Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2023
Durchbruch? Ein neues Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt
Ein globales Abkommen mit offener Rechnung?!
Die Finanzierung des KMGBF ist zwar beschlossen, aber noch nicht
sicher
von Florian Titze
Nach vier Jahren intensiver Verhandlungen stand die erfolgreiche Verabschiedung des sogenannten Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (KMGBF) auf der 15. Weltnaturkonferenz (COP15, Conference of the Parties) bis zuletzt auf der Kippe. Die überragende politische Frage: Wie soll die Umsetzung global finanziert werden? Und welche Länder tragen die Verantwortung, den großen Bedarf an zusätzlichen finanziellen Ressourcen bereitzustellen? Ein Kompromiss konnte im letzten Augenblick gefunden werden. Doch, die Rechnung für die versprochenen finanziellen Mittel bleibt offen. Was muss in Deutschland und der EU passieren, um die Umsetzung der 23 Ziele des Biodiversitätsabkommens möglich zu machen?
Um die Fragen zu beantworten, lohnt sich ein kurzer Rückblick auf die Debatte in Montreal. Dort stritten die Verhandler:innen der 196 Mitgliedsstaaten der Convention on Biological Diversity (CBD) um eine faire Lösung für die Finanzierung. Um das Gesamtergebnis richtig einordnen zu können, muss man sich der überaus schwierigen Ausgangslage bewusst sein, mit der die Diplomat:innen dort konfrontiert waren. Gegenseitiges Vertrauen in das Wort der oder des jeweils anderen ist in solchen Verhandlungen eine Grundvoraussetzung. Gerade in einem völkerrechtlichen Instrument, das keinerlei bindende oder sanktionierende Elemente besitzt, sind der gemeinsame Wille für eine faire Lösung und der Glaube daran, dass das Gegenüber auch zu tun meint, was es verspricht, essenziell für eine erfolgreiche Einigung. Doch das Vertrauen vieler Länder des Globalen Südens ist bei der Frage der internationalen Finanzierung über Jahrzehnte erodiert. Ob bei den internationalen Klimaverhandlungen der UNFCCC, der Finanzierung für die Agenda 2030, die SDGs oder im Streit um Artikel 20 in der CBD, die westlichen Industriestaaten kommen ihren globalen Versprechen in der Finanzierung seit Jahrzehnten nicht nach. Es wird versprochen, aber nicht geliefert, so zumindest ist die Perspektive vieler Länder des Globalen Südens. Neue Versprechen stoßen deshalb auf Skepsis.
Entsprechend weit auseinander lagen die Positionen in Montreal. Während die Europäische Union bis zuletzt keine Zahlen zu nennen bereit war, pochte die Afrikanische Gruppe auf 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr in Form internationaler Finanzierung. Zur Einordnung: Zum Zeitpunkt der COP15 flossen . und das ist großzügig geschätzt - nur rund 10 Mrd. US-Dollar pro Jahr in Form internationaler Finanzierung in Biodiversität.
Eine einflussreiche Studie des Paulson Institutes schätzte den Finanzierungsbedarf noch während der Vorverhandlungen auf ca. 700 Mrd. US-Dollar pro Jahr [1] - zusätzlich zu den bereits fließenden Mitteln. Aus öffentlichen Mitteln sei dieser Bedarf nicht zu decken. Private Investitionen und die Umwidmung schädlicher Subventionen könnten helfen, zeigt der Bericht. Der Abbau aller schädlicher Subventionen und ihre Umgestaltung in positive wirtschaftliche Anreize zur nachhaltigen Nutzung der Ökosysteme (im Abkommen unter Ziel 18) sind Grundvoraussetzungen für den Erhalt der biologischen Vielfalt -kein Zweifel. Doch die Logik, man könne diese Geldströme auf direktem Wege nutzen, um beispielsweise Schutzgebiete im Amazonasgebiet zu finanzieren, ist ein Trugschluss und scheitert an derselben politischen Realität, die ein wirksames staatliches Handeln im Rahmen der Biodiversitäts- und Klimakrise bisher verhindert hat. Solange der politische Wille fehlt, einen echten transformativen Wandel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft auf Kosten kurzfristiger Wachstums- und Profitlogik zu gestalten, wird auch jeder an den schädlichen Subventionen gesparte Euro entlang der gleichen vorherrschenden politischen Prioritäten neu verteilt werden. Das haben auch die Staaten des Globalen Südens verstanden und forderten auch deshalb mind. 100 Mrd. USDollar internationale (öffentliche) Finanzierung als Teil der insgesamt benötigten Mittel von 700 Mrd. US-Dollar.
Dass es am Ende in Montreal zu einem erfolgreichen Kompromiss gereicht hat, war ein diplomatischer Kraftakt. Ziel 19 des Abkommens ist im Vergleich zu den Zahlen oben deutlich bescheidener, stellt aber fairerweise auch einen relativ großen Schritt der internationalen Finanzierung dar - gemessen am Status quo mindestens eine Verdopplung bis 2025 und eine Verdreifachung bis 2030. Daran müssen sich nun auch die EU und die Bundesrepublik messen.
Seit den ermutigenden Worten des Bundeskanzlers in New York ist im deutschen Bundeshaushalt kaum etwas geschehen. Wichtig wäre gewesen, dass die versprochene Erhöhung bereits im Haushalt für 2023, spätestens für 2024, die ersten Schritte macht, um bis 2025 stetig aufwachsen zu können.
Das verabschiedete Abkommen muss als großer Erfolg einer lebendigen Umweltdiplomatie betrachtet werden. Es bewahrt die Chance, als globale Gemeinschaft das letzte noch verbleibende Zeitfenster zu nutzen, um die Artenvielfalt und Ökosysteme des Planeten zu retten. Die 23 neuen Ziele geben uns die Richtschnur vor, nach der nun die gesamte Weltgesellschaft entschlossen handeln muss.
Noch vor COP15 verkündete die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen [2], dass die EU ihre internationale Finanzierung verdoppeln würde. Die Biodiversitätsfinanzierung der EU und ihrer 27 Mitgliedstaaten, sowohl international als auch national, lag in den letzten Jahren bei insgesamt rund 25 Mrd. Euro pro Jahr. Der Logik von Ziel 19 des KMGBF folgend würde das bedeuten, die EU und ihre Mitgliedstaaten müssten diese Summe auf mindestens 50 Mrd. Euro erhöhen - jeder der 27 Mitgliedstaaten sowie die EU-Kommission müssten ihren Beitrag also mindestens verdoppeln. Bereits für die erfolgreiche Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 werden laut Schätzung ca. 48 Mrd. Euro pro Jahr benötigt.
Die internationale Finanzierung der EU nimmt in den Zahlen einen verschwindend geringen Teil ein. Weil die Logik des Ziel 19 für die internationale Finanzierung zudem eine eigene Zeitabstufung besitzt (2025 und 2030), müsste sie bis 2030 entsprechend verdreifacht werden. Für die EU bedeutet das, bis 2030 mindestens 1,5 Mrd. im Jahr international in Biodiversität zu investieren. Im besten Fall sollte es deutlich mehr sein, wenn die EU ihrem immensen ökologischen Fußabdruck gerecht werden will.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Rande der UNVollversammlung im September 2022 [3], Deutschland werde seinen Beitrag für die internationale Biodiversitätsfinanzierung auf insgesamt 1,5 Mrd. Euro im Jahr bis 2025 erhöhen. Das entspricht laut Bundesregierung einer Verdopplung des Durchschnittsbudgets von 2017-2021. Das Commitment erfüllte zwar nicht die gemeinsame Forderung der deutschen Umweltverbände von 2 Mrd. Euro pro Jahr [4], doch war es wenige Monate vor der Weltnaturkonferenz ein wichtiges Signal an die Staatengemeinschaft.
Seit den ermutigenden Worten des Bundeskanzlers in New York ist im deutschen Bundeshaushalt kaum etwas geschehen. Wichtig wäre gewesen, dass die versprochene Erhöhung bereits im Haushalt für 2023, spätestens für 2024, die ersten Schritte macht, um bis 2025 stetig aufwachsen zu können. Um den raschen Beginn der Umsetzung aller 23 Ziele des neuen Abkommens auch in den Biodiversitäts-Hotspots des Globalen Südens zu ermöglichen, wird die deutsche Unterstützung bereits jetzt dringend benötigt. Dabei wird sich nicht nur zeigen, wie viel das Wort des Bundeskanzlers wert ist, sondern auch die globale Reputation Deutschlands auf die Probe gestellt werden. Ein Wortbruch hätte fatale Folgen für das betonte Vertrauen der Länder des Globalen Südens und somit ebenso für die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Umsetzung des KMGBF.
Gemessen an den internationalen Mitteln zum Zeitpunkt der Verabschiedung und den im Ziel genannten Zahlen wäre bis 2030 auch für Deutschland eine Verdreifachung der Gelder nötig. Die konkrete finale Zahl, auf die der deutsche Bundeshaushalt bis 2030 kommen müsste, ist abhängig vom Basiswert, auf den man sich für die Verdreifachung stützt. Ginge man vom Durchschnittswert der deutschen Mittel von 2017-2021 aus, käme man bei der Verdreifachung für 2030 auf 2,25 Mrd. Euro pro Jahr. Nimmt man stattdessen den aktuellen Ausgangswert zum Verhandlungszeitpunkt der COP15 - hier lag der deutsche Beitrag bereits bei 1,16 Mrd. Euro - läge die Verdreifachung bereits deutlich über 3 Mrd. Euro pro Jahr.
Um der globalen Verantwortung und dem immensen ökologischen Fußabdruck
in der Welt gerecht zu werden, muss Deutschland seine internationale
Biodiversitätsfinanzierung weiter sukzessive erhöhen. Eine Erhöhung
der internationalen Biodiversitätsfinanzierung bis 2030 auf über 3
Mrd. Euro pro Jahr wäre dafür ein angemessener Beitrag.
Anmerkungen:
[1] Paulson Institute (2020): Financing Nature: Closing the Global
Biodiversity Financing Gap
[2] European Commission (2022): Global Gateway: President von der
Leyen announces funding for women and youth's rights, food security,
fight against disease and biodiversity.
[3] Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (2022): Deutschland steigert seine internationale
Finanzierung für biologische Vielfalt bis 2023 auf 1,5 Milliarden Euro
pro Jahr.
[4] WWF et al (2021): Umweltverbände zum Start der Weltnaturkonferenz:
Bundesregierung muss finanziellen Beitrag zum globalen Schutz der
Artenvielfalt erhöhen.
Florian Titze arbeitet beim WWF zur Internationalen Biodiversitätspolitik.
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für
Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der
deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger
Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring,
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR)
e.V.
*
Quelle:
Rundbrief 2/2023, Seite 16-19
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 7. November 2023
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang