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WASSER/015: Euphrat und Tigris zu Tode gestaut - Anrainer zur Zusammenarbeit aufgefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. März 2011

Nahost:
Euphrat und Tigris zu Tode gestaut - Anrainer zur Zusammenarbeit aufgefordert

Von Timothy Spence


Sulaimaniya, Irak, 16. März (IPS) - An einer staubigen Straße in der Stadt Sulaimaniya im Nordosten des Iraks steht ein Mann mit seinem Gemüsekarren und bietet Passanten Tomaten und Fürchte an. Doch die Ware kommt nicht etwa aus den umliegenden Tälern der autonomen Kurdenregion oder aus den fruchtbaren Ebenen weiter südlich. Der Großteil werde inzwischen aus der Türkei und dem Iran geliefert, klärt der Straßenhändler Massud eine Kundin auf und fügt hinzu: "Erst hatten Krieg, dann hatten wir Saddam und nun haben wir keinen Regen."

Die von März bis Mai nur kurz andauernde Regenzeit hat bereits begonnen, doch eine jahrelange Dürre hat weite Teile des irakischen Nordens fest im Griff. Verschärft wird das Problem durch den Klimawandel, Migration, Bevölkerungswachstum und dem niedrigen Wasserpegel der wichtigsten Flüsse Vorderasiens, Euphrat und Tigris.

Angesichts der realen Gefahr einer Wasserkrise müssen die Anrainerstaaten der beiden im Osten der Türkei entspringenden Flüsse einem neuen Bericht zufolge dringend Schutzvorkehrungen treffen und vor allem kooperieren. Doch fehlt es an einer solchen Zusammenarbeit ebenso wie an Regen.

"Die Wasserknappheit ist eine direkte Folge des Mangels an politischer Weitsicht, gegenseitigem Vertrauen und dem Wunsch nach Frieden und guter Regierungsführung", erklärte Sundeep Waslekar, Vorsitzender der Denkfabrik 'Strategic Foresight Group' am 15. März vor Mitgliedern des Europäischen Parlaments in Brüssel.

Der Bericht der Organiation, 'The Blue Peace: Rethinking Middle East Water', der im Vorfeld des Weltwasserberichts am 22. März veröffentlicht wurde, drängt zu einer intensiven Zusammenarbeit der nahöstlichen Länder, um den Verlust der schwindenden Frischwasservorräte in der Region aufzuhalten.

Seit Menschengedenken bilden Euphrat und Tigris einen Halbmond aus fruchtbarem Ackerland. Doch die beiden Flüsse werden insgesamt zwölf Mal gestaut, bevor sie den Irak erreichen. Ein großer Teil des Wassers geht für menschliche Aktivitäten wie Landwirtschaft und Industrie drauf. Doch je weniger Wasser am Ende übrig bleibt, umso größer ist die Gefahr von Versalzung und Landverödung.


Gegenseitige Schuldzuweisungen

Seit Jahren schieben sich Türkei, Syrien und Irak gegenseitig den schwarzen Peter für den zunehmenden Wassermangel zu. Die Iraker klagen, dass durch die türkischen Staudämme zuwenig Wasser bei ihnen ankommt, während die Türkei den Irakern Wasserverschwendung vorwirft. Auch die Abhängigkeit der syrischen Landwirtschaft vom Euphrat gepaart mit der langjährigen Dürre führte dazu, dass der Irak bei der Wasserversorgung benachteiligt ist.

Doch offenbar setzt sich bei den Anrainern allmählich die Erkenntnis durch, dass sie an einem Strang ziehen müssen, um die drohende Wasserkrise abzuwenden. So haben sie bereits damit begonnen, Informationen auszutauschen. Außerdem fanden in den letzten zwei Jahren in regelmäßigen Abständen Ministertreffen zum Thema statt. Waleskar gehen diese Aktivitäten jedoch nicht weit genug. Er empfiehlt ihnen, einen den Aufbau eines gemeinsamen und durch Abkommen abgesicherten Kooperationsrats.

Der Report sieht aber auch Handlungsbedarf beim Schutz der Flüsse Jordan und El-Kabir, des Toten Meeres sowie des Tiberius- und des Galiläa-Sees. Eine sparsame Bewässerungstechnologie sei ebenso wichtig wie ein integrales Management der Flusstäter und - auf lange Sicht - der Bau von Entsalzungsanlagen zur Trinkwasserversorgung.

Ebenso empfiehlt die Studie, dass der nahe der von Israel besetzten Golanhöhen liegende Tiberius-See zu einem regionalen Gut erklärt und gemeinsam von Syrien und Israel verwaltet wird. Darüber hinaus rät sie zur Wiederbelegung von Plänen, wonach die Türkei Wasser aus dem Manavgat-Fluss ins Jordantal exportiert.

Im Irak ist Wassermangel ein weiterer Faktor, der die Stabilität und Sicherheit im Lande gefährdet. Die Schwäche des föderalen Staatsgebildes und die Dispute zwischen Bagdad und dem autonomen Kurdistan im Norden behindern den Ausbau und die Planung von Infrastrukturmaßnahmen. Beide Seiten konnten sich bisher nicht auf ein Abkommen über den Anteil an der Erdölförderung, auf politische Zuständigkeiten und die Grenzmarkierung einigen.

Im Januar hatten sich Regierungsvertreter in der Erdölförderstadt Kirkuk darüber beschwert, dass die kurdischen Behörden, die Kirkuk für sich beanspruchen, die Wasserlieferungen für Kirkuk gedrosselt hätten. Von kurdischer Seite hieß es hingegen, dass sich das Reservoir bis heute nicht von der schweren Dürre der Jahre 2007 bis 2009 erholt habe.


Koordinieren statt polarisieren

Jon Martin Trondalen, der im Wasserstreit zwischen Irak, Syrien und Türkei in den Jahren 1996 bis 2002 vermittelt hatte, bezweifelt, dass es dem Irak allein gelingen wird, eine landesweite Wasserversorgung hinzukriegen. Nach Ansicht von Trondalen, der sich für die auf Wasserdispute spezialisierte Stiftung 'Compass' mit Sitz in Genf engagiert, gibt es für die Wasserkrise im Irak letztendlich nur eine Lösung: Statt zu polarisieren müsse die Regierung koordinieren.

Nach Ansicht vieler Wasserexperten ist es für Länder wie den Irak noch nicht zu spät, um die Wasserreserven durch eine Kombination aus Schutzmaßnahmen, Anwendung sparsamer Bewässerungstechnologien, regelmäßiger Wasserqualitätskontrollen und grenzüberschreitender Wasserdiplomatie zu retten.

Weltweit sind bereits etliche multilaterale Wasserräte entstanden, um die Streitigkeiten um das Wasser von Flüssen wie Amazonas, Mekong, Nil, Rio Grande, Donau, Indus und den zentralasiatischen Flüssen Amu Darya und Syr Darya zu schlichten. Angola, Namibia und Botswana haben zudem Schritte unternommen, um ihre politischen Entscheidungen über die Verwendung des Okavango-Flusswassers zu koordinieren. (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2011