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VERBRAUCHER/130: Gift im Kinderzimmer? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2019

Die Geister, die wir riefen
Chemikalien belasten zunehmend Mensch und Umwelt - Zeit zu handeln!

Gift im Kinderzimmer?
HerstellerInnen und EinzelhändlerInnen schützen die VerbraucherInnen nicht vor giftigen Chemikalien in Alltagsprodukten. Kinder sind am meisten gefährdet.

von Olga Speranskaya


Kinder sind ganz verrückt nach quietschbuntem Plastikspielzeug, Springseilen und Bällen. Wir können uns das Leben unserer Kinder ohne eine Badeente, eine Plastikpuppe oder einen Metallbaukasten kaum vorstellen. Diese Spielsachen können unsere Kinder stundenlang beschäftigen, ihnen beim Lernen helfen oder sie einfach glücklich machen. Aber zu welchem Preis? Kinderprodukte können gefährlich sein und mehr schaden als nutzen. Toxische Flammschutzmittel, Schwermetalle, Weichmacher, Bisphenol A und zahlreiche andere gefährliche Chemikalien sind immer wieder in Konsumgütern zu finden, darunter Kinderspielzeug, das in verschiedenen Ländern und Regionen auf dem Markt ist.


Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen bestätigt, dass Kinder gefährlichen Chemikalien besonders schutzlos gegenüberstehen. Die Belastung durch giftige Chemikalien in der Frühphase des Lebens kann den Organismus von Kindern negativ beeinflussen und ihre Gesundheit durch lebensbedrohliche Krankheiten und Funktionsstörungen beeinträchtigen.

Sowohl in Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern sind Kinder gefährlichen Chemikalien ausgesetzt. Laut eines Berichts der Europäischen Kommission über das Schnellwarnsystem der Europäischen Union (EU) für gefährliche Produkte (Safety Gate) machten mit Chemikalien verbundene Risiken 25 Prozent aller Meldungen im Jahr 2018 aus. Spielzeug gehörte zu den fünf am häufigsten gemeldeten Produkten, während Chemikalien zu den fünf am häufigsten gemeldeten Risiken gehörten. Im Jahr 2018 wiesen mehrere neue Warnmeldungen auf zusammendrückbares Spielzeug als Quelle toxischer Chemikalien hin.

Im Jahr 2018 untersuchten fünf Länder aus verschiedenen Regionen, namentlich Serbien, Weißrussland, Armenien, Nepal und die Philippinen, Spielzeuge auf das Vorhandensein verbotener oder nur beschränkt zugelassener Weichmacher, sogenannter Phthalate. Mehr als 50 Prozent der in Serbien, Weißrussland und Armenien getesteten Proben enthielten erhöhte Phthalatwerte, die gegen die EU-Vorschriften und die nationale Gesetzgebung in diesen Ländern verstoßen. Alle Spielzeugproben, die in Nepal untersucht wurden, enthielten mehrere Phthalate, die in vielen Ländern - einschließlich der USA und der EU - verboten sind. Ihre Konzentration lag dabei über dem durch den US Consumer Product Safety Improvement Act (CPSIA) festgelegten Grenzwert von 0,1 Prozent. Die gesetzlichen Grenzwerte für drei Phthalate wurden auch von 40 Prozent der philippinischen Proben überschritten.

Giftige Zusatzstoffe
Spielzeug mit hohen Phthalatwerten ist ein ernsthaftes Problem. Phthalate sind - wie eine ganze Reihe von Chemikalien - bekannte endokrine Disruptoren und können durch Hitze, intensiven Kontakt und längere Lagerung aus einem Produkt freigesetzt werden. Endokrine Disruptoren führen zu Entwicklungsstörungen und haben negative neurologische und immunologische Auswirkungen auf Mensch und Tier. Phthalate können Unfruchtbarkeit verursachen und werden mit Adipositas (Fettleibigkeit) im Kindesalter, Asthma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Krebs in Verbindung gebracht.(1)

ForscherInnen glauben, dass diese Chemikalien für Kinder im Wachstum besonders schädlich sind. Phthalate werden verwendet, um die Stabilität von Kunststoffen zu erhalten und gleichzeitig deren Flexibilität zu erhöhen. Beim Spielen, insbesondere durch Kauen und Saugen, lösen sie sich aus den fertigen Produkten.(2) Phthalate kommen in Beißringen, Schnullern und zusammendrückbarem Kunststoffspielzeug vor. Sie werden auch häufig in flexiblen Polyvinylchlorid-Kunststoffen (PVC) und in Haushaltsprodukten wie Vinylböden, Klebstoffen, Waschmitteln, Schmierölen, Automobilteilen, Kunststoffbekleidung wie Regenmänteln und Körperpflegeprodukten wie Seife, Shampoo, Haarspray und Nagellack verwendet.(3)

Kinderprodukte aus recyceltem Kunststoff können toxische Flammschutzmittel enthalten. Diese gehören aufgrund ihrer Beständigkeit in der Umwelt zu den 28 gefährlichsten Chemikalien der Welt. Sie fanden sich in den Gehäusen und Kabelummantelungen alter Elektronikgeräte und tauchten in Polystyrolschaumstoffen und Kunststoffen für Elektronik und Autos auf. Diese Chemikalien sind nicht für die Verwendung in Spielzeug bestimmt, aber eine aktuelle Studie des International POPs Elimination Network (IPEN) hat in 86 Prozent der getesteten Produkte toxische Flammschutzmittel identifiziert.(4) Die höchsten Konzentrationen wurden in Kinderspielzeug gefunden, gefolgt von Haarschmuck und Küchenutensilien.

Auf keinem dieser Produkte wurde das Vorhandensein toxischer Chemikalien deklariert. Obwohl die von ihnen ausgehenden Gesundheitsrisiken bekannt sind, wissen VerbraucherInnen nicht, dass sie kontaminierte Produkte für ihre Kinder kaufen. Tatsächlich wies keine der getesteten Spielzeugproben, die giftige Chemikalien enthielten, auf dem Etikett auf diese hin. Es fanden sich keine Warnhinweise oder Warnsymbole zur Information oder Vorwarnung von KäuferInnen und NutzerInnen.

Ein globaler Ansatz für Chemikalien in Produkten
Wissen und Informationen über Chemikalien in Produkten sind von grundlegender Bedeutung für die Risikominderung und das Chemikalienmanagement während des gesamten Produktlebenszyklus. Dies wurde von Regierungen und anderen Interessengruppen im Jahr 2015 mit der Verabschiedung des Chemicals in Products-Programms (CiP) durch die Internationale Konferenz zum Chemikalienmanagement als Teil des Prozesses des Strategischen Konzepts für ein internationales Chemikalienmanagement (SAICM) anerkannt. Dem Programm zufolge sollten die Informationen während des gesamten Produktlebenszyklus transparent, verfügbar, zugänglich, benutzerfreundlich, angemessen und den Bedürfnissen aller Beteiligten innerhalb und außerhalb der Lieferkette entsprechend sein.

Das CiP-Programm empfiehlt, zumindest regulierte Chemikalien in den betreffenden Produkten zu identifizieren. In der Praxis wurde jedoch keine der giftigen, in getestetem Spielzeug enthaltenen Chemikalien auf Produktetiketten oder Verpackungen angegeben, obwohl es entsprechende nationale Regelungen gibt. Dadurch werden VerbraucherInnen über die potenziellen Gefahren der von ihnen gekauften Produkte im Unklaren gelassen.

Chemikalien in Produkten sind ein wichtiges Querschnittsthema, an dem ein breites Spektrum von Interessengruppen innerhalb und außerhalb der Wertschöpfungskette beteiligt ist. Zu besonders durch Chemikalien gefährdeten Bevölkerungsgruppen gehören Kinder und Schwangere sowie ArbeitnehmerInnen, die toxischen Chemikalien ausgesetzt sind und daher eine inakzeptable Last von Krankheiten und Leiden tragen. Das Bewusstsein der BürgerInnen und VerbraucherInnen für Chemikalien in Produkten kann ein starker Treiber für die Schaffung von Märkten für sauberere Produkte sein. Dies würde effektiv zu saubereren Prozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette führen.

Graue oder informelle Märkte sowie Online-Shops, die weltweit eine große Präsenz haben, sind eine ernstzunehmende Quelle der Belastung durch giftige Chemikalien. Produkte, die auf solchen Märkten verkauft werden, werden durch das CiP-Programm nicht angemessen erfasst, was eine große Gefahrenquelle für die VerbraucherInnen darstellt.

Keine Daten - kein Markt!
Die Informationen über Chemikalien in Produkten sollten ausreichen, um die Risiken, die für die menschliche Gesundheit und die Umwelt während des gesamten Lebenszyklus von Produkten auftreten können, vollständig zu verstehen und fundierte Entscheidungen zu treffen. Die derzeitigen Bemühungen und Mittel zur Bereitstellung von Informationen über bedenkliche Chemikalien in Produkten sind jedoch unzureichend. "Keine Daten - kein Markt" sollte das Ziel für die gesamte Lieferkette sein, einschließlich der Informationen für die VerbraucherInnen.

Da Chemikalien in Produkten ein Querschnittsthema für viele Aspekte der Arbeit mit Chemikalien und Abfällen sind, ist eine gemeinsame Liste von bedenklichen Chemikalien, die in Erzeugnissen verschiedener Sektoren auftreten, erforderlich. Ihre Gesundheits- und Umweltauswirkungen sollten benannt und alle gesundheitsgefährdenden Stoffe verbindlich aufgeführt werden. Ein besonderer Fokus sollte dabei auf Produkten für Kinder liegen.

Es sollte ein globales Informationssystem oder ein Rahmenwerk von Systemen entwickelt werden, um die dringend notwendige bessere Verfügbarkeit und den Zugang zu Informationen über Chemikalien in Produkten zu gewährleisten. Ziel muss es sein, die Bereitstellung, Verfügbarkeit und den Zugang zu Informationen über Chemikalien in Produkten unter Beteiligung aller Interessengruppen zu erleichtern. Dieses Rahmenwerk sollte eine Bestimmung enthalten, die sicherstellt, dass Informationen über gesundheitliche Auswirkungen niemals vertraulich sein können. Die Schaffung eines harmonisierten Rahmenwerks sollte nicht zu einer Herabstufung bestehender Gesundheits- oder Umweltnormen führen und die Entwicklung nationaler Rechtsvorschriften in Ländern fördern, die über keine oder nur unzureichende Bestimmungen verfügen.

Eine breit angelegte internationale Kampagne ist erforderlich, um das Verständnis der VerbraucherInnen in diesem Bereich zu verbessern, die Nachfrage nach sauberen Produkten zu erhöhen und die VerbraucherInnen zu einer treibenden Kraft des gesamten CiP-Prozesses zu machen.

Autorin Olga Speranskaya ist die stellvertretende Vorsitzende von HEJSupport. Sie ist außerdem die von IPEN ernannte NGO-Vertreterin in der SAICM Chemicals in Products Steering Group.

Aus dem Englischen von Lina Gerstmeyer.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.


Anmerkungen

1) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/m/pubmed/27692877/.

2) https://www.parentmap.com/article/toxic-toys.

3) https://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=102556613.

4) IPEN bringt führende öffentliche Interessengruppen zusammen, die sich mit Umwelt- und Gesundheitsfragen in über 100 Ländern befassen, um international Maßnahmen zu ergreifen, welche die Verwendung gesundheitsgefährdender und toxischer Chemikalien minimieren und, wenn möglich, beseitigen. www.ipen.org.

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Quelle:
Rundbrief 4/2019, Seite 12 - 13
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2020

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