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ASIEN/089: Trotz guter Ansätze bleibt Chinas Umweltpolitik defizitär (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 144/Juni 2014
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Zwischen Tofu und Stahl
Trotz guter Ansätze bleibt Chinas Umweltpolitik defizitär

Von Udo E. Simonis



China steht weiterhin vor enormen Umweltproblemen, mit Smog über weiten Teilen des Landes, mit weitreichender Bodenvergiftung und Wasserverseuchung. Dabei hatte schon 2006 eine Task Force durchgreifende Reformen der praktischen chinesischen Umweltpolitik angemahnt. Es scheint, als ob diese strategischen Überlegungen und konkreten Ratschläge weiterhin relevant sein könnten für die Bewältigung der gravierenden aktuellen Umweltprobleme des Landes.


Angesichts der seit Jahren anhaltenden alarmierenden Nachrichten zur Umweltsituation in China stellt sich die Frage, was Forschung und Politikberatung dort ausrichten können. Denn Expertise, auch internationale, ist der chinesischen Regierung durchaus willkommen. Seit mehr als 20 Jahren begutachtet zum Beispiel der China Council for International Cooperation on Environment and Development (CCICED) den Zusammenhang von Umwelt und Entwicklung in China. Das Sekretariat dieses Rates residiert an der kanadischen Simon Fraser Universität; die Internationale Entwicklungsagentur Kanadas (CIDA) finanziert die Aktivitäten des Rates; die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist mit sporadischen Unterstützungen daran beteiligt. Der Report einer Task-Force, an welcher der Autor beteiligt war, ermöglicht Einblicke in den Prozess der Analyse und der Beratung.

Anfang 2004 berief der CCICED (aus eigenen Mitteln, aber unterstützt von der GIZ) eine "Task Force on Environmental Governance for China" aus je sechs internationalen und chinesischen Experten, die neue effektivere Umweltschutzstrategien für China entwickeln sollte. Die vergleichende Analyse der Strukturen, Prozesse und Ergebnisse der praktizierten Umweltpolitik in China, den USA, in Japan und der Europäischen Union sollte die Basis liefern für konkrete Politikempfehlungen, die der chinesischen Regierung und der chinesischen Öffentlichkeit Ende 2006 vorgelegt werden sollten.

China stand schon damals wegen seiner enormen wirtschaftlichen Expansionsdynamik vor großen ökologischen Herausforderungen. Die zunehmende Belastung und Zerstörung der Umwelt bedrohten nicht nur Leben und Gesundheit der größten Nation der Welt, sondern auch deren wirtschaftliches Potenzial (eine internationale Studie von Vaclac Smil hatte dies allerdings schon 1993 auf den Punkt gebracht). In Reaktion auf diese Trends hatte die chinesische Regierung dem Umweltschutz in ihrer nationalen Entwicklungsstrategie bereits einen größeren Stellenwert eingeräumt. Premierminister Wen Jiabao formulierte dies auf der 6. Nationalen Umweltkonferenz im April 2006 so: "Wir müssen uns des Ernstes und der Komplexität der Umweltsituation in unserem Land bewusst werden und uns die Bedeutung und Dringlichkeit verstärkter Bemühungen um Umweltschutz vor Augen halten. (...) Bei unseren nationalen Modernisierungsbemühungen müssen wir dem Umweltschutz eine höhere Priorität einräumen" (eigene Übersetzung). Drei Transitionen sollten zu Leitideen des Reformprozesses werden: der Schwenk (1) vom Fokus auf Wachstum zum Fokus auf Umwelt und Entwicklung; (2) vom Umweltschutz als einem nachgeordneten Ziel zu einem mandatorischen Ziel; (3) vom primär administrativen Umweltmanagement zu einem System flexibler Instrumente und Maßnahmen.

Mehrere Schritte in dieser Richtung waren auch bereits gemacht worden: Die Erfolgskriterien der politischen Kader waren um umweltpolitische Kategorien erweitert, ein "Grünes Bruttosozialprodukt" war definiert, "Ökologische Modellstädte" waren konzipiert worden. Die Task-Force kam jedoch zu der Überzeugung, dass in China ein weit umfassenderer Politikwechsel erforderlich sei: Alle wichtigen Elemente der Umweltpolitik bedürften der Reform. Im Besonderen gehe es dabei um vier Handlungsfelder: (1) um die Stärkung der Kapazitäten zur Umsetzung und Verschärfung der Umweltgesetze; (2) die Steigerung des Engagements der Wirtschaft im Umweltschutz durch geeignete Sanktions- und Anreizmechanismen und die allgemeine Etablierung des Konzepts der "besten Praxis"; (3) die vermehrte Partizipation der Zivilgesellschaft durch bessere Informationen über Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch und durch erweiterte Beteiligungsrechte; und (4) die erhöhte Politik-Kohärenz bei nationalen wie internationalen Umweltfragen. Damit war zugleich ein zu aktivierendes "magisches Dreieck" der umweltpolitischen Akteursgruppen umschrieben, das Regierung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und deren Interaktionen umfasst.

Zu jedem dieser vier Handlungsfelder formulierte die Task-Force spezifische Aktionsaufgaben (action items), insgesamt 26 an der Zahl. Die erste war die knappste - und bestand aus nur einem Satz: "Aus der bisherigen nationalen Umweltbehörde (SEPA) muss ein funktionsfähiges, kompetentes Ministerium werden!" Es gehe nicht an, dass ein so großes und dynamisches Land wie China auf ein starkes Umweltministerium mit vollem Kabinettsrang verzichte, selbst wenn andere Länder das bis in die jüngste Zeit auch so gehalten hätten - wie zum Beispiel die USA. Binnen weniger Wochen wurde dieser zentrale Ratschlag in Richtung eines Ministeriums mit Sondervollmachten (Super-Ministerium) umgesetzt.

Der Politik-Integration galten weitere wichtige Handlungsempfehlungen: horizontal durch Bildung eines "Grünen Kabinetts", vertikal durch die Autoritätsklärung im politischen Mehrebenensystem Chinas. Die Eigenart dieses Systems stellt ein zentrales umweltpolitisches Problem dar - nicht nur begründet in der schieren Größe des Landes, sondern vor allem in der lokalen und regionalen Interessenstruktur und der unklaren föderalen Kompetenzen im Lande.

Auch der besseren wissenschaftlichen Fundierung der staatlichen Umweltpolitik galt das Augenmerk der Task-Force. Hierbei diente das deutsche Beratungssystem als Vorbild - mit dem nationalen Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), dem Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU) und dem Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE).

Doch nicht nur die Exekutiv-Abteilung des Regierungshandelns in Umweltfragen war in China zu schwach aufgestellt, sondern auch die legislative und juridische, die Abteilungen für Gesetzgebung und Rechtsprechung. Folglich wurden auch hierzu detaillierte Reformvorschläge unterbreitet.

Während dieser erste Teil des Reports den allgemeinen politischen Erwartungen entsprechen mochte, betraten die Gutachter im zweiten und dritten Teil des Reports für China weitgehend Neuland: Die Task-Force entdeckte zahlreiche schlummernde Reserven für einen aktiveren Umweltschutz in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Diese Reserven sollten mobilisiert werden, nicht nur durch Sanktionen sondern auch durch geeignete Anreizmechanismen und Motivierungsstrategien. Stichworte hierzu: Aufbau unternehmensbezogener Umweltberichterstattung; internetbasierte, öffentlich zugängliche Informationssysteme; Notfallplanungen und Superfonds für den Umgang mit gefährlichen Stoffen und Chemikalien; in China müsse Corporate Environmental Responsibility (CER) neben das bereits diskutierte Thema Corporate Social Responsibility (CSR) treten.

Viele juristische, politische und finanzielle Hürden stehen der ökologischen Aktivierung der Bürger und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in China entgegen. Dies zu ändern, wäre nicht nur nötig für den Schutz der natürlichen Umwelt, sondern könnte auch gut sein für die Regierung. Die Task-Force plädierte daher für eine Reform, die den legalen Status der Bürger in Umweltfragen verbessert, ihnen Klagerechte einräumt und Informationsrechte garantiert. Die frühzeitige Einbeziehung von Umweltvereinigungen und -verbänden in die Politikvorbereitung wurde empfohlen, wie aber auch die steuerliche Begünstigung von deren Aktivitäten.

Die Task-Force konzentrierte sich auf die nationalen Elemente der chinesischen Umweltpolitik, hat aber die internationalen Zusammenhänge keineswegs vernachlässigt. China ist inzwischen Mitglied fast aller internationalen Umweltverträge (UN-Konventionen und Multilateral Environmental Agreements - MEAs). Der Aufstieg in der Weltwirtschaft macht das Land - gewollt oder ungewollt - zu einem Hauptakteur auch der internationalen Umweltpolitik, der Klima-, der Wasser-, der Chemie- und der Biodiversitätspolitik. Eine proaktive Rolle in diesen Politikfeldern sollte im chinesischen Interesse wie in dem der internationalen Staatengemeinschaft liegen. Dass es hierzu aber auch kompetenter Umweltdiplomaten bedürfe, war eine der Handlungsempfehlungen der Task-Force.

Die Ergebnisse der "Task Force on Environmental Governance for China" bestanden aus insgesamt sechs Produkten: dem vollen Report in Chinesisch und Englisch, einem Executive Summary in beiden Sprachen, zehn Occasional Papers, zwölf Case Studies, einer exklusiven Publikation dieser Papiere in einer führenden chinesischen Fachzeitschrift und einer umfassenden CD-ROM.

Premierminister Wen Jiabao sagte, als ihm die Arbeit der Task-Force vorgestellt wurde, nun stehe wohl der Übergang von "Tofu auf Stahl in der chinesischen Umweltpolitik" an, also von einer weichen zu einer harten, von einer laschen zu einer strikten Politik für die Umwelt. Aus heutiger Sicht können wir feststellen: Dieser Übergang hat noch nicht stattgefunden.

Dass in China nur die Stahl-Version, eine harte, strikte Umweltpolitik verfolgt werden sollte, lässt sich am einfachsten mit Paul Ehrlichs Umweltformel I=PxAxT begründen: Die Umweltprobleme (impacts: I) sind eine Funktion der Bevölkerungszahl (population: P), des Produktions- und Wohlstandsniveaus (affluence: A), und der etablierten (schmutzigen) Technologie (technology: T).

I - die Umweltprobleme: Die Luftverschmutzung hat in China enorme Ausmaße erreicht, die Böden sind mit persistenten Schadstoffen kontaminiert, Fließgewässer und Grundwasser sind weiträumig verschmutzt - die ökologischen Zustände sind teils katastrophal.

P, A und T - die Triebfaktoren: Trotz strikter Bevölkerungskontrolle ist China mit 1,34 Milliarden Menschen das bevölkerungsreichste Land der Welt. Die Urbanisierungsrate ist extrem hoch - was zum Schwinden tradierter nachhaltiger Konsum-Muster führt. Chinas Wirtschaft (Produktionsniveau wie monetärer Wohlstand) hat in den letzten drei Jahrzehnten mit durchschnittlich zehn Prozent jährlich expandiert und ist jetzt, nach den USA, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Durchgängig kam dabei überkommene umweltschädigende Technologie zum Einsatz. Diese dramatische Steigerung des industriellen Metabolismus ging weder mit einer Entkopplung des Bruttosozialprodukts vom Ressourcenverbrauch, noch mit einer Entkopplung des Bruttosozialprodukts von der Umweltbelastung einher - das international allseits beschworene resource und impact decoupling hat auch in China nicht stattgefunden, nicht im absoluten Sinne, vielleicht sektorweise im relativen Sinne.

China ist zudem der größte Energieverbraucher der Welt. Die nationalen klimarelevanten Treibhausgasemissionen sind entsprechend stark angestiegen; bei den Pro-Kopf-Emissionen liegt China inzwischen - mit fünf Tonnen pro Jahr - bei der Hälfte derer Deutschlands. Mit der raschen Urbanisierung hat auch die umweltschädigende Motorisierung rapide zugenommen - aus dem Volk der Bauern und Radfahrer ist ein Volk der Städter und Autofahrer geworden: China ist inzwischen die größte Autofahrernation der Welt - wozu notabene die deutsche Autoindustrie massiv beiträgt.

Das hohe Wirtschaftswachstum und der enorme Energieverbrauch haben einen hohen ökologischen (und auch sozialen) Preis - Smog ist nur ein, aber ein deutlich sichtbares Symbol dafür. Über der chinesischen Hauptstadt lagen die Feinstaubwerte im Frühjahr 2014 mit durchschnittlich 500 Mikrogramm pro Kubikmeter beim 25-fachen des von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als tolerierbar genannten Grenzwertes. Das "Blaubuch" der Shanghaier Akademie der Wissenschaften von 2014, eine vergleichende Studie (mit 6 übergreifenden und 18 Einzelindikatoren) von 40 Weltstädten, führte Beijing auf dem vorletzten Platz und schrieb der Stadt das Prädikat zu: "für menschliches Leben eigentlich nicht geeignet".

Dabei ist die praktische Umweltpolitik Chinas eher ein Zwitter: Parallel zu den genannten zerstörerischen Trends ist eine ökologische Modernisierung großen Ausmaßes im Gange, was sich an zwei Beispielen nachgerade spektakulär darstellt: beim Aufbau der Solarindustrie und bei der Einführung der Elektromobilität. Im Jahre 2013 wurden in China Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 12.000 Megawatt installiert, was in etwa der Kapazität von zwölf Atomkraftwerken entspricht. Einen größeren Schub für die Fotovoltaik in nur einem Jahr hat es in keinem anderen Land der Welt je gegeben. Und während die deutsche Regierung weiterhin (aber mit geringer Erfolgsaussicht) das Ziel verfolgt, bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf die Straßen zu bringen, will China bis dahin die Größenordnung von fünf Millionen und die dazu gehörige Infrastruktur schaffen - mit hoher Erfolgsaussicht.

Und an der Staatsspitze scheint der prekäre ökologische Zustand des Landes inzwischen erkannt zu sein. Beim Volkskongress im März 2014 rief Premierminister Li Keqiang einen "Krieg gegen die Umweltverschmutzung" aus - und der Ständige Ausschuss hat nach vier Lesungen die Umweltgesetzgebung drastisch verschärft: Im Januar 2015 werden 70 Gesetze in Kraft treten, die "wirtschaftliche und soziale Entwicklungen mit Umweltschutz koordinieren" sollen - einschließlich "öffentlicher Beschämungen unqualifizierter Unternehmen" und "drastischer Bestrafungen von Verschmutzern".

Ob diese Anstrengungen aber auch zur absoluten Entkopplung von Bruttosozialprodukt und Rohstoffverbrauch bzw. Umweltbelastung und damit zur durchgreifenden "Ökologisierung des Landes" führen werden, hängt von vielen Faktoren ab; in Sonderheit wohl davon, ob neben der allseits propagierten und betriebenen Effizienzstrategie auch die Suffizienzstrategie in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in modernisierter Form (wieder) Fuß fassen kann. Ein Volk, das in der Geschichte vielfach Tugenden wie Genügsamkeit und Opferbereitschaft bewiesen hat, sollte eigentlich gute Vorbedingungen für eine solche Doppelstrategie nachhaltiger Entwicklung haben.


Udo E. Simonis, Emeritus, war von 1981 bis 1987 Direktor des Internationalen Instituts für Umwelt und Gesellschaft (IIUG) des WZB und anschließend bis 2003 Forschungsprofessor für Umweltpolitik. Er arbeitete als Co-Chair bei der Task Force on Environmental Governance for China.
udo.simonis@wzb.eu


LITERATUR

Huanjing Kexue Yanjiu/Research in Environmental Sciences. Vol. 19, Supplement. Beijing 2006.

Smil, Vaclav: China's Environmental Crisis. An Inquiry into the Limits of National Development. Armonk NY: M. E. Sharpe 1993.

Xue, Lan/Simonis, Udo E./Dudek, Daniel J. et al.: Environmental Governance in China. WZB Discussion Paper 2007-001. Berlin: WZB 2007.

Xue, Lan/Simonis, Udo E./Dudek, Daniel J.: "Environmental Governance for China. Recommendations of a Task Force". In: International Quarterly for Asian Studies, 2007, Vol. 38, Nos. 3-4, pp. 293-304.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 144, Juni 2014, Seite 37-40
Herausgeberin:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2014