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WASSER/196: Brasilien - Wassermangel in São Paulo bedroht Zuwanderer aus dem Nordosten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. März 2015

Brasilien: Wassermangel in São Paulo bedroht Zuwanderer aus dem dürregeplagten Nordosten

von Mario Osava


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Ninja/ContaDagua.org

Eine Pfütze ist alles, was von einem der mehreren Reservoire des Cantareira-Wassersammelsystems übrig geblieben ist, das die brasilianische Megametropole São Paulo mit Wasser versorgt
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Ninja/ContaDagua.org

São Paulo, 11. März (IPS) - Sechs Millionen Brasilianer in São Paulo sind von Wassermangel bedroht. Nicht nur, dass die Niederschläge im Februar die Gefahr nicht bannen konnten. Sie haben die Behörden bewogen, Rationierungsmaßnahmen zu verschieben, wie sie Hydrologen seit einem halben Jahr empfehlen.

Besonders gefährdet sind die Millionen Menschen, die vor den alle zehn Jahre auftretenden Dürren in Brasiliens ärmster Region, dem semiariden Nordosten, in die Wirtschaftsmetropole geflohen sind. Vielen geht es in der neuen Heimat viel besser. Dass sie in dem ansonsten wasserreichen Land noch einmal unter Wassermangel leiden könnten, hätten sie sich nicht träumen lassen.

"Unser Wassertank fasst 4.500 Liter, die für zwei Tage reichen", meint Luciano de Almeida, Eigentümer des Restaurants 'Nación Nordestina' ('Land des Nordostens'), das jeden Monat 8.000 Gäste beköstigt. "Ich sehe mich derzeit in der Nachbarschaft nach einen Platz um, an dem ich einen 10.000-Liter-Tank aufstellen kann. Für mein Dach ist ein so großer Tank viel zu schwer."

Viele Bewohner der 22 Millionen Einwohner zählenden Stadt denken ähnlich. Dies gilt vor allem für die Menschen im Norden des Großraums São Paulo, die die ersten sein werden, deren Wasser rationiert wird, will die Stadtverwaltung eine ganzjährige Wasserversorgung gewährleisten.


Druck auf Wasserversorgungssystem

Die Wasserversorgung der nördlichen Zone erfolgt über das Cantareira-System, einem Verbund etlicher Reservoire. Noch kann es sechs Millionen Menschen mit Wasser versorgen. Bis Mitte 2014 waren noch neun Millionen an das System angeschlossen. Aufgrund der Wasserengpässe werden nun drei Millionen Menschen aus anderen Quellen gespeist.

Ausgerechnet diese Zone ist zur neuen Heimat der vielen Zuwanderer aus dem Nordosten und deren Nachfahren geworden. Davon zeugt auch die Dominanz der Restaurants, die für den Nordosten typische Gerichte wie 'carne-de-sol', eine Trockenfleischspezialität, Speisen mit Maniokmehl und unterschiedlichen Bohnensorten anbieten.

Der 40-jährige Alemeida ist in São Paulo geboren. Sein Vater jedoch stammt aus dem Nordosten, den er als erster von 14 Geschwistern auf der Suche nach einem besseren Leben nach zwei schweren Dürren im Jahr 1960 verlassen hatte. Er fand in São Paulo Arbeit in einem Stahlwerk. "Dort verdiente er so gut, dass er ein Jahr später auf Urlaub in den Nordosten zurückkehren konnte", erzählt der Sohn, der im Restaurant eines Onkels das Kochen gelernt hatte. Dies veranlasste die Schwestern und Brüder des Vaters, ihm zu folgen.

"Das Leben im Nordosten ist einfacher geworden", meint Almeida, den es auch immer wieder in die Region seiner Vorfahren zieht, aus der auch seine Frau stammt, mit der er eine siebenjährige Tochter hat. Die Landbevölkerung habe gelernt, mit den wiederkehrenden Dürren umzugehen. Die Menschen sammelten Regenwasser, um ihren Wasserbedarf zu decken und ihre Felder zu bewässern. Genau diese Strategie verfolgt auch die 'Movimento Cisterna Já', eine Organisation in São Paulo, die Menschen vor Ort auf die drohende Wasserkrise vorbereitet.


Bild: © Mario Osava/IPS

Ein Dorf im nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco, wo Regenwasser in Tanks gesammelt wird
Bild: © Mario Osava/IPS

Wie Almeida berichtet, will einer von 20 Angestellten, die er in seinem Restaurant beschäftigt, in den Nordosten zurückkehren, um mit seinen Ersparnissen einen Tanklaster zu kaufen, der die Menschen vor Ort mit Wasser zu versorgen. Dass die Migration nun in die entgegengesetzte Richtung erfolgt, erklärt sich aus der Verbesserung der Lebensbedingungen in Brasiliens ärmster und trockenster Region.


Rückkehrbewegung

Auch Paulo Santos, Geschäftsführer des 'Feijão de Corda', einem weiteren Restaurant in der Nordzone von São Paulo, zieht es in die alte Heimat, die er vor 20 Jahren verlassen hatte. Er möchte in die Stadt Vitoria da Conquista im nordöstlichen Bundesstaat Bahía zurückkehren. "Ich bin müde, dass Leben in São Paulo ist mir zu stressig geworden, und die Dürre macht die Sache nicht eben leichter. Vitoria da Conquista ist stark gewachsen, und die Lebensbedingungen haben sich dort verbessert", erklärt er.

Derweil bemüht sich die Allianz für Wasser, ein Bündnis aus 46 Sozial- und Umweltverbänden aus dem Bundesstaat São Paulo, die Bundesstaatenregierung und die Bevölkerung im Sinne der 'Wassersicherheit' zu mobilisieren. Die Niederschläge im Februar, die überdurchschnittlich viel Wasser mit sich brachten, haben dazu geführt, dass das Wasser in den Reservoiren des Cantareira-Systems wieder angestiegen ist. "Doch die Situation ist nach wie vor kritisch", meint Marussia Whately, Leiterin der Allianz.

Es gelte eine Herkulesaufgabe zu stemmen, um das Leid der Menschen in den ärmeren Gemeinden am Rande der Stadt, die keine Sammeltanks, und somit keine Wasserresserven besitzen, zu lindern, fügt der Aktivist Delcio Rodrigues, Vizevorsitzender des auf die Probleme des Klimawandels fokussierten Vitae-Civilis-Instituts, hinzu.

Doch leider ziehen die Bundesstaatenregierung und ihr Wasserversorgungswerk 'Sabesp' es vor, Verwirrung zu stiften, kritisiert er. So hätten sie am 23. Februar berichtet, dass der Wasserstand des Cantareira-System einen Wert von 10,5 Prozent erreicht habe - doppelt so viel wie im Januar. Gleichwohl habe man versäumt, zu erklären, dass sich die Angaben auf das ungenutzte Ende des Cantareira-Systems bezögen, das unterhalb der Wasserabnahmestellen liege. Dieses Wasser gelange nicht durch die Schwerkraft in die anderen Reservoire, sondern müsse hochgepumpt werden.

Das Wasserwerk greift seit Juli 2014 auf dieses tieferliegende Wasser zurück. Nimmt man den Zulaufpunkt als Bezugsgröße, sind es minus 18,5 Prozent - also deutlich weniger als die 12,3 Prozent, die man im April 2014 gemessen hatte.

Die Wasserkrise ist das Ergebnis einer zweijährigen Dürre im Südosten Brasiliens. Überdurchschnittlich reichhaltige Regenfälle wären nötig, um die kommende, sechsmonatige Trockenperiode zu überstehen. Doch das ist unwahrscheinlich, und Hydrologen fordern eine sofortige Rationierung der kostbaren Ressource.

In dem Bemühen, sich die politischen Kosten der Rationierung zu ersparen, hat die Regierung des Bundesstaates beschlossen, das Wasser des Billings-Reservoir zu verwenden, um die Nachfrage zu decken. Rodrigues zufolge ist dies besorgniserregend, da dieses Wasser hochgradig verseucht ist und ein Gesundheitsrisiko darstellt.

Immerhin wurde aufgrund der Krise die Wiederaufforstung in den Wassereinzugsgebieten vorangetrieben - ein wichtiger Schritt, um das Cantareira-System zu erhalten, das nur noch von einem Fünftel der ursprünglichen Vegetation umgeben ist. Wälder verbessern die Wasserproduktion, sind wichtige Wasserspeicher und wirksame Waffen im Kampf gegen die Bodenerosion. Allerdings ist die Wiederaufforstung ein langfristiges Unterfangen, das die derzeitigen Probleme nicht abmildern kann. (Ende/IPS/kb/2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/03/brasil-pasa-de-las-sequias-del-nordeste-a-la-sed-de-sao-paulo/
http://www.ipsnews.net/2015/03/brazil-from-the-droughts-of-the-northeast-to-sao-paulos-thirst/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2015

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