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PROJEKT/133: Icarus ist abgestürzt - Naturschutzarbeit mit russischer Zivilgesellschaft unter Kriegsbedingungen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2023
Durchbruch? Ein neues Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt

Icarus ist abgestürzt
Naturschutzarbeit mit russischer Zivilgesellschaft unter Kriegsbedingungen

von Thomas Tennhardt und Dr. Christoph Zöckler


Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt auch die jahrzehntelang gewachsene, intensive Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen, russischen Naturschutzorganisationen auf eine harte Probe. Die Bedingungen sind erheblich schwieriger geworden. Einige Schutzarbeiten gehen zurzeit nicht mehr. Abgesehen von den tragischen Zerstörungen, die der Krieg an der Bevölkerung, den Städten und dem Land in der Ukraine angerichtet hat, sind die Auswirkungen in vielen Bereichen unserer Arbeit auch in Russland zu spüren. Die russische Regierung hat zahlreiche NGOs, die mit dem Westen zusammenarbeiten, inzwischen als "ausländische Agenten" verboten. Anfang des Jahres hat es mit dem WWF Russland und Ende Mai mit Greenpeace Russland auch die ganz großen internationalen NGOs erwischt. Beide haben jahrelang intensiv mit der russischen Regierung kooperiert, der WWF war sogar immer Teil der russischen Verhandlungsdelegation beim offiziellen deutsch-russischen Naturschutzabkommen. Aber das ist nun vorbei. Zudem ist es durch die Sanktionen sehr schwierig, fast unmöglich geworden, Gelder zur Unterstützung der Naturschutzarbeit nach Russland zu senden. Eine unserer Partnerorganisationen z.B. hat aktuell nur noch 10% der Mittel, die vor dem Krieg zur Verfügung standen. Physische Treffen sind nur noch im Ausland möglich, oft trifft man sich in Zentralasien oder den unabhängigen Kaukasusrepubliken. Der NABU stellt sich seiner Verantwortung für die kritische russische Zivilgesellschaft und seine Mitarbeiter:innen in Russland und setzt die Zusammenarbeit mit nicht staatlichen Organisationen und Institutionen fort.

Der Moorschutz in Taldom

Seit mehreren Jahren engagiert sich der NABU gemeinsam mit anderen Organisationen und Stiftungen wie der Manfred-Hermsen-Stiftung zum Moorschutz in der Taldomregion im Norden des Moskauer Oblast. Das Hochmoorgebiet "Mutterland des Kranichs" ist zu großen Teilen als Naturschutzgebiet ausgewiesen und im Laufe der letzten zwölf Jahre hat BirdsRussia, eine nationale Naturschutzvereinigung und Partner des NABU, mit finanzieller Unterstützung der Manfred-Hermsen-Stiftung und des NABU über 1.200 Hektar (ha) Moore wiedervernässt. Dies kommt nicht nur den Kranichen, sondern auch den dort brütenden Limikolen wie Grünschenkel, Terekwasserläufer und Doppelschnepfe sowie dem global gefährdeten Schelladler zugute. Vor vier Jahren wurden auch zum ersten Mal Schelladler mit Satellitensendern versehen, was wertvolle Informationen über die Zugroute und die Überwinterungsgebiete bis nach Arabien und Ostafrika lieferte. Auch Doppelschnepfen aus Taldom wurden mit ICARUSSendern des deutschen Max-Planck-Instituts besendert. Das ICARUS-Programm läuft über die von Russland gesteuerte Internationale Raumstation als Satellit. Von zehn besenderten Schnepfen sind neun bis in alle Regionen Afrikas verteilt verfolgt worden. Zwei sind nach Taldom zurückgekehrt. Es war vor allem interessant zu erfahren, dass zumindest eine der Schnepfen, die am Balzplatz in Taldom besendert wurde, nicht in der Nähe gebrütet hat, sondern weiter nördlich bis an den Pechora geflogen ist, wo sie gebrütet haben könnte.

Diese ersten spannenden Ergebnisse können leider nicht weiterverfolgt werden, da Russland sofort nach Kriegsbeginn das ICARUS-Programm aufgekündigt hat. Man warf den ausländischen Senderprojekten vor, die über Russland ziehenden Vögel zu Spionagezwecken in Russland missbraucht zu haben. Es ist kaum anzunehmen, dass die russischen Behörden dies selbst glauben, gehört aber zu den vielen Reaktionen gegenüber dem "feindlichen Westen", die leider wichtige Forschungen im Naturschutz wesentlich beeinträchtigen. Das Programm hatte bereits viele Hunderte andere Projekte unterstützt und das Aufkündigen hat weitreichende Konsequenzen weit über Russland hinaus. Auch die Wiedervernässungen sind teilweise ins Stocken geraten. Außerhalb des Naturschutzgebietes können in landwirtschaftlich deklarierten Gebieten, auch wenn sie schon seit über 30 Jahren aus der Nutzung sind, keine weiteren Wiedervernässungen durchgeführt werden, da Russland seit den Sanktionen, die schon 2014 begannen, viele landwirtschaftlichen Flächen wieder nutzen möchte, um selbst Milch und Käse zu produzieren. Der NABU wird jedoch noch in diesem Jahr wieder kleine Bereiche im Naturschutzgebiet um Taldom mit seinen Partnern vor Ort wiedervernässen können.

Das Welterbe Kaukasus

Am 12. Mai 2023 jährte sich die Gründung eines der ältesten Schutzgebiete der Welt, des Zapovednik Kavkazskij im russischen Westkaukasus zum 99. Mal. Der NABU arbeitet mit seinem russischen Partner, der NGO NPZ "Kavkaz", seit 30 Jahren im Schutzgebiet. Die erfolgreiche Anerkennung als UNESCO-Welterbe 1999 war sicher ein Meilenstein, die Rettung der fast ausgerotteten Wisente ein weiterer. 1990 fast ausgerottet konnten durch Schutzmaßnahmen und die Eindämmung der illegalen Jagd durch Anti-Wilderer-Einheiten die Population stabilisiert werden - heute streifen wieder über 1.200 Wisente durch das 300 Quadratkilometer große UNESCO Welterbegebiet.

Wie sieht es bei unserem Partner NPZ "Kavkaz" aus? Gab es vor Corona noch 17 Mitarbeiter:innnen, sind aktuell elf Stellen besetzt, drei befinden sich in der Ausschreibung - es gibt also kaum kriegsbedingte Veränderungen. Ein Mitarbeiter ist vor dem Krieg nach Armenien geflohen. Die Projekte konnten bisher mehr oder weniger unverändert fortgeführt werden, selbst die Finanzierung über russische Stiftungen nimmt momentan eher zu als ab.

Die letzten Löffelstrandläufer

Gemeinsam mit anderen internationalen Partnern unterstützt der NABU seit vielen Jahren das Artenschutzprojekt im einzigen Brutgebiet des vom Aussterben bedrohten Strandläufers auf der Tschuktschen Halbinsel im äußersten Nordosten Sibiriens. Als Partner innerhalb der internationalen Löffelstrandläuferschutztruppe (SBS Task Force), deren Koordination von der Manfred-Hermsen-Stiftung finanziell getragen wird, hilft der NABU beim sogenannten Headstarting-Projekt genauso mit wie bei der geplanten Einrichtung eines großen Schutzgebietes "Land des Löffelstrandläufers", das die Mehrzahl der noch bekannten Brutpaare umfassen würde. Beim Headstarting werden die Eier frühzeitig in einem Brutschrank künstlich ausgebrütet und aufgezogen, bevor die Küken in einem Freilandkäfig weiter geschützt vor Prädatoren kurz vor dem Flüggewerden freigelassen werden. Nur so kann das Überleben der Art gesichert werden, von der es weltweit nicht mehr als 140 Brutpaare gibt.

In den letzten beiden Jahren konnten erst corona- dann kriegsbedingt nur noch rein russische Expeditionen im Brutgebiet stattfinden und das Headstarting konnte aufgrund von Personalmangel nicht mehr durchgeführt werden. Das für diese sehr spezialisierten Arbeiten besonders qualifizierte Personal ist bereits früh nach dem Ausbruch des Krieges ins Ausland geflohen, sodass dieser Bestandteil des Schutzprogamms nun schon zum zweiten Mal pausiert. Die Bemühungen um die Einrichtung eines neuen Naturparks "Land der Löffelstrandläufer" sind ebenfalls ins Stocken geraten und der bisher unterstützende Gouverneur von Tschukschien ist leider ausgewechselt worden.

Die internationale Zusammenarbeit mit Russland

Russland ist Mitglied in mehreren internationalen Konventionen und Schutzabkommen, wie der Ramsar-Konvention zum Schutze der Feuchtgebiete, dem Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (CITES), der Biodiversitätskonvention (CBD), aber auch der ostasiatisch-australischen Flywaypartnerschaft (EAAFP) und dem Arktischen Rat mit seiner Arbeitsgruppe zur Bewahrung der arktischen Flora und Fauna (CAFF). Zudem ist Russland Vertragspartner mehrerer bilateraler Abkommen, zum Beispiel mit den USA zum Schutze des Eisbären, jeweils mit Japan und Korea zum Schutze ziehender Kraniche und mit China zum Schutz wandernder Tierarten. Russland beherbergt gut 40% der arktischen Region und damit die meisten Brutgebiete der arktisch brütenden Zugvogelarten, die in Eurasien und Afrika überwintern. Damit verbunden gibt es viele Projekte, die sich mit arktischen Strandläufern, wie dem Knutt, der seltenen Rothalsgans aber auch den weit verbreiteten Bläss- und Weißwangengänsen beschäftigen. Doch fast alle diese Aktivitäten sind zum Erliegen gekommen. Nach dem Kriegsbeginn hat der Arktische Rat als Reaktion darauf alle offiziellen Treffen eingestellt. Russland ist nun effektiv von diesem Gremium ausgeschlossen und damit ist auch die Mitarbeit in der CAFF nicht weiter möglich. Dies hat zur Folge, dass ein gemeinsames Flyway-Projekt zum Schutz der Zugvögel auf dem ostatlantischen Zugweg, bei dem der NABU mit BirdsRussia einer von 14 Partnern ist, bisher nicht bewilligt werden konnte.

Russland ist ansonsten noch in vielen der internationalen Gremien offiziell vertreten, so auch auf der Ramsar-Vertragsstaatenkonferenz im November 2022. Hier kam es zum Eklat, als die Ukraine Russland vorwarf, mehr als die Hälfte ihrer Ramsar-Schutzgebiete, besonders an der Schwarzmeerküste durch die Kampfhandlungen zerstört zu haben, und Russland offiziell von der Konferenz in einer Resolution verurteilt sehen wollte.

Ein oft übersehener Nebeneffekt des Krieges in der Ukraine sind die Auswirkungen der Verknappung von Lebensmitteln wie Weizen und Speiseöl und die Verteuerung von Kunstdünger, der überwiegend aus Russland eingeführt wird, auf die verschiedenen Schutzprogramme im Agrarbereich der EU und anderer Länder in Europa und Asien. Nun stehen weniger Flächen für Stilllegungen und Rewilding im Naturschutz zur Verfügung. Viele Landwirte sind zögerlicher geworden und überdenken eine Teilnahme an den verschiedenen Agrarschutzprogrammen der EU. Die EU-Stilllegungsprogramme wurden per Notverordnung sofort unter lautem Druck des Bauernverbandes kassiert, mit dem absurden Hinweis, dass die Flächen für die eigene, autarke Lebensmittelproduktion gebraucht würden. Und es ist damit zu rechnen, dass in Zukunft Blühstreifen und Kiebitzinseln in den Äckern, wie vom NABU propagiert, kleiner werden und mehrere Rewilding-Programme auf Eis gelegt werden.

Die Verteuerung des Kunstdüngers wird sicherlich auch positive Konsequenzen für die Natur haben. Viele Landwirt:innen sind nun weltweit gezwungen, Einsparungen vorzunehmen und andere Formen, etwa die organische Düngung zu wählen. Doch ist das angesichts des großen Leidens von Millionen von Menschen in der Ukraine und auch andernorts kaum der Rede wert. Insgesamt sind die Folgen auch für den internationalen Naturschutz verheerend und betreffen viele Bereiche. Ein Frieden kann nicht früh genug kommen.

Thomas Tennhardt leitet die internationale Abteilung des NABU und ist Mitglied der NABU Geschäftsleitung. Er hat in den 90er-Jahren Programme zur internationalen Anerkennung von über zwölf UNESCO-Weltnaturerbestätten in Russland koordiniert.
Dr. Christoph Zöckler leitet als freier Mitarbeiter das Löffelstrandläufer-Schutzprojekt für die Manfred-Hermsen-Stiftung und berät den NABU in diversen internationalen Projekten zum Feuchtgebiets- und Moorschutz.

Weiterführende Literatur:
Gallo-Cajiao E. et al. (2023): Implications of Russia's invasion of Ukraine for the governance of biodiversity conservation. Frontiers in Conservation Science 4: 989019.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2023, Seite 36-38
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 10. November 2023

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