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GLOBAL/153: Die Biodiversitätskonvention in der Wüste (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2018
Lebensadern unserer Erde
Flüsse - begradigt, gestaut, zerstört.

Geben die Staaten die Biodiversitätsziele für 2020 auf?
Die Biodiversitätskonvention in der Wüste

von Christian Schwarzer


Im 25. Jahr ihres Bestehens steckt die Biodiversitätskonvention (CBD) in der Umsetzungskrise fest. Auf der COP14 in Ägypten scheinen die Staaten sich damit abgefunden zu haben, dass die Aichi-Ziele bis 2020 nicht mehr erfüllbar sind und planen den nächsten Strategischen Plan.


Es ist noch gar nicht so lange her, da galt das UN-Übereinkommen zur biologischen Vielfalt (CBD) noch als Vorzeigekonvention unter den Rio-Konventionen: Während die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) 2009 mit Pauken und Trompeten an der Aufgabe scheiterte, ein rechtlich verbindliches Klimaschutzabkommen zu verabschieden, gelang es den 196 Vertragsstaaten der CBD, sich im Oktober 2010 im japanischen Nagoya auf einen hochambitionierten 10-Jahres-Plan für den Schutz der biologischen Vielfalt zu verständigen. Dieser sogenannte Strategische Plan 2011-2020 beinhaltete darüber hinaus 20 konkrete und messbare Ziele (Aichi Targets), mit deren Hilfe dem Verlust an Biodiversität Einhalt geboten werden sollte.

Die CBD brüstete sich damals mit einer Pressemeldung, die unter anderem Sätze wie diesen beinhaltete:

"Nagoya wird in die Geschichte eingehen, als der Ort, an dem eine neue Ära des Lebens in Harmonie mit der Natur geboren wurde und wo sich eine globale Allianz für den Schutz des Lebens auf der Erde gründete."

Der Kater danach und Rettungsversuche in Pyeongchang (2014) und Cancún (2016)
Doch schon 4 Jahre später war von dieser Euphorie nicht mehr viel zu spüren. Mit dem Erscheinen des 4. Global Biodiversity Outlook (GBO4) Ende 2014, welcher auf Grundlage der Umsetzungsberichte der CBD-Vertragsstaaten Trends und Fortschritte beim Schutz der biologischen Vielfalt zusammenfasst, war klar, dass die Staaten weit davon entfernt waren, die Aichi-Ziele zu erreichen. Doch noch gab es die Möglichkeit zum Gegensteuern: Die 12. Vertragsstaatenkonferenz (COP12), welche im Oktober 2014 im südkoreanischen Pyeongchang tagte, nahm die besorgniserregende Bestandsaufnahme des GBO4 dann auch zum Anlass, ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Umsetzung zu verabschieden, die sogenannte Pyeongchang Roadmap for Enhanced Implementation (Pyeongchang-Aktionsplan für verbesserte Umsetzung). Diese beinhaltete unter anderem einen Beschluss, um mehr Gelder für den Schutz der Biodiversität bereitzustellen sowie einen Aktionsplan mit Schlüsselmaßnahmen, die kurzfristig von den Staaten ergriffen werden sollten, um die Erreichung der Aichi-Ziele sicherzustellen.

Nur leider geschah danach wenig. Fragt man heute Delegierte nach der Pyeongchang-Roadmap, wissen die meisten nicht einmal mehr, was sie da eigentlich vor 4 Jahren verabschiedet haben.

Auch die COP13 (Dezember 2016 in Cancún, Mexiko), welche zum ersten Mal einen Fokus auf das sogenannte "Biodiversity-Mainstreaming" legte, also die Berücksichtigung von Biodiversitätsschutz in anderen Politikfeldern wie Landwirtschaft, Tourismus oder Fischerei, versuchte das Ruder noch umzudrehen. Zwar hat sich die mexikanische Regierung während ihrer COP-Präsidentschaft zwischen 2016 und 2018 durchaus tatkräftig für Biodiversity-Mainstreaming engagiert und zahlreiche Dialogveranstaltungen, Workshops und Konferenzen organisiert, trotzdem hat sich am Trend nicht viel geändert. Die Erreichung der Aichi-Ziele ist nach wie vor in weiter Ferne.

Kapitulationserklärung in Sharm el-Sheikh
8 Jahre nach Nagoya ist von der Aufbruchsstimmung der COP10 nicht mehr viel in der CBD geblieben. Auf der COP14 (November 2018 in Sharm el-Sheikh, Ägypten), schienen die Bemühungen, den Strategischen Plan 2011-2020 doch noch irgendwie zu retten, keine zentrale Rolle mehr zu spielen. Fast hatte man das Gefühl, als ob die Staaten die Aichi-Ziele am liebsten still und heimlich zu Grabe tragen wollten.

Zwar wurde auch in Sharm el-Sheikh (wieder mal) ein COP-Beschluss zur Verbesserung der Umsetzung verabschiedet, welcher auch einen durchaus begrüßenswerten "Short Term Action Plan" (kurzfristigen Aktionsplan) beinhaltet, jedoch scheint sich der Fokus der Delegierten längst auf ein anderes Thema verschoben zu haben: Den sogenannten Post-2020-Prozess zur Entwicklung eines neuen Strategischen Plans.

Im Rahmen von Post-2020 verwenden die Staaten derzeit viel Zeit und Ressourcen darauf, zu diskutieren, wie ein Nachfolgeabkommen für den Strategischen Plan aussehen kann. Noch ist der Inhalt dieses sogenannten "Post-2020 Global Biodiversity Framework" (Globales Biodiversitätsabkommen für die Zeit nach 2020) ziemlich offen und die Diskussionen auf der COP14 beschränkten sich auf die Ausgestaltung des Verhandlungsprozesses. Viele Delegierte zitierten das Pariser Klimaabkommen als mögliches Vorbild für ein Post-2020-Abkommen. Allgemein gibt es in der CBD viele Stimmen, die die CBD gerne nach dem Vorbild der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) umgestalten wollen. Ein hochrangiger Vertreter des UNFCCC-Sekretariats sprach in diesem Zusammenhang von einem völlig unverständlichen "Minderwertigkeitskomplex der CBD".

Freiwillige Selbstverpflichtung - die Lösung für Post-2020?
Insbesondere das Konzept der Intended Nationally Determined Contributions (beabsichtigte, national bestimmte Beiträge, INDC) fanden viele Delegierte attraktiv und wollten es am liebsten für die CBD übernehmen. Dabei wird oft vergessen, dass dieser auf freiwillige Selbstverpflichtungen basierende Ansatz als Ergebnis der gescheiterten Verhandlungen von Kopenhagen entstand, wo eigentlich ein rechtlich verbindliches Abkommen verabschiedet werden sollte. Erst Aufgrund dieses Scheiterns ließen sich die Staaten überhaupt auf ein freiwilliges Modell ein, welches aber bis jetzt keineswegs die notwendigen Emissionsreduktionen zustandegebracht hat, die eigentlich nötig wären, um das 2-Grad-Ziel einzuhalten - im Gegenteil: Aktuell steuern wir auf 4 Grad Erwärmung zu. Man muss sich fragen, ob ein solches Modell wirklich geeignet ist, um die Biodiversitätsziele zu erreichen.

Während der COP14 verbrachten die Delegierten dann auch viel Zeit damit, zu verhandeln, ob freiwillige Selbstverpflichtungen in Zukunft in der CBD eine größere Rolle spielen sollten. Weitgehend einig waren sich die Delegierten, dass freiwillige Selbstverpflichtungen nur als Ergänzung zu bestehenden Verpflichtungen gebilligt werden sollen. Unklar blieb aber, wie sichergestellt werden kann, dass freiwillige Selbstverpflichtungen nicht irgendwann rechtlich-verbindliche Instrumente wie Nationale Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne ersetzen.

Alle 10 Jahre dasselbe: Gefangen auf dem Karussell der großen Hoffnungen und gebrochenen Versprechen
Im Zusammenhang mit der Debatte zu Post-2020 muss man sich auch die Frage stellen, ob es wirklich zielführend ist, auf das absehbare Scheitern eines Strategischen Plans mit der Entwicklung eines neuen Planes zu reagieren, ohne die grundlegenden Probleme, die bei der Umsetzung des vorherigen Plans aufgetreten sind, wirklich gelöst zu haben. Denn schon 2010 scheiterte die CBD daran, ihr 2002 verabschiedetes Ziel, den Verlust an biologischer Vielfalt signifikant zu reduzieren, zu erfüllen, und reagierte darauf mit der Verabschiedung des Strategischen Plans 2011-2020.

Darauf angesprochen, was man denn mit dem Strategischen Plan 2011-2020 anders machen würde, gab der damalige CBD Exekutiv-Sekretär Ahmed Djoghlaf im April 2010 folgenden Kommentar ab:

"Während viele Ansätze in die richtige Richtung gingen, waren die entsprechenden Strategie- und Maßnahmenpakete der Staaten nur ungenügend auf das Ziel ausgerichtet, waren zu schlecht finanziert und wurden nur mangelhaft umgesetzt. [...] Das 2010-Ziel wurde verabschiedet, ohne dass die Mittel zur Zielerreichung identifiziert worden waren. Es war mehr ein politisches Statement. Der gleiche Fehler wird sich in Nagoya nicht wiederholen."

Traurigerweise ist dieses Zitat auch heute noch genau so aktuell wie damals und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies auch in 2028 wieder der Fall sein wird.

Verfolgt man die CBD über mehr als 10 Jahre, kann man sich wie ein Gefangener auf einem Karussell vorkommen: Zunächst werden mit großen Tam-Tam ehrgeizige Ziele verabschiedet. Das politische Momentum ist groß und alle Staaten geloben rasche Umsetzung. Nach einiger Zeit ist dann viel von dieser Euphorie wieder verpufft und es finden sich andere Themen, die besser geeignet sind, um sich als MinisterIn bzw. Staats- oder RegierungschefIn in Szene zu setzen. Es wird klar, dass der politische Wille doch nicht ausgereicht hat und die grundlegen Probleme nicht effektiv angegangen werden konnten. Auf diese Weise vergehen dann wieder 10 Jahre, in denen hunderte von COP-Beschlüssen mit schönen Worten verabschiedet werden, die aber nicht selten gleich nach Konferenzende in den Schubladen der nationalen Regierungsapparate verschwinden. Am Ende dieses Zehnjahreszyklus gestehen sich die Staaten dann ein, dass es wieder mal nicht gereicht hat und man sich beim nächsten Mal bestimmt mehr Mühe geben wird.

Will man vermeiden, dass sich ein Post-2020-Abkommen nicht schon wieder in die Reihe der viele gescheiterten Biodiversitätsziele eingliedert, muss dieser Zyklus der gebrochenen Versprechen unbedingt gestoppt werden.

Hierfür ist von entscheidender Bedeutung, dass die Staaten endlich die grundlegenden Probleme angehen. Dazu zählen: Machtasymmetrien zwischen Nord und Süd, unser auf Konsum und Wachstum ausgelegtes Wirtschaftssystem, mangelnde Umsetzungskapazitäten in Ländern des Globalen Südens sowie die fehlende Bereitstellung adäquater finanzieller Mittel für den Biodiversitätsschutz sowie die Beseitigung umweltschädlicher Subventionen.

Auch muss man sich fragen: Reichen 10 Jahre wirklich aus, um ehrgeizige Biodiversitätsziele in allen 195 CBD-Vertragsstaaten umsetzen zu können? Wäre es nicht ehrlicher, den Zeithorizont der strategischen Pläne zu verlängern, z. B. auf 15 Jahre? Sollte man nicht stattdessen ein System aus Meilensteinen etablieren?

Sollten sich die Staaten wieder vor diesen Aufgaben drücken, so werden wir wohl auch 2028 wieder die nächsten Biodiversitätsziele zu Grabe tragen müssen.

Zur Nachhaltigkeit der Austragungsorte von UN-Biodiversitätskonferenzen
Dienen CBD-COPs nur noch als Mittel zur Subventionierung von schwach ausgelasteten Touristenresorts? Während die COP9 (Bonn, Mai 2008) und die COP10 (Nagoya, Oktober 2010) wenigstens noch um Nachhaltigkeit bemüht waren und z. B. über eine ÖPNV-Anbindung verfügten und in bestehenden Konferenzzentren stattfanden, die keine Neubauten auf der grünen Wiese erforderlich machten, so scheinen die Ausrichtungsorte der letzten 3 COPs Paradebeispiele für das naturzerstörende Entwicklungsmodell zu sein, für dessen Bekämpfung die CBD vor 25 Jahren doch eigentlich gegründet worden war.

2014 fand die COP12 in einem künstlichen Skidorf statt, welches inklusive Autobahnanschluss eigens für die XXIII. Olympischen Winterspiele in der bis dahin unberührten südkoreanischen Mittelgebirgslandschaft errichtet wurde. Während der Konferenz konnten die TeilnehmerInnen die Motorsägen hören, die für den Bau der Skipisten damit beschäftigt waren, die Hänge von den mehrere 100 Jahre alten Bäumen zu befreien. 2016 trafen sich dann die Vertragsstaaten zur COP13 im mexikanischen Cancún. Eine in den 1970er Jahren für den (US-amerikanischen) Massentourismus gegründete Retortenstadt, deren einziges Ziel es ist, möglichst viele Touristen-Dollar nach Mexiko zu spülen. Der Veranstaltungsort der COP war ein Riesenhotel, für dessen Errichtung ein ganzer Mangrovenwald zerstört worden war.

Auch die COP14 fügt sich nahtlos in diese Reihe ein: Sharm el-Sheikh ist gewissermaßen das ägyptische Gegenstück zu Cancún: Eine künstliche Touristenstadt mitten in der Wüste, die quasi nur aus Hotelanlagen besteht. Unter den Palmen und Grasflächen sind überall Bewässerungsleitungen erkennbar. Die Klimaanlage im eigens für die COP erweiterten Konferenzzentrum war zeitweise so aggressiv eingestellt, dass die Delegierten trotz blauen Himmels und Außentemperaturen von 26 bis 28 Grad mit Jacken und Schals herumlaufen mussten.

Nach 3 COPs an Orten wie diesen muss man sich fragen, welches Signal die CBD mit der Auswahl ihrer Tagungsorte an die Welt schicken möchte? Sind CBD-COPs nur noch Mittel, um schwach ausgelastete Touristenresorts zu subventionieren?

Zivilgesellschaftliche Beteiligung erschwert
Neben den völlig mangelhaften Nachhaltigkeitsaspekten erwies sich auch die Zusammenarbeit mit der ägyptischen Zivilgesellschaft durch die politische Lage im Land als äußerst schwierig. So wurden die 'Focal Points', Kontaktpersonen für die Koordination der Jugend- und Nichtregierungsorganisationen, nicht etwa von zivilgesellschaftlicher Seite selbst gewählt, sondern Ende 2017 durch das ägyptische Umweltministerium ausgesucht. Auf welcher Grundlage diese Auswahl zustandekam, blieb ebenso unklar wie die Frage nach Plänen und Strategien für zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen der COP. Nach den ägyptischen Präsidentschaftswahlen und einem Ministerwechsel im Umweltministerium wurden dann im August 2018 plötzlich neue Focal Points bekanntgegeben. Da es scheinbar keine Kommunikation zwischen alten und neuen Focal Points gegeben hatte, musste die ganze Koordinationsarbeit keine 3 Monate vor der COP wieder von vorne losgehen. Trotz zahlreicher Onlinekonferenzen konnte keine wirkliche Zusammenarbeit zustande kommen. Zwar gab es auf ägyptischer Seite große Pläne für die Organisation von Jugend- und NGO-Foren parallel zur COP, jedoch verliefen diese trotz vieler Kooperationsangebote von Seiten internationaler NGOs alle im Sande. Ob dies auf mangelnde Organisationsfähigkeiten, fehlende finanzielle Mittel oder politische Gründe zurückgeführt werden kann, lässt sich als Außenstehender nur schwer beurteilen. Tatsache ist, dass auf der COP nur sehr vereinzelt ägyptische NGO-VertreterInnen in Erscheinung traten und eine wirkliche Zusammenarbeit mit internationalen NGOs nicht erkennbar war.

Wirklich regierungskritische NGOs kamen erst gar nicht nach Sharm el-Sheikh. Einige Organisationen, die sonst regelmäßig an CBD-Verhandlungsrunden teilnehmen, wie z.B. die Heinrich-Böll-Stiftung, entschieden sich aus Protest gegen die politischen Zustände in Ägypten sogar dazu, der COP14 ganz fern zu bleiben.

Es wäre wünschenswert, dass auch Aspekte wie die Einhaltung von Menschenrechten und Pressefreiheit bei der Vergabe von COP-Austragungsorten in Zukunft eine stärkere Rolle spielen.


Autor Christian Schwarzer ist Koordinator des Biodiversity Programme Office im Forum Umwelt und Entwicklung.

"CBD in a Nutshell"

Im Rahmen der COP14 veröffentlichte das Global Youth Biodiversity Network (GYBN) die 2. Auflage von "CBD in a Nutshell" - einem reich illustrierten Handbuch für CBD-Einsteiger, welches auf rund 200 Seiten die Funktionsweise der Konvention, die Grundlagen der biologischen Vielfalt sowie Beteiligungsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Akteure beleuchtet. https://www.gybn.org/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2018, Seite 32 - 34
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2019

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