Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) - 05.12.2016
Frühwarnsignale für Seen halten nicht, was sie versprechen
Seen reagieren oft abrupt auf Umweltveränderungen wie steigende Temperaturen oder erhöhte Nährstoffkonzentrationen. Werden bestimmte Grenzwerte erreicht, kann sich ein See plötzlich grün färben oder ganz "kippen". Es kommt zu Algenblüten. Solche Veränderungen sind meist unumkehrbar und beeinflussen langfristig die Lebensgemeinschaften unter Wasser. Wissenschaftler vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben gemeinsam mit internationalen Kollegen getestet, welche Frühwarnsignale sich für die Prognose solcher Ereignisse in Seen eignen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie kürzlich in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences".
Die Müggelsee-Messstation des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie
und Binnenfischerei (IGB) in Berlin erfasst physikalische und
biologische Werte in engen Zeitabständen.
Foto: © IGB/David Ausserhofer
Ökosysteme können sich plötzlich und grundlegend verändern. Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als Tipping Points (Wendepunkte). Sie können trotz nahezu gleichbleibender äußerer Bedingungen auftreten und führen in Seen zu bleibenden Veränderungen, sogenannten Regimewechseln. Theoretisch lassen sich derartige Regimewechsel mithilfe statistischer Frühwarnsignale vorhersagen. Doch wie zuverlässig sind die Signale?
"Tritt ein solches Ereignis in einem Ökosystem auf, ist es schwierig oder sogar unmöglich, die ursprüngliche Situation wiederherzustellen", betont Prof. Dr. Rita Adrian, Mitautorin der Studie. Aus diesem Grund sei es wichtig, Alarmsignale für anstehende Veränderung frühzeitig zu erkennen.
Gemeinsam mit einem internationalen Team hat die IGB-Wissenschaftlerin verschiedene statistische Indikatoren in langen Datenreihen von Seen getestet, die als Frühwarnsignale gelten. Die Ergebnisse zeigen, dass Vorhersagen zwar funktionieren können, bislang jedoch nicht in allen Fällen auf natürliche Ökosysteme anwendbar sind.
Für die Studie untersuchten die Wissenschaftler fünf Seen, für die jeweils Langzeitdaten über mehrere Jahrzehnte vorlagen, darunter der Müggelsee in Berlin und der Lake Washington in den USA. Alle Gewässer zeigten eine Gemeinsamkeit: Sie unterlagen plötzlich auftretenden und langfristig anhaltenden Systemveränderungen.
"Im Müggelsee sank beispielsweise 1990 die Biomasse der im See vorkommenden Algen abrupt und langanhaltend um fast die Hälfte", sagt Adrian. "Einige Zooplankton-Arten wie zum Beispiel eine Copepodenart konnten wir daraufhin weniger häufig beobachten, eine andere Copepodenart breitete sich hingegen aus." Diese Veränderung an der Basis der Nahrungskette wirkte sich auf die Populationsdichten und die Artenzusammensetzung im See aus. Eine Verbesserung der Lichtverhältnisse im See förderte zugleich die Ausbreitung von Wasserpflanzen.
Bei einem Großteil der untersuchten Seen erkannten die Forscher tatsächlich Frühwarnsignale, in einigen Fällen sogar mehrere Jahre bevor die Veränderung eintrat. Insgesamt war die Aussagekraft der vier getesteten Frühwarnsignale (Autokorrelation, Verteilung, Varianz und Erholungszeit nach Störung) jedoch nicht eindeutig. Frühwarnindikatoren als Methode seien deshalb zwar vielversprechend, aber entgegen vieler Hoffnungen noch nicht für eine allgemeine Anwendung geeignet, lautet das Fazit der Forscher. Das macht es bislang unmöglich, schon vor einer potenziellen Krise entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
"Wir können Frühwarnsignale nur entdecken und für das Gewässermanagement nutzen, wenn ausreichend Langzeitdaten für die betroffenen Seen vorliegen", betont Rita Adrian. Dieses "Fenster in die Vergangenheit" sei aber nicht der einzige Schlüssel zum Erfolg: Die Methoden für die Datengewinnung müssen ebenfalls weiterentwickelt werden. "Automatisierte Messstationen, wie z.B. die Müggelsee-Messstation in Berlin, auf der physikalische und biologische Werte in hoher zeitlicher Auflösung erfasst werden, könnten es in Zukunft ermöglichen, Regimewechsel besser vorherzusagen", sagt Rita Adrian.
Zur Studie:
Evaluating early-warning indicators of critical transitions in natural
aquatic ecosystems, Alena Sonia Gsell, Ulrike Scharfenberger, Deniz
Özkundakci, Annika Walters, Lars-Anders Hansson, Annette B. G.
Janssen, Peeter Nõges, Philip C. Reid, Daniel E. Schindler,
Ellen van Donk, Vasilis Dakos & Rita Adrian Proceedings of the
National Academy of Sciences (PNAS), 23 November 2016 (Early
Edition)
http://www.pnas.org/content/early/2016/11/21/1608242113.full
Zum IGB: www.igb-berlin.de
Die Arbeiten des IGB verbinden Grundlagen- mit Vorsorgeforschung als
Basis für die nachhaltige Bewirtschaftung der Gewässer. Das IGB
untersucht dabei die Struktur und Funktion von aquatischen Ökosystemen
unter naturnahen Bedingungen und unter der Wirkung multipler
Stressoren. Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die
Langzeitentwicklung von Seen, Flüssen und Feuchtgebieten bei sich
rasch ändernden globalen, regionalen und lokalen Umweltbedingungen,
die Entwicklung gekoppelter ökologischer und sozioökonomischer
Modelle, die Renaturierung von Ökosystemen und die Biodiversität
aquatischer Lebensräume. Die Arbeiten erfolgen in enger Kooperation
mit den Universitäten und Forschungsinstitutionen der Region
Berlin/Brandenburg und weltweit. Das IGB gehört zum Forschungsverbund
Berlin e. V., einem Zusammenschluss von acht natur-, lebens- und
umweltwissenschaftlichen Instituten in Berlin. Die Einrichtungen sind
Mitglieder der Leibniz-Gemeinschaft.
Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder unter:
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http://idw-online.de/de/institution1985
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB),
Angelina Tittmann, 05.12.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2016
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