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SOZIALES/087: Indien - Der Strand als Freilufttoilette, viele Fischer leben ohne sanitäre Anlagen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Dezember 2015

Indien: Der Strand als Freilufttoilette - Viele Fischer leben ohne sanitäre Anlagen

von Malini Shankar


Bild: © Malini Shankar/IPS

Während der Wirbelsturmsaison in Puri haben viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen
Bild: © Malini Shankar/IPS

PURI, INDIEN (IPS) - Jeeja Behera, Ehefrau eines Fischers im ostindischen Bundesstaat Odisha, hat ein mulmiges Gefühl, wenn sie an die herannahenden Wirbelstürme denkt. In der Unwettersaison, die für gewöhnlich bis Januar dauert, müssen viele Einwohner des Distrikts Puri in Notunterkünfte ziehen, in denen es jedoch an Trinkwasser und sanitären Anlagen fehlt.

Vor allem für Frauen und Kinder ist die mangelnde Hygiene in den Unterkünften ein Albtraum. "Bevor im Oktober 2013 der Wirbelsturm 'Phailin' kam, holten uns Polizei und Militär Hals über Kopf aus unseren Häusern ab. Wir konnten nicht einmal das Nötigste einpacken", erinnert sich die 34-Jährige.

Nicht nur in Notsituationen, sondern auch bei der täglichen Arbeit stellen Frauen in Indien fest, dass für ihre persönliche Hygiene nicht gesorgt ist. Darüber klagen unter anderem Fischerinnen, die immerhin fast die Hälfte der insgesamt 14,49 Millionen Arbeitskräfte in dem Sektor ausmachen. Diese Frauen werden zudem finanziell ausgebeutet. Viele von ihnen sind Analphabetinnen, deren Existenz äußerst unsicher ist.

"80 Prozent der Fischerinnen haben außerdem alkoholsüchtige Ehemänner und Söhne, von denen sie angegriffen werden", sagt P. Vanaja von der unabhängigen Organisation 'SNEHA' mit Sitz in Mumbai. "Solange unsere Existenz vom Wetter abhängt, werden wir niemals irgendeine Sicherheit haben", meint Malay Arasan, der 2004 den verheerenden Tsunami überlebte. Seine Siedlung im Bezirk Cuddalore wurde damals von den Fluten mitgerissen. 64 Menschen wurden getötet, davon 25 Kinder.


Kulturelle Barrieren verhindern Nutzung moderner Toiletten

Als Entschädigung erhielten Tsunami-Überlebende Boote aus faserverstärktem Kunststoff und Betonhäuser mit Wasseranschluss und sanitären Anlagen. Viele wollen allerdings die neuen WCs im Haus nicht benutzen, da es in Indien als anstößig gilt, Toiletten eigenhändig sauberzuhalten. Da diese kulturelle Hürde auf dem Subkontinent weiter besteht, gibt es in Indien immer noch viele Latrinen unter freiem Himmel. Auf der Inselgruppe Nikobaren, wo Indigene nach dem Tsunami neue Häuser erhielten, werden die Toiletten hauptsächlich von Kindern benutzt, die nach der Katastrophe geboren wurden.

"Die meisten Fischer in Indien benutzen den Strand als Toilette", heißt es in der Studie 'Fisheries Sector in India: Coastal Fisheries and Poverty Report', der vom Internationalen Kollektiv zur Unterstützung der Fischer (ICSF) mit finanzieller Hilfe des Internationalen Fonds für Agrarentwicklung (IFAD) veröffentlicht wurde. "Obwohl exportorientierte Fischfabriken inzwischen auch Frauen einstellen, lassen Arbeitsbedingungen und Bezahlung oftmals zu wünschen übrig", geht aus dem Report hervor. Fischerinnen hätten kaum Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäranlagen.

Die M.S. Swaminathan Stiftung (MSSRF) hat unterdessen in einem Ausbildungszentrum eine Anlage für hygienische Fischverarbeitung entwickelt. Fischabfälle werden dort unter Einhaltung von Hygienestandards entsorgt. Außerdem gibt es gut belüftete Toiletten und Waschräume.

"Die Fischer haben dieses Angebot sehr gut angenommen", sagt die Stiftungskoordinatorin Velvizhi. "Mehr als einhundert Fischverkäuferinnen in Poompuhar und Umgebung nutzen bereits die Einrichtungen, die im Zentrum der Stadt zugänglich sind. Die Nachfrage ist groß." Vor dem Tsunami hätten viele Menschen nicht erkannt, wie wichtig gewaschene, saubere Kleidung sei, so Velvizhi. Erst nach der Naturkatastrophe sei die Bevölkerung von der Schweizer Entwicklungsbehörde über grundsätzliche Hygienefragen aufgeklärt worden.

Die Fischerin Sushila aus Pondicherry, die einer lokalen Frauenkooperative angehört, freut sich darüber, dass sich in den neuen Häusern WCs befinden und die Menschen täglich duschen könnten. Durch Wasser übertragene Krankheiten könnten sich nun nicht mehr so rasch ausbreiten wie früher.

Angesichts des Klimawandels steht der Fischereisektor in Indien allerdings vor weiteren großen Problemen. Laut der ICSF-IFAD-Studie sind Fischergemeinden unter anderem von zunehmender Umweltverschmutzung, Küstenerosion, zunehmendem Druck auf Küstenland und der Schädigung der natürlichen Ressourcen betroffen. Experten fordern, dass Anpassungsmaßnahmen eine inklusive nachhaltige Entwicklung und eine Stärkung der Rechte von Frauen berücksichtigen müssen. (Ende/IPS/ck/15.12.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/12/water-and-sanitation-bridging-the-gender-gap-on-indias-seas/

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IPS-Tagesdienst vom 15. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2015

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