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INITIATIVE/271: Protest gegen Neubau von Kohlekraftwerken erfolgreicher denn je (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 105/2.2010
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie
Von Kohle ohne Ende zum Ende der Kohle

Von Elias Perabo


Die Proteste gegen den Neubau von Kohlekraftwerken sind erfolgreicher denn je. In den letzten eineinhalb Jahren konnte der Bau von acht Kohlekraftwerke verhindert werden.


Neuigkeiten noch kurz vor Druck des Magazins: Auch die Pläne für das E.ON Kohlekraftwerk in Wilhelmshaven und das Kohlekraftwerk in Düsseldorf wurden gestoppt. Damit wurden in den letzten 18 Monaten zehn Kohlekraftwerksneubauten verhindert


Das Medieninteresse war riesig, als vor gut eineinhalb Jahren das Vattenfall Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg genehmigt wurde. Eine herbe Niederlage für den Anti-Kohle-Protest, aber auch für die Klimapolitik Deutschlands. Anja Hajduk, die grüne Hamburger Umweltdezernentin, setzte lediglich noch strengere Auflagen für das Kohlekraftwerk durch, wegen derer Vattenfall im April 2009 Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Schiedsgericht der Weltbank, ICSID, erhob (s.S.34). Mit der Genehmigung in Hamburg schien der Damm für 32 neue Kohlekraftwerke in Deutschland gebrochen zu sein und ein flächendeckender Ausbau der neuen Klimakiller kaum noch zu verhindern. 18 Monate später ist die Bilanz für die Kohlekraftwerkslobby allerdings mehr als ernüchternd: Lediglich für ein neues Kohlekraftwerk, der Neubau in Mannheim, wurde der Grundstein gelegt. Währenddessen in Germersheim, Berlin, Kiel, Emden, Mainz, Dörpen, Lubmin und beim Kohlekraftwerke von GDF/Suez in Stade gleich acht Neubauplanungen verhindert wurden. Damit sind bereits jetzt die geplanten Neubauten von 32 Kohlekraftwerken auf 24 geschrumpft. Gleichzeitig gibt es bei den verbliebenen Standorten kaum einen, bei dem sich die Planungen nicht massiv verzögert hätten, teilweise um Jahre. Kraftwerke, die sich bereits längst im Bau befinden, wie etwa das E.ON Kohlekraftwerk, scheinen plötzlich keine sichere Investition mehr zu sein. Nach der Klage eines Landwirtes wurde im September 2009 der Bau des sich bereits in einer sehr späten Phase befindenden Kohlekraftwerks in Datteln durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster vorerst gestoppt. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte eine Revision gegen das Urteil des OVG Münster ab. Nun versuchen die Landesregierung durch Gesetzesänderungen (sog. Lex E.ON), sowie die Stadt Datteln das Kohlekraftwerk durch einen neuen Bebauungsplan zu retten. Ob aber in Datteln, wo bereits heute ca. 800 Millionen Euro von E.ON verbaut worden sind, wirklich ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen wird, ist ungewiss.

Breiter Widerstand

Dass es in den vergangenen eineinhalb Jahren zu einem solchen klaren Trend gegen neue Kohlekraftwerke kam, hat mehrere Ursachen, die oft miteinander verzahnt sind. So regt sich inzwischen an allen geplanten Standorten Widerstand. Dabei sind es längst nicht mehr nur Umweltschutzorganisationen wie BUND, WWF, Greenpeace oder Baumkletterer von ROBIN WOOD, die sich gegen die neuen Klimakiller einsetzen. Nein, der Protest geht quer durch die Bevölkerung. Inzwischen sind durch die Beteiligung von Kirchen, Industrieverbänden, Parteien, Ärzten, Kulturschaffenden, Wirtschaftswissenschaftlern etc. meist sehr aktive, lokale Bündnisse entstanden, die den großen Konzernen auf professionellem Niveau die Stirn bieten. Die Vermittlung, die Weitergabe und der Austausch von Erfahrungen haben erheblich zur Stärkung der Initiativen beigetragen. Seit Sommer 2008 wurde die Arbeiten aller lokalen Initiativen dabei in großem Umfang durch das Anti-Kohle Büro der Klima-Allianz und durch die Rechtsberatung der Deutschen Umwelthilfe unterstützt. Auch dies ist eine Besonderheit - in kaum einem anderen Bereich wurden lokale Initiativen in ihrem Protest durch bundesweite Organisationen so massiv unterstützt wie im Anti-Kohle Bereich.

Neben der Entwicklung auf lokaler Ebene hat sich die überregionale energiepolitische Debatte in den letzten Monaten maßgeblich verändert. Während die Befürworter lange Zeit und immer wieder das Mantra vor sich hertrugen, es gäbe einen Bedarf an neuen Kohlekraftwerken, um Atomkraftwerke zu ersetzen und Windstrom auszugleichen (und einige Unverbesserliche stehen auch heute noch auf diesem Standpunkt), setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass neue Kohlekraftwerke den Ausbau von erneuerbaren Energien massiv verhindern. So hat zuletzt selbst der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) festgestellt, dass wir vor einer energiepolitischen Systementscheidung stehen - einer Wahl zwischen einem Energiesystem, das auf Grundlastkraftwerken (Atom- und Kohlekraftwerken) basiert oder einem System, das die erneuerbaren Energien in den Mittelpunkt stellt, ergänzt durch Kraftwerke, die flexibel die Schwankungen der erneuerbaren Energien ausgleichen (z.B. Gas- und Biomassekraftwerke). Auch die von der Deutschen Energie-Agentur (die zur Hälfte von Vattenfall, E.ON, EnBW und RWE finanziert wird) immer wieder gern beschworene Stromlücke scheint aufgrund der jährlich steigenden Rekordexportüberschüsse an Strom ins Ausland niemanden mehr so richtig zu überzeugen, zumal allein 2009 die Stromnachfrage in Deutschland um ca. acht Prozent gesunken ist.

Kohlekraftwerke werden teuer

Durch die Festlegung auf eine 100-prozentige Versteigerung der Emissionszertifikate ab 2013 und der hohen Wahrscheinlichkeit, dass neue Kohlekraftwerke in Zukunft wegen der erneuerbaren Energien nicht die benötigten Volllaststunden laufen müssen, hat sich auch die Wirtschaftlichkeit von Kohlekraftwerken massiv verschlechtert. Diese zweifelhafte Wirtschaftlichkeit, die klimapolitischen Auswirkungen aber auch die Finanzkrise haben dazu geführt, dass es zunehmend schwieriger wird, Banken für die Gewährung von Krediten für den Bau neuer Kohlekraftwerk zu gewinnen. Hinzu kommen teure und wegen der Proteste langwierige Genehmigungsverfahren, die zunehmend auch für Großkonzerne sehr kostspielig werden. So mussten jüngst GDF Suez für ihr geplantes aber gescheitertes Kohlekraftwerk in Stade 113 Mio. Euro abschreiben, der dänische Staatskonzern DONGEnergy bilanzierte nach der Aufgabe des Projektes in Lubmin sogar 150 Mio. Euro Verluste. Der ungeklärte Status des E.ON Kohlekraftwerkes in Datteln unterstreicht zudem das enorme juristische Risiko. Es könnte dort eine Milliarden teure Bauruine stehen, als schlechtes Beispiel für andere Projekte.

Dementsprechend herrscht eine tiefe Verunsicherung bei der Kohlekraftwerksbranche. Trotz all dieser Risiken und den Erfolgen in letzter Zeit, sollte jedoch nicht übersehen werden, dass neben den zehn sich schon im Bau befindenden Kohlekraftwerken noch immer die Planungen für weitere vierzehn neue Kohlekraftwerke vorangetrieben werden. Neben E.ON, die mit Datteln, Staudinger, Stade und Wilhelmshaven gleich vier neue Kohlekraftwerke ans Netz bringen wollen und damit die Hitliste bei den Klimakillern anführen, sind es vor allem Konsortien von Stadtwerken, die noch neue Kohlekraftwerke planen. Es braucht also weiterhin und gerade jetzt starke gesellschaftliche Anstrengungen, um den Kohlewahnsinn zu stoppen.

Dabei ist es wichtig nicht denen auf den Leim zu gehen, die in der Debatte um den Ausstieg aus dem Atomausstieg nun Kohle gegen Atom (oder Super-Gau vs. Klimakatastrophe) ausspielen wollen. Vielmehr würde eine Laufzeitverlängerung und jeder weitere neue Kohlemeiler dem Umbau des Energiesystems und den Ausbau der erneuerbaren Energien diametral entgegen stehen. Aus diesem Grund hat die Klima-Allianz unter dem Motto: "Energiewende jetzt - Ohne Kohle und Atom" auch zur Aktions-Menschenkette am 24. April von Krümmel nach Brunsbüttel aufgerufen: www.die-klima-allianz.de.

Elias Perabo, Klima-Allianz,
Tel.: 030/6781775-71, Fax: -80
perabo@klima-allianz.de

Aktuelle Informationen zum Kohleprotest:
www.twitter.com/Kohleprotest, www.kohle-protest.de
Juristische Hintergründe: www.duh.de/antikohle.html

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Ob in Datteln, wo bereits 800 Millionen Euro von E.ON verbaut worden sind, wirklich ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen wird, ist ungewiss (Foto: Pixelio)


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 105/2.2010, S. 24 und 33
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2010