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KATASTROPHEN/045: Indien - Mangroven als Bio-Schutzschilde und Lebensretter (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Dezember 2012

Indien: Mangroven als Bio-Schutzschilde und Lebensretter

von Malini Shankar


Mangrovenwälder schützen Küsten vor Flutwellen - Bild: © Malini Shankar/IPS

Mangrovenwälder schützen Küsten vor Flutwellen
Bild: © Malini Shankar/IPS

Port Blair, Indien, 28. Dezember (IPS) - Acht Jahre nach dem verheerenden Tsunami haben die Einwohner der zu Indien gehörenden Inselgruppe Andamanen und Nikobaren und des südindischen Bundesstaates Tamil Nadu in der letzten Dezemberwoche mit Gebeten der Opfer gedacht. Allein in diesen beiden Regionen kamen am 26. Dezember 2004 Tausende Menschen ums Leben.

In Süd- und Südostasien rissen die Fluten insgesamt etwa 230.000 Menschen in den Tod. Während die Andamanen noch glimpflich davonkamen, wurden die weiter südlich gelegenen Nikobaren praktisch dem Erdboden gleichgemacht. Das Ausmaß der Zerstörung auf den Nördlichen Andamanen wäre noch größer gewesen, wenn nicht Mangrovenwälder eine Barriere gegen die Flut gebildet hätten.

Rana Mathew, eine frühere Pressesprecherin der Regionalregierung der Inselgruppe, kann dies nur bestätigen. "Die Mangrovenwälder haben eine wichtige Rolle dabei gespielt, die Andamanen vor dem Tsunami zu bewahren. Der dichte Wald rund um die Inselkette bildete einen Schutzwall und rettete viele Menschenleben."

Wie Alfredo Quarto von der Umweltgruppe 'Mangrove Action Project' betont, verhindern die Mangroven als "lebende Barrieren" und "Bio-Schilde" die Bodenerosion an den Küsten, Schäden an der Infrastruktur und den Verlust von Menschenleben, indem sie die Windböen und Wellen abmildern. Auch in Thailand habe sich gezeigt, dass Mangrovenwälder weiteren Schaden vom Landesinnern abgewendet hätten, sagt er. Der Aufprall der Wellen wurde offenbar durch die Mangroven abgefedert.


Inselgruppe verschwunden

Denis Giles von der Zeitung 'Andaman Chronicle' in der Regionalhauptstadt Port Blair erinnert sich noch deutlich an den Tsunami. "Ich wurde durch das Erdbeben aus dem Schlaf gerissen. Ich nahm meinen Fotoapparat und lief schnell zum Hafen, wo ein Gebäude eingestürzt war und Menschen unter sich begraben hatte", erzählt er. "Zwei Schiffe stießen zusammen. Ich bemerkte, dass sich das Wasser kräuselte und dann ins Landesinnere strömte. Die Chatham-Brücke wurde überspült. Im Radio hieß es, dass die Nikobaren verschwunden seien. Ich hatte das Gefühl, die Welt würde untergehen."

Groß Nikobar, die am südlichsten gelegene Insel des Archipels, war dem Epizentrum des Seebebens in Sumatra am nächsten und verschwand völlig in den Fluten. Die Mangroven rund um die Insel waren gefällt worden, damit ein Hubschrauberlandeplatz, eine Schule und ein Krankenhaus gebaut werden konnten.

"Sieht man von Groß Nikobar ab, richtete der Tsunami nirgendwo sonst so viel Zerstörung an wie in Katchal und Trinket. Die Insel Trinket wurde durch die Flutwelle dreigeteilt und von der indischen Regierung für unbewohnbar erklärt. Dennoch sind die Einwohner binnen zwei Jahren wieder auf die Insel gekommen, die durch die Mangroven vor dem Verschwinden gerettet worden war", sagt Samir Acharya von der 'Society for Andaman Ecology' (SANE).

"Die zerstörten Mangrovenwälder wachsen nach, vielleicht als Versicherung gegen künftige Tsunamis", meint er. "Die großen Mangrovenflächen in Katchal haben die Wucht des Tsunamis erheblich gebremst. Andernfalls wäre die Insel heute wahrscheinlich menschenleer."

Wie die M. S. Swaminathan-Forschungsstiftung in einem Leitfaden zur Anlage von Bio-Schutzschilden an den Küsten erklärt, drangen zehn Meter hohe Tsunami-Flutwellen auf manchen Inseln bis zu drei Kilometer ins Landesinnere ein. Auf den Andamanen und Nikobaren sowie in Küstengebieten der indischen Bundesstaaten Tamil Nadu, Kerala, Andhra Pradesh und in der Stadt Pondicherry wurden große Schäden verursacht.

"Fast 154.000 Häuser wurden zerstört oder beschädigt. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 228,5 Millionen US-Dollar", berichtet die Stiftung. Zahlreiche Fischer verloren ihre Existenzgrundlagen. Hölzerne Katamarane, Boote mit Motorantrieb und Trawler im Wert von rund 215 Millionen Dollar fielen der Flut zum Opfer. Auch Fischereiausrüstungen im Wert von 15 Millionen Dollar wurden vernichtet.


Regierung zum Umdenken bei Katastrophenprävention ermahnt

Die Ereignisse vor acht Jahren haben gezeigt, wie dringend Indien ein Katastrophenmanagement benötigt, das ein ähnliches Ausmaß der Zerstörung in der Zukunft verhindern kann. Umweltexperten sind davon überzeugt, dass Strategien gegen Tsunamis vor allem die natürlichen Ökosysteme beachten müssten.

V. Selvam von der M.S. Swaminathan-Stiftung führt zwei Dörfer in Tamil Nadu als Beispiele für die Wirksamkeit von Mangrovenwäldern an. In dem ersten Dorf, T.S. Pettai, hielt sich der Personen- und Sachschaden dank der Mangroven in Grenzen. Die Ortschaft Muzhukkuthurai, wo es zum Zeitpunkt des Tsunamis keine Wälder mehr gab, wurde dagegen schwer zerstört. "Elf Menschen wurden getötet und 138 Häuser - 88 Prozent aller Gebäude - vollständig zerstört", berichtet Selvam. In T.S. Pettai gab es hingegen keinen einzigen Toten.

Shekhar Kumar Niraj vom Meeresnationalpark Golf von Mannar weist außerdem darauf hin, dass auch Korallenriffe Wellen abbremsen. Der Nationalpark, der im Wesentlichen aus einem unter Wasser gelegenen Riff besteht, hielt den Tsunami effizient zurück. Im Norden von Rameshwaram, wo es keine Riffe gibt, erlitten die Küstengemeinden aber große Schäden.

Auch wenn Tsunamis eher selten seien, drohe den Küsten Indiens doch regelmäßig Gefahr durch Naturphänomene wie Wirbelstürme und Überschwemmungen, die die Menschen und ihre Umgebung gefährdeten, sagt der Geologe Gladwin G. Asir, Aktivist der Organisation 'Peoples' Action for Development'. Weder die indische Regierung noch die Verwaltungen der Bundesstaaten haben bisher jedoch die Rolle von Mangroven bei der Katastrophenprävention berücksichtigt. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://mangroveactionproject.org/
http://www.mssrf.org/
http://www.forests.tn.nic.in/wildbiodiversity/np_gmmnp.html
http://www.ipsnews.net/2012/12/bioshields-best-defence-against-disasters/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2012