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ATOM/080: "Mayak" - Atomunfall in Rußland (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 742-743 / 31. Jahrgang, 7. Dezember 2017 - ISSN 0931-4288

"Mayak"
Atomunfall in Russland

von Thomas Dersee


Erhöhte Radioaktivität über Europa

Die zuständigen Dienste in Deutschland und Frankreich hatten Ende September 2017 radioaktives Ruthenium-106 in der Atmosphärenluft festgestellt. Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz informierte darüber die russischen Behörden, blieb jedoch ohne Antwort. Das französische Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit (IRSN) schätzte, daß 100 bis 300 Terabecquerel(1) Ruthenium-106 freigesetzt wurden, die zumindest für die lokale Bevölkerung des Ortes der Freisetzung eine gesundheitliche Gefährdung bedeutet. Nach russischen Verlautbarungen habe es jedoch keinen Unfall gegeben, bei dem Radioaktivität freigesetzt wurde.

Am 20. November schließlich berichtete der russische meteorologische Dienst "Roshydromet", daß es in mehreren russischen Regionen, vor allem im südlichen Ural, zu einem starken Anstieg von Ruthenium-106 in der Atmosphäre gekommen sei. "Sonden radioaktiver Aerosole von den Messstationen Argayash und Novogorny enthielten zwischen dem 25. September und 1. Oktober das Radioisotop Ru106", teilte Roshydromet mit.

Greenpeace Russland bestätigte die Meldung. Demnach sei auszuschließen, daß das Ruthenium-106 durch einen Unfall in einem Kernreaktor freigesetzt wurde. Denn andernfalls wären nicht nur Ruthenium-106, sondern auch andere radioaktive Elemente in die Atmosphäre gelangt.

Die Quelle soll die Wiederaufbereitungsanlage "Mayak" sein

Inzwischen wird davon ausgegangen, daß sich die Quelle beim Dorf Argayash in der Region Tscheljabinsk im Südural an der Grenze zu Kasachstan befindet, weil von der dortigen Messstation eine besonders hohe Belastung gemeldet wurde, die die Werte der Vormonate um das 986fache übersteigen. Dort in 30 Kilometer Entfernung befindet sich die Atomfabrik "Mayak", ein Unternehmen der russischen Atomagentur Rosatom, das Atomwaffen-Komponenten herstellt und Kernbrennstoffe wiederaufbereitet. Die Behörde teilte jedoch auf Anfrage der Deutschen Welle mit, in ihren Einrichtungen habe es keine Zwischenfälle gegeben, bei denen radioaktive Stoffe freigesetzt wurden.

Ruthenium-106 wurde nach Angaben des russischen Wetterdienstes später auch in Tatarstan, dann im Süden Russlands und ab dem 20. September 2017 in Italien und von da aus in nördlicheren europäischen Ländern festgestellt. Die höchste in Deutschland gemessene Konzentration von Ruthenium-106 im ostsächsischen Görlitz habe jedoch lediglich etwa 5 Millibecquerel pro Kubikmeter Luft betragen,(2) teilte das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz mit. Die Messungen der übrigen deutschen Stationen in Arkona auf Rügen, Greifswald, Angermünde, Cottbus und Fürstenzell in Bayern seien noch niedriger ausgefallen, weshalb keine erkennbaren Risiken für Gesundheit und Umwelt zu bemerken sein werden, meint auch das französische Institut für radiologischen Schutz und nukleare Sicherheit (IRSN).

Nadeschda Kutepowa, ehemalige Leiterin der russischen Umweltschutzorganisation "Der Planet der Hoffnung", erklärte der Deutschen Welle zufolge, die Ursache für die Freisetzung von Ruthenium-106 sei zu "99 Prozent" klar. Die Menschenrechtlerin, die nach Übergriffen in Russland seit 2015 in Frankreich lebt, beobachtete über viele Jahre die Anlage "Mayak". Sie vermutet, daß das Ruthenium-106 zwischen dem 25. und 26. September 2017 freigesetzt wurde, und zwar in einer Verglasungsanlage, in der hochradioaktive Abfälle aus der Wiederaufarbeitung in einem Ofen in eine auslaufresistente Glasmatrix eingebunden werden. Mayak hatte am 21. November 2017 erklärt, gar kein Ruthenium zu produzieren und nicht die Quelle des in der Luft gemessenen radioaktiven Elements gewesen zu sein. "Sie produzieren kein Ruthenium-106. Aber es entsteht beim Betrieb der Verglasungsanlage", widerspricht Kutepowa.

Kutepowa zufolge erhielt "Mayak" im September 2017 erstmals Behälter eines neuen Typs sowie neuen radioaktiven Brennstoff zur Verarbeitung. Sie vermutet, daß beim Betrieb eines neuen Ofens Probleme aufgetreten sind. Mayak habe im Jahr 2015 einen Vertrag über die Lieferung eines neuen Ofens mit einem insolventen Unternehmen geschlossen. Der Ofen sei aufgebaut worden, als das Personal des Herstellers schon entlassen war. Ferner sei unklar, ob der Ofen überhaupt unter Aufsicht der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Betrieb genommen wurde.

"Mayak" ist die älteste sowjetische Anlage zur Verarbeitung radioaktiver Stoffe. Sie ist bekannt für viele verschwiegene Unfälle. Die Serie von Unglücken habe mit einer Explosion im Jahr 1957 begonnen und übertreffe insgesamt sogar die Katastrophe von Tschernobyl, was die Freisetzung von Radionukliden in die Atmosphäre angehe, heißt es. Die Wahrheit über die Tragödie von 1957 wurde nur teilweise erst in der Glasnost-Zeit von Gorbatschow bekannt. Den Mangel an Informationen beklagt auch Greenpeace Russland: Die Tatsache, daß Ruthenium gemessen wurde, ist ein Anzeichen dafür, dass es irgendwo eine unbeabsichtigte Freisetzung gab, erklärt Greenpeace-Experte Raschid Alimow. Die Umweltorganisation fordert die russische Staatsanwaltschaft auf, einer möglichen Vertuschung eines Strahlenunfalls nachzugehen. Ferner müsse geklärt werden, ob das System zur Überwachung von Radionukliden in der Atmosphäre überhaupt in der Lage sei, Vorfälle festzustellen. Wenn die Quelle der Verschmutzung nicht identifiziert werden kann, stelle sich die Frage, ob überhaupt auf Strahlenunfälle reagiert werden kann, so Alimow.

Ruthenium hat keine große wirtschaftliche Bedeutung, wird aber in der chemischen Industrie als Katalysator eingesetzt, zum Beispiel in der Ammoniaksynthese. In der Wiederaufarbeitung lohnt es sich offenbar, die Platinmetalle zu extrahieren. Dabei erhält man unvermeidlich auch das Ruthenium, weil sich die Platinmetalle nur relativ aufwendig chemisch voneinander trennen lassen. Ruthenium aus der Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen enthielt relativ viel Ruthenium-106 und ist deshalb stark radioaktiv. Das künstliche Reaktor-Ruthenium-106 hat eine Halbwertzeit von 1,02 Jahren.


Anmerkungen

(1) Terabecquerel = 1012 Becquerel = 1 Billion Becquerel
(2) 1 Millibecquerel = 0,001 Becquerel


Greenpeace Russia:

Гринпис России обратится в прокуратуру из-за
возможноҝ радиапионной аварии на
Южном Урале 20. Nov. 2017
http://m.greenpeace.org/russia/ru/high/news/2017/nuclear-1120/


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_17_742-743_S07-08.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Dezember 2017, Seite 7 - 8
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2018

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