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SOZIALES/036: Indien - Klimawandel tötet Kaschmirziegen, Paschmina-Handwerk gefährdet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. September 2013

Indien: Klimawandel tötet Kaschmirziegen - Traditionsreiches Paschmina-Handwerk gefährdet

von Athar Parvaiz


Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Hirtin mit Paschmina-Ziegen in der indischen Region Ladakh
Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Changthang, Indien, 16. September (IPS) - Der zu hohen Preisen gehandelte Paschmina-Schal, der nicht nur wunderbar aussieht, sondern auch wirksam vor Kälte schützt, könnte nun paradoxerweise selbst ein Opfer des Winters werden. Tausende Ziegen, deren feine Unterwolle zu den kostbaren Schals verarbeitet wird, sind bei eisigen Temperaturen in der Provinz Ladakh im indischen Teil Kaschmirs verendet. Die extreme Kälte wird auf den Klimawandel zurückgeführt.

Paschmina stammt von den Kaschmir-Ziegen, auch 'Changra' genannt, die in über 4.200 Metern Höhe über dem Meeresspiegel auf dem so genannten 'Dach der Welt' zu finden sind. In der Region, in der die Temperaturen bis auf minus 35 Grad Celsius sinken können, gibt es kaum Vegetation, und die Changpa-Nomaden sind zum Überleben auf ihre Schaf-, Yak- und Ziegenherden angewiesen.

Starke Schneefälle sind in der Region Changthang auf dem tibetischen Hochplateau bisher unüblich. Dies könnte sich aber durch den Klimawandel ändern, wie sich bereits Anfang des Jahres gezeigt hat. Die Changpa verloren durch den Frost das gesamte Futter für ihre Tiere.

"Zum zweiten Mal habe ich in den letzten fünf Jahren derartig heftige Schneefälle erlebt", berichtet die 53-jährige Ziegenzüchterin Bihkit Angmo, die in einem Zelt in der Nomadensiedlung Kharnak rund 170 Kilometer entfernt von der Ladakh-Hauptstadt Leh lebt. "Wenn dies so weiter geht, wird die Changra-Zucht in den nächsten zwei Jahrzehnten eingehen."


Dürre im Sommer vernichtet Weiden

Schon die Dürre während des Sommers im vergangenen Jahr hatte Probleme mit sich gebracht. "Es war schlimm, wir mussten weite Strecken zurücklegen, um geeignete Weiden für die Tiere zu finden", berichtet Angmo.

Als im Sommer dieses Jahres der Schnee schmolz, kamen zwar wieder grüne Weiden zum Vorschein. Die hohen Verluste konnten dadurch aber nicht wettgemacht werden. Die lokale Behörde für Viehzucht schätzt die Zahl der Ziegen, die aufgrund des extremen Wetters verendet sind, auf rund 24.600. Das Geschäft mit den Paschmina-Schals wird dadurch erheblich eingeschränkt.

Paschmina-Garn ist sechsmal dünner als menschliches Haar. Die Weber in Kaschmir fertigen bereits seit vielen Generationen in Handarbeit die kostbaren Schals an, die mit feinen Stickereien verziert werden. Ein solcher Schal wird für 200 bis 600 US-Dollar gehandelt. Wirtschaftsdaten der Regierung belegen, dass Paschmina-Exporte in den Jahren 2011 und 2012 etwa 160 Millionen Dollar einbrachten. In den extremen Wetterlagen droht den Ziegen nun aber der Tod durch Verhungern oder Erfrieren.

Angmo gehört zu den wenigen Viehzüchtern, die in der Siedlung Kharnak geblieben sind und nach wie vor Paschmina-Ziegenherden halten. Mohammad Sharief von der zuständigen Behörde erklärt, dass 83 der ursprünglich 98 Familien in andere Landesteile abgewandert sind. "In den vergangenen Jahren sind jährlich durchschnittlich fünf bis zehn Familien nach Leh gezogen."

Schätzungen zufolge halten in Changthang derzeit insgesamt noch etwa 2.5000 Changpa-Familien rund 200.000 Ziegen. Jede Ziege gibt in einer Saison ungefähr 250 Gramm Wolle her, die für etwa 35 Dollar pro Kilo verkauft wird.

Die Nomaden aus Changthang haben in Leh ein eigenes Viertel gegründet, das sie Kharnak Ling getauft haben. "Alle Familien, die aus Kharnak und anderen Teilen Changthangs gekommen sind, haben sich dort niedergelassen", sagt Sharief.

Zu den Migranten gehört auch der 43-jährige Motub Angmo, der vor vier Jahren aus Kharnak nach Leh kam. Zuvor hatte er seine 300 Ziegen verkauft. Angmo ist inzwischen Arbeiter und seine fünf Kinder gehen in der Stadt zur Schule. Die mobilen Klassenzimmer, die die Regierung für Nomaden in den Bergen bereitstellt, haben sich offensichtlich nicht bewährt.

Sollte die Paschmina-Ziegenzucht zu Ende gehen, würden rund 300.000 Menschen in dem indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir ihre Lebensgrundlagen verlieren, wie Shariq Farooqi vom Institut für die Entwicklung des Handwerks in der Sommerhauptstadt Srinagar erklärt.

Doch offenbar hat das indische Textilministerium die Notlage der Hirten und Paschmina-Weber erkannt. Hilfsmaßnahmen sollen ihnen ermöglichen, ihre Tätigkeit weiter auszuüben. "Wir haben in diesem Jahr ein Budget von 1,2 Millionen Dollar, um Futter für den Winter einzulagern", sagt Farooqi. "Den Nomaden werden wir auch Zelte und andere Unterkünfte zur Verfügung stellen."

Shariefs Behörde versucht zudem, Familien aus Leh wieder nach Changthang zurückzuführen. "Vergangenes Jahr siedelten wir zwei Familien wieder in Kharnak an und haben ihnen jeweils 50 Tiere geschenkt." Sobald sie sich dort wieder eingelebt haben, sollen sie anderen Zuzugsfamilien einige Ziegen abgeben. Mohammad Sharief hofft auf diese Weise alle Familien in die Region zurückzuholen.

Der Untergang der Ziegenzucht würde auch das Ende einer einzigartigen Kultur besiegeln, warnt er. Die meisten Changpa sind tibetische Buddhisten. Sie haben eine Vielzahl von Gebräuchen und Überlebenspraktiken entwickelt. Traditionell sind sie für ihre Polyandrie (Vielmännerei) bekannt, die jedoch von Generation zu Generation zurückgeht. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/09/Paschmina-withers-on-the-roof-of-the-world/

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IPS-Tagesdienst vom 16. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2013