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MEER/415: Lichtblick in den Tiefseebergbau-Verhandlungen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2022
Vergiftete Profite: (K)ein Ende der Pestizidnutzung in Sicht?

Lichtblick in den Tiefseebergbau-Verhandlungen
Deutschland spricht sich für vorsorgliche Pause aus

von Marie-Luise Abshagen


Seit dem 19. Jahrhundert weiß man, dass es auf dem Boden der Ozeane mineralische Rohstoffe gibt. Diese abzubauen und für die Industrie zu verwenden, ist das Ziel von Tiefseebergbau. Regierungen haben Explorationslizenzen in der Hohen See bei der Internationalen Meeresbodenbehörde erhalten, um die Möglichkeiten für den Tiefseebergbau zu erkunden. Auf der Sitzung des Rates der Internationalen Meeresbodenbehörde im Oktober 2022 sprechen sich Staaten, darunter erstmals auch Deutschland, gegen einen zeitnahen Beginn des Bergbaus in den Meeren aus.

Die Tiefsee umfasst alle Meeresgebiete unterhalb von 200 Metern Tiefe. Hiervon hat die Menschheit lediglich 5% erkundet, beim Tiefseeboden sogar nur 0,0001%.[1] Und das obwohl der Tiefseeboden mehr als die Hälfte der Erdoberfläche umfasst. Gleichwohl zeigt die Meeresforschung bereits jetzt, dass in der Tiefsee eine enorme Artenvielfalt und Diversität von Ökosystemen existiert. Dies widerspricht der langgehegten Vorstellung, die Tiefsee und insbesondere der Tiefseeboden wären eine lebensfeindliche Umgebung.

Vor allem die für den Tiefseebergbau interessanten Gesteinsformen (Kobaltkrusten auf den Hängen von Seebergen, Hydrothermalquellen und Manganknollen) sind wichtige Bestandteile der Tiefseeökosysteme und haben sich im Laufe von Jahrmillionen gebildet. Seeberge sind Rast-, Futter- und Fortpflanzungsort für viele Meeresorganismen und Heimat zahlreicher teilweise endemischer Flora, Fauna und Ökosysteme. An einer einzigen aktiven Hydrothermalquelle, auch Schwarze Raucher genannt, können bis zu 300 verschiedene Arten leben. Inaktive Schwarze Raucher weisen eine besonders hohe Dichte an Mikroorganismen auf. Manganknollen wiederum bieten im weichen Sediment einen wichtigen Untergrund für zahlreiche Spezies, beispielsweise Schwämme, Seesterne oder Seegurken. Und auch im Sediment finden sich Mikroorganismen wie Einzeller.

Internationale Verhandlungen für Bergbau in der Hohen See

Tiefseebergbau kann nicht einfach irgendwo in den Ozeanen stattfinden. Vielmehr wurden von der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) in der Hohen See verschiedene Gebiete im Pazifik, Atlantik und Indischen Ozean für den Tiefseebergbau ausgewählt. Diese Gebiete wiederum sind in Lizenzgebiete für Erkundungen (Explorationslizenzen) unterteilt. Innerhalb dieser Gebiete soll durch Staaten und Industrie (genannt Kontraktoren) erforscht werden, welche Rohstoffe auf dem Meeresboden zu finden sind, mit dem Ziel, diese irgendwann abzubauen.

Insgesamt 31 Explorationslizenzen hat die ISA seit 2001 vergeben. Sie sind je 15 Jahre gültig. Darunter sind beispielsweise 19 Lizenzverträge für die Erkundung von Manganknollen, für die die Abbautechnik besonders weit vorgeschritten ist.

Das größte Bergbauvorhaben der Menschheitsgeschichte

Schätzungen auf Grundlage wissenschaftlicher Berechnungen gehen davon aus, dass bei einem einzelnen Bergbauvorhaben zum Abbau von Manganknollen in der ClarionClipperton-Zone im Pazifik ein Kontraktor zwei bis drei Millionen Tonnen Knollen auf einer Fläche von 200 bis 400 Quadratkilometern (km2) pro Jahr abbauen muss, um profitabel zu sein. Zum Vergleich: Köln hat eine Fläche von ca. 4300 km2. Im Laufe einer 30-jährigen Abbaulizenz könnte es somit um eine Bergbaufläche von bis zu 12.000 km2 gehen. Die gesamte Fläche der von der ISA als Lizenzgebiete freigegebenen Bereiche beläuft sich sogar auf 1,5 Millionen km2, eine Fläche 4,5 Mal so groß wie Deutschland.

Tiefseebergbau wird unvermeidlich zu Artensterben und einer zusätzlichen Belastung der ohnehin schon stark geschädigten Meere führen. Denn wie bei jeder anderen Form von Bergbau ist mit dem Abbau der Rohstoffe die Zerstörung von Manganknollen, Krusten oder Schwarzer Raucher integraler Bestandteil des Abbauvorhabens. Tiefseebergbaugeräte werden dazu entwickelt, den Meeresboden im großen Stil aufzureißen, zu zerkleinern, umzupflügen und Teile davon an die Oberfläche pumpen zu können.

Undemokratische Behörde und Verhandlungen unter Druck

Das Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) regelt die Aufgaben der ISA hinsichtlich der Ressourcen der Tiefsee und definiert den Tiefseeboden inklusive der darin enthaltenen mineralischen Rohstoffe als Gemeinsames Erbe der Menschheit. Das bedeutet: Die ISA soll die Tiefsee zum Wohle der gesamten Menschheit verwalten.

Die ISA weist jedoch einige grundlegende Schwächen auf, die sie in ihrer derzeitigen Struktur als Organisation für die Verwaltung der Tiefseerohstoffe als Gemeinsames Erbe der Menschheit ungeeignet und problematisch macht. Denn das institutionelle Design der ISA und ihre rechtliche Ausgestaltung sind so angelegt, dass Tiefseebergbau stattfinden soll.

Derzeit verhandeln Mitgliedstaaten bei der ISA über den Mining Code, die Abbauregularien, auf deren Grundlage Kontraktoren später Abbauanträge stellen können. HierForum Umwelt für treffen sich Staaten derzeit drei Mal jährlich, zuletzt im Oktober/November 2022 bei der Sitzung des ISA-Rates, einer Gruppe von 36 Mitgliedsstaaten mit privilegierten Entscheidungsbefugnissen.

Die Verhandlungen dauern schon einige Jahre an. Kein Bereich der Regularien ist annähernd abgeschlossen, an vielen Stellen fehlen grundlegende Informationen, um überhaupt den Rahmen der Regularien festzulegen. Problematisch ist dies vor allem bei dem komplizierten Finanzregime, das die Gewinne aus dem Tiefseebergbau unter der Industrie, der ISA und den Mitgliedstaaten aufteilen soll, und bei den Grenzwerten für Umweltschäden, die aufgrund der fehlenden Datenlage nicht seriös bestimmt werden können.

Trotzdem haben die Verhandlungen seit 2021 deutlich an Geschwindigkeit zugenommen. Auf der 27. ISA-Sitzung im Dezember 2021 stellte der ISA-Generalsekretär Michael Lodge einen Arbeitsplan vor, der eine Verabschiedung der Abbauregularien bis Juli 2023 vorsieht. Dieses Datum ist nicht beliebig, sondern die Konsequenz eines folgenschweren Antrags, den Nauru im Sommer 2021 bei der ISA einreichte.

Ein folgenschwerer Antrag

Denn in UNCLOS gibt es die Regel, dass ein Staat, der einen Antrag für eine zukünftige Abbaulizenz einreichen will, bei der ISA einfordern kann, dass alle relevanten Regularien für den Abbau innerhalb von zwei Jahren fertiggestellt sein müssen. Sollten die Regularien in den zwei Jahren nicht verabschiedet werden, müsste der Rat den Antrag auf Basis der bis dahin fertigen Regularien berücksichtigen und vorläufig bewilligen. In einem Brief an das ISA-Sekretariat forderte Nauru im Sommer 2021 genau das: die Verabschiedung der Regularien und das Prozedere zu beenden, damit sein Kontraktor Nauru Ocean Resources Inc. (NORI) sich um eine Abbaulizenz bewerben könne.

Neue Studien zeigen, dass die fossile Brennstoffindustrie der ökonomische Sektor ist, der am häufigsten auf Schiedsgerichtsklagen zurückgreift.

Der Hintergrund von Naurus Antrag ist mehr als dubios. Nauru schreibt in seinem Antrag, es gehe um die Sicherung von Ressourcen der Tiefsee für eine CO2 -neutrale Wirtschaft ebenso wie um einen wirtschaftlichen Wiederaufbau von Entwicklungsländern nach der Corona-Pandemie. Der Zeitpunkt des Antrags fiel aber direkt in die heiße Phase des Börsengangs von The Metals Company. The Metals Company aus Kanada ist zu 100% Mutterfirma von NORI und das derzeit am aktivsten agierende Tiefseebergbauunternehmen. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Zeitpunkt des Antrags auch zum Ziel hatte, den Preis der The Metals Company-Aktie hochzutreiben, was anfangs auch gelang. Mittlerweile ist die Aktie aus verschiedenen Gründen auf unter einen USD abgestürzt.

Wird ein Abbauantrag eingereicht, muss er vom Rat geprüft werden. Stimmt der Rat zu, kann das ISA-Sekretariat eine Vertragsverhandlung mit dem Kontraktor beginnen. Bei erfolgreicher Verhandlung könnte ein Abbauvertrag unterzeichnet werden. Ein Beginn von Tiefseebergbau in der Hohen See wäre möglicherweise ab 2026 realistisch. The Metals Company spricht sogar von 2024.

Ein nichtstaatliches Gremium hat zu viel Entscheidungsgewalt

Derzeit ist das institutionelle Design der ISA so aufgebaut, dass es sehr schwierig ist, einen Abbauantrag abzulehnen. Das liegt zum einen daran, dass ein undemokratisches Expertengremium innerhalb der ISA viel Einfluss hat. So gut wie jede Entscheidung der ISA wird von den Empfehlungen der Legal and Technical Commission (LTC) geleitet. Die Mitglieder der LTC werden ad personam für fünf Jahre benannt, zwölf von ihnen sind aus Staaten mit Explorationslizenzen, nur drei sind (Stand 2022) Biolog:innen, der Rest vor allem Geolog:innen, Jurist:innen und Diplomat:innen. Die LTC soll die technische Expertise in der Bewertung wichtiger Dokumente liefern, wobei die Mitglieder eidesstattlich verpflichtet sind, keine Informationen oder Daten weiterzugeben, die ein Geschäftsgeheimnis darstellen. Die LTC trifft sich deswegen hinter verschlossenen Türen.

Sollten die Abbauregularien verabschiedet werden, wird die Entscheidung über die Anträge für die Bergbaulizenzen maßgeblich von der LTC beschieden. Sobald ein Kontraktor einen Antrag über eine Abbaulizenz einreicht, gibt die LTC Empfehlungen zur Genehmigung. Wenn die LTC dem Rat empfiehlt dem Antrag stattzugeben, wird es für die Mitgliedstaaten extrem schwierig, dem nicht zu folgen. Eine LTC-Empfehlung abzulehnen, bedarf einer Zweidrittelmehrheit im Rat und einer Mehrheit in jeder der fünf Kammern des Rates. Die Hürden für eine Ablehnung eines Antrags sind somit extrem hoch, auch im Hinblick darauf, dass vor allem Staaten mit Explorationslizenz im Rat vertreten sind, darunter auch Nauru für die Jahre 2023, 2025 und 2026. Die Entscheidungsstrukturen müssten umgekehrt sein - nicht die Ablehnung eines Antrags sollte einer Zweidrittelmehrheit bedürfen, sondern die Zustimmung.

Lichtblick in den Verhandlungen und Rolle Deutschlands

Bei den ISA-Mitgliedstaaten gibt es nun eine sehr wichtige Entwicklung. Mit dem Antrag der Zweijahresregel wurden die Staaten massiv unter Druck gesetzt, bis Juli 2023 die Abbauregularien fertig zu verhandeln. Und dass, obwohl vielen Verhandler:innen die fehlenden Details der verschiedenen Verhandlungsbereiche, darunter das Finanzregime und die Umweltgrenzwerte, bewusst sind und die massiven Belastungen der Umwelt in den letzten Jahren immer wieder wissenschaftlich bestätigt wurden.

Seit Jahren sprechen sich Umweltschützer:innen, Aktivist:innen, lokale Gemeinschaften, NGOs und sogar einige große Tech- und Autokonzerne gegen Tiefseebergbau aus. Im Juni 2022 gründete sich auf der UN Ocean Conference ein globales Netzwerk von Abgeordneten gegen Tiefseebergbau, bei dem mittlerweile 250 Abgeordnete aus 51 Parlamenten Mitglied sind. Ebenfalls auf der UN Ocean Conference sprachen sich Fidschi, Palau und Samoa für ein Tiefseebergbau-Moratorium aus.

Seitdem haben die kritischen Stimmen aus Parlamenten und Regierungen auch die ISA-Verhandlungen erreicht. In nur sechs Monaten sind es mittlerweile elf Staaten, die sich offiziell für ein Tiefseebergbaumoratorium, ein Verbot oder eine vorläufige Pause einsetzen. Besonders begrüßenswert ist, dass auch Deutschland auf der ISA-Sitzung am 31. Oktober 2022 in einem offiziellen Statement ankündigte, vorerst keinen Tiefseebergbau zu unterstützen und Anträgen für den Abbau bis auf Weiteres nicht stattzugeben.

Als Ratsmitglied nimmt Deutschland eine wichtige Rolle ein, diese Ankündigung kann den Beginn des Tiefseebergbaus wenigstens verzögern. Ganz vom Tiefseebergbau will sich Deutschland aber nicht verabschieden, sondern weiter an der Entwicklung effektiver Abbauregularien mit strengen Umweltregularien mitarbeiten, um sicherzustellen, dass die Meeresumwelt auch bei einem Beginn von Genehmigungsverfahren nicht ernsthaft geschädigt wird. Um dies zu verhindern, müsste Deutschland aber im Sommer 2023 unbedingt gegen die Verabschiedung der Regularien stimmen. Dafür braucht es lediglich ein Land, denn die Abbauregularien müssen, im Gegensatz zu den Anträgen für Abbaulizenzen, im Konsens beschlossen werden. Sollten die Regularien genehmigt werden, wird es aufgrund der oben skizzierten Abstimmungsverhältnisse weiterhin schwer bleiben, den Beginn von Tiefseebergbau zu verhindern.

Marie-Luise Abshagen leitet die Nachhaltigkeitspolitik im Forum Umwelt und Entwicklung und koordiniert die AG Tiefseebergbau.

[1] Casson, L. (2020): For the global Ocean.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2022, Seite 52-55
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 16. Mai 2023

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