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ARTENSCHUTZ/304: Hoffnungsträger - Es gibt wieder deutlich mehr Tiger als noch vor zwölf Jahren (WWF Magazin)


WWF Magazin, Ausgabe 4/2022
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Hoffnungsträger
von Katjuscha Dörfel und Markus Radday

Generation T
Die Anzahl der Tiger weltweit hat sich nicht wie geplant verdoppelt. Dennoch wachsen in einigen Regionen die Bestände. Die erhoffte Trendwende?


Es gibt wieder deutlich mehr Tiger als noch vor zwölf Jahren. Doch die damals geplante Verdoppelung der Bestände ist voraussichtlich nicht erreicht worden. Kein Grund aufzugeben. Wie guter Tigerschutz gelingen kann und warum er auch Menschen hilft, erklären Katjuscha Dörfel und Markus Radday vom WWF.

Es war das chinesische Jahr des Tigers. Im November 2010 trafen sich in Sankt Petersburg hochrangige Regierungsmitglieder aus den 13 Tigerverbreitungsländern Asiens mit Wissenschaftler:innen und Vertreter:innen von Naturschutzorganisationen zu einem internationalen Tigergipfel. Dort wurde nicht nur ein Rettungsplan für den Tiger verabschiedet. Die Beteiligten verständigten sich auch auf das visionäre Ziel, die Anzahl der Großkatzen in freier Wildbahn bis 2022, dem nächsten Jahr des Tigers, zu verdoppeln. Wie also steht es heute um die Tigerbestände? Und was haben die Verpflichtungen von 2010 für den Tiger gebracht?

Die Fortschritte beim Schutz der Tiger sind fragil - und fallen je nach Region sehr unterschiedlich aus. Nach wie vor gilt die Großkatze als stark gefährdet.


Licht und Schatten

Die Bilanz fällt gemischt aus. Im Jahr 2010 war die Gesamtzahl der Tiger auf nur noch etwa 3.200 geschätzt worden - ein Bruchteil der 100.000 Tiere, die im 19. Jahrhundert vermutlich noch in Freiheit lebten. 2016 gab es mit weltweit gezählten 3.900 frei lebenden Tigern bereits einen leichten Aufwärtstrend. Zuletzt schätzten Expert:innen laut einer im Sommer 2022 von der Weltnaturschutzunion IUCN veröffentlichten Rote-Liste-Analyse den Bestand an frei lebenden Tigern auf rund 4.500 erwachsene Tiere. Allerdings standen zu diesem Zeitpunkt die aktuellen Zahlen einiger Tigerländer noch aus. Immerhin entspräche diese Schätzung und die inzwischen von Russland aktualisierte Zahl seiner Tiger einem Zuwachs von mindestens 40 Prozent in zwölf Jahren - und wäre ein deutlicher Erfolg des internationalen Tigerschutzes. Was wir bereits jetzt sicher sagen können: Zum ersten Mal seit mehr als hundert Jahren gibt es eine Erholung der Tigerbestände. Doch die Fortschritte sind fragil und in den asiatischen Tigerregionen sehr unterschiedlich. Neben Ländern, die sich für den Tigerschutz starkmachen, gibt es andere, die ihn leider weitgehend vernachlässigen.

Das ambitionierte Ziel, die Gesamtzahl der Tiger zu verdoppeln, konnte deshalb nicht erreicht werden. Trotz intensiver Schutzmaßnahmen gilt der Tiger nach aktueller Einschätzung der IUCN weiterhin als stark gefährdete Art. Wilderei, der voranschreitende Lebensraumverlust und schrumpfende Bestände seiner Beutetiere bleiben die größten Bedrohungen. Fakt ist: Der Tiger lebt heute auf weniger als fünf Prozent seines historischen Verbreitungsgebiets, die Populationen sind zersplittert und isoliert.

In Malaysia ist ein gefährlicher Rückgang zu verzeichnen. In Indonesien wird Ähnliches befürchtet, offizielle Zahlen stehen noch aus. In Kambodscha, Laos und Vietnam ist der Tiger inzwischen sogar ausgestorben. In den Ländern Südostasiens ist es vor allem die massive Wilderei mit Schlingfallen, die der Großkatze und ihren Beutetieren zusetzt. Außerdem fehlen häufig Zählungen und Unterstützung im Falle von Mensch-Tiger-Konflikten. Aber es gibt auch Fortschritte. Malaysia hat eine hohe Regierungskommission zum Tigerschutz eingerichtet und Thailand die Auswilderung von Beutetieren für die Großkatze forciert.

Die Vorreiter beim Tigerschutz waren in den vergangenen Jahren vor allem Nepal, Indien, Bhutan, Russland und China. So verschieden diese Länder in sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht auch sind, ihr erfolgreicher Tigerschutz zeigt einige Gemeinsamkeiten. Da ist vor allem der politische Wille, konkrete Maßnahmen aus dem staatlichen Haushalt zu finanzieren, die sich an den hauptsächlichen Bedrohungen und Problemen ausrichten. Wilderei und illegaler Artenhandel müssen durch gut ausgebildete und ausgestattete Ranger:innen und Vollzugsbehörden bekämpft werden. Um Lebensraum zu erhalten, wurden neue Tigerschutzgebiete ausgewiesen. Hier waren Russland und China starke Vorreiter.
Für Mensch-Tiger-Konflikte wurden Lösungen gesucht und oftmals auch gefunden. Sie sind vor allem für die Menschen wichtig, die ihre Heimat mit der des Tigers teilen. Diese Lösungen müssen mit konkreten Angeboten an die lokalen Gemeinden für eine verbesserte Lebensqualität kombiniert werden. Das heißt: Wer mithilft, Tiger zu schützen, soll davon profitieren. Wichtig ist es auch, die Zahl und Verbreitung der Tiger zu kennen, um die eigenen Schutzmaßnahmen zielgerichtet zu planen und ihre Erfolgsaussichten einschätzen zu können.

Tigerchampion Nepal

Eine besondere Erfolgsgeschichte hat Nepal geschrieben. Das Land, das zu den ärmsten Nationen der Welt zählt, hat die Zahl der Tiger in den vergangenen 13 Jahren von 120 Tieren auf 355 fast verdreifacht!
Nachdem der Himalajastaat in den frühen 2000er-Jahren durch illegale Abschüsse zahlreiche Tiger, aber auch Panzernashörner und Asiatische Elefanten verloren hatte, startete die Regierung ein erfolgreiches Programm zum Schutz der Wildtiere. Maßgeblich für dessen Erfolg war eine Doppelstrategie aus aktiver Bekämpfung der Wilderei und des illegalen Artenhandels plus der Zusammenarbeit mit der Bevölkerung auf lokaler Ebene. Die Zahl der gewilderten Tiger ging zurück, unter anderem durch Entschädigungsregelungen für getötetes Vieh und mehr Einnahmen aus dem Tigertourismus. Damit hat sich Nepal nicht nur im Tigerschutz zum Vorreiter gemacht. So erreichte das Land von 2011 bis 2020 siebenmal die Null bei der Wilderei auf Panzernashörner - eine Art, die vom Schutz der Tigerlandschaft profitiert. Der WWF war an diesem beispielhaften Erfolg beteiligt. Er arbeitet mit nepalesischen Ministerien und Behörden zusammen, um das Management von Schutzgebieten zu verbessern, Korridore zwischen ihnen auszuweisen und die Bekämpfung der Wilderei zu verstärken. Dazu gehören Maßnahmen zur Professionalisierung des Personals mit Schulungen und Ausstattung von Antiwilderei-Einheiten, die sich aus Nationalparkangestellten und Gemeindemitarbeiter:innen zusammensetzen. Heute gibt es bereits mehr als 400 solcher Rangerteams im ganzen Land. Es ist das größte Netzwerk dieser Art in Asien.

Zur Minimierung von Mensch-Tiger-Konflikten unterstützt der WWF auch indirekte Maßnahmen, zum Beispiel Biogaskochsysteme, die Gas aus Dung erzeugen, der aus der Stallhaltung von Nutzvieh gewonnen wird. So kann das riskante Feuerholzsammeln im Territorium des Tigers verringert werden. Gleichzeitig sind die wertvollen Nutztiere nachts im Stall besser geschützt.

Respekt für das Nationaltier

In Indien leben heute rund zwei Drittel aller frei lebenden Tiger weltweit. Deren Bestand wuchs von 2010 bis 2018 um rund 75 Prozent auf 2967 Tiere (eine aktualisierte Zahl steht noch aus). Der Anstieg erscheint auf den ersten Blick paradox. Denn Indien ist nach China der bevölkerungsreichste Staat der Welt mit einer sehr geringen Pro-Kopf-Waldfläche. Millionen von Menschen leben dort in extremer Armut.

Ein Muss im Tigerschutz ist daher die enge Zusammenarbeit mit der Bevölkerung, die in oder um Tigerterritorien lebt, denn dieser Schutz funktioniert nur mit sozialer Akzeptanz. Dabei hilft es sicherlich, dass der Tiger ein wichtiges Symbol in der Kultur Indiens und das indische Nationaltier ist. Auch die Unterstützung der Regierung für den Schutz des Tigers ist in Indien von zentraler Bedeutung. Aber das reicht nicht aus. Zumal die wachsende Zahl an Tigern reale Gefahren birgt: 320 Menschen starben in Indien zwischen 2014 und 2020 durch Tiger. Außerdem wurde von den Großkatzen eine hohe Zahl an Nutztieren getötet. Um Konflikte zwischen Menschen und Tigern zu entschärfen, unterstützen der WWF und weitere Partner die Regierung bei konkreten Maßnahmen: Lokale Antikonflikt-Teams verringern Gefahrensituationen, Besitzer:innen gerissener Nutztiere werden finanziell entschädigt. Das alles trägt dazu bei, die Vergeltungstötungen von Tigern einzudämmen. Zudem halten technische Mittel wie Frühwarnsysteme und die Installation von solarbetriebenen Straßenlaternen am Rande von Dörfern Tiger davon ab, in Siedlungen vorzudringen.

Grundstein für erfolgreichen Tigerschutz ist die Ausweisung von Schutzgebieten. Seit 2011 wurden von der russischen Regierung in der Amurregion mehr als 1,9 Millionen Hektar neue Schutzgebiete im Lebensraum des Tigers ausgewiesen (eine Fläche von der Größe Sachsens) oder bestehende Schutzgebiete vergrößert. Darunter ist auch der 1,9 Millionen Hektar große Bikin-Nationalpark, seit 2018 UNESCO-Weltnaturerbe. Der WWF hatte sich bei den verschiedenen Phasen der Identifizierung und Ausweisung aller Schutzgebiete beteiligt - mit Gutachten, Kartenerstellung und Organisation öffentlicher Anhörungen sowie mit Lobbyarbeit gegenüber den Regierungen auf regionaler und föderaler Ebene.

Das große Ganze

"Am ganz großen Rad drehen" heißt es oft, wenn von der Arbeit auf der politischen Ebene die Rede ist. Beim Tigergipfel von 2010 wurden sehr ambitionierte Ziele beschlossen. Doch nur wenn die Zivilgesellschaft, zum Beispiel Naturschutzorganisationen wie der WWF, Wissenschaftler:innen und prominente Fürsprecher:innen die Regierungen an ihre Versprechen erinnern, ist auch der notwendige Druck da.

Das neue Tigerjahr 2022 war mit neuen Erwartungen an den Tigerschutz verbunden. Doch die geopolitischen Verwerfungen von Putins Krieg in der Ukraine stellten den Folgegipfel in Wladiwostok in den Schatten. Dieser fand anlässlich des "Eastern Economic Forum", einer Art Industriekontaktbörse, in der ersten Septemberwoche statt. Vier Tigerstaaten (Malaysia, Indonesien, Bhutan und China) fehlten beim Eröffnungspanel, auf dem Bilanz gezogen werden sollte. Internationale Nichtregierungsorganisationen blieben dem Gipfel fern. Enttäuschend war vor allem, dass keine ambitionierten Zusagen für mehr Tigerschutz und Budgets aus dem Treffen folgten.

Die aktuelle politische Situation scheint für eine neue anspruchsvolle Tigerstrategie auf internationaler Ebene nicht aussichtsreich zu sein. Immerhin: Russland meldete erfreuliche 750 Tiger (einschließlich Jungtieren), die nunmehr auf seinem Territorium in der Amurregion leben. Bei der letzten Zählung im Jahr 2015 lag die Zahl der Tiger im Fernen Osten Russlands bei etwa 540 Tieren.

Künftig werden wir in den Ländern Verbesserungen verstärkt anmahnen, in denen der Tigerschutz bislang vernachlässigt wurde - und gleichzeitig die erfolgreiche Arbeit in den Ländern mit positiven Trends fortsetzen. Wir müssen Entscheider:innen auf allen Ebenen überzeugen: Wer Tiger rettet, rettet so viel mehr - für die Natur und für die Menschen, die in und von ihr leben.

Tiger retten Ökosysteme

Tiger stehen in der Natur an der Spitze der Nahrungskette. Sie sind auf großräumige und intakte Landschaften mit ausreichend Beutetieren angewiesen. Wo das der Fall ist, ist das Ökosystem gesund. Das bleibt es auch, solange keine Schnellstraßen gebaut, Wälder nicht für Plantagen abgeholzt und Flüsse nicht vergiftet werden. Daher bedeutet Tigerschutz zugleich auch Bewahrung großer Lebensräume sowie anderer Tier- und Pflanzenarten.
Für die Menschen, die in Tigerregionen leben, ist die Großkatze deshalb nicht nur eine Bedrohung. Die ökologischen Leistungen dieser intakten Landschaften kommen Menschen und Wildtieren gleichermaßen zugute: in Form von sauberem Wasser, gesunden Böden, ausreichend Waldprodukten und Platz für kleinbäuerliche Landwirtschaft. Nicht zuletzt sind gesunde Graslandschaften und intakte Wälder große Kohlenstoffspeicher, die zum Schutz unseres Klimas beitragen. Kurz: Wo der Tiger lebt, hat auch der Mensch eine Lebensgrundlage.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Der Sumatra-Tiger ist die kleinste noch lebende Unterart. Er ist vom Aussterben bedroht.
  • Tiger meiden die Menschen in der Regel. Doch wo sie geschützt sind, wie hier im indischen Ranthambore-Nationalpark, nutzen sie auch durchaus mal vom Menschen geschaffene Wege.
  • Auch dank Rangern wie diesen in Nepal sind die Tigerpopulationen in einigen Ländern stark gestiegen.
  • Sabita Malla, Tigerexpertin beim WWF in Nepal, erklärt Bewohner:innen der Khataregion, wie sie ihre Nutztiere vor Angriffen des Tigers schützen können. Das entschärft schwelende Konflikte zwischen Mensch und Tier.
  • Fotofallen sind ein wichtiges Werkzeug im Tigerschutz. Hier montiert ein WWF-Mitarbeiter ein Gerät im Bardia-Nationalpark in Nepal.
  • Um die Gefahr für Holzsammlerinnen zu verringern, fördert der WWF alternative Kochsysteme mit Dung. Solche Lösungen für Mensch-Tiger-Konflikte sind vor allem für die Landbevölkerung wichtig, deren Heimat auch Lebensraum des Tigers ist, wie hier in Nepal. Nachhaltiger Tourismus verschafft den Menschen vor Ort eine zusätzliche Einnahmequelle.
  • Doppelgänger und Wiederkehrer: Damit die Tiger sich weiter vermehren können, müssen vor allem ihre Lebensräume erhalten werden.

Tigertrends
(nicht veröffentlichte Infografik - Landkartenübersicht - der Originalpublikation )

Die Lage ist ernst, aber in einigen Ländern wird die Situation für den Tiger langsam wieder besser. Wo steigen die Bestände, wo sinken sie und wo sind Tiger in den vergangenen 20 Jahren ausgestorben?

Steigende Bestände durch
Bekämpfung von Wilderei und Artenhandel
Verbesserte Ausstattung, Schulung von Ranger:innen
Ausweitung und gutes Management von Schutzgebieten
Zusammenarbeit mit der Bevölkerung
Verringerung von Mensch-Tier-Konflikten
in Indien
Nepal
Bhutan
China
Russland

Gleichbleibende Bestände
Thailand
Bangladesch

Sinkende Bestände
Sumatra
Malaysia
Myanmar

Ausgestorben seit 2000
in Vietnam, Laos und Kambodscha

Karte zeigt farbig markiert:
Verbreitung vor 100 Jahren
Verbreitung Stand 2022

Aktuelle Zahlen und Ziele sowie
weitere Infos zum Jahr des Tigers auf
wwf.de/jahr-des-tigers

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Quelle:
WWF Magazin 4/2022, Seite 8-13 und 15-17
Herausgeber:
WWF Deutschland
Reinhardtstraße 18, 10117 Berlin
Tel.: 030/311 777 700
E-Mail: info@wwf.de
Internet: www.wwf.de
 
Die Zeitschrift für Förderinnen und Förderer des WWF Deutschland
erscheint vierteljährlich

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 14. April 2023

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