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LATEINAMERIKA/079: Chile - Wasserkraftwerke werden Wahlthema - Kandidaten sollen Farbe bekennen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Juni 2013

Chile: Wasserkraftwerke werden Wahlthema - Kandidaten sollen Farbe bekennen

von Marianela Jarroud



Santiago, 21. Juni (IPS) - In Chile wollen Umweltschützer den Parlamentskandidaten das Versprechen abnehmen, für ein staudammfreies Patagonien einzutreten. Außerdem sollen die Politiker Stellung zu nichtkonventionellen erneuerbaren Energien und Energieeffizienz beziehen.

Die Kampagne 'Deine Stimme gegen Talsperren' ('Vota Sin Represas') wurde kurz vor den Vorwahlen am 30. Juni gestartet. Dann werden sich die Parteien auf ihre Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen am 17. November festlegen. An diesem Tag werden zudem alle 120 Sitze des Abgeordnetenhauses neu besetzt und 20 der 38 Senatoren ausgetauscht.

Wie der Leiter der Umweltorganisation 'Coalición Ciudadana por Aysén Reserva de Vida', Patricio Segura, gegenüber IPS erklärte, zielt die Kampagne zum einen darauf ab, Einfluss auf die Kandidaten zu nehmen. Zum anderen dient sie der Aufklärung. "Die Bürger sollen wissen, wem sie ihre Stimme geben wollen." Ihren Vorstoß will die Umweltbewegung mit Hilfe der digitalen Medien, mit Zeitungsinseraten, Briefen an die Kandidaten und Plakataktionen zum Erfolg führen.


Hohes Potenzial für die Produktion nicht konventioneller erneuerbarer Energien

Chile besitzt ein enormes Potenzial für die Produktion nicht konventioneller erneuerbarer Energien wie Solar- und Windkraft. Diese Energiequellen tragen jedoch nur zu drei Prozent zur Stromversorgung des südamerikanischen Landes bei. Bisher setzt Chile vor allem auf große Wasserkraftwerke, die 34 Prozent des nationalen Strombedarfs decken und zunehmend kontrovers diskutiert werden.

"Im Süden Chiles gibt es wenig Erdöl und -gas. Auch die Kohle ist von minderer Qualität. In den 1930er Jahren setzte sich die Vorstellung durch, dass die Flüsse die einzige rentable Energiequelle für das Land sind", sagte Juan Pablo Orrego, Direktor der chilenischen Umweltorganisation 'Ecosistemas'. "Das Problem ist, dass wir uns auf dieses Muster festgefahren haben", meinte der Experte, der 1998 den Alternativen Nobelpreis gewonnen hatte.

Während der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet (1973-1990) wurden mit Blick auf die Energieversorgung verschiedene Verfassungs- und Gesetzesänderungen vorgenommen. 1980 trat eine neue Verfassung in Kraft, im Jahr darauf das Gesetz über den Umgang mit den Gewässern des Landes. 1982 wurde das Allgemeine Stromversorgungsgesetz verabschiedet. Diese Triade an rechtlichen Bestimmungen diente lediglich dazu, den multinationalen Unternehmen die absolute Kontrolle über die Wasserreserven des Landes zu verschaffen, wie Orrego erklärte.

Chile verfügt über eine installierte Leistung von 17.000 Megawatt Strom, von denen 74 Prozent in das Zentrale Stromversorgungsnetz (SIC) fließen. 25 Prozent speisen das nördliche Netz, und weniger als ein Prozent wird zwei kleineren Verteilersystemen in den südlichen Regionen Aysén und Magallanes zugeführt. Landesweit gibt es etwa 40 Wasserkraftwerke, und zehn weitere Projekte werden zurzeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen.

2008 führte die damalige Regierung der sozialistischen Staatspräsidentin Michelle Bachelet ein Gesetz zur Förderung nicht konventioneller erneuerbarer Energien ein. Damit sollte der Stromproduktion aus Biomasse, kleinen Wasserkraftwerken sowie aus Wind und Sonne Auftrieb gegeben werden. Dem Gesetz zufolge sollten ab 2010 fünf Prozent der Energie, die in Kraftwerken mit einer Leistung von mehr als 200 Megawatt erzeugt wird, aus erneuerbaren Quellen oder aus Wasserkraftwerken mit einer Kapazität unter 40.000 Kilowatt stammen. Der Anteil nicht konventioneller erneuerbarer Energien soll jährlich um 0,5 Prozent steigen und spätestens 2024 zehn Prozent der gesamten Stromerzeugung ausmachen.

Anfang 2012 kündigte die Regierung des konservativen Präsidenten Sebastián Piñera eine nationale Energiestrategie für den Zeitraum 2012 bis 2030 an, die unter anderem darauf abzielt, die Verwendung nicht konventioneller erneuerbarer Energien im nächsten Jahrzehnt im Vergleich zu den Vorgaben von 2008 um mehr als das Doppelte zu steigern. Große Wasserkraftwerke sollen demnach 45 bis 48 Prozent zum Energiemix beitragen, während der restliche Strom aus Wärmekraft bezogen werden soll. Experten zufolge besitzt die Geothermie das Potenzial, den gesamten Strombedarf des Landes zu decken.


Wasserkraft aus Patagonien für die Bergbauindustrie

Der Plan zur Expansion der Wasserkrafterzeugung stützt sich auf die weiträumigen Wasserressourcen in der südchilenischen Region Patagonien und insbesondere in Aysén 1.700 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago. In der unberührten Region sind einige der größten Süßwasserreservoirs der Erde und eine große Artenvielfalt zu finden.

Laut Orrego, der auch internationaler Koordinator der weltweiten Kampagne 'Patagonien ohne Dämme' ist, unterstützt die Regierung mit ihrer Strategie in erheblichem Maße die großen Energiekonzerne, die eng mit dem ebenfalls in großem Stil betriebenen Bergbau in dem Land zusammenhängen.

Chile ist der weltgrößte Produzent von Kupfer. Nach Angaben des staatlichen Unternehmens 'Codelco' sollen in den kommenden sieben Jahren 97 Milliarden US-Dollar in Minenprojekte gesteckt werden. Dieser Betrag würde die gesamten chilenischen Investitionen der vergangenen 25 Jahren im Bergbaubereich übersteigen.

"Das ist der Kern des Energieproblems Chiles", meinte Orrego, der sich damit auf den enormen Energiebedarf der vorwiegend im Norden angesiedelten Bergbauindustrie bezog. Die Großunternehmen der Branche "zahlen nicht für Wasserrechte und sie leisten auch keine Entschädigung für Umweltzerstörung", kritisierte er.

Der italienische Stromversorger ENEL, der 'Endesa Chile' kontrolliert, ist gemeinsam mit dem chilenischen Unternehmen 'Colbún' verantwortlich für den Bau des Wasserkraftwerks 'Hydro Aysén'. Die Firma 'Energía Austral', die dem in Australien ansässigen Unternehmen 'Origin Energy' und der britisch-schweizerischen Gesellschaft 'Xstrata' gehört, will ebenfalls in Aysén das Wasserkraftwerk 'Rio Cuervo' bauen.

Nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Jorge Rodríguez Grossi, der im Kabinett des ehemaligen Präsidenten Ricardo Lagos (2000 bis 2006) Energieminister war, ist der Widerstand der Umweltschützer "irrational". "Wasserkraft ist einer der tragenden Pfeiler des zentralen Stromnetzes. Aus ökologischer Sicht ist die mit Wasser erzeugte Elektrizität eine der saubersten Energien, die es gibt", sagte er.

Umweltaktivisten, die aus Protest gegen die geplanten Riesenstaudämme vor Gericht zogen, verbuchten am 11. Mai 2012 einen Erfolg, als der Oberste Gerichtshof den Bau des Rio-Cuervo-Damms stoppen ließ. Der Entscheidung lag ein Bericht der nationalen Bergbaubehörde zugrunde, dem zufolge sich der Projektstandort über einer geologischen Falte befindet. Der Dammbau würde somit die Sicherheit der Menschen in dem Gebiet gefährden. (Ende/IPS/ck/kb/2013)


Links:

http://aysenreservadevida.blogspot.de/
http://www.minenergia.cl/estrategia-nacional-de-energia-2012.html
http://www.patagoniasinrepresas.cl/final/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100766
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107872
http://www.tierramerica.info/genero.php?tnota=10&lang=esp

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2013