Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2022
Vergiftete Profite: (K)ein Ende der Pestizidnutzung in Sicht?
Jetzt auf ökologische Landwirtschaft umstellen!
Ein Erfolgsmodell aus Andhra Pradesh in Indien
von Muralidhar G.
Die industrielle Landwirtschaft bedroht die Existenz vieler Kleinbäuerinnen und -bauern, erzeugt pestizidverseuchte Lebensmittel und schadet damit unserer Gesundheit. Eine Gemeinschaft in Andhra Pradesh hat ihre Landwirtschaft daher umgestellt und zeigt, welche Vorteile Agrarökologie mit sich bringt.
Das industrielle Landwirtschafts- und Lebensmittelsystem ist ungerecht, nicht inklusiv und nicht nachhaltig. Die Existenzgrundlage vieler Landwirt:innen und kleinbäuerlichen Betriebe ist stark gefährdet. Ein Großteil von ihnen wurde in die Armut gedrängt.
Die sogenannte Grüne Revolution, also die Einführung neuer Technologien in der Landwirtschaft ab den 1960erJahren, hat zu einem enormen Anstieg des Einsatzes von chemischen Düngemitteln und Pestiziden geführt. Dies zog verschiedene Probleme nach sich: den Verlust von organischem Kohlenstoff im Boden, eine Verschlechterung der Bodengesundheit, geringere Erträge und einer Verschlechterung des Nährstoffgehalts der Erzeugnisse. Auch das physische und psychische Wohlbefinden der Landwirt:innen, einschließlich Gesundheit und Ernährung, befindet sich seitdem in einer Abwärtsspirale. Am schlimmsten sind die Auswirkungen für Kleinbetriebe, Pächter:innen und landlose Landarbeiterfamilien. Unter ihnen sind Frauen nochmals deutlich stärker betroffen. Die Kosten für landwirtschaftlichen Anbau steigen, die Einkommen sinken.
Das industrielle Agrarmodell verdrängt Arten und Vielfalt. Saisonale Monokulturen tragen massiv zur Emission von Treibhausgasen bei. Menge, Qualität und Sicherheit der Erträge nehmen von Jahr zu Jahr ab. Dadurch wird die lokale Lebensmittel- und Ernährungssicherheit beeinträchtigt. Verbraucher:innen sind gezwungen, Lebensmittel mit chemischen Rückständen und hoher Verunreinigung zu konsumieren, denen es an der erforderlichen Nährstoffvielfalt und Qualität mangelt. Die Gesundheit der Menschen wird durch die erhöhte Exposition gegenüber Chemikalien einerseits und den Mangel an Nährstoffen andererseits beeinträchtigt.
Langanhaltende Trockenperioden, Dürren, Hitzewellen, unregelmäßige und starke Regenfälle in kurzen Zeiträumen, häufige Überschwemmungen und Wirbelstürme verschärfen die Probleme noch. Die Ernteausfälle nehmen zu. Luft- und Wasserverschmutzung, zunehmender Wasserstress und ausgetrocknete Brunnen verschärfen die Notlage der Landwirt:innen und die Krisen im Agrar- und Ernährungssystem.
Die multiplen Krisen sind akut. Mehrere Systeme, darunter der Boden, das Wasser, die Gesundheit der Menschen und die Tiergesundheit, zeigen Anzeichen des Zusammenbruchs. Unser Zeitfenster für eine Reaktion ist auf etwa 15-20 Jahre begrenzt. Wir müssen schnell und umfassend reagieren.
Es geht aber auch anders. Die ökologische Landwirtschaft hat sich in Andhra Pradesh, Indien, erfolgreich als Alternative etabliert. Sie zeigt einen Weg zur Bewältigung der Krisen in der Landwirtschaft und im Lebensmittelsystem auf. Andhra Pradesh ist ein Bundesstaat im Südosten von Indien. Hier leben fast 50 Millionen Menschen. Knapp 9 Millionen von ihnen sind Bäuerinnen, Bauern und Landarbeiter:innen. Die wichtigsten Anbauprodukte sind Reis, Hirse, Mais und Hülsenfrüchte.
Das Projekt "Andhra Pradesh Community Managed Natural Farming" (Gemeinschaftlich organisierte ökologische Landwirtschaft Andhra Pradesh, APCNF) wurde von der lokalen Regierung ins Leben gerufen und umgesetzt. Die ökologische Landwirtschaft arbeitet im Einklang mit der Natur. Dabei werden folgende Grundsätze berücksichtigt: Verzicht auf chemische Düngemittel und Pestizide; Verwendung von natürlichem, heimischen Saatgut; schonende Bodenbehandlung zum Erhalt sowie Förderung der mikrobiellen Aktivität; Deck- und Zwischenfrüchte für einen immergrünen Acker; Nutzung von Mulch aus Ernterückständen; Schädlingsbekämpfung mit mechanischen und anbauspezifischen Techniken sowie rein pflanzlichen Extrakten; geringe Bodenbearbeitung und -beeinträchtigung sowie eine integrierte Tierhaltung. Alle Maßnahmen zusammen stärken die Widerstandsfähigkeit und Produktivität von Agrarökosystemen. Dadurch sinken auch die Wasser- und Energiekosten. Niedrigere Anbaukosten sowie die lokale Wertschöpfung führen zu höheren Einkünften. Außerdem sind die Lebensmittel ungiftig und nährstoffreicher. Der Community-Ansatz schafft nicht nur die Möglichkeit regionaler Wertschöpfung, sondern auch einer Wissensweitergabe unter den Landwirt:innen.
APCNF hat sich, gemessen an der Zahl der Landwirt:innen, zum größten agrarökologischen Programm der Welt entwickelt. Mehr als eine Million Landwirt:innen und Landarbeiterfamilien sind für die ökologische Landwirtschaft registriert und 630.000 Landwirt:innen praktizieren sie bereits, ohne jegliche Subventionen des Staates.
Unabhängige jährliche sozioökonomische Studien in den Jahren 2018 bis 2021 haben bestätigt, dass die Landwirt:innen durch ökologische Bewirtschaftung im Vergleich zur chemischen Landwirtschaft jedes Jahr geringere Kosten für den Anbau ohne Ertragseinbußen und gleichzeitig höhere Nettoeinkommen erzielen konnten. Die geschätzten Einsparungen bei den Düngemittelsubventionen in Andhra Pradesh im Zeitraum 2020 bis 2021 belaufen sich auf 7 Milliarden Rupien (ca. 83. Millionen Euro). APCNF zielt auf eine vollständige Umstellung der Landwirtschaft der Region ab: alle Landwirt:innen, alle Betriebe, alle Felder. Frauenkollektive übernehmen die Führung bei der Mobilisierung und Planung sowie der Nachverfolgung und Rechenschaftslegung. Landwirt:innen mit bewährten Vorgehensweisen leiten die Beratung, den maßgeschneiderten Wissenstransfer und unterstützen Anfänger:innen durch Handreichungen. Es dauert etwa drei bis fünf Jahre, um alle Bäuerinnen und Bauern der Region zu erreichen und weitere drei bis fünf Jahre, bis diese ihr gesamtes Land auf ökologische Landwirtschaft umgestellt haben - etwa acht bis zehn Jahre insgesamt, um die gesamte Landwirtschaft der Region umzuwandeln. Die Kosten für die Umstellung belaufen sich auf etwa 15.000 Rupien (ca. 180 Euro) pro Familie, wobei das Nutzen-Kosten-Verhältnis mehr als das Fünffache beträgt.
Unser Zeitfenster für eine Reaktion ist auf etwa 15-20 Jahre begrenzt. Wir müssen daher schnell und umfassend reagieren!
Verschiedene Ansätze sollen dabei helfen, die Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft zu vermitteln. Der Konsum von Lebensmitteln aus ökologischer Produktion sowie das Sammeln eigener Praxiserfahrungen in Gärten oder auf Bauernhöfen zeigen Neueinsteiger:innen die Vorteile des Ökolandbaus. Veranstaltungen, Diskussionsrunden und Dokumentation ermöglichen einen Austausch und Wissenstransfer unter den Landwirt:innen. Letztendlich geht es aber auch darum, die nötigen Finanzmittel zu beschaffen und dabei zu unterstützen.
APCNF setzt darauf, bisherige Praktiken langsam und stetig zu ändern. In der Regel beginnt man mit dem Verzicht auf chemische Mittel und der Zugabe natürlicher Dünger. Der Anbau ist zunächst für die Familie und den lokalen Verbrauch bzw. den lokalen Verkauf bestimmt. Im Laufe der Zeit wird die Umstellung erweitert und weitere Maßnahmen ergriffen. Die ökologische Bewirtschaftung erhöht die Durchlässigkeit und Fruchtbarkeit des Bodens, die Widerstandsfähigkeit, die Kulturpflanzenvielfalt, die Anbauintensität, die biologische Vielfalt. Sie liefert vielfältigere und nahrhaftere Lebensmittel, mehr Einkommen mit regelmäßigen Geldflüssen und Beschäftigung. Sie verringert Preis- und Einkommensrisiken. Sie setzt einen positiven Kreislauf in Gang und hat gegenüber der konventionellen Landwirtschaft erhebliche Vorteile, die die Gemeinschaft durch die Umsetzung stetig erfährt, bspw. den Erhalt von Wasser oder die Umkehrung der Bodendegradation. Die Stärkung der Handlungsfähigkeit von Frauen und marginalisierten Gruppen und Gemeinschaften sowie die Einsparung von Subventionen für die Regierung(en) bilden hierbei besondere Punkte, die jenseits der Produktion positiv auf die Gesellschaft wirken.
Das 2016 gegründete APCNF-Projekt hat Mittel aus Programmen der indischen Regierung sowie ein Darlehen der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Höhe von 90 Millionen Euro erhalten. Die Indo-German Global Academy for Agroecology Research and Learning wurde mit Unterstützung der deutschen Regierung gegründet. Die Azim Premji Foundation hat durch ihren Zuschuss technische Unterstützung ermöglicht und vor Kurzem die Ausweitung in eine zweite Phase der Unterstützung genehmigt. Die lokale Regierung von Andhra Pradesh hat die Vision, dass bis 2030 alle Landwirt:innen in Andhra Pradesh auf Ökolandbau umstellen.
Bis 2027 setzt sie sich außerdem folgende Ziele: Frauen sollen eine führende Rolle bei der Ausweitung von Agrarökologie spielen. Außerdem sollen marginalisierte Gruppen stärker einbezogen werden. Zur Wissensvermittlung sollen agrarökologische Praktiken in Lehrpläne integriert, der Austausch systematisch gestärkt und künftig eine Universität mit dem Schwerpunkt ökologische Landwirtschaft gegründet werden. Auf nationaler und regionaler Ebene sind Politiken und Aktionspläne zu erarbeiten und umzusetzen.
Zu diesem Zweck erweitert APCNF seine Kapazitäten und Ressourcen: Es werden mehr Frauen in die Teams aufgenommen; es werden weitere grüne Landwirtschafts-, Ernährungs- und Politikmodelle entwickelt; es wird weiter gelernt und verbessert; und die erfolgreiche Koalition wird über bestehenden Partnerschaften hinaus erweitert und gestärkt.
Der Autor, Muralidhar G., ist Leiter des APCNF-Projektes.
Aus dem Englischen von Anika Bender, Tom Kurz und Eileen Roth
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz
für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die
Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen
Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist
der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-,
Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.
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Quelle:
Rundbrief 3/2022, Seite 24-26
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 16. Mai 2023
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