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GLOBAL/090: IPBES - Internationale Schnittstelle zwischen Biodiversitätsforschung & Politik (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2012
Biodiversität - Mehr Kröten für den Artenschutz

IPBES
Internationale Schnittstelle zwischen Biodiversitätsforschung und Politik gegründet

von Axel Paulsch und Carsten Neßhöver



Um wissenschaftliche Erkenntnisse besser in umweltpolitische Entscheidungen einzubinden, hat die Staatengemeinschaft die Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) im April 2012 formal gegründet. Dieses weltumspannende Beratungsgremium muss nun in den ersten Schritten seines Arbeitsprogramms den hohen Anforderungen an wissenschaftliche Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und das Ausarbeiten politischer Handlungsoptionen gerecht werden.

Mit der formalen Gründung durch über 90 Staaten am 21. April 2012 in Panama hat der IPBES-Prozess nach siebenjähriger Diskussion und Vorbereitung eine wichtige Hürde genommen und der «Globale Rat zur Biodiversität« existiert nun offiziell. Die Plattform wurde als unabhängiges zwischenstaatliches Organ eingerichtet, das somit keiner Konvention oder UNBehörde direkt untersteht. Natürlich soll IPBES mit bestehenden Umweltabkommen wie zum Beispiel der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) eng zusammen arbeiten, es ist aber frei in der Auswahl der zu bearbeitenden Themen und steht auch Staaten offen, die nicht CBD-Mitglieder sind, beispielsweise den USA.

Das Gründungstreffen in Panama musste sich aus Zeitgründen zunächst auf die Aspekte der Verfahrensregeln konzentrieren, die zu einer Gründung nötig waren. Insofern ist zwar ein großer Schritt getan, aber IPBES noch lange nicht voll funktionsfähig. So ist zum Beispiel der strukturelle Aufbau noch nicht ganz abgeschlossen, aber die wichtigsten Organe der Plattform wurden wie folgt festgelegt:


Struktur und Organe

Plenum: Das wichtigste, weil entscheidungsberechtigte, Organ ist die Vollversammlung von Vertretern aller UN-Staaten, die IPBES beigetreten sind, das Plenum. Darin sind alle Mitglieder gleichberechtigt, falls es zu Abstimmungen kommt. Beobachter sollen in weitem Umfang zugelassen werden, wenn sie sich als Organisationen beim Sekretariat angemeldet haben. Dies gilt für Repräsentanten anderer Konventionen genauso wie für Nichtregierungsorganisationen oder wissenschaftliche Einrichtungen. Beobachtern wird ein Rederecht eingeräumt, aber kein Stimmrecht, das heißt ein Konsens gilt dann als gefunden, wenn kein Staat widerspricht, auch wenn Beobachter eine andere Meinung vertreten sollten. Dennoch ist dies das Höchstmaß an Beteiligungsmöglichkeiten für NGOs, die man bei einem zwischenstaatlichen Gremium erwarten konnte.

Zu den Aufgaben des Plenums gehört unter anderem zu entscheiden, zu welchen Themen Assessments und andere Arbeiten durchgeführt werden sollen. Vorschläge dazu können von einzelnen Mitgliedsstaaten kommen, von anderen Umweltabkommen (wie beispielsweise der CBD oder der UNCCD) oder auch von Seiten der Wissenschaft oder von NGOs. Priorisierungskriterien sind noch nicht festgelegt.

Zu den Befugnissen des Plenums gehört auch, über die Verwendung der Mittel zu entscheiden, die im freiwillig zu füllenden Trust Fund, dem Geldtopf für IPBES, zur Verfügung stehen. Darüber hinaus bestimmt das Plenum über alle zu vergebenden Positionen innerhalb von IPBES, also zum Beispiel über den Vorsitz und die Vize-Vorsitzenden. Personenvorschläge einzelner Regionen müssen jeweils vom Plenum gebilligt werden.

Eine wesentliche, noch ungeklärte Frage ist aber die nach dem Konsensprinzip im Plenum. Es ist noch nicht klar, ob Plenumsentscheidungen grundsätzlich einstimmig getroffen werden müssen, oder ob für den Fall, dass trotz aller Bemühungen keine Einigung erzielt werden kann, eine Mehrheitsentscheidung zu treffen ist, und wenn ja, mit welchen Mehrheitsverhältnissen. Dies ist auch aus wissenschaftlicher Perspektive eine sehr wichtige Frage, denn das Plenum wird nicht nur darüber entscheiden, zu welchen Themen Assessments und andere Arbeiten durchgeführt werden sollen, sondern es wird auch die Zusammenfassungen, etwa der Abschlussberichte von Assessments, genehmigen müssen. Das Konsensprinzip würde jedem einzelnen Mitgliedsstaat de facto ein Vetorecht gegen die Auswahl unliebsamer Themen oder gegen die Anerkennung von Schlussfolgerungen aus den Assessments und anderen Produkten einräumen.

Büro: Als kleines Leitungsgremium im Sinne eines administrativen Vorstands wurde ein Büro eingerichtet, das aus dem Vorsitzenden, den vier Vize-Vorsitzenden und fünf weiteren Personen besteht, die administrative Aufgaben wahrnehmen. In der Besetzung wurde auf eine Ausbalancierung der fünf UN-Regionen geachtet. Im Moment sind noch die Büromitglieder kommissarisch im Amt, die 2011 in Nairobi beim ersten Teil des Gründungstreffens nominiert wurden.

Multidisciplinary Expert Panel (MEP): Das aus wissenschaftlicher Sicht entscheidende Gremium, das unter IPBES eingerichtet wird, ist das Multidisciplinary Expert Panel (MEP). Seine Aufgaben umfassen die Sicherstellung der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit der Assessments und ihrer Aussagen, die Organisation eines entsprechenden Review-Prozesses und die Auswahl von Lead-Autoren für einzelne Kapitel der Assessments. Das MEP soll sowohl naturwissenschaftliche als auch sozialwissenschaftliche Disziplinen abdecken und die Einbeziehung anderer Wissensformen sicherstellen. Es soll aus 25 Wissenschaftlern bestehen, jeweils fünf aus den fünf UN-Regionen. Als Beobachter sind die jeweiligen Vorsitzenden wissenschaftlicher Nebenorgane anderer Konventionen eingeladen, zum Beispiel der SBSTTA der CBD. Die 25 Personen werden von den jeweiligen Regionen nominiert und vom Plenum bestätigt. Deutschland gehört zur UNRegion WEOG (Western European and Others Group), zu der neben Westeuropa auch Australien, Neuseeland, Kanada und (bei Wahlprozessen) auch die USA zählen. Diese Region kann fünf Kandidaten nominieren. Der genaue Nominierungsprozess ist noch nicht festgelegt, aber beim ersten Plenum soll ein Interim-MEP für maximal zwei Jahre besetzt werden.

Das MEP ist zwar für Beobachter nicht zugänglich, muss aber seine Entscheidungen, zum Beispiel zur Autorenauswahl, öffentlich machen. Wie genau diese Lead-Autoren dann verfügbare Informationen zum jeweiligen Thema sammeln und auswerten sollen, ist noch nicht festgelegt. In dieser Hinsicht ist bei den nächsten Treffen des Plenums, das dazu Verfahrensregeln entwickeln soll, darauf zu achten, dass auch die Einbeziehung lokalen und traditionellen Wissens und beispielsweise der Datensammlungen und Erfahrungen, über die NGOs verfügen, sichergestellt wird.

Sekretariat: Als Geschäftsstelle von IPBES wird in Bonn ein Sekretariat eingerichtet. Deutschland hatte sich mit seiner Kandidatur in einer Wahl gegen Südkorea, Indien, Kenia und Frankreich durchgesetzt. Das Sekretariat wird für die Vorbereitung und Dokumentation von Treffen (Plenum, Arbeitsgruppen und so weiter) zuständig sein, und seine Aufgaben werden ihm vom Plenum zugewiesen.

Mit der Wahl von Deutschland als Standort sind auch seitens der internationalen Community hohe Erwartungen an eine aktive Rolle Deutschlands in der Umsetzung von IPBES verbunden.


Das IPBES-Arbeitsprogramm

Beim dritten Beratungstreffen (Juni 2010) wurden vier Arbeitsbereiche für IPBES festgelegt und die Verhandlungen der beiden ersten Plenumstreffen im Oktober 2011 und im April 2012 haben sich an den folgenden vier Arbeitsfeldern orientiert:
Eine der Hauptaufgaben der neuen Plattform soll die Erarbeitung von weltumspannenden und regionalen Berichten (Arbeitsfeld Assessments) sein, die auf Anfragen von Regierungen antworten. Anfragen von anderer Seite sind willkommen, brauchen aber die Unterstützung des Plenums. Das Plenum legt fest, zu welchen Themen und in welcher Reihenfolge diese Assessments durchgeführt werden.
Zum zweiten soll IPBES Notwendigkeiten des Arbeitsfeldes Capacity Building priorisieren und für die höchsten Prioritäten Unterstützung bereitstellen oder zur Bereitstellung aufrufen.
IPBES soll identifizieren und priorisieren, welche wissenschaftlichen Informationen für politische Entscheidungsträger am wichtigsten sind und helfen, die Bemühungen zu katalysieren, neues Wissen zu generieren (Arbeitsfeld Knowledge generation).
Zudem soll IPBES im vierten Feld die Formulierung von politischen Entscheidungen und ihre Umsetzung unterstützen, indem es politikrelevante Werkzeuge und Methoden identifiziert und analysiert (Arbeitsfeld Policy Tools), und damit das vielfach diskutierte Problem der fehlenden Anwendbarkeit von Assessment-Ergebnissen in der Praxis beheben helfen.

Diese vier Arbeitsfelder bedürfen der Konkretisierung im Arbeitsprogramm von IPBES. UNEP als derzeitiger Administrator von IPBES hatte vor dem Panama-Treffen eine Liste von 16 prioritären Aktionen zusammengestellt, die einen Start für das Arbeitsprogramm ermöglichen sollen. Diese Liste muss beim ersten Plenum (voraussichtlich Frühjahr 2013) weiter diskutiert werden, einige Aktionen sollen aber bereits im Zeitraum bis dorthin dorthin angegangen werden, so etwa die Übersicht bestehender Assessments und die Erarbeitung eines Entwurfs für einen conceptual framework. Die genaue Ausarbeitung des Arbeitsprogramms und seine zukünftige Weiterentwicklung werden jeweils in den Plenumssitzungen erfolgen, die ja Beobachtern offenstehen. Insofern ist hier für NGOs und Einrichtungen der Zivilgesellschaft die Möglichkeit gegeben, sich an dieser Entwicklung direkt und tatkräftig zu beteiligen. Es steht zum Beispiel noch nicht fest, zu welchen Themen und auf welche räumlichen Skalen bezogen die ersten IPBES-Assessments durchgeführt werden sollen. Gerade in diesem Bereich können NGOs die gesellschaftliche Relevanz bestimmter Themen betonen und auf Verknüpfungen zum Wohlergehen betroffener Bevölkerungsgruppen hinweisen. In Deutschland hat das mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) als Instrument von Diversitas Deutschland e. V. eingerichtete Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland - NeFo (www.biodiversity. de) derzeit die Aufgabe, über IPBES zu informieren und die deutsche Beteiligung an IPBES zu unterstützen. Ziel ist es, BiodiversitätsforscherInnen und ExpertInnen möglichst vieler Fachrichtungen am Prozess zu beteiligen, die ihre Expertise zu politikrelevanten gesellschaftlichen Fragen bereitstellen.

Die Geoökologen Dr. Axel Paulsch und Dr. Carsten Neßhöver arbeiten an der Schnittstelle Wissenschaft und Politik des Netzwerk-Forums zur Biodiversitätsforschung Deutschland am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung - UFZ in Leipzig. Axel Paulsch nahm am IPBES-Gründungstreffen in Panama als Teil der deutschen Delegation teil.

Offizielle Informationen zu IPBES findet man unter:
http://www.ipbes.net/
Weitere Informationen aus deutscher Sicht und Links zu zahlreichen Hintergrunddokumenten finden sich auch auf dem NeFo-Angebot zu IPBES unter dem Shortcut:
http://www.ipbes.de/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2012, S. 6-7
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2012