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GLOBAL/040: Blick auf Rio+20 - Von den Erwartungen an eine Konferenz (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2011

Global Governance - Eine Chimäre?

Blick auf Rio+20
Von den Erwartungen an eine Konferenz

von Michael Frein


Da steht eine Weltkonferenz vor der Tür - und verbreitet zunächst einmal Ratlosigkeit. Nicht nur NGOs fragen sich, ob und wenn ja, welchen Sinn die Veranstaltung hat, die da im kommenden Jahr vom 20. bis 22. Juni statt. Jedoch, die Frage ist müßig. Die Rio+20-Konferenz findet statt, und sie wird werden. Das Problem dabei ist: Von wem und wofür?

Eines ist klar: Eine neue Konvention, ein neues Abkommen oder ein anderes völkerrechtlich verbindliches Ergebnis wird es nicht geben. Das mag diejenigen bestätigen, die die ganze Veranstaltung ohnehin für eine Randnotiz des politischen Kalenders halten. Diese Position übersieht jedoch, dass es in Rio um Diskurshegemonie geht, es geht darum, welches Verständnis von nachhaltiger Entwicklung in den kommenden Jahren die öffentliche Debatte prägen wird.


Weltumweltprogramm zur Weltumweltorganisation?

Dafür ist die Frage des Stellenwerts der Umweltpolitik innerhalb des UN-Systems, des "Institutional Framework for Sustainable Development", vielleicht nicht die wichtigste. Es gibt wenig, das gegen eine Aufwertung des Weltumweltprogramms UNEP zu einer ordentlichen UN-Organisation spräche. Es gibt allerdings auch wenig Grund für die Annahme, dass dies zu spontanen Jubelfeiern auf den Straßen führen wird.

Dies gilt in ähnlicher Weise für andere Vorschläge, etwa den eines Rats für nachhaltige Entwicklung, der die gesamte Arbeit aller UN-Einrichtungen koordiniert, die mit nachhaltiger Entwicklung befasst sind. Auch dies ist prinzipiell zu unterstützen. Nichtsdestoweniger drängt sich mit Blick auf die tatsächliche Reichweite solcher Maßnahmen die Frage auf, ob mangelnde Koordination innerhalb des UN-Systems zu den hauptsächlichen Blockaden für eine nachhaltige Entwicklung zu zählen ist.


Green Economy oder Nachhaltige Entwicklung?

Das andere Thema, die "Green Economy in the Context of Sustainable Development and Poverty Eradication", scheint ebenfalls noch nach politischer Erdung zu suchen. Was Green Economy genau ist, ist schwierig zu fassen. Das macht eine kritische Diskussion nicht eben einfacher.

Immerhin bietet UNEP in einer 600 Seiten langen Studie (1) eine Zielvorgabe, wonach eine Green Economy menschliches Wohlbefinden und soziale Gleichheit erhöhen und dabei Umweltkrisen und ökologische Knappheiten signifikant verringern müsse. Äußern soll sich dies darin, dass Wachstum in der Green Economy auf privaten und öffentlichen Investitionen beruht, die Kohlenstoffemissionen verringern, Ressourceneffizienz vergrößern und den Verlust an biologischer Vielfalt und ökosystemaren Dienstleistungen unterbinden.

Damit können, wenn nicht alle, so doch viele, gut leben. Um nur einige Beispiele zu nennen: Bill Glover, der Vizepräsident von Boeing setzt auf Grünes Wachstum (2), Südkorea zielt auf Grünes Wachstum durch Kernenergie (3), der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Gerd Sonnleitner will Grünes Wachstum fördern (4), Josef Ackermann sieht die Deutsche Bank als Vorreiter.(5)

Das ist nicht weiter verwunderlich, schon der Nachhaltigkeitsbegriff hat sich tot gesiegt. Er wurde solange geknetet, bis er endlich auch nahtlos in ein neoliberales Weltbild zu integrieren war. Dies wird nun unter der Überschrift einer Green Economy programmatisch unterfüttert und fortgeführt. War die Nachhaltigkeitsdebatte noch von einem - der neoliberalen Instrumentalisierung Tür und Tor öffnenden - theoretischen Konstrukt eines Dreiecks oder Drei-Säulen-Modells geprägt, wobei Wirtschaft, Soziales und Umwelt irgendwie ausbalanciert oder in ein harmonisches Miteinander gebracht werden mussten, so droht das Soziale in der Green-Economy-Perspektive vollends ins Abseits zu geraten, beziehungsweise, wie es im Mandat von Rio heißt, nur noch den Rahmen für die Green Economy-Debatte abzugeben.

Es geht, so scheint es, alles weiter wie bisher, nur eben grüner. Glaubt man UNEP, so hilft die Green Economy auch den vielen Armen, deren Lebensbedingungen in Entwicklungsländern in besonderem Maße von einer intakten Umwelt abhängen. Kein Wort dabei von ungerechten Handelsbedingungen, von einer Marköffnungs- und Liberalisierungsstrategie der EU und anderer Industrieländer, die eine wirtschaftliche Entwicklung in vielen Ländern bereits im Keim erstickt. Die Notwendigkeit einer Re-Regulierung der globalen Finanzmärkte hat in diesem Green-Economy-Diskurs offenbar ebenso wenig einen Ort wie die globale Hungerkrise oder die Verrechtlichung von Corporate Accountability. Auch Suffizienzstrategien, das Ende der Fixierung auf wirtschaftliches Wachstum oder Überlegungen in Richtung einer Postwachstumsgesellschaft sucht man vergeblich. Polemisch könnte man sagen: Mit einer Green Economy wird die globale Ungerechtigkeit in der Verteilung von Ressourcen, Reichtum und Wohlstand nicht weniger, sondern grüner.


Rio+20: Was steht auf dem Spiel?

Was soll Rio+20 nun bringen? Der Vergleich mit der Rio-Konferenz von 1992, der hier und da gezogen wird, hinkt in mehrfacher Hinsicht. Zum einen ist die historische Situation eine andere. Als man sich vor 20 Jahren in Rio traf, glaubte man, die Friedensdividende des eben überwundenen Ost-West-Konflikts verteilen zu können. Heute stellt sich die Frage, wie man die Staatshaushalte der wichtigsten Industrieländer vor dem Zusammenbruch retten soll.

Zum anderen macht nur der Vergleich mit der Rio+10-Konferenz, dem Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung (WSSD) von 2002 in Johannesburg, wirklich Sinn. Auch dort gab es keine völkerrechtlich verbindlichen Ergebnisse, hingegen einen 170 Paragraphen langen Implementierungsplan. Dessen Wirkungen blieben begrenzt.

Rückblickend ist das wesentliche Ergebnis von Johannesburg eher in einer weiteren Verschiebung des Nachhaltigkeitsdiskurses hin zu den Interessen einer globalisierten Wirtschaft zu sehen - abzulesen an der geradezu überwältigenden Präsenz vor Ort und den Typ-II-Ergebnissen von Johannesburg. Typ-II-Ergebnisse, also gemeinsame Projekte von Staat und Wirtschaft, adelten die Global Player, indem sie sie (fast) auf eine Ebene mit staatlichen Maßnahmen stellte. Nicht verschwiegen werden darf, dass auch diese oder jene NGO sich geschmeichelt fühlte, wenn sie auf dem Treppchen noch ein Plätzchen fand.

Mit der Green-Economy-Debatte droht sich diese Tendenz zu verstärken. Ihr geht es schwerpunktmäßig darum, Investitionen in eine bestimmte grüne Richtung zu lenken. Dagegen ist im Grunde wenig zu sagen - sieht man einmal von zwei oder drei nicht ganz unerheblichen Tatsachen ab: Zum einen ist nachhaltige Entwicklung mehr als grünes Wirtschaften, sie umfasst auch soziale Gerechtigkeit, oder, wie es im Brundtland-Bericht von 1987 heißt: Nachhaltigkeit "bedeutet die Verantwortung für soziale Gerechtigkeit zwischen den Generationen, die sich logischerweise auch bezieht auf die Gerechtigkeit innerhalb jeder Generation."(6)

Es gibt, daran anschließend, gute Gründe zu bezweifeln, dass Ressourcen- und Umweltschutz ohne ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit zu erreichen sein wird. Das Problem begrenzter Ressourcen rein technisch lösen zu wollen greift zu kurz, unter anderem weil Reboundeffekte Effizienzgewinne auch weiterhin überkompensieren werden. Die Zuteilung zur Nutzung knapper Ressourcen ausschließlich über Marktmechanismen wird harte Verteilungskämpfe auslösen, zumal in einer Situation, in der das Wachstumsversprechen wegfällt, also die Aussicht Brüche bekommt, wonach es allen besser gehen wird, weil der Kuchen insgesamt größer wird.

Sodann wäre es klug, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Interessen von Regierungen, Wirtschaftsunternehmen, Sozialverbänden, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen doch unterschiedlich sein können. Bereits in der Nachhaltigkeitsdebatte ist oftmals eine Tendenz zu beobachten, dies beiseite zu wischen. Elmar Altvater drückte dies einmal so aus: "Es gibt keine Interessen, daher auch keine Gegensätze, folglich nur noch Menschen, die sich der überzeugendsten Leitbilder zur Rettung aus dem ökologischen Schlamassel bedienen können."(7) Für die Green Economy gilt diese Feststellung erst recht.


Warum sollte man sich um Rio+20 kümmern?

Nichtsdestoweniger ist es unsinnig, Rio+20 einfach als Unsinn abzutun. Vielmehr sollte man Rio+20 als Ort der globalen Meinungsbildung verstehen, als eine Fokussierung der weltweiten Debatte um Umwelt und Entwicklung.

Und da greift eben vieles zu kurz. Oder, genauer: Vieles ist von spezifischen Interessen geleitet. Beispielsweise die Aufwertung von UNEP, wo vielleicht auch nicht wirklich verwundern kann, dass UNEP mit einem eher geschmeidigen Green-Economy-Ansatz daherkommt, wenn es von den UN-Mitgliedern "befördert" werden will. Tatsächlich wäre es wesentlich sinnvoller, statt über eine Aufwertung von UNEP über das Verhältnis von Umwelt- und Menschenrechtsabkommen zu Handelsabkommen zu streiten - mit dem Ziel, dass letztere den ersteren unterzuordnen sind. Solange beispielsweise WTO-Regeln de facto jedes Umweltabkommen ausstechen, solange Investitionsabkommen auf Investitionssicherung statt auf Umweltschutz und soziale Entwicklung zielen, bleibt es schwierig mit der nachhaltigen Entwicklung. Statt einem "Greening the existing Economy" müsste es um die Frage gehen, wie menschliche Entwicklung angesichts eines begrenzten Planeten vorangetrieben werden kann. Es ist einigermaßen bezeichnend, dass es in Rio um die Aufwertung von UNEP geht - während das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) in dieser Debatte faktisch keine Rolle spielt.

Rio+20 ist daher nicht zu sehen als ein Versuch, die Global Governance im Bereich nachhaltiger Entwicklung wirklich und grundlegend zu verändern. Eher soll sie fortgeschrieben, der - völlig unzureichende und unbefriedigende - Status Quo soll gefestigt werden. Insofern sollte man Rio+20 wichtig nehmen. Ob es einem gefällt oder nicht.

Der Autor ist Mitglied im Leitungskreis des Forums Umwelt und Entwicklung und Referent für Welthandel und Umwelt beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).


(1) Vgl. UNEP: Towards a Green Economy: Pathways to Sustainable Development and Poverty Eradication, o.O. 2011; www.unep.org/greeneconomy

(2) Vgl. http://www.dw-world.de/dw/article/0,,15528055,00.htm

(3) Vgl. http://www.zeit.de/wirtschaft/2011-06/suedkorea-kernkraft

(4) Vgl. http://www.bauernverband.de/?redid=152813&mid=465684

(5) Vgl. http://www.db.com/de/media/Deutsche_ Bank_-_Global_Metro_Summit_-_Speech_Dr._ Ackermann.pdf

(6) Volker Hauff (Hg.): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven 1987, S. 46.

(7) Elmar Altvater: Der Traum vom Umweltraum. Zur Studie des Wuppertal Instituts über ein "zukunftsfähiges Deutschland". In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 1/1996, S. 89. Altvater bezieht seine Kritik hier auf die erste 1996 erschienene Studie: Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie: Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung. Eine Studie im Auftrag von BUND und MISEREOR. Basel 1996.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2011, Seite 7-8
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2011