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LANDWIRTSCHAFT/043: EU-Pflanzenvermehrung - Wenige Saatgutkonzerne halten Sortenmonopol (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2013
Ziele(n) für nachhaltige Entwicklung - Wer hat noch Pfeile im Köcher?

Pflanzenvermehrung unter Kontrolle
EU-Saatgutrechtsvorschläge stärken Agrarkonzerne

von Susanne Gura



Die Nutzpflanzenvielfalt ist nicht das einzige Problem des Kommissionsentwurfs und keineswegs vom Tisch, wie Verbraucherschutzkommissar Tonio Borg die europäischen Bürger am 6. Mai glauben machen wollte. Der Verordnungsentwurf, der zusammen mit weiteren wichtigen Entwürfen vorgestellt wurde, könnte die EU-Landwirtschaft noch stärker in die Hände weniger Konzerne treiben.


Um Hunderttausende Bürger und Bürgerinnen in ganz Europa zu beruhigen, die seit Ende April Petitionen unterschreiben und die Medien gegen die neue Verordnung in Bewegung gebracht haben, wurde schnell noch eine Nischenregelung eingebaut. Kleine Unternehmen brauchen dann keine Sortenzulassungen mehr - die EU gibt endlich zu, dass es auch ohne geht.


Die Nischenregelung verschont nicht vor neuen Registrierungsvorschriften
Aber gleichzeitig werden neue bürokratische Auflagen gemacht. Alle, die Pflanzenvermehrungsmaterial erzeugen (auch für den Eigenbedarf), müssen sich in einem Betreiberregister eintragen, die produzierten und verkauften Mengen aufzeichnen, Rückverfolgbarkeit auch bei ihren Abnehmern sicherstellen und sogar Pflanzenpässe ausstellen. Die eingeräumte Ausnahme für Abgabe an Endnutzer gilt nicht für den weithin üblichen und notwendigen Internetverkauf. Bei Regelungen, die Vielfaltsgärtnereien erheblich belasten könnten (zum Beispiel Aufwand für Verpackung und Kennzeichnung) sind unvorhersehbar (s. Delegierte Akte in Artikel 2). So verhindert man die dringend notwendige Etablierung von Vielfaltsgärtnereien, auch wenn eine Nischenregelung dies zu fördern scheint.

Dabei könnte die Kulturpflanzenvielfalt durch eine einfache Ausnahme vom Geltungsbereich der Verordnung ausgenommen werden. Eine solche Ausnahme besteht jedoch nur für Pflanzenmaterial, das in die Genbanken und Erhalternetzwerke hineingeht. Hinaus darf das Saatgut nur im privaten Tausch, oder eben mit großem Verwaltungsaufwand. Immer mehr Menschen wollen Saatgut seltener Sorten erwerben, aber nicht selbst produzieren. Wenn ohne Verwaltungsaufwand nur der Tausch erlaubt ist, bleiben die Besitzer seltener Sorten unter sich. Wer etwas Geld verdienen will, um den hohen Erhaltungsaufwand zu finanzieren, muss für die Kontrolleure zusätzlich arbeiten.


Schädliche Vielfaltssorten?
Die wichtigste Begründung ist die Gefahr von außen: Schädlinge und ansteckende Krankheiten, die in die EU importiert und verbreitet werden könnten. Es gibt aber bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass seltene Sorten die EU mit Schadorganismen attackiert haben. Für den Kontrollwahn muss es andere Gründe geben.

Das Prinzip »Schutz durch Nutzung« bleibt auf der Strecke, denn es passt der Agroindustrie nicht. Vielfalt gehört aus ihrer Sicht nicht in Gärten und auf Äcker, sondern in die Genbanken, als Ressource für künftige eigentumsrechtlich geschützte Züchtungen. So hatte der Europäische Saatgutindustrieverband ESA es dem Europäischen Gerichtshof im Vorfeld des »Kokopelli-Urteils« erläutert. Der hatte daraufhin das hauseigene Gutachten verworfen, was sonst praktisch nie vorkommt, und das absurde Zulassungsprinzip bei Saatgut für richtig befunden. Der französische Vielfalts-Saatguthändler Kokopelli hatte nicht zugelassene Sorten verkauft und war von einem Unternehmen wegen Wettbewerbsverstoß verklagt worden. Allerdings werden überall in Europa nicht zugelassene Sorten verkauft.

Hobbygärtner wollen diese Sorten aus vielen Gründen kaufen. Sie haben Eigenschaften, die Sorten für den kommerziellen Anbau nicht bieten. Sie fördern die Unabhängigkeit von der Saatgutindustrie. Vielfaltsgärtner verkaufen ihre Sorten ohne Zulassung, denn sonst gäbe es kaum noch Sortenvielfalt außerhalb der Genbanken. Ganze drei Dutzend Erhaltungssorten sind in Deutschland zugelassen; tausende andere werden ohne Zulassung verkauft. 2012 gab es in Lettland ein Ordnungswidrigkeitsverfahren, das aus politischen Gründen eingestellt wurde. In Frankreich wurde im Mai 2013 ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen einen Pflanzguthändler eröffnet; das Netzwerk Bäuerliches Saatgut organisierte umgehend Demonstrationen gegen die Kontrollbehörde.

Anders als noch vor wenigen Jahren steht die Öffentlichkeit der Saatgutfrage nicht mehr gleichgültig gegenüber. Dass das meiste Saatgut in der EU nicht mehr selbst vermehrt werden kann beziehungsweise darf, und dass immer weniger und immer mächtigere Konzerne bestimmen, welche Sorten auf den Markt kommen, nehmen die Bürger und Bürgerinnen nicht mehr hin. Zumal die Mehrzahl der Gemüsesorten in Europa bereits von Chemiekonzernen vermarktet wird und dies keineswegs zu weniger Agrarchemie geführt hat.


Tür auf für Agrarchemie, Tür zu für den Ökolandbau
Damit das im Sinne der Konzerne so bleibt, ist auch im Verordnungsentwurf der K.O.-Schlag gegen Ökozüchtungen verankert: Homogenität als Voraussetzung für die Marktzulassung. Eine Stärke der Ökosorten liegt in ihrer genetischen Breite, mit der sie bei unterschiedlichen Umwelt- und Klimabedingungen ohne chemische Krücken Leistung erbringen. Die vom Ökozüchterverband EcoPB geforderte Erleichterung bei der Homogenität wurde nicht in den Verordnungsentwurf aufgenommen.

Die Konzerne haben weitere massive Vergünstigungen für ihre Sorten erzielt: Halbierung der Testverfahren; Privatisierung der Tests und Selbstzertifizierung; keine Kennzeichnung von Geistigem Eigentum. Es stehen zahlreiche neue Biotech-Züchtungsmethoden in der Pipeline, die bisher nicht als Gentechnik gelten, auch dafür ist keine Kennzeichnung vorgesehen. Mehr noch: Hybride sollen künftig nicht mehr gekennzeichnet werden. Zwar wollten viele Hobbygärtner jahrzehntelang Hybride anbauen, weil sie mehr Ertrag bringen; nun lehnen aber immer mehr Hobbygärtner Hybride ab, weil sie abhängig machen.


Autorin Susanne Gura ist im Vorstand des Dachverbands Kulturpflanzen und Nutztiervielfalt und Erste Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt. Sie koordiniert das Netzwerk APBREBES zu Sortenschutzfragen.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2013, S. 27-28
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2013