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KATASTROPHEN/055: Fukushima - Bürgermeister der evakuierten Stadt Futaba trat zurück (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 628-629 / 27. Jahrgang, 7. März 2013

Folgen von Fukushima
Der Bürgermeister der evakuierten Stadt Futaba trat zurück

von Annette Hack



Futaba-machi ist der Ort, zu dem das Kernkraftwerk Fukushima Dai-ichi verwaltungstechnisch gehört. Die Gemeinde ist auf Anweisung der Behörden und mit gutem Grund evakuiert. Ihre etwa 7.000 Bewohner sind in ganz Japan verstreut. Allerdings leben viele von ihnen in drei weit voneinander entfernten Zentren mit provisorischen Unterkünften. Familien und Nachbarschaften sind oft getrennt. Viele Leute haben keine Arbeit. Die Gemeinde mit Bürgermeister, Gemeindevertretung und Gemeindeverwaltung existiert aber weiter.

Am 16. Dezember 2012 hatte die LDP unter dem jetzigen Premierminister Abe die Wahlen zum japanischen Unterhaus gewonnen - nach einem Wahlkampf, der unter anderem 'pro Atom' geführt wurde. Nur vier Tage später, am 20. Dezember 2012, brachte der Gemeinderat von Futabamachi ein einstimmiges Mißtrauensvotum gegen Bürgermeister IDOGAWA Katsutaka ein. Dieser hatte vor dem Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen in Genf am 30. Oktober 2012 das Leid seiner Gemeinde ungeschminkt dargestellt. (Strahlentelex hat seine Ansprache dokumentiert [4]). Nach dem Mißtrauensvotum gegen ihn machte der Bürgermeister von seinem Recht Gebrauch, den Gemeinderat aufzulösen. Eine schriftliche Begründung für das Mißtrauensvotum der Gemeindevertreter war auf der Homepage der Gemeinde Futaba nicht zu finden. [1] Drei der acht Mitglieder des Gemeinderates sollen Verbindungen zu Tepco, dem Betreiber des havarierten Kraftwerks, haben.

Nach einem dreitägigen Krankenhausaufenthalt erklärte Bürgermeister Idogawa am 23. Januar 2013 seinen Rücktritt.

Außer für eine Verbesserung der Lebenssituation und Gesundheitsversorgung seiner evakuierten Gemeinde hatte sich Idogawa gegenüber der Präfekturverwaltung von Fukushima und der japanischen Zentralregierung dafür eingesetzt, die Kleinstadt Futaba an einem radioaktivitätsfreien Ort, eventuell interimistisch, wieder aufzubauen.

Idogawa lehnt den Ortsdosisgrenzwert von 20 Millisievert pro Jahr (mSv/a) oder 3,8 Mikrosievert pro Stunde (h) außerhalb von Gebäuden entschieden ab. Dieser wird von der Präfektur Fukushima und anderen Stellen propagiert und zur Grundlage von Verwaltungsentscheidungen gemacht, zum Beispiel für den Schulbetrieb in kontaminierten Gebieten. Wer nachrechnet wird feststellen, daß 3,8 über 24 Stunden und 365 Tage pro Jahr mehr als 33 Millisievert ergibt. Auf 20 Millisievert pro Jahr kommt nur, wer trickreich kalkuliert, daß innerhalb von Gebäuden die Ortsdosisleistung vielleicht etwas geringer ist als außerhalb der Häuser und man sich nicht ständig außerhalb der Gebäude aufhält. In einigen Gegenden um den havarierten Reaktor soll dieser Wert durch "Dekontamination" erst wieder erreicht werden, damit die Evakuierten in ihre angestammten Wohngebiete zurückkehren. (Vergl. Strahlentelex 622-623 vom 6. Dezember 2012 [5]).

Idogawas Argumentation ist kompromißlos: Der Bevölkerung sei stets versichert worden, daß ein Unfall ausgeschlossen sei und die zulässige Belastung der Allgemeinbevölkerung mit 1 mSv/a eingehalten werde. Nun, nach dem Unfall, werde noch nicht einmal der Evakuierungsgrenzwert von 5 mSv/a, der in der Ukraine und Belarus gelte, angewandt, sondern der höchste Wert nach dem von der ICRP vorgegebenen Spektrum für Notfälle. Man solle doch bedenken, daß es in der Ukraine, 25 Jahre nach Tschernobyl, sehr viele kranke Kinder gegeben habe und gebe, die später auch nicht arbeitsfähig seien. Diese zukünftigen Schäden gelte es zu vermeiden. Und auch die Gefahr, daß bei zukünftigen Erkrankungen der Zusammenhang mit der Strahlenbelastung erst in Gerichtsprozessen nachgewiesen werden müsse, wie seinerzeit in Japan bei der durch Quecksilberkontamination eines Flusses hervorgerufenen Minamata-Krankheit. [2]

"Wir können nicht auf Dauer wie Schiffbrüchige auf dem Meer treiben, und ich habe mich bemüht, daß die Regierung uns schnell festen Boden unter die Füße gibt und der Wiederaufbau möglich wird. Aber meine Zeit reichte nicht", schreibt Bürgermeister Idogawa den Bürgern von Futaba anläßlich seines Rücktritts.

Tatsachenbelege für die Sicherheitsstandards bei künstlicher Radioaktivität gebe es nur wenige, und "der Nachweis, daß Menschen tatsächlich mit ihren Familien bei 20 mSv/a irgendwo leben könnten, steht wohl noch aus. Wenn ihre Sicherheit feststeht, können die Menschen nach Fukushima zurückkehren. Aber bis dahin sind sie Versuchskaninchen ù", gibt Idogawa zu bedenken.

Er sei von Menschen aus ganz Japan kritisiert worden: "Ihr habt das Atomkraftwerk doch bei Euch angesiedelt, jetzt spielt Euch nicht als Opfer auf!" Was man allerdings an zusätzlichen Einnahmen durch das Kraftwerk gehabt habe, sei in die Stadt investiert worden. Die sei jetzt unbewohnbar und die Einwohner seien in einer trostlosen Lage. Daher habe er diese Situation bei allen staatlichen Stellen immer wieder vorgebracht und auch die Massenmedien eingeschaltet, selbst wenn er dafür von Bürgern gescholten worden sei. [3]

Der Gemeinderat von Futaba wurde nach Idogawas Rücktritt neu gewählt, dem Vernehmen nach sind nun alle Gemeindevertreter "pro Atom". Zwei Mitglieder der aufgelösten Gemeindevertretung haben ihre Kandidatur für das Bürgermeisteramt angemeldet. Außerdem gibt es zwei weitere Kandidaten. Alle bezeichnen sich als unabhängig. Die Bürgermeisterwahl findet am 10. März 2013 statt.

lis 4 - http://www.town.futaba.fukushima.jp Rubriken: Mitteilungen des Gemeinderates und Mitteilungen der Gemeindeverwaltung, letzte Abfrage 31.1.2013 (japan.) - daselbst: gez. Idogawa Katsutaka, Bürgermeister von Futaba, 20. 12. 2012. "An alle Bürger von Futaba-machi". Stellungnahme zum Mißtrauensvotum des Gemeinderats. (japan.) - daselbst. Idogawa Katsutaka, Bürgermeister von Futaba, 23.1.2013. "Futaba-machi auf ewig". Rücktrittserklärung (japan.) - Strahlentelex 622-623 v. 6.12. 2012, S. 9-11, www.strahlentelex.de/Stx_12_622-623_S09-11.pdf - www.strahlentelex.de/Stx_12_622-623_S01-09.pdf


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_13_628-629_S05-06.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, März 2013, Seite 5-6
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2013