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PROTEST/024: Indien - Schreckensbild Fukushima, Widerstand gegen Atomkraftwerke wächst (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Januar 2013

Indien: Schreckensbild Fukushima - Widerstand gegen Atomkraftwerke wächst

von Ranjit Devraj


Bild: © K.S. Hariskrishnan

Protest gegen das indische Atomkraftwerk Koodankulam
Bild: © K.S. Hariskrishnan

Neu-Delhi, 28. Januar (IPS) - Als Indien vor fast fünf Jahren in den Kreis der Nuklearmächte aufgenommen wurde, gingen viele davon aus, dass das Land einen Weg gefunden habe, sich von der Abhängigkeit von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen unabhängig zu machen.

Immerhin hatte Indien bereits zu dem Zeitpunkt eine eigene Atomstromproduktion und erzeugte in 19 Reaktoren etwa 4.000 Megawatt. Damit trotzte der Subkontinent einem von den USA initiierten Embargo auf Lieferungen von Nuklearausrüstungen, das nach einem indischen Atomtest 1974 verhängt worden war.

Indiens Weigerung, den von 189 Nationen unterstützten Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, trug ebenfalls zur Isolierung des Landes bei. Erst nachdem im September 2008 die Gruppe der nuklearen Lieferländer (NSG), der 47 Staaten angehören, eine gesonderte Erklärung abgab, durfte sich Indien am Atomhandel beteiligen.

Nach der Aufhebung der Embargos erwägte das Land den Bau von 'Nuklearparks', die mit Hilfe ausländischer Investoren entlang der Küsten entstehen sollten. Ziel war, die bisherige Stromerzeugungskapazität bis 2020 um weitere 40 Gigawatt zu steigern.

Die Planer hatten jedoch ihre Rechnung ohne den erbitterten Widerstand von Bauern und Fischern gemacht, die um ihre Existenzgrundlagen fürchteten. Außerdem wurden mögliche Auswirkungen von Erdbeben diskutiert. Führende Intellektuelle zogen vor den Obersten Gerichtshof, um das Atomenergieprojekt zu verhindern.

"Es bestand wenig Zweifel daran, dass der Plan, zahlreiche Kernkraftwerke entlang der Küsten zu bauen, auf Probleme stoßen würde", sagte M.V. Ramana, ein Wissenschaftler, der zurzeit für das 'Nuclear Futures Laboratory' und das 'Program on Science and Global Security' an der Princeton Universität in den USA tätig ist.

"Da sich die Konflikte um Rohstoffe verstärken, wird der Widerstand gegen neue Atomanlagen noch zunehmen", meint er. "Wasser wird beispielsweise mit jedem Jahr knapper." Dem Experten zufolge werden die Fischer schon jetzt durch Abwässer von Industriebetrieben und Kraftwerken, die ins Meer eingeleitet werden, in ihrer Existenz bedroht.


Demonstrationen gegen zwei geplante AKW

Momentan kommt es in Jaitapur im westindischen Bundesstaat Maharashtra zu Protesten gegen einen Nuklearpark mit einer Kapazität von 9.900 MW, der zurzeit von dem französischen Unternehmen 'Areva SA' errichtet wird. In Koodankulam im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu sorgt eine fast fertige russische Nuklearanlage in der Bevölkerung für Empörung.

Eines der großen Probleme liegt laut Ramana darin, dass viele Menschen umgesiedelt werden müssten. "Die Planer sollten sich zunächst darüber im Klaren werden, dass das Land die Wahl zwischen ihren ehrgeizigen Plänen und Demokratie hat. Die Tatsache, dass es in Koodankulam und Jaitapur heftige und anhaltende Proteste gegeben hat, ist ein Zeichen dafür, dass den Menschen alle anderen Optionen, sich zu Wort zu melden, versperrt waren."

Als noch größeres Problem erscheint das Risiko, dass es dort zu einem Unglück von einem Ausmaß wie im japanischen Fukushima kommen könnte. Vor allem mit Blick auf Jaitapur warnen Geologen davor, dass das Gebiet erdbebengefährdet sei. Vinod Kumar Gaur, einer der führenden indischen Seismologen am Institut für Astrophysik in Bangalore kritisierte, dass Untersuchungen der Umgebung des geplanten Kraftwerkes größere Fehler aufwiesen.

Wie Gaur erklärte, ist es von großer Bedeutung, dass das Kraftwerk Jaitapur nur etwa 110 Kilometer von dem Koyna-Damm entfernt ist. Dieser Damm habe größere Risse, seit das Gebiet 1967 von einem Erdbeben der Stärke 6,4 auf der Richter-Skala erschüttert worden war. Der Wissenschaftler erinnerte zudem daran, dass 1524 ein starker Tsunami über die westliche Küste 100 Kilometer nördlich von Jaitapur hinweggerollt war. Diese Risiken seien in den bisherigen Studien nicht zu Sprache gekommen.

Die Bestätigung oder Widerlegung durch Fachuntersuchungen sei aber entscheidend dafür, den seismischen Sicherheitsfaktor für den Atommeiler in Jaitapur festzulegen, betonte Gaur. Das jüngste Erdbeben in Japan habe gezeigt, dass beim Bau von Kernkraftwerken alle Eventualitäten berücksichtigt werden müssten.


Öffentliche Debatte über Atomkraft angemahnt

"Ebenso wichtig ist es, die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zu veröffentlichen, um Befürchtungen in der Bevölkerung zu zerstreuen", sagte Gaur. Ramana sieht die Zeit dafür gekommen, dass die indische Atombehörde DAE das gesamte Land in eine ehrliche und offene Debatte über ihre Nuklearpläne einbezieht, insbesondere die Menschen, die in der Nähe geplanter Kraftwerke wohnen.

Die Behörde habe wissenschaftlich haltlose Positionen vertreten, als sie behauptet habe, die Reaktoren seien zu 'hundert Prozent' sicher und ein Störfall sei so gut wie unwahrscheinlich, kritisierte Ramana. Der Bau eines Reaktors werde zudem immer die Umwelt belasten, weil er radioaktive Schadstoffe und heißes Wasser abgebe. Es müsse also nicht über diese Fakten, sondern nur über das Ausmaß ihrer Auswirkungen diskutiert werden. Und wenn Anwohner sich gegen ein Kernkraftwerk wehrten, dürfe die DAE diese Pläne nicht weiterverfolgen.

Die Forderung der unabhängigen Volksbewegung gegen Atomenergie (PMANE), die die Proteste gegen das Projekt in Koodankulam anführt, öffentliche Beratungen abzuhalten, lehnt die DAE ab.

Die größte Herausforderung für die ehrgeizigen indischen Atompläne ist eine Petition, die mehrere prominente Bürger im Oktober 2011 beim Obersten Gerichtshof eingereicht haben. Gefordert wurde, dass der Staat den Bau von Atomanlagen so lange aussetzt, bis alle nötigen Sicherheitsstudien und Kosten-Nutzen-Analysen durchgeführt worden sind. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://nuclearfutures.princeton.edu/
http://www.princeton.edu/sgs/
http://www.iiap.res.in/
http://www.ipsnews.net/2013/01/all-unclear-over-nuclear/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. Januar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2013