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POLITIK/489: Rede von Norbert Röttgen zum Atomausstieg und zur Energiewende, 09.06.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, zum Atomausstieg und zur Energiewende vor dem Deutschen Bundestag am 9. Juni 2011 in Berlin:


Sehr geehrter Herr Präsident!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hat heute erklärt, die Energiewende sei die größte Herausforderung für Deutschland und die deutsche Gesellschaft seit der Wiedervereinigung.

Ich füge hinzu, dass nach meiner Auffassung mit diesem Projekt auch die größten Chancen für unser Land verbunden sind, die es seit langem gegeben hat. Dabei ist die Lage nicht so, wie sie vor zehn Jahren war. Frau Kotting-Uhl, Sie haben gerade auf Fukushima hingewiesen. Das war am 11. März dieses Jahres. Fukushima war und ist - das haben wir übereinstimmend festgestellt - eine Zäsur. Fukushima ist eine neue Menschheitserfahrung: die Erfahrung der Nichtbeherrschbarkeit der Kernenergie in einem Hochtechnologieland. Eine Gesellschaft darf das aufnehmen, eine Gesellschaft sollte das aufnehmen. Die Politik ist ebenfalls gut beraten, wenn sie aus den weltweiten Erfahrungen, die in diesem Zusammenhang gemacht worden sind, lernt.

Darum ist die Situation heute nicht die gleiche wie vor zehn Jahren. Vor zehn Jahren hat es keine Einladung an die Opposition gegeben, zu einem parteiübergreifenden, fraktionsübergreifenden gesellschaftlichen Konsens zu kommen, wie sie heute zum Beispiel Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion ausgesprochen hat. Es hat auch keine Einladung an die Ministerpräsidenten gegeben, in dieser Frage zu einem Konsens zu kommen. Heute befinden wir uns in der Konsensbildung an einer ganz anderen Stelle als vor zehn Jahren. Das ist eine positive Entwicklung in Deutschland.

Vor zehn Jahren gab es auch noch nicht 17 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien am Strom. Dieser Prozentsatz hat sich erheblich gesteigert. Die technologisch-industriellen und ökonomischen Möglichkeiten, die wir heute haben, bedeuten eine große Chance. Wir sollten sie gemeinsam ergreifen. Die Botschaft an die Bevölkerung muss heute sein, Gemeinschaft, Gemeinsinn und damit eine große Chance für Deutschland zu realisieren. Das muss unsere Debatte bestimmen.

Ich bin davon überzeugt, dass es um Gemeinsamkeit und Gemeinschaft geht. Das Wesen der Demokratie ist nicht Harmonie und auch nicht, dass wir alle einer Meinung sind und immer das Gleiche wollen. Zum Wesen der Demokratie gehören vielmehr Kontroverse und Auseinandersetzung als ein Funktionselement oder ein Lebenselement von Demokratie. Einer Demokratie tut es gut, ja es ist geradezu notwendig für eine gute Entwicklung, dass eine Gesellschaft auch in der Lage ist, über Grundfragen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung einen Konsens zu erreichen.

Ich finde es positiv - es gehört doch zu unserer gemeinsamen Erfahrung -, dass wir in der Kontroverse, in dem Kampf zwischen Kapital und Arbeit, in der sozialen Marktwirtschaft einen Ausgleich gefunden haben. Es gehört zu unseren positiven Erfahrungen, dass wir in dem Konflikt zwischen Friedensziel und der Bereitschaft zu militärischen Einsätzen einen Ausgleich gefunden haben. Es ist für manche sehr schmerzhaft, diesen Weg zu gehen, aber es ist doch Ausdruck von demokratischer Entwicklung und Reife, dass man sich selber korrigiert und zu neuen gemeinschaftlichen Positionen kommt. In diesen Kontext stelle ich, dass wir in Deutschland zu der Überzeugung kommen, dass es keinen Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie gibt, sondern dass es ein großes Ziel ist, die Bewahrung der Lebensgrundlagen, die Bewahrung der Schöpfung in unsere Vorstellung und Konzeption von Wachstum, Industrie und Wirtschaft zu integrieren. Damit erreichen wir in Deutschland ein großes Ziel und einen wichtigen Ausgleich.

Wir sollten den Blick nicht zurückwenden, sondern die Chancen für unser Land ergreifen, indem wir fragen: Welche Möglichkeiten bietet die Situation jetzt für die Zukunft? Diese Regierung ist entschlossen, diesen Weg zu gehen. Wir sind entschlossen, den gesellschaftlichen Konsens, den es in Deutschland gibt, in Politik und Gesetzgebung zu realisieren.

Frau Kotting-Uhl, das, was Sie gerade gesagt haben, war, glaube ich, falsch. Sie haben eben gesagt: Die Grünen entscheiden darüber, ob es Konsens in der Gesellschaft gibt. Ich habe Ihrer Rede zugehört.

Ich glaube, niemand - keine Person, kein Mitglied des Bundestages, keine Fraktion - sollte sich zu wichtig nehmen. Die Gesellschaft möchte diesen Konsens, und wir als Parteien disponieren nicht darüber, ob die Gesellschaft Frieden, Konsens und Fortentwicklung will. Dieses Recht hat keine Fraktion und keine Partei. Wir jedenfalls wollen diesem Bedürfnis entsprechen.

Genau so hatte ich Sie verstanden und wollte ich Sie zitieren, Frau Kotting-Uhl. In dieser Selbsteinschätzung stimme ich Ihnen ausdrücklich nicht zu. Die Grünen entscheiden nicht darüber, ob es in Deutschland einen gesellschaftlichen Konsens gibt. Vielmehr ist der gesellschaftliche Konsens da, und Sie müssen sich entscheiden, ob Sie Teil des gesellschaftlichen Konsenses sind oder ob Sie außen vor bleiben. Das ist die Frage, die Ihnen Schmerzen bereitet. Darum habe ich Verständnis für manche Rede, die Sie halten. Für die Zerrissenheit bei Ihnen habe ich Verständnis, über die mache ich mich auch nicht lustig, sondern die nehme ich sehr ernst. Für Sie stellt sich die Frage, ob Sie jetzt Gesetzentwürfen, die von den Koalitionsfraktionen vorgelegt worden sind und in denen der Ausstieg aus der Kernenergie und der Einstieg in die erneuerbaren Energien zeitlich definiert werden, zustimmen. Die Gesetzentwürfe wurden von den Koalitionsfraktionen und nicht von Ihnen eingebracht. Das ist der Punkt, mit dem Sie sich auseinandersetzen müssen.

Ich sage Ihnen: Nehmen Sie sich nicht so wichtig, sondern stellen auch Sie sich in den Dienst der Fortentwicklung der Gesellschaft! Das ist Ihre Aufgabe und Verantwortung. Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht, und verfolgen Sie nicht parteipolitische Interessen!

Wir haben viel erreicht. Sie müssen sich jetzt entscheiden, ob Sie zustimmen oder außen vor bleiben. Wir haben eine ethische Haltung zur Kernenergie und zur Bewertung des Risikos der Kernenergie erreicht. Die Bundeskanzlerin hat das ausgeführt. Sie hat die ethischen Aspekte genannt, die uns zu der Entscheidung zum Ausstieg führen, nämlich dass wir im Hochtechnologieland Japan erneut die Erfahrung der Nichtperfektion des Menschen, der Nichtbeherrschbarkeit der Natur und der Nichteingrenzbarkeit der Schäden gemacht haben.

Das ist eine Erfahrung, die die Menschheit gemacht hat. Daraus ziehen wir die ethische Konsequenz, dass es geboten ist, die wirtschaftliche Nutzung dieser Technologie zu beenden. Schon allein deshalb, weil wir eine bessere Alternative haben, ist die Beendigung richtig und ethisch fundiert. In dieser Frage besteht ein ethischer Konsens.

Wir haben daraus allerdings auch eine Konsequenz in anderer Richtung gezogen - auch dies ist ein Unterschied zur Situation vor zehn Jahren - : Die rot-grüne Ausstiegskonstruktion sah eine nicht befristete, eine zeitlich nicht bestimmte Übertragung von Strommengen vor. Nach dem Gesetz von 2002, dem Ausstiegsgesetz von damals, wäre es ganz sicher nicht zur Beendigung der Nutzung der Kernenergie bis zum Jahre 2022 gekommen. Vielmehr wäre die Kernenergie bis weit in die Mitte des nächsten Jahrzehnts genutzt worden.

Der Gesetzentwurf, den wir heute einbringen, bietet durch die vorgesehene zeitliche Staffelung die Chance, Klarheit zu schaffen. Für die Gesellschaft, aber auch für die Investoren wird Klarheit bestehen, wohin die Investitionen jetzt fließen müssen, wenn man eine Rendite erzielen will. Das ist ein wesentlicher Vorzug dieses Gesetzentwurfes und eine wesentliche Veränderung im Vergleich zu der Gesetzeslage, die Sie hier beschlossen haben. Nehmen Sie das zur Kenntnis. Das ist auch nicht Hysterie und nicht Panik, sondern eine rationale, eine ethische Bewertung, die auch von der großen Mehrheit der Gesellschaft so vorgenommen wird. Dass Gesetzgebung, Politik und Parlament dies aufnehmen, ist positiv.

Ich möchte den zweiten Konsens, den wir erreicht haben, darstellen. Die Energiefrage betraf in Deutschland immer den Kern von Industrie. Darum ist die Frage einer neuen Energiepolitik auch eine Frage der wirtschaftlichen Modernisierung unseres Landes. Wir wollen nämlich Industrieland bleiben, und wir werden Industrieland bleiben. Wir wollen wirtschaftliches Wachstum, und wir werden es erzielen. Durch die neue Energiepolitik wollen wir das wirtschaftliche Wachstum nicht begrenzen und die Industrie nicht einschränken. Vielmehr geht es um wirtschaftliche Modernisierung und technologische Innovation, die unserem Land guttun werden, auch bei der Entwicklung der Industrie.

Manche sagen: Ihr müsst investieren; das kostet doch Geld. - Ja, klar. Glauben wir denn, dass wir als führendes Industrieland in einem Billigwettbewerb bestehen könnten? Glauben wir denn, dass wir unsere Technologieführerschaft und unsere wirtschaftliche Spitzenstellung dadurch behalten, dass wir nicht in Infrastruktur, Energieerzeugung und Industrie investieren? Nein, diese neue Energiepolitik ist ein Investitionsprogramm, sie ist ein Modernisierungsprogramm, und sie ist ein Innovationsprogramm. Sie leistet einen Beitrag dazu, dass wir ein führendes Industrieland bleiben werden. Darum ist die Frage "Kostet der Strom dann 0,3 Cent oder 0,8 Cent pro Kilowattstunde mehr?" falsch. Die Kosten werden beherrschbar sein. Das sind Investitionskosten zum Nutzen unseres Landes. - Das ist der Konsens, den wir erreicht haben.

Wir müssen dafür eine weitere Veränderung vornehmen, die das Erneuerbare-Energien-Gesetz betrifft. Seinen Ursprung hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz übrigens im Stromeinspeisungsgesetz, das 1991 in Kraft getreten ist; bei diesem Thema sollte man also etwas weiter in die Vergangenheit blicken. Das Stromeinspeisungsgesetz wie auch jetzt das Erneuerbare-Energien-Gesetz sind im Wesentlichen - bislang war das auch richtig - ein Fördergesetz beziehungsweise ein Subventionsgesetz, um Technologien, die noch nicht wettbewerbsfähig sind, in den Markt zu bringen.

Wir haben es geschafft, den Anteil erneuerbarer Energien an der gesamten Stromproduktion auf 17 Prozent im Jahr 2010 zu erhöhen. Im Laufe von gut zehn Jahren kam es zu einer Vervielfachung des Anteils erneuerbarer Energien. Jetzt wollen wir eine weitere Verdopplung oder sogar eine Verdreifachung erreichen. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung soll sich bis 2050 auf 80 Prozent erhöhen. Die Grundversorgung mit Strom soll dann durch den Einsatz erneuerbarer Energien gewährleistet werden. Das kann man aber nicht mehr auf der Basis eines Subventionsgesetzes leisten. Daher muss sich der Charakter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verändern: von einem Subventionsgesetz zu einem Marktordnungsgesetz. Wir wollen diese Technologien in den Markt führen. Dort sollen und werden sie sich bewähren.

Auch dies ist ein Unterschied zu früher: Wir setzen nicht auf planwirtschaftliche Steuerung, sondern auf marktwirtschaftliche Instrumente und Ordnung. Wir glauben, beides miteinander verbinden zu können: eine ökologische Ausrichtung in der sozialen Marktwirtschaft. Das ist jedenfalls unsere konkrete Vision. Ich glaube, dies wird auch von der Bevölkerung gewollt.

Dritter Punkt. Was bedeutet das im Hinblick auf Wachstum? Es wird gesagt: Das ist ein Sonderweg; unsere Nachbarn sind irritiert. - Selbstverständlich beobachten unsere Nachbarn, was in Deutschland passiert. Sie fragen sich: Ist das richtig? Muss uns das besorgen? Inwiefern sind wir davon betroffen?

Ich glaube, zum Konsens in unserer Gesellschaft gehört, dass wir Wachstum anders verstehen müssen. Zwei Missverständnisse, zwei historische Fehlverständnisse von Wachstum dürfen wir nicht beibehalten.

Das eine ist aus meiner Sicht der postmaterialistische Irrtum, wir könnten und sollten auf Wachstum verzichten, um die Natur zu schützen. Wir werden ohne Wachstum keine erfolgreiche solidarische Gesellschaft sein und bleiben. Darum gehört das Wachstumsbekenntnis in diese Debatte. Wir sind eine Gesellschaft, die nur aufrechtzuerhalten ist, wenn es Wachstum gibt.

Zum anderen geht es darum, die Grenzen der Natur in unsere Vorstellung und unsere Konzeption von Wachstum zu integrieren. Wachstum darf nicht mehr, wie es seit der Industriealisierung der Fall war, durch den Verbrauch und die Zerstörung von Natur, durch Ressourcenverbrauch und CO2-Emissionen entstehen. Die neue Vorstellung von Wachstum besteht darin, dass wir die technologische Entwicklung, wie es sie beispielhaft in der Energieversorgung gibt, in unsere Industrie- und Wachstumspolitik integrieren. Es ist nicht mehr derjenige der Gewinner, der am meisten Ressourcen verbraucht. Wir gewinnen den Wettbewerb um mehr Wohlstand und mehr Gerechtigkeit in unserer Zeit nur dann, wenn wir mit immer weniger Verbrauch von Natur und Ressourcen immer mehr produzieren. Das ist unser Ziel. Darin besteht der Wettbewerb unserer Zeit, und wir wollen diesen Wettbewerb gewinnen.

Neu ist schließlich die Chance auf einen Konsens. Wir brauchen diesen Konsens, weil es eine nationale Pioniertat ist, für die wir alle brauchen: die Wissenschaft, die Wirtschaft, die Mittelständler, die großen Unternehmen, die Kommunen, die Länder, den Bund und auch die Bürger, die mitmachen, die sich in Energiegenossenschaften zusammenschließen und Energieerzeuger werden, die nicht nur passive Verbraucher sind, sondern über intelligente Systeme und Zähler selber bestimmen können, wann sie welchen Strom verbrauchen.

Ein Teil dieses Konsenses ist der Konsens über die sichere dauerhafte Lagerung von hochradioaktiven Abfällen. Auch hier gibt es eine Veränderung hinsichtlich der Wahrnehmung nationaler Verantwortung, und ich glaube, das sollten wir sehr positiv würdigen. Aber auch an dieser Stelle muss Klarheit herrschen. Die Augen zu verschließen und nicht zu untersuchen, führt nicht zum Ziel. Wir haben diese radioaktiven Abfälle. Es ist in unserer Verantwortung, sie dauerhaft sicher zu lagern. Darum ist es falsch, zu sagen: Wir machen ein Moratorium und beschäftigen uns nicht mit dieser Frage. - Natürlich muss die Eignung des Standorts Gorleben unter Beteiligung der Öffentlichkeit ergebnisoffen - ich betone und unterstreiche das: ergebnisoffen - geprüft werden. Es müssen aber - über Gorleben hinaus - auch andere Optionen der Endlagerung, andere geologische Formationen untersucht werden. Auch das ist eine neue Entwicklung hin zum Konsens in dieser Gesellschaft.

Ich sage darum heute auch an die Bevölkerung gerichtet: Das ist eine veränderte Situation. Hier entsteht ein gemeinschaftlicher Wille, und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das zum Nutzen unseres Landes ist. Der Erfolg, den wir haben werden, wird über unser Land hinausstrahlen, ein positiver Beitrag sein und ein Beispiel dafür geben, dass es in einem Hochtechnologieland, im Industrieland Deutschland möglich ist, die Bewahrung der Lebensgrundlage und der Schöpfung mit einer klaren Wachstums- und Industriepolitik zu verbinden. Das ist eine große Chance. Wir sollten sie gemeinschaftlich ergreifen.

Herr Kollege Fell, es ist ja der erste Versuch, gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen. Sie stellen aber Behauptungen auf, die sachlich falsch sind. Sie haben gesagt, es gebe beim Ausbau der erneuerbaren Energien eine Deckelung auf 35 Prozent. Das ist Unsinn; das steht nicht im Gesetzentwurf, das schlagen wir nicht vor. An dieser Stelle können Sie Ihre Empörung ein Stück zurückschrauben. Es gibt keine 35-Prozent-Deckelung, sondern diese 35 Prozent sind eine Mindestgröße. Wir glauben, dass wir vielleicht sogar noch mehr erreichen können. Aber unsere Aufgabe ist es, innerhalb von neun Jahren mehr als eine Verdoppelung des bisherigen Anteils auf mindestens 35 Prozent zu erreichen. Das ist ein anspruchsvolles Ziel. Wenn wir von 40 Prozent gesprochen hätten, hätten Sie wahrscheinlich erklärt, 40 Prozent seien zu wenig, es müssten mindestens 45 Prozent sein. Insofern müssen Sie sich selber einmal fragen, ob Sie noch realistische Ziele verfolgen und realistische Oppositionspolitik machen. Es ist ein Mindestziel, keine Deckelung.

Genauso gibt es bei der EEG-Umlage keine Deckelung auf 3,5 Cent pro Kilowattstunde. Allerdings wollen wir das EEG so ausgestalten, dass wir diese Größenordnung halten und langfristig absenken können; denn diese bezahlen die Verbraucher. Es klingt schön, wenn in den Reden immer mehr gefordert wird, aber diese Rechnung wird ohne den Wirt gemacht. Der Wirt ist der ganz normale Bürger und die ganz normale Bürgerin in Deutschland.

Damit bin ich bei Ihrer Anhörung. Ich rede mit den Verbänden und respektiere sie, weil sie die Vertreter der Interessen von Unternehmen sind. Sie sind keine Träger von Allgemeinwohlbelangen, sondern sie sind Vertreter wirtschaftlicher Interessen, die sich dafür einsetzen, dass die Subventionen für ihre Unternehmen möglichst hoch sind, um das einmal klar zu sagen. Sie sollten zu diesen Vertretern wirtschaftlicher Interessen die gleiche Distanz haben, die Sie zu anderen Vertretern wirtschaftlicher Interessen haben, nicht weil sie etwas Illegitimes tun, sondern weil sie legitim ihre ureigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen, und je höher die Subventionen sind, desto erfolgreicher war der Verband. Auf diese Verbände haben Sie sich gerade bezogen. Ein bisschen Distanz zu ihnen ist schon angemessen.

Ich kenne das. Subventionen zu senken, ist schmerzhaft. Stellen Sie sich ein Gesetz mit garantierten Subventionen vor, die immer höher werden sollen, und in diesem Gesetz soll festgeschrieben werden, dass die Kilowattstunde bezahlt wird, unabhängig davon, ob diesen Strom irgendein Mensch braucht. So kann es nicht bleiben. Wir müssen diese Subventionsabhängigkeit zu einer Marktintegration dieser Branchen umlenken. Auch diese Branchen müssen sich daran orientieren, ob man das Produkt, das sie herstellen, braucht. Ansonsten werden wir das nicht schaffen. Das ist doch kein böser Wille. Wie soll denn eine Versorgung von 50 oder 80 Prozent mit erneuerbaren Energien gelingen, wenn Strom unabhängig davon produziert wird, ob ihn irgendein Mensch braucht? Wir müssen auch in diesen Bereich ein bisschen Nachfrageorientierung und Markt hineinbringen, sonst werden wir scheitern. Mit gutem Willen allein kann man keine Energieversorgung erreichen, Herr Kollege Fell.

Das war das, worauf ich kurz hinweisen wollte. Wenn man all das einmal nüchtern und sachlich betrachtet, dann stellt man fest, was da an positiven Veränderungen stattfindet. Ich wollte die Erfahrungen, die wir gemacht haben, gerne noch mitteilen. Ihre Reden habe ich persönlich nicht alle nachgelesen. Ich habe vorher nicht historisch recherchiert, sondern habe heute in meiner Rede nach vorne gesehen. Aber vielleicht lesen Sie einmal Ihre Reden nach, als es um die erste Reduzierung der Photovoltaikvergütung ging, die wir eingebracht und beschlossen haben. Sie haben damals den Tod der Branche vorausgesagt. Sie sagten, ich sei der Totengräber, die Reduzierung sei so falsch, wie sie nicht falscher sein könne, und auch die Branche sei dagegen. Was haben wir erlebt? Ein munteres und lebendiges Wachstum dieser Branche, sodass wir im zweiten Anlauf eine nochmalige Senkung der Vergütung vorgenommen haben, und zwar im Konsens mit der Branche. Diese Branche hat gelernt, dass es auf Dauer auch für sie keine Perspektive ist, nur mit immer höheren Subventionen zu wirtschaften. Sie hat gelernt, alleine erfolgreich zu sein. Ich empfehle dieses Lernbeispiel auch allen anderen.

Frau Höhn, wir können gerne einen Termin vereinbaren. Herr Brüderle hat sich schon gemeldet; er möchte zum Gespräch hinzukommen. Es geht aber nicht darum, dass wir jetzt verhandeln. Wir befinden uns in einer parlamentarischen Beratung. Es hat eine Anhörung stattgefunden. Es gibt selbstverständlich die Offenheit, auf vernünftige Anregungen einzugehen, miteinander zu diskutieren, um zu einem gemeinschaftlich guten Ergebnis zu kommen. Wir sind aber doch keine Verhandlungsparteien, die sich gegenüberstehen. Vielleicht versuchen Sie einmal, sich dem Gedanken zu öffnen, dass es hier darum geht, ein nationales Werk zu schaffen, von dem alle profitieren. Wir sollten uns in den Dienst der nationalen Sache stellen. Das wäre doch einmal ein Ansatz, an ein solches Thema heranzugehen.

Frau Hendricks, es ging doch nicht um die neue anthropologische Erkenntnis der Beherrschbarkeit beziehungsweise Nichtbeherrschbarkeit der Natur und der Begrenztheit auch des Menschen. Ich habe die Positionierung des damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Höffner, aus dem Jahr 1980 nachverfolgt. Er hat aus dem Spannungsfeld zwischen einerseits dem minimalen beziehungsweise klitzekleinen Risiko der Eintrittswahrscheinlichkeit und andererseits der Nichtbegrenzbarkeit der Schäden heraus für sich damals die Position bezogen: Weil die Schäden so immens und nicht begrenzbar sind und weil sie sich über Generationen fortsetzen, verlange ich absolute Sicherheit. Die gibt es - naturwissenschaftlich und anthropologisch - nicht. Darum gab es vor 30 Jahren die ethische Positionierung von Kardinal Höffner und übrigens - auch damals schon - der Deutschen Bischofskonferenz gegen die wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie. Aber Kardinal Höffner hat niemals gesagt: Das kann man gar nicht anders sehen. Vielmehr geht es darum, wie eine Gesellschaft mit Risiken umgeht, welche sie bereit ist hinzunehmen und in Bezug auf welche sie sich zutraut, zu sagen: Das können wir beherrschen. Weil wir alles tun, sind wir in der Lage, mit dieser Technologie umzugehen. - Das ist übrigens eine der Grundfragen moderner Gesellschaften beziehungsweise Risikogesellschaften. Dabei geht es um eine der ernstesten Diskussionen unserer Zeit. Darum sind Sie, glaube ich, etwas oberflächlich mit dieser Frage umgegangen, Frau Kollegin.

Ich glaube, dass die Frage der ethischen Verantwortung in der Risikogesellschaft eine der Grundfragen auch zukünftiger technologischer Entwicklung sein wird. Übrigens sind auch die erneuerbaren Energien nicht nur gut; auch sie führen zu Eingriffen und Belastungen, auch da gibt es Konflikte. Das wird eine uns immer begleitende Frage sein, nämlich die ganz konkrete Bestimmung des Verhältnisses des Menschen zur Schöpfung. Diese ganz konkrete Bestimmung haben wir hier an einer Stelle vorgenommen. Ich glaube, dass sie richtig ist und auch in der Gesellschaft mit vollzogen wird.


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Quelle:
Bulletin Nr. 59-3 vom 09.06.2011
Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit,
Dr. Norbert Röttgen, zum Atomausstieg und zur Energiewende
vor dem Deutschen Bundestag am 9. Juni 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2011