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VERPACKUNG/225: Täuschung - Wie Dosenhersteller Bierbüchsen ökologisch schön rechnen lassen (DUH)


Deutsche Umwelthilfe e.V. - 4. August 2010

Ein Lehrstück an Verbrauchertäuschung: Wie Dosenhersteller Bierbüchsen ökologisch schön rechnen lassen

Der Marktanteil der Getränkedose verweilt seit dem Dosenpfand im Promillebereich der Getränkeverpackungen - mit einer besonders dreisten Kampagne versucht die Einweg-Getränkelobby ein Comeback der Bierdose im Öko-Outfit - Industrie lässt Mehrwegsystem mit nachweislich falschen Annahmen zu Umlaufquoten und Transportentfernungen schlecht rechnen - Deutsche Umwelthilfe (DUH) und Stiftung Initiative Mehrweg (SIM) analysieren die zugrunde liegende Ökobilanz-Studie und die Tricks der Dosenlobby bei der Reinwaschung ihres Produkts


Berlin, 4. August 2010: Die laufende Werbekampagne der Einweglobby für ein angebliches Comeback der Bierdose in Deutschland führt Verbraucherinnen und Verbraucher systematisch in die Irre und interpretiert Ergebnisse einer von ihr selbst veranlassten Vergleichsstudie mit Bier-Mehrwegsystemen in tendenziöser Weise um. Nebenbei wird auch das Instrument der Ökobilanz, welches sich bei der Umweltbewertung unterschiedlicher Verpackungssysteme in der vergangenen Dekade als hilfreich erwiesen hat diskreditiert. Das ist das Kernergebnis einer heute veröffentlichten Stellungnahme der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) und der Stiftung Initiative Mehrweg (SIM). Dabei analysieren die beiden Organisationen einerseits die von den großen Dosenherstellern beim Heidelberger IFEU-Institut in Auftrag gegebene "Ökobilanzielle Untersuchung verschiedener Verpackungssysteme für Bier" (http://www.forum-getraenkedose.de/studien.html). Andererseits nehmen sie die öffentliche Kommunikation der Analyseergebnisse durch die Auftraggeber aus der Dosenlobby unter die Lupe.

"Selten wurde eine Ökobilanz so einseitig und mit derart durchgehend offensichtlicher Absicht beauftragt, die eigenen Kunden über die Nachteiligkeit von Getränkedosen als die in Wirklichkeit ökologisch nachteiligste Getränkeverpackung zu täuschen. Mit der Vorgabe der Auftraggeber an das IFEU-Institut, Mehrwegsysteme mit realitätsfernen 1,5 bzw. 10 Wiederbefüllungen bei gleichzeitig 400 km Transportentfernung zu rechnen, dachte die Dosenlobby sich eine ökobilanzielle Heiligsprechung der Blechbüchse erschleichen zu können. Besonders dreist ist der Umgang mit den Ergebnissen dieser IFEU-Industriestudie: In eigenen so genannten Informationsbroschüren wurden die Ergebnisse der Studie nochmals verfälscht. Wenn Ökobilanzen den Bezug zur Realität außer Acht lassen, werden sie für eine politische Bewertung irrelevant." erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

Um mit den ökologisch und unter dem Aspekt des Klimaschutzes vorteilhaften Mehrwegsystemen wenigstens scheinbar auf Augenhöhe zu kommen, haben die in einem eigenen Verband zusammengeschlossenen europäischen Getränke-Dosenhersteller (Beverage Can Makers Europe, BCME) ihren Auftrag an das IFEU-Institut mit Vorgaben flankiert, die alle wesentlichen "Stellschrauben" für die Ökobilanz bis zum Anschlag Richtung "Vorteil Dose" drehen:

So wurde die Zahl der Wiederbefüllungen von Mehrweg-Bierflaschen in den Abfüllanlagen der Brauereien - die so genannten Umlaufzahlen - viel zu niedrig angesetzt, um so die ökologischen Vorteile des Mehrweg-Kreislaufs zu schmälern. Neben der Umlaufzahl 25 wurden auf ausdrücklichem Wunsch der Auftraggeber auch Szenarien mit einem, fünf bzw. zehn Umläufen für Mehrwegflaschen gerechnet. Tatsächlich liegt die durchschnittliche Umlaufzahl von Bier-Mehrwegflaschen bei deutlich über 25 Umläufen. Selbst das IFEU-Institut betonte, dass insbesondere die Umlaufzahl von 1 [...] allenfalls von erkenntnistheoretischer Bedeutung sein [dürfte]".

Die durchschnittlichen Entfernungen, die Bier in Flaschen bei der regionalen oder überregionalen Verteilung zurücklegt, ehe es beim Verbraucher ankommt, wurden mit 100 km für regionale und 400 km für nationale Marken fast doppelt so hoch angenommen wie diese in Wirklichkeit sind. Im Gegenzug wurde für Einwegbier ohne Begründung eine ungewöhnlich niedrige Transportentfernung angenommen. Für Mehrwegglasflaschen wurde eine mit 88 Prozent unrealistisch niedrige Rücklaufquote angenommen, die nachweislich falsch ist. Nach regelmäßigen Erhebungen deutscher Brauereien beträgt die Rücklaufquote 98,5-99% und korrespondiert auch so mit den tatsächlichen Wiederbefüllungsquoten.

Bei der Anrechnung von Gutschriften für die Wiederverwendung von Verpackungsmaterial wurde eine Methode gewählt, die einseitig den Dosenherstellern zugute kommt und nicht die in der Wissenschaft etablierte Methode, der es darauf ankommt, möglichst viel Material im Sinne der Kreislaufwirtschaft wieder für die Fertigung von Getränkeverpackungen einzusetzen.

Weil trotz der Fülle unrealistischer Vorgaben, die Ergebnisse in den realitätsnäheren Szenarien weiter ökologische Vorteile für die Mehrwegsysteme ergaben, bürsteten die Dosenhersteller die Ergebnisse nachträglich in Imagebroschüren ("Die Getränkedose ist grün") und Pressemitteilungen ("Mit gutem Gewissen zugreifen: Die Getränkedose schont Klima und Umwelt") noch einmal zurecht. Unerwünschte Teilergebnisse der eigenen IFEU-Industriestudie werden einfach ausgeblendet (zum Beispiel die Ergebnisse für vergleichsweise hohe Umlaufzahlen für Bier-Mehrweg¬systeme in den veröffentlichten Grafiken) oder solange uminterpretiert bis die Getränkedose plötzlich "auf Augenhöhe mit Mehrweg" gelangte.

"Jeder Auftraggeber einer Ökobilanz hofft natürlich, dass die von ihm beauftragten Untersuchungen im Ergebnis wunschgemäß ausfallen. Und mancher sorgt auch dafür, dass die Eingangsdaten und Vorgaben an die Gutachter in die erwünschte Richtung wirken. Aber was wir hier erleben, kommt einer intellektuellen Zumutung für alle Menschen gleich, die sich professionell mit Ökobilanzen befassen", erklärte der SIM-Vorsitzende Clemens Stroetmann. Dies beweise auch die Reaktion des mit der Untersuchung beauftragten IFEU-Instituts, das die Untersuchung "nur unter vernehmbarem Zähneknirschen" mit den vom Auftraggeber erwünschten Annahmen durchgeführt habe, sagte der frühere Staatssekretär im Bundesumweltministerium.

Stroetmann bezog sich auf Hinweise des IFEU auf Vorgaben seiner Auftraggeber in der Studie selbst und in einer 35-seitigen "Handreichung", in der die offenbar um ihr Renommee besorgten Heidelberger Wissenschaftler offensichtlichen Fehlinterpretationen ihrer Untersuchung auch aus Kreisen der Dosenlobby entgegentreten (www.ifeu.de).

DUH und SIM bewerten die Untersuchung und mehr noch ihre Interpretation durch die Dosenlobby als "in hohem Maße irreführend, unseriös und unglaubwürdig". Wer mit seinen Trinkgewohnheiten auch einen Beitrag zum Klima- und der Umweltschutz leisten wolle, müsse und dürfe gerade beim Bier weiter auf die traditionelle Mehrwegbierflasche zurückgreifen. Alles andere sei "Bierbüchsen-Voodoo", mit dem von interessierter Seite zum wiederholten Mal versucht werde, das deutsche Mehrwegsystem zu überwinden.

Discounter und Dosenlobbyisten erhoffen sich durch die vermeintliche "ökologische Heiligsprechung" und gleichzeitige Wiedereinlistung der Getränkedose hohe Gewinne. Vor der Einführung des Pflichtpfandes war Deutschland einer der wichtigsten Märkte Europas. Acht Milliarden Dosen wurden hier jährlich verkauft. Heute sind es gerade noch 700 Millionen. Die Discounter versuchen durch die Wiedereinführung der Getränkedose verlorene Marktanteile vom Getränkefachhandel zurückzugewinnen. Zusätzlich berichten Brancheninsider über massive Subventionen mit welchen dem Handel die Einlistung der Dosen ins Sortiment schmackhaft gemacht werden soll. Ein klares Dementi der Dosenlobby blieb bislang aus.

Die gemeinsame Stellungnahme der DUH und SIM zur BCME Ökobilanz "Ökobilanzielle Untersuchung verschiedener Verpackungssysteme für Bier" steht am Ende des Dokuments zum Download bereit.


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Quelle:
DUH-Pressemitteilung, 04.08.2010
Deutsche Umwelthilfe e.V.
Fritz-Reichle-Ring 4, 78315 Radolfzell
Tel.: 0 77 32/99 95-0, Fax: 0 77 32/99 95-77
E-Mail: info@duh.de
Internet: www.duh.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2010