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GLOBAL/091: Das Nagoya-Protokoll - Stand der Umsetzung (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2012
Biodiversität - Mehr Kröten für den Artenschutz

Das Nagoya-Protokoll
Stand der Umsetzung

von Michael Frein und Hartmut Meyer



Nach einem nicht enden wollenden Streit und langwierigen Verhandlungen wurde das »Protokoll von Nagoya über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile« - wir sprechen der Einfachheit halber vom Nagoya-Protokoll - Ende Oktober 2010 im japanischen Nagoya von den Mitgliedern des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity - CBD) verabschiedet. Es sollte ein Vertrag geschaffen werden, der Biopiraterie bekämpfen und verhindern kann. Das Protokoll ist eher Zwischenstation eines 20-jährigen Kampfes für mehr Gerechtigkeit und Anerkennung der Leistungen biodiversitätsreicher Staaten und indigener Völker sowie lokaler Gemeinschaften zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt.[1]

Inzwischen haben 92 Regierungen das Nagoya-Protokoll unterschrieben, darunter auch Industriestaaten wie die EU, Australien, Japan, Norwegen und die Schweiz. Bis zum 1. September 2012 liegen fünf Ratifizierungen vor: Gabun, Jordanien, Ruanda, die Seychellen und Mexiko. Mit dem Inkrafttreten des Vertrages wird 2015 gerechnet, die Delegierten der COP-10 in Nagoya hatten im Aichi-Ziel 16 beschlossen: »By 2015, the Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization is in force and operational, consistent with national legislation.« Während der zweiten Sitzung des Intergovernmental Committees des Nagoya-Protokolls im Juli 2012 in Delhi berichteten 20 Regierungen über den Stand der nationalen Umsetzung, dabei sieht die Situation in der EU folgendermaßen aus:

Die EU stellt einen besonderen Fall dar, da sowohl die EU als auch die Mitgliedsstaaten das Nagoya-Protokoll ratifizieren werden. Bis dato gibt es kaum Erfahrung mit ABS-Systemen (Access and Benefit Sharing - Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechter Vorteilsausgleich), nur wenige Staaten planen eine Zugangsregelung, während sehr viele sich auf Nutzermaßnahmen konzentrieren werden. Es wurden zahlreiche Konsultationen abgehalten, so auch mit Brasilien, das über seine nationalen Erfahrungen berichtete. Die EU hat ein impact assessment vorgelegt und eine öffentliche Anhörung durchgeführt und ist entschlossen, einen Gesetzesvorschlag vor der COP-11 vorzulegen. Das geplante System muss einfach und angemessen sein, es wird auf bereits vorliegenden Praktiken und Verhaltensregeln aufbauen. Trotzdem soll das System effektiv sein und zur Einhaltung der Nutzervorschriften des Nagoya-Protokolls beitragen. Dem Vorschlag muss auch durch das Parlament und den Ministerrat zugestimmt werden, die ihrerseits Veränderungen beschließen können. Die minimale Zeitdauer für diese gemeinsame Gesetzgebungsprozedur benennt die EU mit zwölf Monaten. Es wird geplant, das Aichi-Ziel einzuhalten.

Belgien wird sein impact assessment Ende 2012 beenden, danach kann die politische Debatte der Implementierung and Ratifikation beginnen. Es wurden bisher die wesentlichen Verpflichtungen identifiziert, es ist aber schwierig, die nationalen Akteure über die Implikationen des Nagoya Protokolls und seines Einflusses auf nationale Systeme zu informieren, so etwa die Verbindung zwischen PIC (Prior Informed Consent) und dem Patentsystem.

Frankreich berichtet, dass seine nationale ABS-Arbeit relativ weit vorangeschritten ist, die Regierung beabsichtigt, vor 2015 zu ratifizieren. In den Überseegebieten von Französisch-Guyana und Neu-Kaledonien existieren bereits ABS-Vorschriften, auch Polynesien möchte solche entwickeln. Diese existierenden Vorschriften müssen um Vorschriften im Bereich Traditional Knowledge (TK) und Rechte indigener und lokaler Gemeinschaften ergänzt werden. In Frankreich selbst wird derzeit der parlamentarische Prozess zur Implementierung und Ratifikation vorbereitet, in 2011 wurde bereits ein Gesetzesentwurf vorbereitet, dabei werden ebenfalls die Fragen der Nutzung traditionellen Wissens berücksichtigt. Frankreich sieht sich aber auch als Land, das genetische Ressourcen bereitstellt und wendet bereits jetzt eine PIC-Prozedur an, die ebenfalls in die französische Gesetzgebung aufgenommen wird.

Großbritannien hat begonnen, seine Nutzer über das Nagoya Protokoll zu informieren. Dabei wurde auch ein Workshop mit Vertretern aus Brasilien durchgeführt. Die Regierung wird kein PIC einführen, sich aber die Möglichkeit einer Politikänderung offenhalten.

Dänemark betonte, dass die Botschaft eines ABS-Gesetzes sein muss: »Keep it simple«. Das Gesetz wird sich mit der Nutzung von genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen befassen, falls die Rechte der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften in den Herkunftsländern gesichert sind. Dänemark hat keinen PIC vorgesehen, aber eine Registrierung des Zugangs, so dass eine Rückverfolgung des Weges dänischer Ressourcen möglich wird. Zudem werden verschiedene check points eingeführt, etwa im Patentamt oder im System der staatlichen Forschungsfinanzierung.

Deutschland betont, dass eine nationale Umsetzung vorliegen muss, bevor das Nagoya-Protokoll ratifiziert werden kann. Die Regierung hat mehrere Runde Tische mit Akteuren durchgeführt und eine ABS-Internetseite eingerichtet. Zudem haben zahlreiche Akteure, wie botanische Gärten und die Forschung, selbst ABS-Initiativen entwickelt, die dann in die Gesetzgebung einfließen sollen. Das Patentgesetz wurde um ABS-Aspekte ergänzt. Zu Inhalten und Fahrplan einer nationalen Implementierung und Ratifizierung äußerte sich die Regierung nicht.

Die beiden bisherigen Sitzungen des Intergovernmental Committee (ICNP-1 & ICNP-2) haben versucht, zahlreiche Beschlüsse zur Operationalisierung des Vertrages für die COP-11 im Oktober 2012 in Hyderabad vorzubereiten. Dabei konnte in den inhaltlich strittigen Fragen - wie auch schon während der Verhandlungen - keine Einigkeit erzielt werden. Zwei Mechanismen werden für die Arbeit und Wirksamkeit des Nagoya-Protokolls von entscheidender Bedeutung sein: Das ABS-Clearing House und der Compliance-Mechanismus.

Das ABS Clearing House

Die Pilotphase des ABS-Clearing House Mechanismus wurde von ICNP-1 ins Leben gerufen. Mit Hilfe des ABSClearing House Mechanismus' sollen Informationen über die nationalen ABS-Gesetze und die national zuständigen Behörden der zukünftigen Mitgliedsstaaten des Protokolls sowie die nationalen Genehmigungsbescheide über ABS-Verträge zur Verfügung gestellt werden. Weitere Informationen, etwa über Vertretungen indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, Standardverträge sowie über Instrumente zur Überwachung der Weitergabe genetischer Ressourcen können ebenfalls über das ABS-Clearing House verbreitet werden. Es bleibt festzustellen, dass die Pilotphase bis heute im Hangar stehen geblieben ist. Das Sekretariat der CBD informierte die Delegierten während ICNP-2, dass jüngst mit Hilfe der finanziellen Unterstützung von Deutschland, der Schweiz und der EU das benötige Personal eingestellt wurde. Weiterhin wurden den Delegierten Vorschläge zu Eigenschaften und Anwendungen des Clearing House unterbreitet, die auf den Erfahrungen des Informationsmechanismus' des Cartagena-Protokolls aufbauen. Als neue Maßnahme hat ICNP-2 die Gründung eines »informellen Beratungskomitees« beschlossen, um das Sekretariat in technischen Fragen zu unterstützen. Es ist zu erwarten, dass die Pilotphase schließlich nach der COP-11 beginnen wird, wenn die nötigen Budgetentscheidungen gefallen sind.

Der Internationale Compliance Mechanismus

Das Thema Compliance - die Regeln und Mechanismen zur Förderung und Überprüfung der Einhaltung der Vorgaben des Nagoya Protokolls - erwies sich erwartungsgemäß als das kontroverseste Thema auf ICNP-2. Die Konfliktlinien liegen offen dar: während Entwicklungsländer einen starken Einhaltungsmechanismus verlangen, lehnen Industrieländer verbindliche Elemente ab. Auch der Umfang der Arbeit des internationalen Einhaltungsmechanismus' ist zwischen Entwicklungs- und Industrieländern umstritten. Hier dreht es sich um die zentrale Fragen, ob auch die Umsetzung der Artikel 15 bis 18 - die sich mit dem Aufbau von Einhaltungsmechanismen in den nationalen ABS-Systemen befassen - durch den Mechanismus des Nagoya Protokoll geprüft werden dürfen. In dieser Frage befürchten die Entwicklungsländer, dass die Industriestaaten, nachdem sie in ihrer großen Mehrheit weder Artikel 15 der CBD von 1992 noch die Bonner ABSLeitlinien von 2002 umgesetzt haben, auch die Einhaltung der Regeln des Nagoya Protokolls zum Vorteilsausgleich nur zögerlich angehen.

Die Unterhändler in Delhi konnten sich auf das Ziel des Einhaltungsmechanismus' einigen: »[...] to promote compliance with the provisions of the Protocol and to address cases of noncompliance. These procedures and mechanisms shall include provisions to offer advice or assistance, where appropriate. They shall be separate from, and without prejudice to, the dispute settlement procedures and mechanisms under Article 27 of the Convention on Biological Diversity.« Damit wird das Nagoya Protokoll einen eigenständigen Mechanismus aufbauen können. Bei der Rechtsverbindlichkeit des Mechanismus' setzte sich das tiefe Zerwürfnis aus den Verhandlungen vor und in Nagoya fort.

In der Diskussion über die Zusammensetzung eines Einhaltungsmechanismus' erwies sich die Option, einen Vertreter der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften als ständiges Mitglied in das Komitee des Einhaltungsmechanismus' aufzunehmen, als Stolperstein. Sollte ein solcher Vertreter Mitglied oder Beobachter sein? Sollen die Regierungen oder die Vertretungen der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften eine Person vorschlagen? Wie kann ein Vertreter die Position aller indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften repräsentieren? Eine Beantwortung dieser Fragen wurde auf die COP-11 verschoben.

Zusammenfassung

Die Ergebnisse von ICNP-1 und ICNP-2 zeigen deutlich, dass der Text des Nagoya-Protokolls, der bei der COP-10 von der EU und Japan als »take it or leave it« Option vorgelegt und unter dem Eindruck der gescheiterten Klimaverhandlungen von Kopenhagen notgedrungen von allen CBD-Mitgliedern verabschiedet wurde, die offenen Konflikte der Verhandlungspartner nicht lösen konnte. Da eine Einigung in den internationalen Debatten als schwierig erscheint, kommt es nun um so mehr auf eine nationale und eventuell regionale Umsetzung des ABS-Protokolls an, in der die Interessen der jeweiligen Staaten besser berücksichtigt werden. Die Position der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften in diesen Prozessen wird durch die weiterhin unscharfen und unverbindlichen globalen Regeln nicht unterstützt.

Michael Frein war bis 31.08.2012 Mitglied im Leitungskreis des Forums Umwelt und Entwicklung und Referent für Welthandel und Umwelt beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). Hartmut Meyer ist ABS-Berater für den Evangelischen Entwicklungsdienst.

[1] Vgl. Michael Frein, Hartmut Meyer: Wer kriegt was? Das Nagoya-Protokoll gegen Biopiraterie - Eine politische Analyse. Bonn, 2012. http://www.eed.de


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2012, S. 8-9
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2012