganzen Welt

Unter den Kontinenten verzeichneten die europäischen Länder im Jahr 2021 die größten internationalen Umsätze mit exportierten Pestiziden im Wert von 19,1 Milliarden US-Dollar. Das entspricht 43,5% des weltweiten Gesamtumsatzes. Deutschland gehört seit Jahren zu den dominierenden pestizidexportierenden Ländern weltweit. Exporte bei uns verbotener Pestizide gingen 2018, 2019 und 2021 unter anderem nach Algerien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Elfenbeinküste, Äthiopien, Guatemala, Indien, Indonesien, Jordanien, Malaysia, Mali, Mexiko, Marokko, Peru, Uganda, Venezuela und Vietnam. Auch die Liste der exportierten Wirkstoffe ist lang. Exemplarisch sind hier Cyanamid, Cyfluthrin und Epoxiconazol zu nennen. Cyanamid hat seit 2008 keine EU-Genehmigung mehr, weil der Wirkstoff nachweislich die Gesundheit der Anwender:innen schädigt. Dennoch wird es seit Jahren von der ALZChemAG aus Bayern u. a. nach Costa Rica, Äthiopien, Indien und Südafrika exportiert. Das sehr giftige Insektizid Cyfluthrin exportierte Bayer u. a. nach Uruguay, in die Philippinen, nach Südafrika und Vietnam und das von der BASF in Brandenburg hergestellte fruchtbarkeitsschädigende Fungizid Epoxiconazol wurde nach Brasilien ausgeführt.

Die Praxis des Exports von hierzulande verbotenen Pestiziden ist nicht nur eine abstrakte Gefahr. Der Export hat konkrete Folgen für Menschen in den Zielländern. Zusätzlich zu den direkten gesundheitlichen Folgen ist es im Fall von Pestizidvergiftungen für die Geschädigten kaum möglich, Entschädigung zu erhalten. In Indien erlitten 2017 Hunderte Baumwollbäuerinnen und -bauern nach dem Versprühen von Pestiziden teils schwere Vergiftungen. Die Polizei ordnete 98 der erlittenen Vergiftungen, darunter zwei mit Todesfolge, der Verwendung des Syngenta-Insektizids Polo mit dem Wirkstoff Diafenthiuron zu. Der Wirkstoff ist in der Schweiz und der Europäischen Union schon lange nicht mehr zugelassen, wird aber vom Schweizer Konzern Syngenta in Indien vertrieben. Eine Beschwerde von 51 Landwirt:innen bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) endete ergebnislos. Die von den Geschädigten erhoffte Wiedergutmachung konnte das Verfahren nicht liefern. Eine Zivilklage auf Schadenersatz ist weiterhin anhängig. Dennoch: Trotz einer globalisierten Wirtschaft fehlt ein verbindlicher internationaler Pestizidvertrag und ein globalisiertes Rechtsregime, das Wiedergutmachung ermöglicht.

Mit der begründeten Nicht-Genehmigung von Pestiziden erfüllt die EU Schutzpflichten gegenüber ihrer Bevölkerung, der Umwelt und der biologischen Vielfalt. In der gängigen Praxis endet dieser Schutz allerdings an den EU-Außengrenzen.

Das im Januar 2023 in Deutschland in Kraft tretende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird auch Bayer und BASF Sorgfaltspflichten bezüglich der Achtung der Menschenrechte bei ihren Geschäftstätigkeiten auferlegen. Eine zivilrechtliche Haftungsklausel, welche es Betroffenen vereinfachen würde, Schadenersatz einzuklagen, enthält das Gesetz allerdings nicht. Angesichts 384 Millionen globaler ungewollter Pestizidvergiftungen, von denen mindestens 11.000 tödlich enden und sich zum Großteil in Ländern des Globalen Südens ereignen, ist deutlich: Es muss präventive Lösungen zur Verhinderung von Pestizidvergiftungen geben. Ein Exportverbot solcher Pestizide, die auch bei uns aus Umwelt- und Gesundheitsgründen nicht genehmigt sind, wäre ein dringend notwendiger und rechtlich umsetzbarer erster Schritt zu mehr globaler Gerechtigkeit.

Exportverbote für nicht zugelassene Pestizide

Die Schweiz hat den Export einiger bestimmter Pestizide und auch den Export von Polo mittlerweile rechtswirksam verboten. Frankreich hat als erster EU-Mitgliedstaat generell die Herstellung, die Lagerung und den Handel mit Pestizidprodukten rechtlich verboten, die Wirkstoffe enthalten, die aus Gründen des Schutzes der Gesundheit von Mensch und Tier oder der Umwelt nicht genehmigt wurden. In Deutschland wird derzeit an einer rechtlichen Umsetzung des im Koalitionsvertrags vereinbarten Exportverbots für bestimmte Pestizide gearbeitet. Um dies zu beschleunigen, hatten das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), die Heinrich-Böll-Stiftung, das INKOTA- netzwerk, das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) und die Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Rechtsgutachten beauftragt und im September vorgestellt. Das Rechtsgutachten "Umsetzung eines Ausfuhrverbots für bestimmte, gefährliche Pestizide aus Deutschland" zeigt, wie ein nationales Exportverbot für bestimmte, gefährliche Pestizide besonders umfassend umgesetzt werden kann. Für ein schnelles Handeln kann die bereits jetzt im Pflanzenschutzgesetz verankerte Möglichkeit zur Erlassung einer Durchführungsverordnung zügig umgesetzt werden. Allerdings kann hierüber vor allem der Export von bereits formulierten Pestizidprodukten mit bestimmten Wirkstoffen rechtssicher beschränkt werden. Um auch den Export reiner Wirkstoffe rechtssicher zu verhindern, schlagen die Gutachterinnen eine Reform des Pflanzenschutzgesetzes vor. Für die Auswahl der zu regulierenden Stoffe empfehlen sie eine Anknüpfung an den Genehmigungsstatus auf EU-Ebene, sodass nur in der EU genehmigte Wirkstoffe oder Produkte mit diesen Wirkstoffen ausgeführt werden dürfen. Nur auf diese Weise ließen sich Doppelstandards vollumfänglich abbauen.

Pestizidanwendungen verstoßen gegen die Menschenrechte

Schon bevor die UN-Vollversammlung im Sommer dieses Jahres den Zugang zu einer sauberen, gesunden und nachhaltigen Umwelt zum allgemeinen Menschenrecht erklärte, mahnten Expert:innen der Vereinten Nationen wiederholt Verletzungen der Menschenrechte im Zusammenhang mit Pestizidanwendungen insbesondere in Ländern des Globalen Südens an. Bereits 2017 hob die damalige UNSonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung Hilal Elver hervor, dass es eine eindeutige Menschenrechtsverletzung darstellt, wenn Menschen durch den Export von giftigen Substanzen zu Schaden kommen, und forderte eine verbindliche Regelung, um doppelte Standards zu vermeiden. 2020 prangerte der damalige UN Sonderberichterstatter Baskut Tuncak gemeinsam mit weiteren 35 führenden Expert:innen des UN-Menschenrechtsrates die gängige Praxis wohlhabender Staaten an, ihre verbotenen giftigen Chemikalien in ärmere Länder zu exportieren und forderte die Exportstaaten auf, diese Praxis zu beenden. Der amtierende UN-Sonderberichterstatter für giftige Substanzen und Menschenrechte Marcos Orellana ermahnte Anfang 2021 die deutsche Regierung, ihre Menschenrechtsverpflichtungen wahrzunehmen und den Export von Pestiziden einzustellen, die in der EU verboten sind.

Deutschland hat die Möglichkeit und Verantwortung, zu handeln und einen möglichst umfänglichen Exportstopp nicht genehmigter Pestizide umzusetzen. Dass eine solche nationale Regelung im Einklang mit EU- und internationalem Handelsrecht ist und wie eine Ausformulierung aussehen könnte, zeigt das beschriebene Gutachten. Deutschland sollte sich zudem parallel um eine EU-weite Regelung bemühen. Die EU-Kommission hat sich in ihrer Chemikalienstrategie von 2020 das Ziel gesetzt, den Export verbotener gefährlicher Chemikalien aus der EU künftig zu unterbinden und hierfür, wenn nötig, die Gesetzgebung zu ändern. Bereits im Frühjahr hieß es von Seiten der zuständigen Generaldirektion, dass sie hinsichtlich einer EU-weiten Regelung zum Exportverbot verbotener Pestizide die Überarbeitung der EU-Verordnung über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien prüfen wolle. Dass ein entsprechender Hinweis im jüngst veröffentlichten Arbeitsprogramm der EU-Kommission fehlt, ist befremdlich. Umso wichtiger ist, dass Deutschland nun zügig ein nationales Exportverbot umsetzt.

Susan Haffmans ist Referentin für Pestizide und Internationales beim Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland.

Christian Schliemann-Radbruch ist Jurist und Co-Leiter des Programms Wirtschaft und Menschenrechte beim European Center for Constitutional and Human Rights.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Rundbrief 3/2022, Seite 13-15
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 12. Mai 2023

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang