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AGRARINDUSTRIE/043: Fatale Allianzen für Ernährungssicherheit (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2022
Vergiftete Profite: (K)ein Ende der Pestizidnutzung in Sicht?

Fatale Allianzen für Ernährungssicherheit
Die Agrarindustrie und das Märchen ihrer nachhaltigen Landwirtschaft

von Silke Bollmohr und Ramona Bruck


Trotz verheerender Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft auf Umwelt, Mensch und Klima setzen Regierungen in Nord und Süd immer noch auf ein überholtes Agrar- und Ernährungsmodell, um die Welternährung zu sichern. Dieses ist weder ökologisch nachhaltig noch sozial gerecht. Aber auch Entwicklungsprogramme im Globalen Süden bevorzugen bis heute noch den Einsatz von chemischen Düngemitteln, Hybridsaatgut und Pestiziden, um die kleinbäuerliche Produktion zu erhöhen - und treiben Bäuerinnen und Bauern in fatale Abhängigkeiten.

Die aktuell steigenden Preise für fossile Brennstoffe führen fast zeitgleich zu erhöhten Preisen für Düngemittel, Diesel oder Pestizide. Landwirt:innen können sich diese verteuerten Betriebsmittel entweder nicht mehr leisten oder die Verfügbarkeit ist gänzlich eingeschränkt - viele ohnehin schon verschuldete afrikanische Länder können sie nicht mehr subventionieren. Gleichzeitig kristallisieren sich die Konzerne, allen voran Düngemittelkonzerne, als große Krisengewinner heraus.[1] Der norwegische Düngemittelkonzern YARA konnte seine Gewinne bereits im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum etwa verdoppeln, da höhere Düngemittelpreise die gestiegenen Energiekosten und geringere Lieferungen mehr als ausgeglichen haben.

Afrika: letzte Chance für Pestizidhersteller

Gerade der afrikanische Kontinent ist für den Pestizidhandel ein vielversprechender, wachsender Markt. Zwar werden aktuell nur ca. 3% der weltweiten Menge in Afrika ausgebracht, dennoch wächst der Pestizidmarkt kontinuierlich und stellt gerade in Verbindung mit der Welternährungskrise und dem Narrativ der Produktivitätssteigerung hohe Wachstumsraten in Aussicht. Um dieses Marktpotenzial auszuschöpfen, machen sich die Unternehmen auch das Fehlen ausreichender landwirtschaftlicher Beratung im ländlichen Raum zunutze. Landwirtschaftsministerien sind oft unterfinanziert und können nicht ausreichend qualifizierte unabhängige Fachleute zur Verfügung stellen, die kleinbäuerliche Erzeuger:innen in der nachhaltigen landwirtschaftlichen Praxis, insb. Schädlingsbekämpfung, beraten würden. Die Beratung wird dann oft von den Pestizidverkäufern oder -herstellern direkt übernommen.[2] Nachhaltige Konzepte des integrierten Pflanzenschutzes fehlen hier häufig und die Schulungen beziehen sich primär auf die Anwendung von Pestiziden.

Doch nicht nur nachhaltige Konzepte fehlen, viel zu oft werden hochgefährliche Pestizide verkauft und eingesetzt. Viele dieser Wirkstoffe sind in der EU aufgrund ihrer unakzeptablen Risiken für Umwelt und Gesundheit nicht mehr zugelassen. Eine Studie der Route to FoodInitiative zeigt, dass 76% der im Jahr 2020 in Kenia verkauften Pestizidmengen, Wirkstoffe enthalten, die vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) als hochgefährlich eingestuft werden.[3] Pestizidhersteller argumentieren, dass diese Wirkstoffe in vielen Ländern des Globalen Südens essenziell für die Nahrungssicherheit seien, da sie Schaderreger effektiv kontrollieren und somit Ernteverluste verhindern würden. Diese Argumentation verunsichert viele Bäuerinnen und Bauern und verringert die Bereitschaft, nachhaltige Alternativen einzusetzen, die teilweise schon vorhanden sind. Dabei ist die Anwendung dieser hochgefährlichen Pestizide gerade in Ländern des Globalen Südens sehr bedenklich, da hier weder ausreichende Aufklärung zum sicheren Gebrauch noch Schutzkleidung praktikabel sind oder überhaupt zur Verfügung stehen. Zivilgesellschaftliche Organisationen setzen sich seit Jahren dafür ein, dass Pestizide, die aufgrund ihrer gesundheitlichen oder ökologischen Wirkung nicht in der EU zugelassen sind, auch nicht in Länder außerhalb der EU exportiert werden dürfen. Dies wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Fragwürdige Allianzen ...

Bedenklich sind auch verschiedene Allianzen zur Ernährungssicherheit, in denen Pestizidkonzerne eine wichtige Rolle spielen: Die Welternährungsorganisation (FAO) hat sich als Ziel gesetzt, die Produktion und die Verteilung landwirtschaftlicher Produkte und Nahrungsmittel weltweit zu verbessern - ohne die globalen Nachhaltigkeitsziele zu gefährden. Im Zuge dessen setzt sie sich dafür ein, dass hochgefährliche Pestizide weltweit nicht mehr verwendet werden sollen. Doch gleichzeitig hat sie eine strategische Allianz mit Croplife International angekündigt, dem Interessensverband der Big 5 der Agrochemie (Bayer, BASF, Corteva Agrisciences, FMC und Syngenta). Gemeinsam beherrschen sie 70% des Weltmarkts und erzielen rund einen Drittel ihrer Umsätze mit hochgefährlichen Pestiziden.[4] Wie die Interessenskonflikte vereinbar sind, ist fragwürdig. Die Konzerne versprechen sich durch diese Art von Allianz einen Imagegewinn als Partner einer Organisation, die Hunger bekämpft. Zudem bekommen sie Zugang zu FAO-Entscheidungsträger:innen und arbeiten an Empfehlungen der FAO mit. Die wiederum fließen in die Gesetzgebung von Staaten ein.

Diese Partnerschaften fördern eine weitere Abhängigkeit der Kleinbauern und -bäuerinnen von externen Betriebsmitteln und eine Industrialisierung der globalen Nahrungsmittelproduktion, die sozial ungerecht und ökologisch nicht mehr tragbar ist.

Eine weitere umstrittene Allianz ist AGRA, die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika die sich mittlerweile Sustainably Growing Africa's Food Systems nennt. AGRA ist im Jahr 2006 mit dem Versprechen gestartet, die landwirtschaftlichen Erträge und die Einkommen von 30 Millionen kleinbäuerlichen Haushalten zu verdoppeln und damit sowohl Hunger als auch Armut in 13 afrikanischen Ländern bis 2020 zu halbieren. Dabei verfolgt auch AGRA das einfache Narrativ: Mit der Intensivierung der Landwirtschaft, dem Einsatz von Hybridsaatgut, künstlichen Düngemitteln und Pestiziden wird die Produktion gesteigert. Es ist ein ausgezeichnetes Geschäft für multinationale Konzerne: Sie liefern Betriebsmittel wie Düngemittel oder Pestizide an Netzwerke von Agrarchemiehändlern und diese vertreiben die Produkte in den 13 Mitgliedsländern. Rund 44.000 dieser Netzwerke hat AGRA nach eigenen Angaben bislang aufgebaut. Wenig überraschend ist, wer hinter AGRA steht: Neben finanzkräftigen Financiers wie der Rockefeller-Stiftung und der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die sich seit jeher für die Verbreitung des industriellen Agrarmodells stark macht, sind es Agrarunternehmen wie YARA. Aber auch Regierungen wie die von Norwegen, Kanada, den USA und Deutschland unterstützen als Geldgeber gemeinsam mit afrikanischen Regierungen die Umsetzung von AGRA.

... und gescheiterte Projekte mit verheerenden Folgen

Bislang ist eine Milliarde Dollar in die Allianz geflossen, aber statt den Hunger zu reduzieren, stieg er in den AGRA-Schwerpunktländern sogar um 30 Prozent. Auch die Erträge wurden nicht nennenswert gesteigert.[5] Produktionssteigerungen sind meist kurzfristig und beruhen häufig auf der Ausweitung von landwirtschaftlich genutzten Flächen bei gleichzeitiger Abholzung von Wäldern oder Trockenlegung von Mooren. Das Agrarmodell hat verheerende Resultate für kleinbäuerliche Erzeuger:innen, da in den meisten AGRA-Projekten vor allem teure Betriebsmittel wie Hybridsaatgut und synthetische Düngemittel der Großkonzerne verkauft werden. Das ist extrem kostspielig und zwingt die Landwirt:innen Schulden zu machen, die oft nicht zurückgezahlt werden können. Zudem liegt der AGRA-Fokus auf wenigen Nahrungspflanzen wie Mais oder Soja, weshalb traditionelle nährstoffreiche Nahrungsmittel vernachlässigt und sogar verdrängt werden. Insgesamt nimmt durch AGRA die Vielfalt auf dem Acker und damit auch die Saatgutvielfalt ab. Das macht die Landwirtschaft noch verwundbarer für die Folgen der Klimakrise.

Regionale Allianzen für Widerstandsfähigkeit

Diese Partnerschaften fördern eine weitere Abhängigkeit der Kleinbauern und -bäuerinnen von externen Betriebsmitteln und eine Industrialisierung der globalen Nahrungsmittelproduktion, die sozial ungerecht und ökologisch nicht mehr tragbar ist. Für eine Transformation zu agrarökologischen, resilienten Ernährungssystemen, braucht es Allianzen, die frei von Marktinteressen globaler Konzerne sind und sich für sichere gesunde Ernährung und nachhaltige Anbausysteme zum Wohl aller Menschen einsetzen. Zahllose Beispiele zeigen, dass afrikanische Kleinbauern und -bäuerinnen mit Mischkultur und agrarökologischer Landwirtschaft auch kommerziell erfolgreich sein können. Dazu benötigen diese Bauern und Bäuerinnen Kapital, Zugang zu Märkten und vor allem Wissen und Austausch.

Auch die deutsche Entwicklungspolitik sollte diese positiven Beispiele sammeln und auf Allianzen setzen, die insgesamt auf agrarökologische Ansätze Wert legen, um Abhängigkeiten zu verringern, Diversität zu fördern und sozial ökologisch gerecht zu produzieren. Nur so kann Ernährungssouveränität und die Resilienz der Länder während bestehender und weiterer Krisen gestärkt werden.

Silke Bollmohr ist Referentin für Welternährung bei INKOTA.

Ramona Bruck ist Redakteurin mit Schwerpunkt Online-Kommunikation bei INKOTA.


Anmerkungen:

[1] INKOTA, 2022. Kunstdünger: Allheilmittel oder Droge der Landwirtschaft.
[2] Heinrich Böll Stiftung, Abuja, Nigeria, 2021. Time for a Detox in Agriculture.
[3] Heinrich Böll Stiftung, Nairobi, Kenia, 2022. Pesticide Atlas.
[4] Public Eye.
[5] INKOTA, 2021. Die Allianz für eine Grüne Revolution (AGRA) ist gescheitert.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2022, Seite 16-18
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 12. Mai 2023

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