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UMWELTSIEGEL/095: Zertifiziertes Papier und Biodiversität - Aussage von Siegeln (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 74 Ausgabe 25 [1] - Sommer 2010

Zertifiziertes Papier - welche Aussage für den Schutz der Biodiversität haben verschiedene Siegel?

Von Axel Paulsch [1]


Die Vereinten Nationen haben 2010 zum Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt erklärt, um darauf aufmerksam zu machen, dass es bei ihrer Erhaltung nicht nur um einzelne bedrohte Arten geht, sondern um die Grundlage für das Wohlergehen der Menschen weltweit. Gleichzeitig muss sich die Weltgemeinschaft eingestehen, dass das beim Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg 2002 beschlossene Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2010 deutlich zu verlangsamen, nicht erreicht werden wird.

Ein Grund dafür, dass die Zahl der Tier- und Pflanzenarten täglich um geschätzte 150 Arten kleiner wird, ist die weiterhin großflächig stattfindende Vernichtung besonders artenreicher tropischer Wälder. Neben dem Bedarf für neue Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung in den tropischen Ländern selbst, ist die in den Industrieländern steigende Nachfrage nach Ressourcen, unter anderem für die Papierherstellung, ein wesentlicher Faktor für den Druck auf die noch vorhandenen Naturwälder. Wenn die Biodiversität der Wälder dauerhaft erhalten bleiben soll, muss also mit der Ressource Wald so schonend wie möglich umgegangen werden.

Ein weiterer Faktor, der die Auswirkung der Waldnutzung auf die biologische Vielfalt bestimmt, ist die Art und Weise, wie diese Nutzung vorgenommen wird. Um dem Verbraucher einen Anhaltspunkt dafür zu geben, wie ein Holz-Produkt erzeugt wurde, werden seit etwa 15 Jahren Zertifikate für verschiedene Nutzungsweisen vergeben, die als schonend und nachhaltig eingestuft werden.

Eine groß angelegte Literaturstudie der niederländischen Organisation Tropenbos International hat im Auftrag der Netherlands Environmental Assessment Agency nach Daten gesucht, die einen Anhaltspunkt dafür liefern, welche Effekte die Zertifizierung auf die Erhaltung der Biodiversität in den Wäldern hat (van KUIJK et. al 2009). Allerdings gibt es fünfzehn Jahre nach Ausgabe der ersten Zertifikate kaum Studien, die die Biodiversiät in zertifizierten Wäldern mit nicht zertifizierten Wäldern ansonsten gleicher Ausgangsbedingungen miteinander vergleichen, um so den Effekt der Zertifizierung tatsächlich benennen zu können (van KUIJK et. al 2009, p. ix).

In einigen Studien, insbesondere in Sabah/Malaysia (van KUIJK et. al 2009, p. viii), konnte zumindest der Wiederanstieg der Populationen einzelner bedrohter Arten nachgewiesen werden. Die Übersichtsstudie kommt zu dem Schluss, dass es bisher wenig quantitativen Aufschluss über die langzeitigen Auswirkungen von zertifizierten Managementmaßnahmen gibt, und dass kaum Daten vorliegen, aus denen sich der Schluss belegen ließe, dass diese zertifizierten Praktiken tatsächlich nachhaltig in Bezug auf Populationen und Lebensgemeinschaften sind. Die Studie stellt damit nicht die positiven Auswirkungen der zertifizierten Bewirtschaftungsformen an sich in Frage, sondern weist auf den vorhandenen Forschungsbedarf hin, die grundlegende Annahme mit Vergleichsuntersuchungen zu verifizieren. Die Autoren bemerken weiter, dass sich trotz der sehr unterschiedlichen Reaktion einzelner Arten auf verschiedene Managementpraktiken, aus den Studien, die sich mit einzelnen Aspekten der Biodiversität befassen, allgemein schließen lässt, dass die mit Zertifizierung einhergehenden Managementmaßnahmen insgesamt positive Auswirkungen auf die Biodiversität zu haben scheinen (van KUIJK et. al 2009, p. ix)

Die ausgewerteten Studien belegen allerdings auch, dass zertifizierte Wälder, trotz ihres besseren Abschneidens gegenüber nicht zertifizierten, den ursprünglich unberührten Naturwald nicht ersetzen können (van KUIJK et. al 2009, p. x). Aus der Erkenntnis, dass aus Biodiversitätsgesichtspunkten kein noch so gut gemanagter genutzter Wald den Naturwald vollständig ersetzen kann, ist zu folgern, dass der beste Weg zur Erhaltung der Biodiversität von Wäldern die Vermeidung der Nutzung neu eingeschlagenen Holzes ist, wo sich der Bedarf auch anders decken lässt. Das ist insbesondere in der Papierherstellung möglich, wo die Verwendung von Recyclingpapier zu einer erheblichen Minderung des Nutzungsdrucks auf Wälder beitragen kann.

Welche Aussagekraft ein bestimmtes Zertifizierungs-Label für den Umgang mit der Biodiversität von Waldökosystemen hat, hängt von verschiedenen Faktoren ab, z.B. den Prozessen, die zertifiziert werden (nur die Gewinnung des Rohstoffs oder auch die Schritte der Weiterverarbeitung), nach welchen Kriterien zertifiziert wird und wie verlässlich bzw. unabhängig die zertifizierende Stelle arbeiten kann.

Eines der weltweit am weitesten verbreiteten Labels für die Kennzeichnung von Holzprodukten ist das des Forest Stewardship Council (FSC). Mit diesem Label wird die Methode der Holzgewinnung bewertet. Aus Sicht der Erhaltung biodiversitätsreicher Wälder kritisch zu bewerten, ist die Tatsache, dass etwa 8% der FSC-zertifizierten Flächen (das entspricht 8,5 Millionen Hektar) Baumplantagen und Monokulturen sind (http://www.holzwurm-page.de/blog/fsc-arbeitsgruppe-deutschland-zum- austritt-robinwood. htm). Diese Plantagen, in denen zumeist nur eine Baumart angebaut wird, sind hinsichtlich der Artenvielfalt in keinster Weise mit natürlichen Wäldern zu vergleichen. Dies gilt nicht nur für die Zahl der Baumarten selbst (in tropischen Wäldern können dies bis zu 80 Baumarten pro Hektar sein), sondern auch für Aufsitzerpflanzen (Epiphyten), die auf den verschiedenen Bäumen leben, für Tiere (z.B. Vögel oder Insekten), die für die Nahrungssuche auf bestimmte Baumarten angewiesen sind, sowie für Bodenorganismen, die z.B. die Laubstreu zersetzen. Insbesondere, wenn für die Plantage standortfremde Baumarten eingesetzt werden (z.B. Eukalyptus-Arten oder nordamerikanische Kiefern-Arten in Südamerika), fehlen oft Bodenorganismen, die die Streu überhaupt verarbeiten können. Dicke Streuschichten, die die Entwicklung einer Unterwuchsvegetation verhindern und erhöhte Brandgefahr sind die Folge. Diese Kritikpunkte haben einige Umweltorganisationen, die zunächst die FSC-Zertifizierung unterstützt hatten, dazu bewogen, aus FSC-International auszusteigen (http://www.green- connect.de/news_2009/03_maerz_news/160309_robinw.htm).

Neben der (somit zum Teil umstrittenen) Herkunft sichert die FSC-Zertifizierung ab, dass zertifiziert gewonnenes Holz in der Weiterverarbeitung mit anderem, nicht aus zertifizierter Gewinnung stammendem Holz vermischt wird. Das Siegel trifft allerdings keine Aussage über weitere biodiversitätsrelevante Aspekte bei der Verarbeitung, wie z.B. den CO2-Ausstoß beim Transport, die Abwasserentsorgung des verarbeitenden Betriebs oder den Energieverbrauch bei der Weiterverarbeitung. Insbesondere in der Weiterbearbeitung von Holz zu Papier können die Verarbeitungsschritte je nach ihrer Ausführung aber eine erhebliche Umweltbelastung darstellen, und dies ganz besonders, wenn man sie mit der Alternative der Papierherstellung im Recyclingverfahren vergleicht.

Geht man von gleich moderner Fabrikation aus und vergleicht die Produktion von Recyclingpapier mit klassischer Papierherstellung aus frischem Holz, ist die Belastung der Abwässer mit Nährstoffen aus der klassischen Herstellung ungleich höher, ebenso wie die Gefahr der Versauerung von Vorflutern durch schwefelhaltige Abwässer (GROMKE & DETZEL 2006).

Was den Überblick für den Verbraucher weiterhin erschwert, ist die Tatsache, dass FSC für Papier verschiedene Label vergibt (http://www.fsc-deutschland.de/newsletter/73/505/):

Das Label "FSC 100% aus vorbildlicher Waldwirtschaft" sagt, wie oben beschrieben, aus, dass das Holz aus FSC-zertifizierten Gebieten kommt und nicht mit anderem Holz gemischt wurde, aber trifft keine Aussage über die anderen Aspekte der Weiterverarbeitung (s. Abb. 2A).
Die Label "FSC Mix Produktgruppe aus vorbildlich bewirtschafteten Wäldern und anderen kontrollierten Herkünften"
und "FSC Mix Produktgruppe aus vorbildlicher Waldbewirtschaftung, anderer kontrollierter Herkunft und Recyclingholz oder -fasern" gibt keinen Aufschluss darüber, welcher Prozentanteil des verwendeten Holzes tatsächlich aus vorbildlich bewirtschafteten Wälder kommt, bzw. welcher Anteil aus dem Recycling stammt. Der Verbraucher kann also nicht ersehen, ob nur ein geringer oder ein erheblicher Teil des Rohmaterials recycelt wurde und in wie weit somit die Ressource Naturwald geschont wurde.
Das vierte Label "FSC Recycling 100% unterstützt verantwortungsbewussten Umgang mit Waldressourcen" garantiert zwar, dass das verwendete Material zu 100% Altpapier oder gebrauchtes Holz ist, definiert aber ebenfalls keine Umweltanforderungen im Produktionsprozess (s. Abb. 2B).

Selbstverständlich sind diese vier in ihrer Aussage sehr unterschiedlichen Labels einander in ihrem Design sehr ähnlich, um den Wiedererkennungswert zu gewährleisten. Dies birgt umgekehrt aber die Gefahr, dass sich dem Verbraucher, der auf einem bestimmten Papierprodukt (z.B. einem Taschenbuch oder Druckerpapier) eines dieser Siegel entdeckt, die tatsächliche Aussagekraft nicht erschließt, es sei denn, er informiert sich zusätzlich über die jeweils anderen möglichen FSC-Label. Aber selbst dann bleiben die oben genannten Unsicherheiten über die Anteile der einzelnen Materialkomponenten bestehen.

Ein anderes bei Papierprodukten etabliertes Label ist der "Blaue Engel - weil aus 100% Altpapier" (www.blauer-engel.de: s. Abb. 2C). Mit diesem Siegel ist nicht nur klargestellt, dass der verwendete Rohstoff ausschließlich Altpapier ist, sondern es ist darüber hinaus sichergestellt, dass der gesamte Produktionsprozess hohen, klar definierten Umweltschutzstandards entspricht. Zusätzlich garantiert der Blaue Engel eine nach DIN-Normen festgelegte Papierqualität, während das FSC-Label keine Aussage zur Qualität des Papiers zulässt.

Aus Sicht des Verbrauchers besteht der klare Vorteil des Blauen Engel darin, dass nur ein einziges Siegel vergeben wird, dessen hohe Aussagekraft nach klaren Kriterien festgelegt ist. Ein Vergleichen unterschiedlicher Label-Kategorien entfällt daher. Aus Sicht des Schutzes der Biodiversität von Wäldern ist der wesentlichste Unterschied zwischen dem Blauen Engel und den FSC-Mix-Labeln der, dass durch die Verwendung 100% Altpapier beim Blauen Engel tatsächlich eine Entlastung der Ressource Naturwald vorgenommen wird, da kein neu geschlagenes Holz benötigt wird. Der Unterschied zum FSC-Recycling-Label besteht in der zusätzlichen Garantie umweltschonender Verarbeitungsprozesse beim Blauen Engel.

Um nicht nur im Internationalen Jahr der Biodiversität, sondern auch langfristig die biologische Vielfalt von Wäldern zu erhalten, ist in Bezug auf den Papierverbrauch die Einsparung von Papier sicher der beste Weg. Wo sich der Verbrauch nicht vermeiden lässt, ist der Einsatz von Recyclingpapier die beste Entlastung für die Wälder. Dies sollte bei der Vergabe von Siegeln so klar gekennzeichnet und definiert sein, wie beim Blauen Engel. Die FSC-Mix und FSC-Recycling-Label können eine vergleichbare Aussagekraft am ehesten dann erreichen, wenn sie die verwendeten Recyclinganteile und die Herkunft der Rohfasern klar ausweisen und die Produktionsprozesse analog der Standards des Blauen Engel mit zertifizieren.

In Bezug auf die Zertifizierung von Plantagen und Monokulturen wäre aus Sicht der Erhaltung der Biodiversität zu fordern, dass FSC entweder diese Plantagen von der Zertifizierung ausnimmt, oder zumindest auf seinen Siegeln die Verwendung dieses Plantagenholzes offen sichtbar macht, um dem Verbraucher eine bewusste Kaufentscheidung für oder gegen Produkte aus Plantagenwirtschaft zu ermöglichen.

Dies ist mit der derzeitigen Siegelkennzeichnung nicht möglich, wäre aber für die Aussage des Siegels bezüglich der tatsächlichen Schonung der Ressource Wald entscheidend.

[1] Dr. Axel Paulsch ist Vorsitzender des Instituts für Biodiversität - Netzwerk e.V. in Regensburg: www.biodiv.de


FSC-Mix und FSC-Recycling-Label
Blauer Engel
Zertifiziert die nachhaltige Erzeugung
von Holz, aber nicht die weiteren
Zertifiziert die umweltfreundliche
Herstellung des Papierprodukts
Produktionsschritte
Mix-Label spezifiziert den Anteil von
Recyclingmaterial nicht, dadurch keine
Aussage über Schonung der Ressource Naturwald
Garantiert die Verwendung von 100%
Altpapier und dadurch die Schonung
der Ressource Naturwald
Keine Aussage zur Papierqualität und
Beschaffenheit
Papierqualität und Beschaffenheit
nach DIN-Normen festgelegt
Label-Vielfalt mit unterschiedlicher
Einheitliches Label
Aussagekraft

Tabelle 1 gibt eine zusammenfassende Übersicht über die unterschiedliche Aussagekraft für Papierprodukte der FSC-Mix und FSC-Recycling-Label im Vergleich zum Siegel des Blauen Engel.


Literatur /Quellen:
GROMKE, U. & DETZEL, A. 2006: Ökologischer Vergleich von Büropapieren in Abhängigkeit vom Faserrohstoff. Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH
Van KUIJK, M., PUTZ, F. E. & ZAGT, R.J. 2009: Effects of forest certification on biodiversity. Tropenbos International, Wageningen, the Netherlands. ISBN: 978-90-5113-090-4
http://www.blauer-engel.de
http://www.holzwurm-page.de/blog/fsc-arbeitsgruppe-deutschland-zum-austritt-robinwood.htm
http://www.green-connect.de/news_2009/03_maerz_news/160309_robinw.htm
http://www.fsc-deutschland.de/newsletter/73/505



Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Naturbelassene Wälder werden immer seltener: Dies ist jedoch kein Naturgesetz. Mit ihnen geht ein hohes Maß an biologischer Vielfalt für immer verloren. [Noch] - Regenwald in West-Malaysia, Sept. 1996. Foto: Kritische Ökologie / - ag

Abb. 2: Die Zertifizierungssiegel: A. "FSC 100% aus vorbildlicher Waldwirtschaft"; B. "FSC Recycling 100% unterstützt verantwortungsbewussten Umgang mit Waldressourcen"; C: "Blauer Engel": Aus Umweltschutzgründen drucken wir nicht farbig und geben daher die speziellen Farbtöne hier nicht wider.


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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 74 Ausgabe 25 [1] Sommer 2010, S. 10-12
Herausgegeben vom Institut für angewandte Kulturforschung (ifak) e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2010