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ENERGIE/077: Energieversorgung im 21. Jahrhundert (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
10. Jahrgang · Ausgabe 2 · November 2014

Energieversorgung im 21. Jahrhundert
Technische, soziale und ökonomische Aspekte

Von Dieter Brüggemann und Andreas Jess



Der Energieverbrauch im weltweiten Vergleich

Primärenergie (PE) ist die Energie, die ursprünglich als Brennstoff (Kohle, Erdöl, Erdgas, Biomasse) oder als Wasserkraft, Kernenergie, Wind- und Solarenergie zur Verfügung steht. Sie wird durch Umwandlungsprozesse, die mit Verlusten behaftet sind, in Sekundärenergieträger wie Strom oder in Kraftstoffe wie Benzin und Dieselöl umgewandelt. Durch eine wiederum mit Verlusten verbundene Übertragung zum Verbraucher wird sie schließlich zur nutzbaren Endenergie.

Abbildung 1 zeigt die Anteile einzelner Primärenergieträger am deutschen sowie am weltweiten Primärenergieverbrauch. Es wird deutlich, dass bereits heute schon regenerative Energien in Deutschland (mit einem Anteil von 16 Prozent) eine im weltweiten Vergleich (mit durchschnittlich etwa 8 Prozent) deutlich größere Rolle spielen. Allerdings sind fossile Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle) derzeit immer noch die dominierenden PE-Träger (D: 76 Prozent, Welt: 81 Prozent). Der Rest wird durch Kernenergie und vor allem in Entwicklungsländern noch durch die sogenannte traditionelle Biomasse gedeckt, die zumeist mit der Abholzung bestehender Wälder verbunden ist und daher nicht als regenerativ und klimaneutral betrachtet werden kann.

Abb. 1: Diagramme zu Anteil einzelner Energieträger am Primärenergieverbrauch in Deutschland und weltweit 2013



Um den Energieverbrauch eines Landes oder einer Region zu charakterisieren und Energieträger vergleichen zu können, werden häufig Rohöläquivalente verwendet. 1 Tonne Erdöl (1 toe) entspricht einer Energie von 42 Mio. kJ (Kilojoule) oder 42 GJ (Gigajoule). Der derzeitige deutsche PE-Verbrauch beträgt 310 Mio. toe pro Jahr; weltweit sind es 13 Mrd. toe.

Der Primärenergieverbrauch ist regional sehr ungleich verteilt (Tabelle 1): So beträgt der Anteil am globalen Energieverbrauch der wohlhabenden Industriestaaten (OECD) 42 Prozent, obwohl der Anteil an der Weltbevölkerung nur 18 Prozent ausmacht. Entsprechend umgekehrt ist die Situation in Asien, Lateinamerika und besonders in Afrika. Die Zahlen des jährlichen Pro-Kopf-Energieverbrauchs einiger Länder unterstreichen dieses Ungleichgewicht: In den USA liegt dieser bei 7,1 toe, in Deutschland bei 3,7 toe, wohingegen er in China und Brasilien (noch) bei 1,8 bzw. 1,4 toe, in Indien und Äthiopien bei nur 0,6 bzw. 0,4 toe liegt.

Tabelle 1: Regionale Verteilung des globalen Primärenergieverbrauchs (2011). Daten: International Energy Agency (IEA) Tabelle 1: Regionale Verteilung des globalen Primärenergieverbrauchs (2011). Daten: International Energy Agency (IEA)



Energie und Wohlstand: Wieviel steht jedem Menschen zu?

Wie hoch ist der Energieverbrauch, den jeder Mensch für einen ausreichenden Wohlstand benötigt? Um diese Frage zu beantworten, ist der Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen hilfreich. Es handelt sich dabei um einen Wohlstandsindikator, der mit jeweils gleicher Gewichtung das Pro-Kopf-Einkommen (kaufkraftkorrigiert), die medizinische Versorgung (Lebenserwartung) und den Bildungsgrad eines Landes berücksichtigt. Bei Entwicklungsländern ist der HDI kleiner als 0,5; bei Schwellenländern liegt er zwischen 0,5 und 0,8; bei Industrieländern ist der HDI größer als 0,8.

In Ländern, die einen HDI-Wert größer als 0,8 erreicht haben, liegt der jährliche PE-Verbrauch bei mindestens etwa 2 toe pro Kopf (siehe Abb. 2). Ein höherer Verbrauch führt allerdings nicht zu einer merklichen Steigung des HDI, also des Wohlstands und Wohlergehens. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass hier eine Grenze erreicht wird, von der an eine weitere Steigerung des Energieverbrauchs nicht zu rechtfertigen ist. Regionen und Länder, die einen Wert von 2 toe deutlich überschreiten - wie etwa Nordamerika, Australien, Japan und Europa, darunter auch Deutschland - sollten sich daher in der Pflicht sehen, Maßnahmen für eine noch effizientere Energienutzung zu ergreifen.

Eine deutliche Senkung des Energieverbrauchs in den Industrieländern ist auch deshalb angezeigt, weil zu erwarten ist, dass der Wohlstand in einigen Entwicklungs- und Schwellenländern - zum Beispiel in China, Indien oder Brasilien - in den kommenden Jahrzehnten steigen wird. Abbildung 2 zeigt zwei bemerkenswerte Ausnahmen vom (gestrichelt angedeuteten) Trend: Sowohl Russland (und auch andere Länder der ehemaligen UdSSR) als auch Südafrika haben einen im Vergleich zum Wohlergehen (HDI < 0,8) besonders hohen jährlichen Pro-Kopf-Energieverbrauch von rund 3 bzw. 5 toe, also eine geringe Energieeffizienz.

Abb. 2: Wohlergehen im Verhältnis zum jährlichen Pro-Kopf-Primärenergieverbrauch. Abb. 2: Wohlergehen im Verhältnis zum jährlichen Pro-Kopf-Primärenergieverbrauch.



Ungeachtet einer gewissen Streubreite lässt sich aus Abbildung 2 eines klar entnehmen: Es scheint ein Verbrauch von ungefähr 2 toe/Jahr für einen ausreichenden Lebensstandard erforderlich zu sein. Interessanterweise entspricht dieser Wert ungefähr dem Wert, den im weltweiten Durchschnitt jeder Mensch (1,9 toe) verbraucht. Falls die Weltbevölkerung, wie prognostiziert, also bis zum Jahr 2050 auf 9 Mrd. Menschen ansteigt, ist davon auszugehen, dass der globale Energieverbrauch von derzeit 13 Mrd. auf mindestens 17 Mrd. toe pro Jahr ansteigt.


Grenzen des Verbrauchs fossiler Energieträger: Reserven und Ressourcen

Reserven eines Energieträgers sind die derzeit gesicherten und wirtschaftlich abbaubaren Vorräte; Ressourcen sind die zusätzlich nachgewiesenen und vermuteten Vorräte. Abbildung 3 zeigt die entsprechenden Werte für die fossilen Rohstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle in Gigatonnen (Gt) Kohlenstoff (C). Berücksichtigt man die derzeitigen jährlichen Verbrauchszahlen (3,4 Gt Kohlenstoff in Form von Erdöl, 2 Gt als Erdgas und 4 Gt als Kohle) ergeben sich auf der Basis der Reserven sogenannte statische Reichweiten von 53 Jahren für Erdöl, 59 Jahren für Erdgas und 140 Jahren für Kohle. Legt man die Ressourcen zugrunde, kommt man auf deutlich höhere Werte von 170 Jahren für Erdöl, 1.000 Jahren für Erdgas und 3.000 Jahren für Kohle. Die letztgenannten Werte sind sicherlich viel zu optimistisch, da man nur einen geringen Anteil der Ressourcen wirtschaftlich und technisch nutzen können wird. Aber die häufig zu lesende baldige Verknappung der fossilen Energieträger ist unbegründet.

Abb. 3: Reserven und Ressourcen fossiler Energieträger



Es gibt aber mindestens zwei andere gute Gründe, die für eine deutlich verminderten Verbrauch fossiler Energien sprechen:

• Die Reserven von Erdöl und Erdgas konzentrieren sich auf wenige Regionen (vor allem Mittlerer Osten, Russland), die aus europäischer Sicht politisch problematisch sind oder werden können.

• Vermutlich weitaus bedeutsamer sind die von der Mehrzahl der Klimaexperten prognostizierten Folgen eines gleichbleibend hohen Anteils fossiler Energieträger am globalen PE-Verbrauch: Die in Form von Kohlendioxid gebundene Masse an Kohlenstoff in der Erdatmosphäre liegt derzeit bei 850 Gt (Abb. 3). Ohne eine drastische Senkung dieses fossilen Anteils wird diese im Jahr 2050 bei über 1.000 Gt liegen. Die Folge wäre - so die Prognosen des International Panel of Climate Change (IPCC) - eine Erhöhung der globalen Mitteltemperatur um 2°C gegenüber dem Beginn der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert. Um die Klimaerwärmung zumindest langfristig zu begrenzen, wird daher eine möglichst weitgehende Umstellung von fossilen hin zu alternativen Energieträgern angestrebt.


Energiepolitische Entscheidungen im internationalen Vergleich

Die meisten Staaten stimmen den genannten Zielen zwar grundsätzlich zu, unternehmen aber sehr unterschiedliche Anstrengungen, um diese zu erreichen. Dies sollte nicht überraschen, denn bereits die Ausgangslage, also der bisherige Anteil der erneuerbaren im Vergleich zu fossilen und nuklearen Energien ist sehr unterschiedlich. Dies hängt zum Teil mit natürlichen Gegebenheiten (z.B. Wasserkraft) zusammen und ist zum Teil auf die unterschiedliche gesellschaftliche Akzeptanz energiepolitischer Entscheidungen (z.B. Kernenergie) zurückzuführen.

Solche Unterschiede werden in Abbildung 4 sichtbar, in der die Wege ausgewählter Staaten im Energiemix dargestellt sind. So erkennt man, dass die deutsche "Energiewende" tatsächlich zu einer drastischen Änderung geführt hat und nach Beschlusslage weiter führen wird (gestrichelter Verlauf), während z.B. die USA sich deutlich weniger verändert haben.

Abb. 4: Zeitliche Entwicklung der Anteile fossiler, nuklearer und regenerativer Energien ausgewählter Staaten von 1965 bis heute



Werden wir energieeffizienter?

Ein Schlüssel zur weiteren positiven Entwicklung der Energiesituation liegt zweifellos in der Erhöhung der Energieeffizienz in allen Bereichen. Tabelle 2 zeigt sehr deutlich, dass wir im Wesentlichen durch technische Entwicklungen bereits erhebliche Fortschritte erzielt haben. Es ist noch unklar, ob auch in privaten Haushalten und im straßengebundenen Individualverkehr Änderungen des Nutzerverhaltens eine größere Rolle spielen werden.

Tabelle 2: Der Energieverbrauch ist in Deutschland zwischen 1990 und 2012 deutlich gesunken (Daten: BMWi 2014) Tabelle 2: Der Energieverbrauch ist in Deutschland zwischen 1990 und 2012 deutlich gesunken (Daten: BMWi 2014)



Häufig allerdings werden Effizienzsteigerungen, die durch technischen Fortschritt erreicht wurden, überdeckt; und zwar dadurch, dass zugleich höhere Anforderungen an die Leistung gestellt werden. Ein Beispiel hierfür bietet der Pkw: Der Antrieb unserer Autos ist heute sehr viel effizienter als vor drei, vier oder fünf Jahrzehnten. Allerdings ist das heutige Durchschnittsfahrzeug auch deutlich leistungsstärker, schwerer und mit zahlreichen Komponenten für Sicherheit und Komfort ausgestattet, was die mögliche Kraftstoffeinsparung kompensiert.


Kann man ein Fazit ziehen?

Die Energieversorgung bei weltweit wachsendem Bedarf ist eine wichtige Frage und wird dies auch noch lange Zeit bleiben. Sie ist nicht allein technisch zu lösen, sondern erfordert die Einbeziehung vieler weiterer Aspekte. Diese sind unter Anderem wirtschaftlicher Natur (Energie muss bezahlbar sein), politisch bedingt (z.B. Abhängigkeiten von anderen Staaten), aber auch ethisch motiviert (z.B. wachsender Energiebedarf für einen globalen Wohlstand).


Autoren

Prof. Dr.-Ing. Dieter Brüggemann leitet den Lehrstuhl für Technische Thermodynamik und Transportprozesse (LTTT) und ist Direktor des Zentrums für Energietechnik (ZET) an der Universität Bayreuth.

Prof. Dr.-Ing. Andreas Jess ist Inhaber des Lehrstuhls für Chemische Verfahrenstechnik an der Universität Bayreuth.

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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Abb. S. 6:
Der rasant steigende Energiebedarf in den Megastädten zählt zu den weltweiten Herausforderungen im 21. Jahrhundert.


Sie finden das Magazin als PDF-Datei mit Abbildungen unter:
http://www.uni-bayreuth.de/presse/spektrum/spektrum-pdf/ausgabe_02_14.pdf

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Quelle:
spektrum - Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 2, November 2014, S. 6 - 9
Herausgeber: Universität Bayreuth
Stabsstelle Presse, Marketing und Kommunikation
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Telefon: 0921/55-53 56, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2015


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