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GLOBAL/197: Vielfalt bewahren ohne synthetische Biologie - zum Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2023
Durchbruch? Ein neues Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt

Vielfalt bewahren ohne synthetische Biologie
Überlegungen zum Cartagena-Protokoll und dem neuen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal

von Barbara Couto Pilz, Naomi Kosmehl


Die Verabschiedung des Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (KMGBF) und seiner ehrgeizigen Ziele gilt als ein Sieg, zumindest als Überlebenszeichen der multilateralen Umweltdiplomatie. Save Our Seeds verfolgte aktiv die Diskussionen über synthetische Biologie 1 (klassischer und neuer Gentechnik) und über die Freisetzung von Gene Drives in die Umwelt. In beiden Bereichen wurden Fortschritte geopfert, um das Gesamtabkommen nicht zu gefährden. Umso wichtiger ist es, dass die Zivilgesellschaft sich in der Umsetzungsphase des Abkommens aktiv bei diesen Themen engagiert.

Das Weltnaturabkommen KMGBF enthält 23 Zielvorgaben zum akuten Schutz der biologischen Vielfalt. Ziel 17 soll Biosicherheitsrichtlinien zum Schutz vor Gefahren durch die sogenannte synthetische Biologie festlegen, die klassische und neue gentechnische Veränderungen aller Art umfassen. Dazu gehören auch Gene Drive-Organismen, die in der Lage sind, ganze Populationen und Arten in der Natur gentechnisch umzugestalten oder auszurotten.[2]

Aufgrund der Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsparteien und des Lobbydrucks unter anderem aus der Privatwirtschaft blieb das Ziel weit hinter den Erwartungen zurück und wiederholt lediglich frühere Vereinbarungen. Mit dem verwässerten Ziel wurde eine entscheidende Chance verpasst, das Vorsorgeprinzip und das Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (FPIC, Free Prior and Informed Consent) zu stärken sowie die Notwendigkeit von Technologiefolgenabschätzungen im Umgang mit der synthetischen Biologie zu betonen.

Auch wenn die Ergebnisse der Arbeitsgruppe (AG) zur synthetischen Biologie ebenfalls unzureichend sind, wurden hier doch einige wichtige Fortschritte erzielt. So fordert die AG die Anwendung des Vorsorgeprinzips und legt in ihrem Bericht fest, dass ein Prozess zur umfassenden und regelmäßigen Überprüfung, Überwachung und Bewertung der jüngsten technologischen Entwicklungen in der synthetischen Biologie eingeführt wird.

Ein weiterer positiver Schritt war die Einrichtung einer multidisziplinären technischen Ad-hoc-Sachverständigengruppe für synthetische Biologie, die nicht nur aus rein technischen Expert:innen bestehen soll, sondern auch Fachleute anderer wissenschaftlicher Disziplinen sowie interdisziplinäres und interkulturelles Fachwissen, indigene Völker und lokale Gemeinschaften einbeziehen soll.

Zukunftsperspektiven lassen auf Lösungen hoffen

Parallel zu den Diskussionen über das KMGBF brachte das Treffen der Vertragsparteien des Cartagena-Protokolls über biologische Sicherheit wichtige Ergebnisse hervor, besonders in Bezug auf Gene Drives. Hier wurde ein Prozess zur Ausarbeitung zusätzlicher, allerdings freiwilliger Leitlinien für gentechnisch veränderte Gene Drive-Organismen beschlossen und dafür eine technische Ad-hoc-Sachverständigengruppe für Risikobewertung eingesetzt. Der Beschluss betont die Bedeutung des Vorsorgeprinzips und erinnert an das 2018 verabschiedete Verfahren zum Umgang mit Interessenkonflikten von Expert:innen.

Die beiden Expert:innengruppen treffen sich im Sommer 2023 und Anfang 2024 vor den nächsten Sitzungen des subsidiären Gremiums für wissenschaftliche, technische und technologische Beratung (Subsidiary Body on Scientific, Technical and Technological Advice, SBSTTA), das die 2024 in der Türkei geplante nächste Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt (CBD, Convention on Biological Diversity) vorbereitet. Online-Diskussionen, persönliche Treffen, informelle Verhandlungen, Lobbyarbeit und die Entwicklung und Aktualisierung nationaler Strategien und Aktionspläne für die biologische Vielfalt werden parallel dazu stattfinden.

Die Organisationen der Zivilgesellschaft können eine Schlüsselrolle bei der Überwachung, kritischen Bewertung und Vorbereitung der nächsten Umsetzungsschritte spielen. Hier einige Beispiele und Anregungen.

Praktische Ansätze

Stärkung des eigenen Verständnisses der Interessenkonflikte im Rahmen der CBD
Trotz bedeutender Erfolge bleibt der KMGBF hinter einem ehrgeizigen, umfassenden Plan zur Eindämmung des Biodiversitätsverlustes bis 2030 zurück. Der Entscheidungsprozess war langwierig und bürokratisch und wurde stark von Unternehmensinteressen beeinflusst, was seine praktische Umsetzung erschwerte. Angesichts dieser Komplexität ist die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Überbrückung der Kluft zwischen der Politikgestaltung und ihren Auswirkungen in der Praxis von entscheidender Bedeutung. Das gilt besonders für die kritische und öffentliche Unterstützung der eigenen Ministerien und Behörden bei der jetzt anstehenden Aktualisierung von Strategien und Aktionsplänen. Der Beitritt zur CBD-Alliance, einem globalen Netzwerk aktiver Nichtregierungsorganisationen, das einen monatlichen Newsletter und spezialisierte Arbeitsgruppen anbietet, kann dafür ein guter Einstieg sein.

Forschung, Kommunikation und Lobbyarbeit zu synthetischer Biologie und Gene Drives
Das Thema synthetische Biologie spielt in der allgemeinen öffentlichen Diskussion über die biologische Vielfalt kaum eine Rolle. Den Großteil der Forschung, der spezialisierten Medienberichterstattung und der Lobbyarbeit dazu führen Entwickler:innen und Befürworter:innen der Technologie aus, die die Risiken und ethischen Bedenken außer Acht lassen. Eine kritische Betrachtung der fatalen Rolle gentechnischer Verfahren bei der Durchsetzung von Totalherbiziden und Monokulturen und ihrer Auswirkungen auf die Artenvielfalt fehlt beispielsweise regelmäßig in der Debatte.
Die Organisationen der Zivilgesellschaft spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung eines ausgewogenen Diskurses, etwa durch die öffentliche Unterstützung eines umfassenden und regelmäßigen Horizon Scannings, also eines kritischen Ausblicks auf die neuesten technologischen Entwicklungen in der synthetischen Biologie. Das kann etwa durch die Veröffentlichung einer Erklärung zu diesem Thema, einen Website-Bereich mit Ressourcen dazu oder regelmäßige Verbreitung relevanter Veröffentlichungen geschehen.
Auch mit begrenzten Kapazitäten und Ressourcen können Organisationen zivilgesellschaftlichen Expert:innen auf dem Gebiet eine Plattform bieten, indem sie deren Publikationen im eigenen Netzwerk teilen, kritische Fachleute zu Veranstaltungen einladen, in Partnerschaft mit Organisationen, die eng zu dem Thema arbeiten, Publikationen entwickeln.

Aufbau von strategischen internationalen Partnerschaften mit Organisationen im Globalen Süden
Der größte Teil der biologischen Vielfalt der Welt befindet sich im Globalen Süden, insbesondere in den Tropen. Bei den Gesprächen in Montreal wurde der Globale Süden (insbesondere Brasilien und Argentinien [3], aber auch afrikanische Staaten) jedoch vor allem durch Regierungsvertreter:innen repräsentiert, die besonders laut forderten, jegliche Vorsichtsmaßnahmen oder Risikobewertungen für neue Technologien abzuschaffen.
Obwohl die Zivilgesellschaft in diesen Regionen einige Koordinierungsbemühungen zur Schadensbegrenzung unternommen hatte, fehlten ihr weitgehend die nötigen Kapazitäten und Ressourcen; insbesondere verglichen mit der politischen und wirtschaftlichen Macht der Industrie und ihrer philanthropischen Stiftungen in diesen Ländern.
Europäische Organisationen können dem einiges entgegensetzen, indem sie direkte regelmäßige Kommunikationskanäle und Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen Organisationen im Globalen Süden etablieren, sich mit ihnen auf Augenhöhe über Strategien und Projekte zum Schutz der biologischen Vielfalt austauschen, einschließlich der kritischen Bewertung neuer Technologien. Dazu gehört möglicherweise auch, die Teilnahme der Partnerorganisationen an internationalen Diskussionen mitzufinanzieren.

Aufnahme eines sinnvollen Dialogs mit indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften
Indigene Völker und lokale Gemeinschaften (Indigenous Peoples and Local Communities, IPLCs) leben oft in Gebieten mit großer biologischer Vielfalt und sind seit Generationen Hüter dieser Räume der Vielfalt. Ihr Lebensunterhalt ist eng mit dieser Umwelt verbunden, was sie zu unverzichtbaren Verwalter:innen und profunden Kenner:innen der Artenvielfalt macht. Außerdem verfügen sie über unschätzbares traditionelles Wissen über die lokalen Ökosysteme, das oft wichtige Erkenntnisse über nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden und Erhaltungsstrategien liefert. Alle Entscheidungen im Zusammenhang mit der Erhaltung der biologischen Vielfalt müssen die Rechte und Territorien der IPLCs respektieren und ihre freie, vorherige und informierte Zustimmung einbeziehen. Dieses Recht wird durch die Beschlüsse der Biodiversitätskonvention zu traditionellem Wissen, Innovationen und Praktiken [4] ausdrücklich geschützt.
Als natürlicherweise vielfältige Gruppe haben auch die Vertreter:innen der IPLCs unterschiedliche Meinungen zu Themen wie synthetische Biologie und Gene Drives. Unternehmen und Lobbyist:innen (wie das Target Malaria-Konsortium) haben diese Meinungsverschiedenheiten genutzt und vertieft, um eigene Interessen zu fördern.
Die hiesige Zivilgesellschaft kann IPLCs unterstützen, indem sie einen direkten Dialog mit Vertreter:innen dieser Gemeinschaften aufnimmt. Dazu gehört, andere Sichtweisen auf die Natur zu erkennen und in die Perspektive der eigenen Organisation einzubeziehen. So können wir zur Stärkung ihrer Stimmen beitragen und ihre aktive Teilnahme an internationalen Diskussionen unterstützen.
Viele IPLCs sind sich dieser Taktiken bewusst und bemüht, unangemessenen Einfluss abzuwehren und sicherzustellen, dass ihre Stimmen authentisch gehört und respektiert werden. Die hiesige Zivilgesellschaft kann sie dabei unterstützen, indem sie einen direkten Dialog mit Vertreter:innen dieser Gemeinschaften aufnimmt. Dazu gehört, andere Sichtweisen auf die Natur zu erkennen und in die Perspektive der eigenen Organisation einzubeziehen. So können wir zur Stärkung ihrer Stimmen beitragen und ihre aktive Teilnahme an internationalen Diskussionen unterstützen.

Weitergedacht: Alles ist miteinander verbunden

Gerade im Umgang mit neuen Technologien, die möglicherweise enorme Auswirkungen auf die Biodiversität haben werden, ist es entscheidend, über das eigene Fachgebiet und die jeweils spezifische Naturschutzexpertise hinaus zu blicken. Es erweitert nicht nur den eigenen Horizont, die künftigen Herausforderungen beim Schutz der Artenvielfalt oder der genetischen Integrität der Arten zur Kenntnis zu nehmen und einzubeziehen. Der ganzheitliche und gemeinsame Blick in die Zukunft stärkt auch die kollektive Kraft der vielfältigen und sehr verschiedenen beteiligten Gruppen, sinnvolle Veränderungen zu bewirken. Wenn Ihre Organisation daran interessiert ist, diese Prozesse zu unterstützen und weitere Beratung wünscht, wenden Sie sich an das Team der Stop Gene Drives Campaign bei Save Our Seeds.

Barbara Couto Pilz und Naomi Kosmehl betreiben gemeinsam die Stop Gene Drives-Kampagne [5] bei Save our Seeds.

Anmerkungen:
[1] Es gibt keine feste Definition von Synthetischer Biologie; sie variiert je nach Quelle. Dieser Artikel bezieht sich auf die Definition der ETC-Gruppe: "Synthetische Biologie verbindet Ingenieur- und Biowissenschaften, um neue biologische Elemente, Produkte und Systeme zu entwerfen, die in der Natur noch nicht existieren, oder um das Design bestehender biologischer Systeme zu verändern."
[2] Die Internationale Arbeitsgruppe der Zivilgesellschaft zur Synthetischen Biologie (2016): Synthetic Biology and the CBD.
[3] ETC-Gruppe (2022): A Bittersweet Bargain on Biodiversity.
[4] Sekretariat des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt (2023): Artikel 8(j) - Traditionelles Wissen, Innovationen und Praktiken.
[5] https://www.stop-genedrives.eu/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2023, Seite 32-35
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 7. November 2023

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