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LATEINAMERIKA/004: Venezuela - Ölteppich im Maracaibo-See, Tausende Fischer bangen um Existenz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juli 2010

Venezuela: Ölteppich im Maracaibo-See - Tausende Fischer bangen um Existenz

Von Humberto Márquez


Caracas, 27. Juli (IPS) - Nicht nur der Golf von Mexiko ist von einer schweren Ölpest betroffen. Auch im venezolanischen Lago Maracaibo, dem größten See Südamerikas, treiben seit mehreren Monaten klebrige schwarze Ölklumpen auf Strände und Mangrovenwälder zu. Sie bedrohen die Flora und Fauna, bringen die Fischer in Existenznot und vertreiben die Touristen.

"Meine Söhne fingen früher Steinbeißer und Adlerfische, die sie an die Restaurants verkauften", sagte der Fischer Adelso Silva, der in einem Dorf nahe der Stadt Maracaibo wohnt. "Seit Monaten können sie aber nicht mehr arbeiten, das Öl hat ihre Netze geschwärzt und beschädigt."

Verantwortlich dafür ist die intensive Erdölförderung in dem See und an seinen Küsten. Bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert wird in dem 12.800 Quadratkilometer großen Gewässer im Nordwesten des Landes nach dem 'schwarzen Gold' gebohrt.

Ricardo Coronado und Ramiro Ramírez, zwei Manager des staatlichen Konzern 'Petróleos de Venezuela' (PDVSA) berichten von etwa 6.000 aktiven Ölquellen, aus denen täglich rund 700.000 Barrel Rohöl gewonnen werden. Unter Wasser verläuft ein Labyrinth aus insgesamt 45.000 Kilometer langen Leitungen. Außerdem gibt es ungefähr 4.000 weitere ungenutzte Quellen.


Zahlreiche Lecks im Leitungssystem

In diesem riesigen Netzwerk von Rohren haben sich immer wieder Lecks gebildet, aus denen Öl und Gas in den See entweichen konnten. Das bestätigen Vertreter von Unternehmen, Umweltschützer und Anwohner. Seit Mai hat die Ölverschmutzung jedoch besonders gravierende Ausmaße angenommen.

"Es wird immer schwieriger, einen Fisch zu fangen, der nicht verklebt ist", sagte Javier Araujo, ein Fischer aus Cabimas, der größten Stadt am Ostufer des Sees. Vor 15 Jahren habe die tägliche Fangmenge noch bis zu 90 Kilogramm betragen, inzwischen seien es gerade mal zehn Kilo. Jeden Nachmittag muss Araujo seine vom Öl pechschwarzen Netze umständlich mit Benzin reinigen.

Laut dem Oppositionsabgeordneten Eliseo Fermín, der Präsident des Parlaments von Zulia ist, betrifft die Katastrophe rund 13.000 Fischer unmittelbar. Derzeit erstrecke sich der Ölteppich zwar nur über acht Prozent des Wasseroberfläche, berichtete er. Die Konsequenzen reichten aber viel weiter. Sogar die Ölförderung sei inzwischen beeinträchtigt.

PDVSA-Präsident Rafael Ramírez, der auch Energie- und Erdölminister ist, streitet dagegen ab, dass es eine akute Ölpest gibt. Aus den leckgeschlagenen Leitungen träten täglich nicht mehr als acht Barrel aus. Dies sei ein lange bekanntes Problem, das nun plötzlich aufgebauscht werde.

Ramírez räumte aber zugleich ein, dass in den vergangenen Monaten wöchentlich durchschnittlich 117 undichte Stellen unter Wasser repariert werden mussten. Der Konzern habe etwa 3.000 Fischer als Reinigungskräfte beschäftigt.

"Sie sammeln Schrott, Müll und reichlich Ölklumpen ein", sagte ihr Kollege Silva. "Manchmal musste der Ölschlick mit mehreren Lastwagen zu den PDVSA-Sammelstellen transportiert werden." Die Arbeit sei hart und schlecht bezahlt, kritisierte der Fischer. Man verdiene täglich umgerechnet 23 US-Dollar, ohne weitere Vergünstigungen. Außerdem stelle das Unternehmen bevorzugt Mitarbeiter ein, die der regierenden Sozialistischen Partei von Präsident Hugo Chávez angehörten.

Fermín beanstandete zudem, dass die Fischer weder die Erfahrung noch die richtige Ausrüstung hätten, um mit der Ölpest fertig werden zu können. Zu ihren Aufgaben gehöre auch die Säuberung verschmutzter Mangroven und Feuchtgebiete, wo Fische, Garnelen und Krebse zu finden sind.


Hauptursache mangelnde Wartung

"Ob nun ein Barrel oder hundert Barrel ins Wasser geflossen sind - das Problem und seine Ursachen bleiben gleich", stellte der Ingenieur Diego González im Gespräch mit IPS fest. Die vielen Lecks seien vor allem auf die mangelnde Wartung der Leitungen zurückzuführen, sagte der Experte, der seit fast 40 Jahren in dem Bereich arbeitet und an mehreren Universitäten in der Hauptstadt Caracas lehrt.

Früher hätten die Unternehmen die Schäden rasch beseitigt. Damit sei es jedoch vorbei, beschwerte sich González. PDVSA und andere Firmen zahlten zudem keine Entschädigungen mehr an Fischer. Auch Gustavo Carrasquel von der Umweltorganisation 'Azul Ambientalistas' warf den Verantwortlichen für die Ölförderungen einen fahrlässigen Umgang mit den mindestens 50 Jahre alten Pipelines vor.

Der Parlamentarier Fermín sieht außerdem einen Zusammenhang mit den Enteignungen zahlreicher Vertragsunternehmen, die Chávez vor einem Jahr angeordnet hatte. Diese Firmen hätten sich vorher um Wartung und Reparaturen der Ölanlagen gekümmert. PDVSA hat dafür offenbar keinen Ersatz geschaffen.

Laut Carrasquel ist die Ölpest nicht die einzige große Gefahr für den See. Die Ausschachtung eines Schiffskanals, der den Lago Maracaibo mit dem Golf von Venezuela und dem Karibischen Meer verbindet, habe zu einer zunehmenden Versalzung des Sees geführt, sagte er. Wegen des Einsatzes von Chemikalien in der Landwirtschaft sei das Wasser mittlerweile auch stark durch Phosphate aus Düngemitteln und Insektiziden belastet. Der Experte warnte zudem davor, dass aus den Städten am Ostufer immer mehr Abwässer in den See flössen. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2010