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KLIMA/152: Unsinnige Debatte über Klimawandel - Wenn "Wetter" mit "Klima" verwechselt wird (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 8 vom 24. Februar 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Unsinnige Debatte über Klimawandel
Wenn "Wetter" mit "Klima" verwechselt wird

von Hans-Peter Brenner


"Zwischen eiskalt und glühend heiß" so lautete die Überschrift zu einem KlimaBeitrag in dieser Zeitung im Januar vorigen Jahres. Damals waren es ungewöhnliche Schneemassen, die den Verkehr in Mitteleuropa zeitweise zum Erliegen brachten. Die Welt schrieb: "Reiseverkehr bricht unter dem Schnee zusammen. Bahn rät von Bahnfahrten ab, weil die Züge zu voll sind. Hunderte Flüge in Frankfurt gestrichen. Touristen campieren in Wartehallen." In der FAZ hieß es: "Blizzard in New York, Eisregen in Moskau. In Deutschland herrscht die Ruhe nach dem großen Sturm, Amerika und Russland versinken im Winterchaos." An Schnee mangelt es in diesem Jahr zumindest in der BRD. Dafür war "Väterchen Frost" viel strenger als sonst. Ein ungewöhnlich stabiles Hochdruckgebiet sorgte für Eisschrank-Temperaturen die mit Minustemperaturen um 30 Grad nicht nur hierzulande Werte erreichten, wie sie sonst eher in Sibirien zu finden sind. Serbien hatte gerade einen landesweiten Ausnahmezustand ausgerufen. Frankreich musste Stromausfälle in seinen AKW mit Stromimporten aus Großbritannien und der Bundesrepublik ausgleichen. Das uralte italienische Wahrzeichen, das Colosseum, war in Eis erstarrt, in Rom und zahlreichen anderen Städten blieben auf dem Höhepunkt der Kältewelle Schulen und Behörden geschlossen. Auf manchen Mittelmeer-Inseln wurden die tiefsten Temperaturen seit 40 Jahren registriert. Mallorca litt unter Rekord-Kältetemperaturen. In der BRD wurden Minusgrade von 28,7 Grad in Mecklenburg-Vorpommern gemessen; im bayerischen Oberstdorf waren es minus 28,1 Grad.

Über 600 Kältetote (Stand vom 11.2.) wurden europaweit gemeldet. Die meisten Kälteopfer waren Obdachlose, die keine Zuflucht gefunden hatten. Besonders skandalös und beschämend war in diesem Zusammenhang die Abschiebepraxis der Innenbehörden in Niedersachsen und NRW, die auf dem Gipfel der Kältewelle zirka 70 teilweise seit Jahrzehnten in Deutschland lebende kranke und alte Roma ins Kosovo abschoben, wo Plastikzelte und andere ungeheizte Behelfsunterkünfte auf sie warteten. Wie passt das zum "Klimawandel", bei dem doch eigentlich immer nur von einem globalen Temperaturanstieg geredet wird. Das fragte dieser Tage nicht nur die "Süddeutsche Zeitung" unter dem Titel: "Wie eiskalt ist dies Ländchen". "Die Zeit" setzte noch eins drauf und leitartikelte "Wird die Erde doch nicht wärmer?" Diese neue Debatte um den Klima-Wandel wirkt wie bestellt und hat mit den Folgen des hiesigen halbherzigen "Atomausstiegs" zu tun.. Aufhänger ist nicht nur das aktuelle Winterwetter, sondern auch das neue Buch des ehemaligen SPD-Politikers und jetzigen RWE-Managers Fritz Fahrenholt "Die kalte Sonne - warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet" (Co-Autor Sebastian Lüning). Der Klimawandel sei bloße "Panikmache" so sein Grundtenor. "Mindestens die Hälfte" der bisherigen Erderwärmung gehe auf eine verstärkte Sonnenaktivität zurück. Der AKW-Ausstieg sei klimapolitisch völlig überflüssig, Der Temperaturanstieg werde viel geringer ausfallen als die internationalen Expertenwelt - voran der UNO-Klimarat IPCC - vorhersagten.

Eine besonders heftige Breitseite feuerten Vahrenholt und Lüning gegen das Potsdamer Klima-Institut ab. Dessen Abteilungsleiter für Klimafolgenforschung und Co-Autor des IPCC-Klimaberichts ist Prof. Rahmstorf, nebenbei auch Berater der Bundeskanzlerin in Klimafragen. Prompt bedienten sich große Teile der Medienlandschaft - voran wieder einmal "Bild" - dieser Textvorlage. "Bild" sogar mit dem Mehrteiler "Die CO2-Lüge". Im für das eher "gebildetere" Lesepublikum gedachte Springer-Organ "Die Welt" feierte das Zeitgeist-Kommentatoren-Duo "Maxeiner&Mirsch" Fahrenholt, den ehemaligen Hamburger Umweltsenator, als "Urgestein der Umweltbewegung", dessen Kompetenz unstrittig sei und der der internationalen Schar der IPCC-Kritiker jetzt Schützenhilfe leiste.

Die Argumente der IPCC-Kritiker sind dürftig. Man könnte einfach mit dem Satz von der "Verwechslung von Äpfeln mit Birnen" kontern. "Wetter" ist nicht "Klima". "Wetter" ist eine Momentaufnahme, die einen langjährigen, jahrzehntelangen Klimatrend weder bestätigt noch widerlegt. Das gilt natürlich auch für den reichlich spät einsetzenden Winter 2011/2012. Generell sind kalte Wintertage und auch die derzeitige "Kälteblase" über Europa natürlich in Zeiten globaler Erwärmung möglich, diese beschreibt schließlich Trends, die über Jahrzehnte verlaufen.

Vor einem Jahr schrieb die UZ anlässlich der damaligen ungewohnten Schneemengen in Mitteleuropa: "Der Wechsel zwischen 'eiskalt' und 'glühend heiß', der für die Wetterlage unserer Region in 2010 so prägnant war, lässt sich nicht mehr verleugnen." 2010 war global betrachtet einerseits das "wärmste Jahr aller Zeiten", so zumindest lautet der Befund des "Goddard Institute for Space Studies" der US-Raumfahrtagentur NASA; die von der Meteorologischen Weltorganisation (WMO) übernommen und kurz vor Jahresende 2010/2011 verbreitet worden war. Danach war das langjährige globale Temperaturmittel um 0,55 Grad Celsius erhöht. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen wurde überhaupt noch kein höheres Jahresmittel erfasst.

Bestätigt wurde diese Messung durch das "Hadley Centre" des britischen Wetterdienstes. Wegen anderer Rechenverfahren stimmen die Hadley-Daten allerdings nicht exakt mit denen des GISS überein. Aber ob plus 0,52 oder plus 0,55 Grad - dies ist für die Beurteilung des Gesamttrends unerheblich. Das Hadley Centre wollte sich nicht eindeutig festlegen, ob 2010 das wärmste oder das zweitwärmste Jahr war. Denn das bisherige Rekordjahr, 1998, lag ebenfalls bei plus 0,52 Grad. Erst in der dritten Dezimale könnten sich Unterschiede erkennen lassen. Aber das ist ein Streit um des Kaisers Bart. Besonders hohe Abweichungen nach oben wurden in Teilen Kanadas und Grönlands gemessen. Mit ein bis drei Grad über dem Mittel folgen Nordafrika, Arabien und Südasien bis Westchina. Einige dieser Regionen erlebten ihre heißesten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen. An diesem Trend - und vor allem an der Ausprägung der Klima-Extreme, als signifikantem Merkmal des laufenden Klimawandels - hat sich in 2011 überhaupt nichts geändert.

In der aktuellen Kältewelle erkennen Klimaforscher geradezu eine Bestätigung und eine mögliche Folge der globalen Veränderungen. Klimawandel bedeutet eben keineswegs ein gleichmäßiges Ansteigen von Temperaturen an allen Orten in zu jeder Jahreszeit.. Eine neue Untersuchung von R. Jaiser vom Alfred-Wegener-Institut belegt z. B., dass der Rückgang der Eisdecke in der Arktis im Sommer und Herbst die stabilen - und milden - Winterwetterlagen vieler früherer Jahre aufmischt. "Wenn das Nordmeer eisfrei ist, nimmt es im Herbst mehr Sonnenstrahlung auf und erwärmt sich. Später kann von dort relativ warme Luft aufsteigen und die atmosphärische Schichtung durcheinanderbringen." Das wiederum - so Jaiser in der Süddeutschen Zeitung vom 7.2. - stört das Zusammenspiel von Azorenhoch und Islandtief, die üblicherweise im Duett milde Westwinde nach Europa lenken.

Eine weitere neue Studie von V. Petoukhov vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung analysiert die Folgen der Eisschmelze in der Karasee - zwischen der Nordspitze Norwegens, Spitzbergen und der russischen Insel Nowaja Semlja gelegen. Seine Klimasimulationen zeigten, dass sich dann bevorzugt ein Hoch über diesem Teil des Polarmeers entwickelt und kalte Luft an seiner Südflanke nach Zentraleuropa leitet. Derzeit gibt es einen erkennbaren Mangel an Eis in der Karasee, gemessen am Durchschnitt der Jahre 1979 bis 2000. Und tatsächlich lag das Zentrum des aktuellen Hochdruckgebiets namens Dieter I, unter dessen Einfluss Mitteleuropa die letzten Tage lag, etwas südlich der Karasee.

Nach Aussagen des Meteorologen Kai Zorn, der in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 17. 12. 2010 zu den Ursachen der ungewöhnlichen Kältegrade und Schneemengen befragt wurde, ist der sogenannte "Polar-Express", eine neue Störung der Luftzirkulation im nördlichen Atlantik, die Ursache. Er halte es für wahrscheinlich, dass uns einer der kältesten Winter seit 20 bis 50 Jahren bevorstehe mit ungewöhnlichen Schneeund Frostlagen. Normalerweise zögen in regelmäßigen Abständen Tiefs mit milder Luft im Gepäck vom Atlantik nach Europa. "Seit September 2008 jedoch ist der Atlantik häufig wie im Tiefschlaf. Dort wo eigentlich das Islandtief liegt, hat sich in den vergangenen Wochen erneut ein riesiges Hoch aufgebläht, das alle Tiefdruckgebiete, die von Westen kommen, niederringt und somit die Warmluft blockt." Extrem kalte Wetterlagen, die sich regelmäßig erneuern, seien die Folge. Klimaforscher erklärten zur gleichen Zeit den "Polar-Express" so: Durch die globale Erwärmung wird am Nordpol ein solch starker Abtaueffekt des Eises erzielt, dass es dadurch zu den Verwerfungen der Luftzirkulation kommt, von denen Zorn sprach.

Es geht insgesamt in Mitteleuropa im Gefolge der weltweiten Erwärmung der Erdatmosphäre um beides, um die Zunahme der Extreme sowohl im Kalt- wie im Warmbereich und um die Zunahme von Starkregen und Unwettern. Und dieser Trend wird sich weiter ausprägen, wenn sich weiter die Interessen der großen Energie- und Industriekonzerne der kapitalistischen Hauptländer stärker erweisen als die gebotene ökologische Vernunft.

Wenn eines durch die Wetter- und Unwetterkapriolen der Jahreswende deutlich geworden ist, dann ist es dies: Klimapolitik erfordert eine antimonopolistische Politik. Erfordert mehr als einen "grünen Kapitalismus" mit ein bisschen mehr Alternativ- und Solarenergie (so notwendig und nützlich dies auch ist). Die Gesamtstruktur von Produktion, Transport- und Antriebssystemen sowie von Energieproduktion und -verbrauch muss nach einem Maßstab organisiert werden, der eine auf die ökologischen und sozialen Interessen der großen Masse der Bevölkerung zielende andere Eigentumsstruktur voraussetzt.

Eine umwelt- und energiepolitische Wende, die diesen Namen verdient, muss Teil einer Neuorientierung sein, die auf einen umfassenden antimonopolistischen und langfristig sozialistischen Bruch mit der verheerenden Politik im Interesse der Großkonzerne abzielt.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 8 vom 24.
Februar 2012, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2012