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KLIMA/357: Von Warschau nach Lima - Die UN-Klimakonferenz 2014 aus lateinamerikanischer Sicht (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Von Warschau nach Lima
Die UN-Klimakonferenz 2014 aus lateinamerikanischer Sicht

von Ana Toni und Fátima Mello
November 2014




Inhalt
  1. Einführung?
  2. Historischer Überblick
  3. Kontroverse Interessen von Industrie- und Schwellenländern?
  4. Die UN-Klimakonferenz in Warschau?
  5. Zentrale Themen der Verhandlungsrunden
  6. Die Positionen der globalen Akteure in Warschau?
  7. Die mögliche Rolle Lateinamerikas?
  8. Die Rolle des Gastgebers Peru?
  9. Die NGOs und die 20. Klimakonferenz?
  10. Die Zukunft der UN-Verhandlungen zum Klimawandel?
  11. Schlussbetrachtungen?

Glossar



• Wenngleich die qualvollen Verhandlungen über die Ziele, die Verantwortung und die finanziellen Verpflichtungen für eine Reduktion der Treibhausgasemissionen schon seit dem Gipfel in Rio 1992 stattfinden, lässt die Aussicht auf eine neue Klimarahmenkonvention dem aktuellen Gipfel entscheidende Bedeutung zukommen.

• Ob die derzeitige Architektur des Kyoto-Protokolls geeignet ist, ein ambitioniertes und wirkungsvolles Abkommen zustande zu bringen, ist fraglich. Denn die Zweiteilung zwischen Ländern des Annex I und denen des Annex II übersieht die weitaus diffuseren Grenzlinien, die durch die anwachsenden Treibhausgasemissionen der Schwellenländer und die Rolle der osteuropäischen Länder in diesem Prozess entstehen.

• Für Lateinamerika stellt die Konferenz in Lima eine Gelegenheit dar, der Welt eine Agenda vorzuschlagen, in der eine erfolgreiche Politik der Armutsbekämpfung und sozialen Inklusion mit einer neuen Vision der nachhaltigen Nutzung seiner Ressourcen verbunden wird, und Impulse für Debatte um neue und emissionsarme Wirtschaftsformen ausgehen können.

• Von entscheidender Bedeutung ist die Haltung der peruanischen Regierung gegenüber den sozialen und indigenen Bewegungen. Gelingt es ihr, den Stimmen der traditionellen und indigenen Volksgruppen und der NGOs Geltung und Gehör zu verschaffen, wird dies den Druck auf die Verhandlungsführer der Länder, einen zufriedenstellenden Vertragstext aufzusetzen, deutlich erhöhen.

*

1. Einführung

Ziel des 1992 in Rio verabschiedeten Rahmenabkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC)(1) war es, die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem für das Klimasystem ungefährlichen Niveau zu stabilisieren. Seitdem verhandeln alle Parteien, die dem Abkommen beigetreten sind, auf den Klimakonferenzen der Vereinten Nationen (COP) über die Ausgestaltung einer globalen Vereinbarung, mit der dem Klimawandel begegnet werden soll. Dieses Abkommen befindet sich derzeit in einer entscheidenden Phase. Im Verlauf des komplexen Verhandlungsprozesses von der UN-Klimakonferenz in Warschau (COP 19, 2013) bis zur Konferenz in Lima (COP 20, 2014) lassen sich die wichtigsten Herausforderungen, Hindernisse und Möglichkeiten einer globalen Vereinbarung erkennen, die der bestehenden Klimakrise gerecht werden könnte - oder auch nicht.

Bisher bewegt sich der Verhandlungsprozess noch entlang einer institutionellen Struktur, die auf einer Trennung der Welt in Norden und Süden basiert, obwohl sich die Länder- und Interessensgruppen inzwischen immer weiter ausdifferenziert haben. Diese unzeitgemäße und traditionelle Grenzziehung zwischen Nord und Süd führt zu Blockaden, die das Eingehen effektiver Verpflichtungen zwischen den Parteien erschweren, und unterläuft den Stärkungsprozess einer globalen Good Governance auf dem Gebiet des Klimawandels.

Die Länder des Südens bzw. die Länder, die nicht im Annex I der UNFCCC aufgeführt sind, können nicht mehr als »homogener« Block behandelt werden. Die Vereinbarung darf die historischen Gegebenheiten sowie die unterschiedliche Verantwortung der einzelnen Länder in Bezug auf globale Emissionen nicht vereinfachen oder sich gegenüber der Komplexität dieses Themas gleichgültig zeigen. So unterscheiden sich die Agenden, Produktionsmodelle und Emissionsniveaus der sogenannten Schwellenländer stark von denen der Entwicklungsländer oder der Inselstaaten. Die im Annex I des UNFCCC aufgeführten Nordländer sowie die sogenannten Transformationsökonomien besitzen wiederum interne Agenden, die hinsichtlich des jeweiligen Emissionsniveaus und einem Übergang zu emissionsarmen Wirtschaftsformen stark voneinander abweichen. Dies wurde in Warschau sehr deutlich, wo nur geringe Verpflichtungen eingegangen wurden, die sich mittlerweile zunehmend in freiwillige Beiträge verwandeln - sowohl hinsichtlich der Mitigation als auch der Finanzierungsvereinbarungen.

Die Klimakonferenz in Lima (Peru) kann als Chance für Lateinamerika begriffen werden, der internationalen Gemeinschaft Wege aufzuzeigen, um die Hindernisse bei den Verhandlungen auszuräumen - alternative Wege, die auch eine Änderung des eigenen Entwicklungsmodells beinhalten, das nach wie vor stark auf der intensiven Ausbeutung natürlicher Ressourcen basiert und sich in hohen Treibhausgasemission zeigt. Die Region könnte der Welt eine Agenda anbieten, in der sie ihre erfolgreiche Politik der Armuts- und Ungleichheitsbekämpfung sowie der sozialen Inklusion mit einer neuen Vision der nachhaltigen Ressourcennutzung verbindet, die zu Wirtschaftsformen mit niedrigem CO2-Ausstoß führt. Lateinamerika verfügt über die technischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, die Herausforderung des Klimawandels anzunehmen und neue wirtschaftliche Möglichkeiten zu erschließen.

Der Vorschlag eines alternativen Entwicklungsmodells, das die verantwortliche Nutzung der vorhandenen natürlichen Ressourcen aufwertet, statt diese wie bisher als Waren abzubauen und zu exportieren, würde der Region auf der Klimakonferenz in Lima nicht nur eine Führungsrolle zusprechen, sondern zukünftig auch eine höhere Wettbewerbsfähigkeit der lateinamerikanischen Staaten bedeuten.


2. Historischer Überblick

Seit 1995 wurden jährlich UN-Klimakonferenzen (COP) veranstaltet,(2) von denen einige für den Verhandlungsprozess wesentliche Meilensteine setzten:

• UN-Klimakonferenz Kyoto (COP 3, 1997): Verabschiedung des Kyoto-Protokolls, in dem für einen ersten Zeitraum von 2008 bis 2012 Ziele und Verpflichtungen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen aufgestellt wurden, die von den Industriestaaten und Transformationsökonomien (Annex I, UNFCCC) einzuhalten waren. Das Protokoll legt fest, dass die Entwicklungsgeschichte der Industriestaaten die Verantwortung für hohe Emissionswerte vorgibt, und versichert, dass »die Staaten eine gemeinsame aber differenzierte Verantwortung tragen«.

• UN-Klimakonferenz Bali (COP 13, 2007): Schaffung einer Roadmap und des Bali Action Plan, der den Verhandlungsprozess in zwei Hauptstränge einteilt: Die Arbeitsgruppe unter dem Kyoto-Protokoll für Vertragsparteien des Annex I sowie die Arbeitsgruppe zum Kyoto-Protokoll. Der Action Plan enthält fünf Bereiche: gemeinsame Vision, Mitigation, Anpassung, Technologie und Finanzierung.

• UN-Klimakonferenz Kopenhagen (COP 15, 2009): Rief große Erwartungen hervor, die wegen des mangelnden politischen Willens, effektive Verpflichtungen zur Reduzierung der Emissionen einzugehen, zu ebenso großen Enttäuschungen führten. Zudem wurden Anzeichen für eine zunehmende Schwächung globaler Good Governance sichtbar. So gelangten Vorstellungen in die Verhandlungen, nach denen verpflichtende Ziele durch freiwillige Beiträge abgelöst werden sollten.

• UN-Klimakonferenz Cancun (COP 16, 2010): Der Green Climate Fund (GCF) wurde eingerichtet, das Waldschutzprogramm REDD auf die Agenda des Abkommens gesetzt sowie ein Anpassungsrahmen beschlossen, um das Vorgehen in diesem Bereich zu unterstützen.

• UN-Klimakonferenz Durban (COP 17, 2011): Verabschiedung einer Reihe von Vereinbarungen, die unter dem Begriff Durban Platform zusammengefasst wurden. Unter anderem wurde die Einführung einer zweiten Phase des Kyoto-Protokolls zur Reduktion von Treibhausgasemissionen beschlossen sowie die Aufnahme der Tätigkeit des GCF. Des Weiteren wurde die Grundsatzentscheidung getroffen, mit einer neuen Verhandlungsarchitektur ein verbindliches globales Instrument zu schaffen, das für alle Parteien - Industriestaaten wie Entwicklungsländer - anwendbar ist, wobei Letztere sich bisher nicht auf verpflichtende Ziele festlegen mussten. Diese Vereinbarung soll 2015 auf der COP 21 in Paris verabschiedet werden und ab 2020 in Kraft treten.

• UN-Klimakonferenz Doha (COP 18, 2012): Vereinbarung zur Errichtung eines institutionellen Mechanismus' für Verluste und Schäden in Ländern, die für die Auswirkungen des Klimawandels und unvorhersehbare extreme Ereignisse besonders anfällig sind.


3. Kontroverse Interessen von Industrie- und Schwellenländern

Insgesamt besteht seit 1992 eine Grundkontroverse zwischen den Industrie- und Schwellenländern über die jeweils zu tragende Verantwortung. Die großen Fragen bei allen Verhandlungen sind nach wie vor, wie sich der Grad an Verantwortung für jedes Land messen lässt und was welches Land tun müsste, um effektiv zu Mitigation, Anpassung und zur Transformation hin zu einer emissionsarmen Wirtschaft beizutragen.

Während die nördlichen Länder versuchen, die Verantwortung der Schwellenländer aufgrund ihrer zunehmenden Beteiligung an den globalen Emissionen auf das Niveau der Industrieländer zu heben, argumentieren die von Brasilien, China und Indien angeführten Schwellenländer, dass ihre Positionen auf dem Prinzip der in Kyoto beschriebenen »gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung« beruhe.

Gerade diese Konfrontation ließ Zweifel daran aufgekommen, ob die derzeitige Architektur des Abkommens geeignet ist, eine ambitionierte und wirkungsvolle Vereinbarung zustande zu bringen. Derzeit gründet sich diese auf eine vereinfachte Zweiteilung zwischen den Ländern des Annex I und denen des Annex II, welche sowohl bestehende Unterschiede innerhalb der Ländergruppen vernachlässigt als auch die zunehmend diffuse Abgrenzung zwischen Industrie- und Schwellenländern sowie die Rolle der osteuropäischen Länder in diesem Prozess übersieht.


4. Die UN-Klimakonferenz in Warschau

Die 19. UN-Klimakonferenz fand vom 11. bis 23. November 2013 in Warschau statt. Ihre Aufgabe bestand darin, wesentliche Fortschritte in der Ausgestaltung einer auf der Klimakonferenz 2015 in Paris (COP 21) zu verabschiedenden verbindlichen multilateralen Vereinbarung zu erzielen. Die Hauptziele der Konferenz waren: a) die von der Durban Platform eingeschlagene Richtung zu einer für alle Länder verbindlichen Vereinbarung weiterzuverfolgen; b) bei den Finanzierungsverpflichtungen für die Transformation zu einer emissionsarmen Wirtschaft weiterzukommen; c) Fortschritte bei der Gestaltung einer institutionellen Struktur für das REDD+-Programm zu erzielen; und d) Mechanismen für einen Ausgleich von Verlusten und Schäden zu erstellen.

Die Konferenz in Warschau hatte also einen Übergangscharakter und sollte vor allem eine ambitioniertere Vereinbarung vorbereiten. Die Konferenz brachte jedoch nur geringe Fortschritte, aber viele Zweifel, ob eine wirksame globale Lösung für die Eindämmung des Klimawandels gefunden werden kann. Das Ergebnis war eine wenig ins Detail gehende Minimalvereinbarung, in der lediglich festgehalten wurde, dass die Länder bis zum 1. Quartal 2015 ihre freiwilligen Ziele zur Emissionsreduzierung vorstellen und nationale Beratungen abhalten sollen, um die Möglichkeiten und den Willen jedes Landes zu ermitteln. Zudem verpflichteten sich die Mitgliedsländer in Warschau, bis März 2015 einen Entwurf der Vereinbarung fertigzustellen. Dass diese Beschlüsse bis Anfang 2015 umgesetzt werden, ist jedoch nicht zu erwarten, da bisher nicht einmal die gesetzliche Grundstruktur entworfen wurde und nur ganz wenige Beiträge vorliegen.


5. Zentrale Themen der Verhandlungsrunden

Allgemein drehen sich die aktuellen Diskussionen zum Klimaabkommen um Themen wie Finanzierung, das REDD+-Programm, Verluste und Schäden sowie die dazugehörige Mitigations- und Anpassungspolitik. Im Folgenden wird kurz dargestellt, wie diese Themen in der Warschauer Agenda behandelt wurden und wie sie unserer Vorstellung nach in die Agenda der Klimakonferenz in Lima aufgenommen werden sollten.

Finanzierung: Die 15. Klimakonferenz hatte ambitionierte Ziele zur Beschaffung von Finanzmitteln in den Industriestaaten aufgestellt, mit denen Anpassungs- und Mitigationsprojekte in den Entwicklungsländern finanziert werden sollen. In Warschau hoffte man darauf, sich zur langfristigen Finanzierung dieser Vorhaben auf jährlich 100 Milliarden US-Dollar bis 2020 zuzubewegen - bis jetzt wurde jedoch nur wenig erreicht.

Mit dem GCF ist man beispielsweise nur wenig vorangekommen. Ankündigungen wie von Südkorea, dem Fonds 72,5 Millionen US-Dollar zur Verfügung zu stellen, konnten bei den Entwicklungsländern das mangelnde Vertrauen in dieses neue Instrument nicht beseitigen. Stattdessen fürchten diese weiterhin, dass die Versprechungen nicht zu konkreten Auszahlungen führen werden. Die Industrieländer führen ihrerseits an, dass sie keine Mittel an einen Fonds binden wollen, dessen Funktionsweise nicht klar definiert ist.

Lediglich mit ihrem kurzfristigen Finanzierungsplan konnte die 19. Klimakonferenz ein Ergebnis erzielen. Angesichts der oben erwähnten Ziele ist das Ergebnis zwar sehr verhalten, dennoch konnte in Warschau für 2013 die Beschaffung von 100 Millionen US-Dollar für den Anpassungsfonds festgesetzt werden, welche durch Beiträge von Österreich, Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Norwegen, Schweden und der Schweiz abgedeckt wird.

Besonders kontrovers ist das Thema, im Bereich der Finanzierungsmechanismen auch Mittel aus dem Privatsektor einzubeziehen, um das in Kopenhagen aufgestellte Ziel zu erreichen. Diese Strategie wird teilweise als Versuch der Industrieländer angesehen, sich nicht zu zusätzlichen Mitteln für die Finanzierung der Transformation und der Bekämpfung des Klimawandels in den Entwicklungsländern zu verpflichten. Aufgrund der fehlenden Einigung über die Einbeziehung des Privatsektors bei der Finanzierung wurde das Thema auf ein neues Vorbereitungstreffen im Juni 2014 in Bonn verschoben.

Der Fortschritt in den Verhandlungen zur Beschaffung von Finanzmitteln für Anpassungs- und Mitigationsprojekte in Warschau war sehr zaghaft. Dies ist einer der Gründe dafür, dass die allgemeine Enttäuschung - vor allem in den Ländern des Annex II - noch größer geworden und die Architektur des Verhandlungsprozesses in Misskredit geraten ist. Einerseits fordern die Industriestaaten von den Schwellenländern mehr Verantwortung, verdeutlichen andererseits aber, dass sie nicht wirklich bereit sind, einen Beitrag für die Transformation dieser Länder zu einer emissionsarmen Wirtschaft zu leisten.

REDD+: Das wesentlichste und robusteste Ergebnis von Warschau war die Verabschiedung eines ganzen Pakets an fachlichen Erläuterungen zu REDD+; u.a. ging es dabei um institutionelle Fragen, Regeln der Vorgehensweise und die Finanzierung dieses Instruments. Ein weiteres positives Ergebnis war die Verpflichtung der USA, Deutschlands, Norwegens und Großbritanniens, ca. 280 Millionen US-Dollar für die Bekämpfung der Entwaldung in Entwicklungsländern bereitzustellen. Trotz dieser Fortschritte, für die seit Kyoto verhandelt wurde, musste einer der kontroversesten Punkte auf zukünftige Konferenzen verschoben werden: die Erlaubnis bzw. das Verbot des Emissionshandels.(3)

Verluste und Schäden: Die Klimakonferenz in Doha beschloss, dass auf der 19. Klimakonferenz in Warschau ein institutionelles Instrument erarbeitet werden sollte, um mit den Verlusten und Schäden in für die Auswirkungen des Klimawandels besonders anfälligen Ländern sowie bei unvorhersehbaren extremen Ereignissen umzugehen. Die Verhandlungen über diesen Mechanismus riefen in Warschau eine große Kontroverse hervor, da der Beginn der Konferenz von den Auswirkungen des Taifuns Haiyan beherrscht wurde, der genau zu diesem Zeitpunkt die Philippinen erreichte.

Vielfach wurde argumentiert, dass den Verlusten und Schäden aus solchen Ereignissen nicht mit Anpassungsmaßnahmen begegnet werden könne, da extreme Klimaereignisse keine Situation wären, der man sich anpassen könnte. Für die Inselstaaten, die afrikanischen sowie einige südasiatische Länder war es daher von entscheidender Bedeutung, sich auf eine Finanzierungsquelle für Verluste und Schäden zu einigen, die nicht aus dem Anpassungs- und Mitigationstopf gespeist wird. Die Industriestaaten sprachen sich ihrerseits dagegen aus, mit einem Finanzierungsinstrument für Verluste und Schäden neue Strukturen für den institutionellen Rahmen der Vereinbarung zu schaffen.

Die Verhandlungen endeten mit der Verabschiedung des Internationalen Warschau-Mechanismus' für Verluste und Schäden, der als bedeutender Fortschritt betrachtet werden kann. Mit diesem Mechanismus sollen die durch Extremwetterereignisse verursachten Schäden in dafür besonders anfälligen Entwicklungsländern ausgeglichen werden. Allerdings wurde auch beschlossen, dass dieser in den ersten drei Jahren an die bestehenden Anpassungsvorgaben des Abkommens gebunden ist, was in der Praxis bedeuten könnte, dass man sich nicht zu Sondermitteln für Verluste und Schäden verpflichtet.


6. Die Positionen der globalen Akteure in Warschau

Die ständige Kontroverse zwischen den Industrie- und Schwellenländern, über die Verantwortung jedes einzelnen Landes beherrschte erneut die Verhandlungen. Die USA und China gaben deutliche Signale, dass sie kein Interesse daran hätten, sich auf die Vorgaben des Abkommens zu verpflichten, auf der nationalen Ebene jedoch in Bewegung kämen - beispielsweise Obamas Climate Action Plan vom Juni 2013(4) (neben verschiedenen Initiativen auf bundesstaatlicher oder Gemeindeebene) oder China's Policies and Actions for Adressing Climate Change von 2013, bei dem, wie in den USA, ebenfalls eine starke regulierende Kompetenz an die Provinzebene(5) abgetreten wird.

Die Europäische Union hatte große Probleme, sich auf konkrete und weitergehende Verpflichtungen bei der Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen festzulegen. Japan kündigte an, sein früher angegebenes Ziel der Emissionsreduzierung von 25 Prozent (in Bezug auf die Emissionen von 2005) auf 3,8 Prozent bis 2020 abzusenken und nannte als Grund dafür die Abschaltung seiner Atomreaktoren. Die von Australien nach Warschau entsandten Delegierten hatten die Vorgabe, keinerlei Verpflichtungen finanzieller Art einzugehen. Kanada war 2011 aus dem Kyoto-Protokoll ausgetreten und vertrat eine Position, die jegliche Verpflichtungen ablehnte.

Lateinamerika bewies wenig Führungsqualität und war sich unsicher in der Frage, welche Länder oder Ländergruppen der Region in Eigeninitiative Vorschläge machen könnten bzw. dafür die Voraussetzungen besäßen. Auf der 19. Klimakonferenz konzentrierte sich Brasilien darauf, an zwei Fronten Position zu beziehen: die Notwendigkeit von Beratungen auf nationaler Ebene, um die eigenen Beiträge und Ziele festzustecken, sowie die These, dass die Ziele anhand des Anteils der historischen Emissionen jedes Landes in Bezug zur Veränderung der globalen Temperatur berechnet werden müssten.

Für die Berechnung der Emissionen und die Festsetzung der Reduktionsziele jedes Landes schlug Brasilien einen Mechanismus vor, der sich an der Emissionsmenge jedes Landes seit 1850 orientiert. Dieser Vorschlag wurde weder von den Industriestaaten noch von den Entwicklungsländern Lateinamerikas und Afrikas gut aufgenommen. Während einige im brasilianischen Vorschlag eine Taktik zur Vermeidung konkreter Verpflichtungen vermuteten, sahen diejenigen, die sich für »Gerechtigkeit« im Abkommen einsetzten, die sozioökonomischen Unterschiede sowie die unterschiedliche klimatische Anfälligkeit in den Entwicklungsländern nicht berücksichtigt.

Die Enttäuschung über den Verlauf der Verhandlungen auf der 19. Klimakonferenz angesichts des mangelnden Willens und der fehlenden Verpflichtungen der Länder führte letztlich zu dem Entschluss einer ansehnlichen Gruppe von NGOs und sozialen Bewegungen - u.a. Greenpeace, Oxfam, International Trade Union Confederation, Friends of the Earth, Actionaid, WWF(6) -, die COP 19 unter Protest zu verlassen. Diese Entscheidung verstärkte gleichzeitig das Gefühl des Misstrauens, das den Verhandlungsprozess und seine Architektur umgibt. In Warschau äußerte sich diese Verärgerung in der Unfähigkeit, finanzielle Vereinbarungen zu treffen, in der Zweideutigkeit der verwendeten Begriffe (wie zum Beispiel »Beitrag« statt »Verpflichtung«), in der mangelnden Festschreibung des bindenden Charakters der Vereinbarung von 2015 sowie im Fehlen einer Festlegung, wie die jeweiligen Beiträge in einer auf alle anwendbaren Vereinbarung zu differenzieren wären.

Die Kontroverse über die Differenzierung der Beiträge - oder Verpflichtungen - lässt bei den NGOs in zunehmendem Maße Zweifel daran aufkommen, ob das Abkommen weiterhin an der Aufteilung in Annex I und Annex II orientiert werden sollte. Viele NGOs sind der Ansicht, dass diese Aufteilung für den Verhandlungsprozess nicht mehr zweckmäßig sei, da sie nicht nur Blockaden hervorrufe, sondern auch die bestehenden Unterschiede zwischen den Ländern des Südens nicht berücksichtigen würde. Die Verantwortung, die sich aus den aktuellen Emissionen der Schwellenländer ergibt, darf nicht mehr auf dem Niveau der gefährdeteren Entwicklungsländer liegen. Ebenso wie China, Brasilien oder Indien sich nicht auf dieselbe Stufe mit Bangladesch oder den Inselstaaten stellen können, können auch Russland und Polen es nicht weiter hinausschieben, eine größere Verantwortung in den CO2-Mitigationsprojekten zu übernehmen.

Zur Illustration dieser Unterschiede zeigt Abbildung 1 das relative Gewicht der 15 Staaten, die 2010 am meisten zu den Treibhausgasemissionen beigetragen haben, was 75 Prozent der globalen Gesamtemissionen(7) entspricht. Auch wenn die Werte des Gesamtvolumens pro Land und die entsprechende Position der Länder in den verschiedenen Quellen Variationen aufweisen, hat sich das Gesamtbild der Länder, die am meisten zu den globalen Emissionen beitragen, nicht verändert.

Grafik 1: Anteil an der Gesamtmenge der globalen Emissionen in Prozent (2010).Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von UNEP (2012), S. 15-18



Wenn einerseits die Angaben über den Anteil dieser Länder an der Summe der Treibhausgasemissionen für das Verständnis der institutionellen Hindernisse wesentlich sind, sind andererseits ebenso die Emissionstendenzen von Bedeutung, an denen sich die Beteiligung der Entwicklungsländer deutlicher zeigt. Zur Illustration dieses Punktes zeigen die Abbildungen 2 und 3 den Verlauf der Emissionen unterschiedlich großer Länder unter den Entwicklungsländern im letzten Jahrzehnt.

Grafik 2: Historie der Kohlendioxydemissionen der Entwicklungsländer.Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis der Emission Database for Global Atmospheric Research (Edgar).


Grafik 3: Historische Kohlenstoffemissionen der Industriestaaten und Entwicklungsländer.Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis der Emission Database for Global Atmospheric Research (Edgar)



Aus den obigen Informationen können einige wichtige Schlussfolgerungen gezogen werden. Erstens besteht unter den Ländern eine offensichtliche Disproportion in den Emissionsvolumen, wobei der Anteil Chinas deutlich herausragt; zweitens sind alle Schwellenländer des BRICS-Blocks vertreten; drittens befindet sich unter den Ländern mit den meisten Emissionen fast kein lateinamerikanisches oder afrikanisches Land; und viertens lässt sich mit Ausnahme von Russland von keinem Land behaupten, dass das Emissionsvolumen tendenziell besonders rückläufig wäre.

Dieses vielschichtige Bild lässt den Standpunkt zu, dass eine konsistente Einordnung der Länder gemäß ihrem Entwicklungsstand und dem dementsprechenden Emissionsvolumen in Annex I und Annex II unangemessen ist. Mit anderen Worten: Die Eignung der bestehenden Verhandlungsarchitektur, ein globales Abkommen zustande zu bringen, verringert sich beträchtlich.

Zudem wird deutlich, dass sich die Diskussion über das Abkommen auf diese 15 bis 20 Länder konzentriert und die restlichen über 200 Länder, die fast nichts zur Umweltverschmutzung beitragen, aber am meisten unter den Klimaveränderungen leiden, in den Verhandlungen kaum Gewicht besitzen.

Die Enttäuschung über die Warschauer Ergebnisse führte hinsichtlich der Klimakonferenzen in Lima und Paris zu größeren Erwartungen und gleichzeitig zu Hoffnungslosigkeit. Die Notwendigkeit, das Vertrauen in den Verhandlungsprozess wiederherzustellen, verlangt vor allem von den Industriestaaten und den Schwellenländern konkrete Signale sowie die Bereitschaft, die Grundvoraussetzungen des Verhandlungsprozesses anzupassen.


7. Die mögliche Rolle Lateinamerikas

Die 20. Klimakonferenz in Lima kann für Lateinamerika eine strategische Gelegenheit sein, die Debatte über die erforderliche Transformation zu einer emissionsarmen Wirtschaft sowohl auf seine regionalen Agenden zu setzen als auch in die globalen Verhandlungen einzubringen.

Dabei ist die Feststellung wichtig, dass auch der Anteil der lateinamerikanischen Länder an den weltweiten Emissionen beträchtliche Unterschiede aufweist. In einem neuen Abkommen muss also auch die regionale Verantwortung anerkannt und einbezogen werden. Abbildung 4 zeigt einige der wichtigsten Länder der Region und ihr Emissionsvolumen.

Grafik 4: Emmissionen (MtCO2 2010) / Anteil der globalen Emmissionen in %.Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von UNEP (2012), S. 15-18



Lateinamerika erlebt derzeit eine starke Tendenz zur Reprimarisierung der Exporte und bildet als Lieferant von Rohstoffen und Naturressourcen das schwächste Glied in den globalen Produktionsketten. Die immer intensivere Ausbeutung dieser Ressourcen führt zu erhöhten Treibhausgasemissionen und zur entsprechenden Verminderung vorhandener Naturressourcen.

Die Region konzentriert sich auf den Abbau und Export fossiler Brennstoffe, wie Öl und Erdgas, und entwickelt Megaprojekte zur Energieproduktion, um den Abbau und Export von Erz zu ermöglichen. Das herrschende Landwirtschaftsmodell basiert auf großflächigen Monokulturen, die in direktem Zusammenhang mit dem hohen Abholzungsindex stehen und neben dem Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln ungeheure Wassermengen verbrauchen. Bedenkt man zudem das straßenbasierte Transportsystem und die Industrie mit ihrem niedrigen technischen Standard, die extrem hohe Kohlenstoffemissionen verursachen, muss das lateinamerikanische Entwicklungsmodell noch deutliche Fortschritte machen, um die Treibhausgasemissionen abzusenken.

Gleichzeitig nimmt die Region - trotz der bedeutenden Fortschritte in den letzten 15 Jahren - weltweit immer noch einen der vordersten Plätze im Bereich der sozialen Ungleichheit ein. Zwar haben verschiedene Länder der Region im Laufe des letzten Jahrzehnts breit angelegte Prozesse der sozialen Inklusion, Armutsbekämpfung und Verminderung der ungleichen Einkommensverhältnisse auf den Weg gebracht; ermöglicht wurde dies jedoch vor allem durch die intensivere Ausbeutung von Naturressourcen und Mineralgewinnung. Obwohl die Region im Vergleich zu anderen Kontinenten immer noch für ein geringes Volumen an Kohlenstoffemissionen verantwortlich ist, führt die drängende Notwendigkeit nach Wirtschaftswachstum tendenziell zur Erhöhung der Emissionen. Daher ist die Bereitschaft für eine Transformation zu einer emissionsarmen Wirtschaft, welche die Wertschöpfung der reichhaltigen Naturressourcen der Region einbezieht, nur gering.

Den Weg der sozialen Inklusion und Rechtsansprüche mithilfe eines nachhaltigen Modells, das nicht so stark von der intensiven Ausbeutung natürlicher Ressourcen abhängig ist, weiterzuverfolgen und auszuweiten, stellt eine große Herausforderung dar. Auch wenn die Konzentration auf den intensiven Rohstoffexport natürlicher Ressourcen mehr mit den Problemen der Zahlungsbilanzen zu tun hat, besteht kein Zweifel, dass die Reprimarisierung der Exporte die nationalen Produktionsmodelle und die Dynamik der internen Märkte infiziert und bedingt.

Angesichts dieses Szenarios stellt die Klimakonferenz in Lima für die Region eine strategische Gelegenheit dar, ihr Entwicklungsmodell zu überdenken. Die Region besitzt nach wie vor reiche Ökosysteme mit einer sehr großen Biodiversität - wenn diese auf nachhaltige Weise und mit Blick auf die Stärkung der Rechte traditioneller Bevölkerungen genutzt werden, können sie der Schlüssel für die Transformation zu einem neuen Entwicklungsmodell sein.

Lateinamerika muss ein Zukunftsbild entwickeln, das soziale Inklusion mit einem effizienten, nachhaltigen Produktionsmodell verbindet und seine Naturressourcen in den Dienst kollektiver Rechte sowie der Transformation zu einer emissionsarmen Wirtschaft stellt. Die Klimakonferenz in Lima bietet die Gelegenheit, das Thema Natur- und Waldressourcen sowie ihre Biodiversität nicht nur im Kontext der REDD+-Agenda auf den Tisch zu bringen, sondern ebenfalls im Rahmen der Transformation zu einem neuen Entwicklungsmodell.


8. Die Rolle des Gastgebers Peru

Die Erwartung ist groß, dass der Verhandlungstext über die institutionelle Architektur in Lima endgültig festgelegt wird, sodass dieser auf der Klimakonferenz 2015 eingebracht werden kann. Allerdings bestehen große Zweifel daran, dass in Lima ein Text verabschiedet wird, der eine Verpflichtung enthält, die Erhöhung der globalen Temperatur über die vom IPCC vorgeschlagene Marge von 2°C oder 400 ppm hinaus zu vermeiden. In der Verhandlungsführung und bei der Bewertung der Tagesordnungspunkte wird Peru daher eine bedeutende Rolle zukommen.

Eine weitere Herausforderung wird darin bestehen, trotz der bestehenden Aufteilung in Nord- und Südländer ehrgeizige Entscheidungen zu erreichen. Als eine mögliche Hypothese für die Flexibilisierung der Architektur des Verhandlungsprozesses wird daher darüber nachgedacht, neue Ländergruppen aufzunehmen, um die Interessenblöcke aufzubrechen. Die Stärkung des multilateralen Systems muss dabei jedoch Priorität besitzen.

Darüber hinaus wird die Klimakonferenz in Lima - ebenso wie die vorangegangenen Konferenzen - von den Eigenschaften des Gastgeberlandes und dessen Region geprägt sein. Die 20. Klimakonferenz findet in einem Anden- und Amazonasland statt, das in einer Region mit besonders hoher Biodiversität und reichen Ökosystemen liegt, die für das Gleichgewicht des globalen Klimasystems von wesentlicher Bedeutung sind.

Daher ist zu hoffen, dass auch die Themen »Wälder« und »Naturressourcen« von Relevanz sein werden, zumal das konkreteste Ergebnis der Klimakonferenz in Warschau das REDD+-Paket war. Da der für dieses Paket entscheidende Punkt des Emissionshandels noch nicht klar definiert ist und einige Regierungen der Region ein besonderes Interesse an REDD+-Mechanismen haben, wird diesem Agenda-Punkt vermutlich besondere Bedeutung zukommen. Brasilien unterstützt beispielsweise die REDD+-Mechanismen, vertritt aber eine deutlich ablehnende Haltung gegenüber dem Emissionshandel.

Derzeit wird zudem darüber diskutiert, auch die Themen »Landwirtschaft« und »Waldrodungen«, die eine der Hauptursachen von Treibhausgasemissionen in der Region sind, auf die Tagesordnung zu setzen.

Die Herausforderung für die lateinamerikanischen Staaten, aber insbesondere für die peruanische Regierung wird darin bestehen, die Gerechtigkeitsagenda auf ihren unterschiedlichen Ebenen miteinander zu verbinden - d.h. den globalen Plan zur Architektur des Verhandlungsprozesses mit den regionalen Rahmenbedingungen und nationalen Agenden zu verknüpfen. Dabei sollte vor allem mit der Verpflichtung auf nationale politische Vorgehensweisen und Gesetze zur Förderung von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit ein Signal gesetzt werden. Lösungen zur Stärkung des multilateralen Systems müssen mit der Verpflichtung auf nationale Pläne kombiniert werden, um den globalen Temperaturanstieg unter 2°C zu halten.


9. Die NGOs und die 20. Klimakonferenz

Die NGOs erwarten, dass sich die Klimakonferenz in Lima auf einen Verhandlungstext einigt, der als Grundlage für die 21. Konferenz in Paris dienen kann und ausreichend ambitioniert ist, um die Emissionen dauerhaft zu reduzieren. Jedoch häufen sich bereits die Einschätzungen, dass die in der Verhandlungsarchitektur angelegten strukturellen Blockaden ein Abkommen verhindern könnten.

Viele NGOs sind der Ansicht, dass dem Fehlen von politischem Willen und der Bereitschaft zu Kompromissen große Anstrengungen entgegengesetzt werden müssen, um die Klimaveränderungen und die Treibhausgasemissionen in einer weiter gefassten Agenda anzugehen, die sowohl dem derzeitigen Entwicklungsmodell gerecht wird als auch wirtschaftliche Argumente für eine Transformation zu emissionsarmen Ökonomien mit der Wertschätzung der Naturressourcen verbindet.

Die Klimakonferenz in Lima bietet eine Gelegenheit, die Bekämpfung der Klimaveränderungen mit Themen zu verbinden, die auf der Tagesordnung der NGOs der Region stehen: Einwirken auf nationale Entwicklungsbanken (wie die BNDES, die nationale Entwicklungsbank Brasiliens), damit diese Richtlinien zur Unterstützung der Transformation zu einer emissionsarmen Wirtschaft sowie zur Wertschätzung von Naturressourcen aufnehmen; Verabschiedung von Gesetzen zugunsten territorialer Rechte der indigenen Völker und traditionellen Bevölkerungsgruppen in Bezug auf das Voranschreiten des Mineralabbaus; Reduzierung der Zuschüsse für den Abbau fossiler Brennstoffe; Diversifizierung des Energie-Mix; Initiativen zur Unterstützung von Produktionssystemen, die Landwirtschaft mit Ökologie und Extraktivismus in Einklang bringen sowie die ungehemmte Ausbreitung von Monokulturen begrenzen etc.

Die NGOs erhoffen sich von Lima vor allem ein deutliches Signal dahingehend, dass eine wirtschaftliche und konkurrenzfähige Zukunft der Länder von ihrer schnellen und entschiedenen Hinwendung zu einer emissionsarmen Wirtschaft abhängt. Die NGOs und sozialen Bewegungen verfügen über ein beträchtliches Einflusspotenzial auf der Klimakonferenz, wenn sie diese Punkte ansprechen.

In Peru sowie der gesamten Anden-Region lebt eine Vielzahl indigener Völker und traditioneller Bevölkerungsgruppen, die sich als die besten Hüter des bestehenden Waldes erwiesen haben und regelmäßig Widerstandsaktionen gegen die Abholzung unternehmen. Die Mobilisierung der indigenen Organisation und anderer Sozialbewegungen der Region kann zu einem wichtigen Druckmittel für die allgemeine Stimmung der 20. Klimakonferenz werden und unter Umständen konkreten Einfluss auf den Verhandlungsprozess nehmen.

Die Haltung der peruanischen Regierung gegenüber dieser sozialen und indigenen Mobilisierung wird von entscheidender Bedeutung sein. Sie kann der Stimme der traditionellen und indigenen Volksgruppen sowie der NGOs Gehör und Geltung verschaffen, um mit diesem Druckmittel die Verhandlungsführer der Länder dazu zu bringen, einen zufriedenstellenden Vertragstext aufzusetzen. Die peruanische Regierung ist bereits im Mai in einen Dialog mit der Zivilgesellschaft der Region eingetreten, um diese über ihre Vorstellungen für die Konferenz und deren Bedeutung für Lateinamerika zu befragen sowie zu untersuchen, wie ihre Stimme in den Verhandlungsprozess(8) integriert werden kann.

Die NGOs, indigene Organisationen und soziale Bewegungen Perus planen während der COP 20 gemeinsam mit regionalen und globalen Partnern Parallelaktivitäten - einige innerhalb des offiziellen Rahmens, andere außerhalb davon. So wird ein »Gipfeltreffen der Völker gegen den Klimawandel«(9) stattfinden und die COICA (Coordinadora de las Organizaciones Indigenas de la Cuenca Amazónica - Koordinationsstelle der Indigenen Organisationen des Amazonasbeckens) plant einen indigenen Pavillon innerhalb der offiziellen Veranstaltungsfläche.(10)


10. Die Zukunft der UN-Verhandlungen zum Klimawandel

Dadurch dass die zentrale Herausforderung für den Klimagipfel in Lima darin besteht, einen Text über die Architektur des Verhandlungsprozesses abzufassen, der für die Entscheidungen in Paris richtungsweisend sein kann, wird derzeit auch über alternative Szenarien zur Reanimation des multilateralen Ansatzes diskutiert.

Einige Beobachter_innen gehen davon aus, dass die Erhaltung der gegenwärtigen Form des Abkommens innerhalb des UN-Rahmens und unter Einbeziehung aller Mitgliedsländer diesem eine breite Legitimität verleiht. Gleichzeitig ermöglicht der aktuelle Rahmen den Entwicklungsländern auf den Verhandlungsprozess und die Länder mit den meisten Emissionen permanent Druck auszuüben. Auf der anderen Seite verleiht die Aufrechterhaltung dieser breiten Vielfalt an Akteuren dem Verhandlungsprozess eine schwierige Komplexität, während sich die Verantwortung für 75 Prozent der Treibhausgasemissionen auf nur 15 Länder beschränkt.

Daher vertreten einige Beobachter_innen die Meinung, dass es für die Erzielung eines Abkommens praktikabler wäre, die Architektur des Abkommens aufzubrechen und einerseits unter den Ländern mit den meisten Emissionen eine Vereinbarung zur Mitigation zu treffen sowie andererseits mit allen Parteien eine weitere Vereinbarung zur Anpassung zu verabschieden. Einige sind auch der Ansicht, dass bilaterale Initiativen zwischen den größten Verursachern von Emissionen wichtige Ergebnisse erzielen könnten - beispielsweise die Einrichtung der Arbeitsgruppe zwischen den USA und China zum Klimawandel.(11) Die Beobachter_innen halten dieses Szenario jedoch für schwer durchführbar, da die Schwellenländer, die von den Entwicklungsländern bei Themen wie der historischen Verantwortung Unterstützung erfahren, sich einer Aufspaltung des Abkommens widersetzen würden.

Eine Aufspaltung könnte die Entwicklungsländer jedoch auch dazu bringen, größeren Nachdruck auf die Anpassung zu legen und den Druck auf die Mitigationsagenda zu vermindern. Diese Aufspaltungshypothese wird allerdings auch mit Vorbehalten betrachtet, da die Länderemissionen angesichts globaler Produktionsketten mit verschiedenen Produktionsabschnitten in unterschiedlichen Ländern nicht mehr einfach einem bestimmten Gebiet zugeordnet werden können. Eine kürzlich veröffentlichte Studie von OXFAM untersucht hierzu das Niveau der Treibhausgasemissionen, die durch die Produktionsketten der zehn größten globalen Unternehmen im Lebensmittel- und Getränkesektor entstehen.(12) Aus dieser Perspektive wäre somit die Aufrechterhaltung einer globalen Verhandlungsstruktur nötig.

Ein weiterer Fehlschlag bei den anstehenden Verhandlungen würde dem multilateralen System die Legitimation entziehen. Wenn bis zur Konferenz 2015 in Paris eine Vereinbarung entworfen werden soll, muss eingestanden werden, dass das derzeitige globale Entwicklungsmodell an seine Grenzen gelangt ist. Stattdessen ist eine Vision erforderlich, mit welcher die kurzfristigen Ansätze, auf denen die Verhandlungspositionen der Regierungen basieren, überwunden werden können.


11. Schlussbetrachtungen

Das starke Engagement der indigenen Völker und traditionellen Bevölkerungsgruppen der Region für die Konferenz in Lima lässt Hoffnung aufkommen. Deren langfristige Zukunftsvorstellungen, ihr Wissen um die Grenzen der Natur für das Überleben der Menschheit und ihre Mobilisierungsfähigkeiten können eine Dynamik bewirken, die den nötigen Druck ausübt, um Verpflichtungen einzugehen und wirkungsvolle Ergebnisse zu erzielen. Dies kann zu einer neuen Sichtweise beitragen, welche die Verhandlungen mit den strukturellen Fragen des Entwicklungsmodells in Verbindung bringt und den Weg einer Transformation zu einer emissionsarmen Wirtschaft eröffnet.

Auf dem Weg nach Lima steht die Region sowohl vor einer großen Herausforderung als auch einer einzigartigen Gelegenheit, die Diskussionen über den Klimawandel in die Thematik des Entwicklungsmodells zu integrieren und das Gerechtigkeitsthema auf neue Weise anzugehen. Die Perspektive »Norden gegen Süden« muss um die Bekämpfung der ungeheuren Unterschiede erweitert werden, die nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch innerhalb jedes Landes bestehen.

Die Länder Lateinamerikas haben auf der COP 20 die Gelegenheit, ihre wesentlichen und erfolgreichen Bemühungen zur Armutsbekämpfung mit einer Agenda der Transformation in Einklang zu bringen und so die externe Abhängigkeit der Region und ihrer erfolgreichen Politik der sozialen Inklusion vom Abbau und der intensiven Nutzung natürlicher Ressourcen zu verringern. Ob diese Gelegenheit ergriffen wird, hängt sowohl von den internen politischen Gegebenheiten der Länder als auch von den Wechselbeziehungen der jeweiligen gesellschaftlichen Kräfte ab.

Die Klimakonferenz in Lima steht vor der Aufgabe, mit den wesentlichen Fragen des Abkommens umzugehen - mit seiner Architektur, der Finanzierung sowie den Verpflichtungserklärungen. Vor allem muss sie aber in der Gesellschaft sowie bei den nationalen, regionalen und globalen Regierungen und Institutionen das dringend nötige Engagement für die Bekämpfung des Klimawandels wecken und dafür sorgen, dass das Abkommen dabei eine Führungsrolle einnimmt.


GLOSSAR

Anpassung - die Form, wie sich die Länder mithilfe von direkten und indirekten Maßnahmen an die bestehenden und potenziellen Klimaveränderungen anpassen und Schäden verringern können.

Anpassungsfonds - wurde 2001 eingerichtet, um Anpassungsprojekte und -programme in den für Auswirkungen des Klimawandels anfälligen Entwicklungsländern zu finanzieren.

Grüner Klimafonds - Finanzierungsinstrument, das als neuer multilateraler Mechanismus innerhalb des Abkommens geschaffen wurde, um in den Entwicklungsländern Projekte, Programme und Politiken in den Bereichen Anpassung und Mitigation zu unterstützen - wie zum Beispiel NAMAs (Nationally Appropriate Mitigation Actions) und NAPs (National Adaptation Plans), REDD+, Technologietransfer, Weiterbildung und Vorbereitung nationaler Berichte. Der Fonds ist der zentrale Pfeiler der Bemühungen für die Beschaffung von jährlich 100 Milliarden US-Dollar ab 2020, wie auf der 15. Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen angekündigt. Er wurde 2010 auf der COP 16 in Cancún eingerichtet, seine Steuerung wurde auf der COP 17 in Durban festgelegt. Der Vorstand des Fonds besteht aus 24 Mitgliedern, verwaltet wird er vorübergehend von der Weltbank. Noch ist nicht entschieden, ob der Fonds ausschließlich mit öffentlichen Geldern finanziert wird oder auch private Mittel einfließen.

Mitigation - Reduzierung der Treibhausgasemissionen durch Zielvereinbarungen und Verpflichtungen der Parteien, um die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau einzudämmen, das keine Gefahr für das Klimasystem darstellt.

Gemeinsame aber differenzierte Verantwortung - erstmals in der Erklärung von Rio 1992 (Uno-Konferenz über Umwelt und Entwicklung). Dort heißt es im Grundsatz 7: »Angesichts des jeweils unterschiedlichen Anteils an der globalen Umweltzerstörung tragen die Staaten eine gemeinsame aber differenzierte Verantwortung. Die Industrieländer akzeptieren angesichts der von ihren Gesellschaften verursachten globalen Umweltbelastung und den von ihnen kontrollierten Technologien und finanziellen Ressourcen ihre Verantwortung für die internationale Suche nach einer nachhaltigen Entwicklung.« Der Grundsatz wurde in das UNFCCC sowie ins Kyoto-Protokoll aufgenommen, mit konkreten Auswirkungen in Form von differenzierten Auflagen und Verpflichtungen für die Länder des Annex I bezüglich der Reduzierung ihrer Emissionen, des Technologietransfers und der finanziellen Unterstützung an Entwicklungsländer für Mitigations- und Anpassungsprojekte.

REDD+ - Abkürzung für »Reduktion von Emissionen aus der Rodung und Schädigung von Wäldern«. Seit dem Kyoto-Protokoll wird über die Einbeziehung des Schutzes tropischer Wälder in die Initiativen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen diskutiert. Derzeit steht das Thema jedoch wegen methodologischer Probleme nicht mehr auf der Tagesordnung. Auf der COP 16 in Cancún (2010) wurde REDD in die Vereinbarungen der Arbeitsgruppe über langfristige Zusammenarbeit des Abkommens einbezogen: »(REDD) gibt den Entwicklungsländern Anreize, mit Mitigationsaktivitäten im Waldsektor ihren Beitrag zu leisten - mit folgenden, für die Partner geeigneten Maßnahmen und je nach ihren nationalen Möglichkeiten und Eigenheiten: Reduzierung der Emissionen aufgrund von Abholzung; Reduzierung der Emissionen aufgrund von Waldzerstörung; Erhalt des Kohlenstoffbestands der Wälder; nachhaltige Waldbewirtschaftung und Aufstockung des Kohlenstoffbestands in Wäldern.« REDD ist ein Belohnungsmechanismus für diejenigen, die ihre Wälder vor Abholzung und Zerstörung bewahren. REDD+ oder REDD plus verbindet den Erhalt, die nachhaltige Bewirtschaftung und die Erhöhung des Kohlenstoffbestands der Wälder miteinander.

Siehe auch die detaillierten Informationen über die in Warschau erfolgten Beschlüsse zu REDD+ unter:
http://unfccc.int/methods/redd/items/8180.php
Kritische Analyse zu REDD+ unter:
http://www.redd-monitor.org/redd-an-introduction/


Über die Autorinnen

Ana Toni ist Gesellschafterin und Leiterin von GIP - Gestão de Interesse Público (Management des öffentlichen Interesses), Aufsichtsratsvorsitzende von Greenpeace International sowie Kuratoriumsmitglied der Wikimedia Foundation. Sie erlangte ihren Hochschulabschluss in Sozialwirtschaft an der Universität Swansea, ihren Master in Politik der Weltwirtschaft an der London School of Economics and Political Science und war Doktorandin in Sozialpolitik an der Bundesstaatlichen Universität Rio de Janeiro. Sie ist Direktorin der Ford-Stiftung in Brasilien.

Fátima Mello ist Mitglied der Arbeitsgruppe Umweltgerechtigkeit und Rechte der NGO FASE - Solidarität und Erziehung. Ihren Hochschulabschluss erlangte sie in Geschichte, ihren Master in Internationalen Beziehungen an der PUC-RJ (Katholische Universität Rio de Janeiro). Von 2001 bis 2010 war sie Exekutivsekretärin von REBRIP (Rede Brasileira pela Integração dos Povos, brasilianisches Netzwerk für die Integration der Völker, NGO), von 2000 bis 2005 Mitglied des Organisationskomitees des Weltsozialforums und Exekutivsekretärin des Völkergipfels auf der Rio+20.


Anmerkungen

(1) UNFCCC - United Nations Framework Convention on Climate Change;
http://unfccc.int/essential_background/items/6031.php

(2) Siehe Zeitschiene und Geschichte der COPs unter
http://www.mrfcj.org/our-work/unfccc/cop-timeline.html

(3) Laut dem World Resources Institute (WRI) bezieht sich der Emissionshandel auf eine Situation, in der »Kohlenstoff zum Ausgleich von Emissionen an anderen Orten reduziert, vermieden oder gespeichert wird« http://www.wri.org/

(4) http://www.whitehouse.gov/sites/default/files/image/president27sclimateactionplan.pdf

(5) http://en.ndrc.gov.cn/newsrelease/201311/P020131108611533042884.pdf

(6) Siehe Manifest unter
http://www.foeeurope.org/sites/default/files/news/media_statement_on_ngos_walk_out_from_cop19.pdf

(7) http://www.unep.org/pdf/2012gapreport.pdf

(8) http://climate-l.iisd.org/news/peru-holds-first-latin-american-civil-society-dialogue-ahead-of-cop-20/244550/

(9) http://grupoperucop20.org.pe/index.php?option=com_content&view=article&id=64&Itemid=250

(10) http://www.aidesep.org.pe/wp-content/uploads/2013/09/AIDESEPCOICA1.pdf

(11) http://en.ndrc.gov.cn/newsrelease/201304/t20130415_537087.html

(12) http://www.oxfam.org/sites/www.oxfam.org/files/file_attachments/bp186-standing-sidelines-big10-climate-emissions-200514-summ-en_0.pdf


Die portugiesische Orignalversion wurde im Juni 2014 publiziert:
http://library.fes.de/pdf-files/bueros/brasilien/10979.pdf

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2014