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GLOBAL/194: Schutz der Biodiversität - Zum ewigen Nischenthema verdammt?! (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2023
Durchbruch? Ein neues Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt

Zum ewigen Nischenthema verdammt?!
Schutz der Biodiversität trotz Inflation, Krieg in der Ukraine und Energiekrise

von Christian Schwarzer


In der täglichen Berichterstattung kommt der Schutz der Biodiversität so gut wie nicht vor. Auch in der Politik war Biodiversität bisher kein populäres Thema, was maßgeblich dazu beitrug, dass bislang viel zu wenig zum Schutz der Biodiversität passierte und neben anderen Faktoren auch die Ziele des letzten globalen Abkommens nicht erreicht wurden. Das neue Abkommen wird als Durchbruch gefeiert, da es in vielen Bereichen einen wirklichen Fortschritt gegenüber dem vorherigen Abkommen markiert. Allerdings wird dies nicht reichen, wenn nicht auch politischer Wille mobilisiert wird.

Ende Dezember 2022 ist in Montreal in Kanada die 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP 15, Conference of the Parties) des UN-Übereinkommens zur Biologischen Vielfalt (CBD, Convention on Biological Diversity) zu Ende gegangen. Trotz eines recht holprigen Verhandlungsprozesses, der mehrfach um Haaresbreite vor dem Scheitern stand (siehe Artikel "Mit Volldampf gegen die Wand" im Rundbrief 02/2022) und pandemiebedingt statt zwei am Ende vier Jahre dauerte, sowie in einer Verlegung des Austragungsortes von Kunming nach Montreal mündete, hat die CBD COP15 mit der Verabschiedung des Kunming-Montreal Global Biodiversity Frameworks (globaler Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal, kurz KMGBF) einen Achtungserfolg erzielt der - zumindest auf dem Papier - durchaus ambitionierte Zielvorgaben enthält und zum ersten Mal in der Geschichte des CBD überhaupt wichtige Leitprinzipien wie den "Whole-of-Society"-Ansatz (gesamtgesellschaftlicher Ansatz, bei dem Biodiversitätsthemen auch in anderen Entscheidungs- und Lebensbereichen berücksichtigt werden), rechtsbasierte Ansätze und Generationengerechtigkeit für die Umsetzung des Abkommens festschreibt.

Verbesserungen brauchen politischen Willen

Insgesamt enthält das KMGBF viele Verbesserungen gegenüber dem letzten Strategischen Plan der CBD. So sind die Ziele insgesamt SMARTer (Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realistisch, Terminiert) formuliert und - anders als bei den Aichi-Zielen - leichter messbar. Jedoch wird alles wieder einmal davon abhängen, ob die CBD-Vertragsstaaten die Umsetzung dieser Zielvorgaben zu einer politischen Priorität erklären oder ob es so läuft wie schon beim letzten Strategischen Plan: Mit großem Tam-Tam werden die Ziele verabschiedet, Politiker:innen und UN-Organisationen sprechen von einem "entscheidenden Durchbruch", auf Regierungspressekonferenzen wird die "Rettung der biologischen Vielfalt" gefeiert, die Medien haben wie immer beim Thema Biodiversität nur mäßig Interesse.

Doch auch wenn wir einen großen Schritt mit dem neuen Abkommen gegangen sind, fängt jetzt erst die richtige Arbeit an. Staaten müssen ihre nationalen Biodiversitätsstrategien aktualisieren, substanzielle Finanzmittel müssen mobilisiert und eine ganze Reihe an Gesetzespaketen und Naturschutzinitiativen müssen weltweit in den verschiedenen Ressorts abgestimmt und durch die Parlamente oder andere Regierungsinstitutionen verabschiedet werden. Das alles erfordert nicht nur ein grundsätzliches Umdenken beim Biodiversitätsschutz - statt wie zuvor nur einzelnen Ministerien müssen nun Regierungen als Ganzes den Schutz der biologischen Vielfalt als ressortübergreifendes Thema begreifen -, sondern vor allem politischen Willen.

Doch wie lässt sich dieser politische Wille mobilisieren und vor allem über Jahre hinweg verstetigen? Zu einer Zeit, in der vor allem Themen wie Inflation, Energiekrise und geopolitische Konflikte den politischen Diskurs und die Nachrichten dominieren, kann es da überhaupt noch Raum für den Schutz der Biodiversität geben?

Biodiversitätsschutz in alle Teile der Gesellschaft tragen

Seit dem Inkrafttreten der CBD vor dreißig Jahren wird der globale Schutz der biologischen Vielfalt immer noch fast ausschließlich im Rahmen der Biodiversitätskonvention thematisiert und kommt außerhalb dieser so gut wie gar nicht vor. Global betrachtet besteht daher eine große Herausforderung darin, Biodiversität auch jenseits des CBD-Prozesses in anderen, hochrangigen Foren zu verankern.

Dies ist von großer Bedeutung, um politisches Momentum zu erzeugen und Biodiversitätsschutz auch in andere Policy-Frameworks, wie z.B. den Sustainable Development Goals (SDGs) oder internationalen Klimaschutzmaßnahmen unter der Klimarahmenkonvention, zu integrieren und gegenläufige Politikansätze, z.B. im Bereich der Energiepolitik, zu vermeiden. Das Stichwort hierzu lautet Biodiversity Mainstreaming, also den Schutz der Biodiversität in anderen Feldern wie bspw. Klima-, Landwirtschafts- oder Finanzpolitik zu berücksichtigen und mehr noch zu verankern. Schaut man sich die politischen Großereignisse an, die seit der COP15 stattgefunden haben, so gibt es indes vorsichtigen Anlass zu einer gewissen Hoffnung.

So verpflichteten sich alle G7-Staaten, die fast alle Vertragsstaaten der CBD sind (d.h. alle bis auf die USA), zur Umsetzung des KMGBF sowie zur zügigen Aktualisierung ihrer nationalen Biodiversitätsstrategien. Auch bei der Finanzierung des globalen Biodiversitätsschutzes bekräftigen die G7 ihre Bereitschaft, bis 2025 die Mittel "substanziell" zu erhöhen. Darüber hinaus finden sich aber leider nur wenig konkrete Zahlen oder Umsetzungsinstrumente in der G7-Abschlusserklärung.

Auch beim Weltwirtschaftsforum (WEF, World Economic Forum), welches im Januar in Davos in der Schweiz stattfand, war Biodiversität zumindest ein Thema. Der "Global Risks Report" des WEF beschäftigt sich ausführlich mit Biodiversität und zählt den Verlust der Artenvielfalt sowie den Kollaps der Ökosysteme auf dem vierten Platz seiner 10-Jahres-Risikoanalyse.

Global betrachtet besteht daher eine große Herausforderung darin, Biodiversität auch jenseits des CBD-Prozesses in anderen, hochrangigen Foren zu verankern.

Noch ist unklar, ob bzw. welche Rolle Biodiversität im Rahmen des High-Level Political Forum (HLPF, Juli 2023) während der UN-Generalversammlung (UNGA, September 2023) oder der COP28 der Klimarahmenkonvention (November 2023) spielen wird. Für die Umsetzung des KMGBF wird es allerdings von bedeutender Rolle sein, dass der globale Rahmen für den Biodiversitätsschutz auch in diesen Foren zumindest zur Kenntnis genommen wird. Idealerweise sollten aber auch das HLPF, die UNGA und die COP28 als Plattformen zur weiteren Förderung der Umsetzung des KMGBF genutzt werden.

Wir brauchen politische Vorreiter

Neben dem Biodiversity-Mainstreaming und der Verankerung von Biodiversitätsschutz in anderen politischen Foren sollte aber auch die Rolle von Vorreiterkoalitionen nicht unterschätzt werden. Zwar gibt es für den Klimaschutz diverse Vorreiterkoalitionen und High-Level-Diskussionsforen, wie z.B. den Klimaklub der G7 oder den Petersberger Klimadialog, für Biodiversität sucht man nach ähnlichen Strukturen jedoch vergeblich.

Auf der technischen Arbeitsebene nimmt Deutschland hier jedoch durchaus eine Vorreiterrolle ein: So veranstaltet das Bundesamt für Naturschutz (BfN) schon seit mehr als zwanzig Jahren im Vorfeld der jährlichen Sitzung des CBD-Nebenorgans für wissenschaftliche, technische und technologische Beratung (Subsidiary Body for Scientific, Technical and Technological Advice, SBSTTA) Expert:innen-Workshops für die europäischen SBSTTA Focal Points, zu denen in der Regel auch Vertreter:innen der jeweiligen COP-Präsidentschaft, NGOs, Jugendvertreter:innen und das CBD-Sekretariat eingeladen werden. Diese etwa einwöchigen Veranstaltungen münden in der Veröffentlichung der sog. "Vilm-Recommendations", einem informellen Bericht mit Textempfehlungen für die nächste SBSTTA-Sitzung, welche meist einen bedeutenden Einfluss auf den Verlauf der Verhandlungen in der CBD haben und in der Vergangenheit oft dazu beitrugen, Lösungen auszuloten.

Es stellt sich die Frage, was dagegen sprechen würde, ähnliche, regelmäßige Veranstaltungsformate für Minister:innen, Parlamentarier:innen oder sogar Staats- und Regierungschef:innen zu organisieren? Denn wenn sich eine Lehre aus dem Scheitern der Aichi-Biodiversity-Targets ziehen lassen kann, dann dass die Umsetzung des KMGBF nur mit starkem und kontinuierlichem politischen Willen möglich sein wird. Die Summen, die global für die Umsetzung des KMGBF benötigt werden - so klein sie auch im Vergleich mit anderen Ausgaben, wie beispielsweise den im Zuge des Ukraine-Krieges weltweit angekündigten Steigerungen für die Militärausgaben, sein mögen - lassen sich sonst nicht zügig und zielgerichtet genug mobilisieren. Auch der Aktualisierung und vor allem der Umsetzung von nationalen Biodiversitätsstrategien wird ohne stete politische Priorisierung schon bald die Luft ausgehen.

Gerade in der aktuellen weltpolitischen Lage muss der Schutz der Biodiversität aus seinem Nischendasein heraustreten und von politischen Entscheidungsträger:innen als Schlüsselthema begriffen werden. Die Umweltkrisen unserer Zeit können nur gemeinsam gelöst werden und müssen als zentrale umwelt- und entwicklungspolitische Top-Priorität verstanden werden.

Christian Schwarzer ist Gründer des Global Youth Biodiversity Network und stellvertretender Koordinator der AG "Biologische Vielfalt" im Forum Umwelt und Entwicklung.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2023, Seite 6-8
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 7. November 2023

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